Ausstellung zum Thema Suizid in Zug

Martin Steiner: «Etwas zu sagen, ist wichtiger, als nichts zu sagen»

Martin Steiner will mit seiner Ausstellung anderen helfen, eine Sprache rund um das schwierige Thema Suizid zu erlernen. (Bild: ida)

Über das Thema Suizid sprechen wir nicht gerne. Oder wir wissen schlichtweg nicht, was wir sagen sollen. Eine neue Ausstellung in der Shedhalle in Zug will genau diesem Ohnmachtsgefühl entgegenwirken. Wir haben vor Ort mit Ausstellungsmacher Martin Steiner gesprochen – und geweint.

«Ich bin heute da als Vater von einem Kind, das Suizid begangen hat.» So beginnt die Tonspur von Jean-Pierre Zala. Er erzählt von dem Tag, als zwei Polizisten ihm die Nachricht überbrachten. Von dem Tag, an dem sich sein Leben und das Leben seiner Familie drastisch geändert hat.

1’000 Dinge gingen Zala damals durch den Kopf. Es fühlte sich an wie in einem Traum. Einem Albtraum. Er erzählt, wie sie lernen mussten, ihr Leben weiterzuleben. Ohne ihren Sohn. Wie sie lernen mussten, wieder Struktur in ihr Leben zu bringen. Kleine Dinge wie das Zähneputzen fielen ihnen schwer.

Stets konfrontiert mit gewaltigen Emotionen. «Trauer. Unverständnis. Warum. Das schlechte Gefühl, als Eltern versagt zu haben, ihn in seinem schwierigsten Moment alleine zu lassen. Aber auch Wut, dass er so eine Entscheidung getroffen hat. Das Schlimmste aber ist der Schmerz. Ein ständiger Begleiter. Viele sagten, der Schmerz vergeht. Aber das tut er nicht. Der Schmerz bleibt. Aber man lernt, mit ihm umzugehen. Er wird erträglicher. Feiner.»

24 Hinterbliebene erzählen ihre Geschichte

Die Geschichte von Jean-Pierre Zala ist eine von 24, die bei der Ausstellung «Leben, was geht!» zu hören ist. Vom 23. Oktober bis 11. November thematisiert die Ausstellung in der Shedhalle Zug das Thema Suizid aus dem Blickwinkel der Hinterbliebenen. Besucherinnen können sich auf ein Sofa setzen, per QR-Code Podcasts aufs Handy laden oder sich einen Telefonhörer schnappen, um in die Erzählung von Überlebenden, Hinterbliebenen und Betroffenen einzutauchen.

So erzählen Töchter, die ihren Vater durch Suizid verloren haben. Väter und Mütter, deren Kinder sich das Leben genommen haben. Freunde von Verstorbenen. Aber auch eine Polizistin, ein Psychiater sowie eine Trauerbegleiterin kommen zu Wort.

Ausstellungsmacher war selbst mit zwei Suiziden konfrontiert

Wir haben Ausstellungsmacher Martin Steiner vor Ort getroffen. Steiner ist Familienvater und unterrichtet an der Kantonsschule in Wohlen (AG) Englisch, Französisch und Geschichte. Er möchte dem Thema Suizid Raum geben. Dass wir uns hinsetzen. Und über das Gehörte reden.

Er selbst war in seiner Vergangenheit mit zwei Suiziden in seinem Umfeld konfrontiert. Als er 28 Jahre alt war, nahm sich der Bruder eines guten Freundes das Leben. Fast 14 Jahre später setzte jemand aus seinem Arbeitsumfeld seinem Leben ein Ende.

Steiner sagt: «Beide Male waren die Hinterbliebenen überfordert. Den Prozess habe ich für mich alleine ausgetragen. Denn jeder hatte das Bedürfnis, zum courant normal überzugehen. Mir fehlte die Reflexion und der Austausch mit anderen.»

«Hinterbliebene erleben nach einem Suizid eines geliebten Menschen oftmals einen zweiten Tod. Den sozialen Tod.»

Martin Steiner, Ausstellungsmacher

Klar: Es gibt Abschiedsrituale, Beerdigungen. Aber auch wenn wir in ein Kondolenzbuch schreiben und dieses schliessen, so ist der Trauerprozess längst nicht abgeschlossen. «Für Betroffene und Hinterbliebene bleibt dieses Buch immer offen», sagt Steiner. «Ein Suizid bleibt für Hinterbliebene ein Schock, eine Zäsur.» Und das unter Umständen auch Jahre später noch.

Hinterbliebene erleben einen zweiten Tod – den sozialen

Hinterbliebene betonen in den Podcasts: Reden hilft. Sie würden es schätzen, wenn man Interesse an ihrem Leben zeigt, man sie und ihre Trauer wahrnimmt.

«Etwas zu sagen, ist wichtiger, als nichts zu sagen», sagt Steiner. Aus seiner eigenen Erfahrung weiss er: «Hinterbliebene erleben nach einem Suizid eines geliebten Menschen oftmals einen zweiten Tod. Den sozialen Tod.» Dies, weil das Thema Suizid in die Ecke gedrängt wird, das Umfeld wie gelähmt ist, die richtigen Worte nicht findet. Und sich abwendet.

Und genau hier setzt die Ausstellung an: Die Einblicke in die Gefühlswelt der Hinterbliebenen soll den Besucherinnen helfen, die richtigen Worte zu finden. Eine Sprache zu lernen, rund um schwierige Themen wie Suizid und Suizidalität.

Miteinander über schwierige Themen sprechen

Die Ausstellung soll Hinterbliebenen auch das Gefühl geben, nicht alleine zu sein. Dass sie das nicht sind, untermauern auch Zahlen. Täglich nehmen sich in der Schweiz zwei bis drei Menschen das Leben. Jeder von ihnen macht etwa 10 Menschen zu Direktbetroffenen.

Wir setzen uns abermals aufs Sofa, tauchen ein in die Erzählung von Fabienne Meyer, die ihren Vater verloren hat. Sie erzählt von den bohrenden Fragen zu Beginn, warum man willentlich verlassen wurde. Ob man es nicht wert war, weiterzukämpfen, im Leben zu bleiben. Und von Schuldfragen. Und sie erzählt, wie sie schliesslich lernte, den Weg ihres Vater zu akzeptieren und zu respektieren.

Ob man in der Vergangenheit mit dem Thema schon berührt oder tangiert wurde oder eben nicht: Die Geschichten wühlen auf. Wird man an der Ausstellung mit den aufkommenden Gefühlen, den Tränen, nicht alleingelassen?

«Man muss miteinander reden und ehrlich sein. Sagen, dass man mit der Situation überfordert ist.»

Jean-Pierre Zala, Hinterbliebener

«Ziel der Ausstellung ist auch, mit den Menschen in diesem Raum in einen Dialog zu treten. Wenn man das Gegenüber fragt, wie es ihm mit dem Gehörten geht. Was das mit ihm macht, in ihm auslöst.» Deswegen ist die Ausstellung auch spielerisch interaktiv aufgebaut. Besucher erhalten einen Ausstellungspass, auf dem sie eintragen können, welchen Posten sie besucht haben. So soll man einfach ins Gespräch mit anderen kommen.

Die Ausstellung selber ist zwar keine Anlaufstelle. «Aber sie ist der Versuch, Raum zu öffnen für Reflexionen, ein Tabuthema ins Zentrum zu stellen», so Steiner. So wird an der Ausstellung auch auf Anlaufstellen hingewiesen (siehe Box). Und der Zuger Verein Equilibrium, ein Verein zur Bewältigung von Depressionen, ist vor Ort mit einem Stand vertreten.

Reden hilft den Hinterbliebenen

Steiner hat mit vielen Hinterbliebenen gesprochen. Dass das Thema Suizid ausgegrenzt, tabuisiert und totgeschwiegen ist – das hört er viel.

In der Shedhalle in Zug bekommt das Thema seinen Raum. Man setzt sich, hört zu. Und hat Anhaltspunkte, um mit anderen über sonst so sperrige Themen wie Suizid und den Tod zu sprechen. Steiner ist überzeugt: Wenn wir Betroffenen zuhören, können wir besser und anders reagieren. Gefühlvoller und taktvoller.

Auch Vater Jean-Pierre Zala spricht in seinem Podcast an, wie wichtig es ist, über das Geschehene zu sprechen: «Man muss miteinander reden […] und ehrlich sein. Sagen, dass man mit der Situation überfordert ist.» Denn das sind alle. Wenn es kein Tabuthema ist, man alles an- und ausspricht und nicht stigmatisiert, würden wir auch realisieren, dass wir nicht sofort wissen, wie wir mit dem Verlust umgehen müssen. Das ist ein Prozess, aus dem man gemeinsam lernen und wachsen darf.

Hinweis: Die Ausstellung «Leben, was geht! Suizid im Gespräch mit Hinterbliebenen» ist noch bis am 11. November in der Shedhalle in Zug zu besuchen. Ausserdem gibt es zwei Spezialanlässe: Am 29. Oktober eine Lesung mit einer Überlebenden und am 5. November wird der Film «Dem Himmel zu nah» von Annina Furrer gezeigt. Hier findest du weitere Infos.

Hier findest du Hilfe

«Im Nachhinein betrachtet wäre es nicht ein Zeichen von Schwäche gewesen, wenn es mir gelungen wäre, mich jemanden anzuvertrauen. Zu sagen, dass es mir schlecht geht, ich keine Kraft mehr habe, keine Energie. Und ich nicht mehr weiss, wie es weitergeht. Es wäre ein starkes Zeichen gewesen.» Das sagt Daniel Göring, Überlebender eines Suizidversuchs in einem Filmbeitrag von Martin Steiner.

Reden hilft. Wähle die Nummer 143 der «Dargebotenen Hand», wenn es dir nicht gut geht oder du dir Sorgen um jemand anderen machst. Kostenlos rund um die Uhr wird dir auch über die Nummer 147 (Pro Juventute) geholfen.

Weitere Anlaufstellen spezifisch in Zug sind Equilibrium – ein Verein zur Bewältigung von Depressionen, oder eine neue Zuger Selbsthilfegruppe (ehemals Möwe) für Hinterbliebene nach einem Suizid sowie das Trauernetz, welche diese Gruppe koordiniert.

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