Luzerner Rechtsprofessorin ordnet ein

Drohende Triage: Wer hat das Recht auf das Intensiv-Bett?

Die Luzerner Rechtsprofessorin Regina Aebi-Müller erklärt, was die drohende Triage bedeutet. (Bild: Unsplash/@mdominguezfoto/zvg)

Die Zentralschweizer Gesundheitsdirektoren schlagen Alarm: Bei weiterer Zuspitzung der Corona-Lage droht die Triage. Die Rechtsprofessorin Regina Aebi-Müller der Uni Luzern ordnet das Vorgehen juristisch ein. Sie hat bei der Erstellung der Triage-Richtlinien zu Covid-Zeiten mitgewirkt.

Gäbe es ein offizielles «Wort des Monats» wäre es wohl «Triage». Vor der Corona-Pandemie vor allem aus dem Geschichtsunterricht bekannt, schlägt es derzeit hohe mediale Wellen (zentralplus berichtete). Etymologisch gesehen stammt das Wort vom französischen «trier», was auslesen oder aussortieren bedeutet.

Im medizinischen Kontext taucht es vor allem in Kriegs- und Katastrophen-Situationen auf: Es beschreibt «das Vorgehen zur Priorisierung medizinischer Massnahmen, wenn die vorhandenen Ressourcen nicht ausreichen, um alle Patientinnen, die eine dringende Behandlung brauchen, angemessen zu versorgen» (Definition der Schweizerischen Akademie der medizinischen Wissenschaften, SAMW).

Eine, die sich bereits weit vor der aktuellen Situation mit der Corona-Triage befasst hat, ist Regina Aebi-Müller. Die Professorin für Privatrecht an der Universität Luzern ist Teil der Zentralen Ethikkommission (ZEK) der SAMW. Im Frühjahr 2020 gab das Bundesamt für Gesundheit der ZEK den Auftrag, wegen befürchteter Überlastung der Intensivstationen Triage-Richtlinien zu verfassen. Was sich die ZEK überlegt hat, erklärt sie in ihrer «Dies Academicus»-Rede vom November 2020 (siehe Box).

Kein Krieg, aber trotzdem Triage – wieso?

Der letzte Krieg in der Schweiz ist mit dem Sonderbundskrieg bereits 174 Jahre her. Wieso kommt es trotzdem zur Triage? Die Kurzfassung: Ressourcenknappheit. Die Intensiv-Kapazitäten und das dazugehörige Personal sind inzwischen oftmals voll ausgelastet (zentralplus berichtete). Deshalb werden im Luzerner Kantonsspital bereits planbare Eingriffe verschoben (zentralplus berichtete). Zum Zweck, dass damit das Personal anderweitig eingesetzt werden kann. Oder weil nach diesen Operationen kein Intensiv-Platz mehr frei wäre.

Gemäss Aebi-Müller ist bereits dies eine Vorform der Triage: «Eine Triage liegt in diesen Sachlagen deshalb vor, weil den betroffenen Patienten ein Eingriff nicht oder erst verspätet angeboten wird, der unter normalen Umständen durchgeführt würde.» Zudem kommt es im Rahmen der aktuellen Situation auch zu einer «stillen» oder «Selbsttriage». «Diese liegt dann vor, wenn Menschen, insbesondere betagte Menschen in Pflegeheimen, wegen der Kapazitätsengpässe gar nicht erst ins Spital gebracht werden. Obschon man das unter normalen Umständen gemacht hätte», erklärt Aebi-Müller. Diese sei für die Öffentlichkeit meistens unsichtbar.

«Pauschal den Impfstatus als Triage-Kriterium zu verwenden, würde bedeuten, dass man als ungeimpfte Person gewissermassen das Grundrecht auf medizinische Behandlung verspielt hat.»

Regina Aebi-Müller, Rechtsprofessorin an der Universität Luzern

Die «harte» Triage innerhalb der Intensivstation soll jedoch erst stattfinden, «wenn sowohl inner- wie auch interkantonal keine Verlegung von Patienten mehr stattfinden kann. Und wenn tatsächlich kein Platz mehr zur Verfügung steht», so Aebi-Müller. Also als allerletztes Mittel. Wie der Mediensprecher des Luzerner Kantonsspitals Markus von Rotz bestätigt, bereiten sich die Luzerner Spitäler bereits auf diesen Fall vor. Dies in einem gemeinsamen Gremium mit dem Gesundheitsdepartement des Kantons. Inhaltlich würde man sich an den Richtlinien der SAMW orientieren.

Ungebetene Rolle als «Götter in Weiss»

Im Falle einer harten Triage ist der ranghöchste Intensivmediziner verantwortlich für den Entscheid. Wenn möglich sollte der Entscheid jedoch «im interprofessionellen Team» getroffen werden, so Aebi-Müller. Einerseits, um die Neutralität des Entscheides zu gewährleisten. Andererseits, um die Entscheidungsträger von diesem psychischen Druck etwas zu entlasten.

Denn gemäss Aebi-Müller besteht bei behandelnden Ärztinnen und dem Pflegepersonal teilweise die Angst, «dass man sich bei einer ungenügenden Behandlung oder bei der Triage strafbar machen könnte». Rechtlich gesehen sei diese jedoch unbegründet. Wie die Rechtsprofessorin erklärt, ist «ein Vorgehen gegen einen Arzt, der sich auf die Richtlinien verlässt, rechtlich ausgeschlossen». Allenfalls bestünde ein Haftungsrisiko bei den Kantonen, die es versäumt hätten, die Gesundheitsversorgung an die akute Krisen-Situation anzupassen.

Impfstatus darf keine Rolle spielen

Die andere Komponente des psychischen Drucks ist die geforderte Neutralität. Medizinisches Personal hat immer weniger Verständnis für Ungeimpfte, wie beispielsweise der Chef der Intensivmedizin am Kantonsspital St. Gallen in der «NZZ» erzählt. Auch Aebi-Müller beschreibt, dass das Verständnis für die Verweigerung eines wirksamen Schutzes und das In-Kauf-Nehmen der drohenden Überlastung des Gesundheitswesens zur Herausforderung wird.

Pauschal den Impfstatus als Triage-Kriterium zu verwenden, sei jedoch «juristisch unzulässig» und «undifferenziert». Denn dies würde bedeuten, dass man einer Person aufgrund einer Entscheidung, die aus unterschiedlichen Gründen erfolgen kann, das Grundrecht auf medizinische Behandlung entzieht. Persönlich könne sie jedoch die Frustration und Ermüdung des Gesundheitspersonals nachvollziehen, so Aebi-Müller. «Zumal ungeimpfte Schwerkranke nicht selten auch noch sehr fordernd auftreten, wenn sie eine Behandlung benötigen.»

Trotz dieses Grundsatzes wird der Impfstatus in gewisser Weise doch zum Triage-Kriterium. Bei der Entscheidungsfindung spielt nämlich auch der mit der Behandlung erwartete Aufwand eine Rolle. Sollte eine ungeimpfte Person eine mehrwöchige Behandlung benötigen – «was häufig zutrifft» – stehen die Karten schlecht, so Aebi-Müller. Denn in dieser Zeit könnten beispielsweise 10 bis 15 Herzpatienten behandelt werden. Im Gegensatz zu Covid-Patientinnen verbringen diese meist nur wenige Tage auf der Intensivstation. Solche Überlegungen gehören ebenfalls zur Triage-Entscheidung. Und diese können auch während der Intensivbehandlung reevaluiert werden, sollte der Bedarf da sein.

Triage-Richtlinien

«Die sogenannten Triage-Richtlinien sind eine Ergänzung zu den medizin-ethischen Richtlinien Intensivmedizinische Massnahmen, die von der SAMW 2013 in Kraft gesetzt wurden. Diese sind Teil der Standesordnung der FMH und von den medizinischen Fachgesellschaften anerkannt und dadurch Standesrecht, jedoch kein im demokratischen Verfahren erlassenes Gesetz», ordnet Aebi-Müller ein.

Für die Erarbeitung der Richtlinien haben sich die ZEK und die Schweizerische Gesellschaft für Intensivmedizin an verschiedenen bestehenden Regelungen und Vorgaben bedient. So beispielsweise aus dem Diskriminierungsverbot der Bundesverfassung, dem Krankenversicherungsgesetz oder den Zuteilungskriterien bei Organtransplantationen.

Vereinfacht gesagt, ist das oberste Ziel der Triage-Richtlinien, möglichst viele Menschenleben zu retten. Anspruch auf das Intensiv-Bett hat demnach die Person, deren kurzfristige Überlebenschance mit der Intensivtherapie am höchsten ist. Faktoren wie das Alter, Geschlecht, Religion oder der Impfstatus dürfen dabei keine Rolle spielen. Es sei denn, dieser ist für die medizinische Beurteilung der Überlebensprognose relevant.

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2 Kommentare
  • Profilfoto von Remo
    Remo, 21.12.2021, 22:15 Uhr

    Ungeimpfte kann man draussen in einem ungeheizten Armeezelt auf Feldbetten betreuen. Einige Kanister heissen Tee dazustellen und gut ist. Wir mussten uns jetzt lange genug anhören, dass der Virus ja nicht gefährlich sei. Also kann man diese Querulanten auch so behandeln.

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    • Profilfoto von Roli Greter
      Roli Greter, 22.12.2021, 09:21 Uhr

      Einmal mehr ein Armutszeugnis von der zentralplus Redaktion, einen solch menschenverachtenden Beitrag überhaupt freizuschalten. Die Netikette ist eben doch nur ein einseitig angewendetes Instrument zur Zensur…

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