Posse um den Denkmalschutz

Zuger Stadtrat löst Problem im Stil von Baron Münchhausen

Um dieses Objekt geht es in der Geschichte rund um Dokumente, Politiker und Amtsstuben: Das Vordach beim Schulhaus Oberwil in Zug. (Bild: zvg)

Das Thema Denkmalschutz sorgt im Kanton Zug immer wieder für rote Köpfe. Im jüngsten Beispiel aus Oberwil geht es um ein Vordach und die Befürchtung, dass sich Schülerinnen und Schüler bei Schnee und Regen alle erkälten und dann nicht mehr zum Unterricht kommen.

Frühling 2021, Ortstermin beim alten Schulhaus von Oberwil. Lokalpolitiker sehen sich das Resultat der eben erfolgten Renovierung an. Im Gespräch fällt der Hinweis, dass der kantonale Denkmalschutz keine Freude am Pausenplatzvordach habe und am liebsten wolle, dass dieses zurückgebaut werde.

Das klopft die SVP aus dem Busch. Gemeinderat Philip C. Brunner und Roman Küng, SVP-Fraktionschef im Grossen Gemeinderat (GGR), reichen eine Interpellation ein. Titel: «Denkmalschutz an öffentlichen Gebäuden der Stadt Zug: Ist der Stadtrat gezwungen, vor den kantonalen Denkmalschutzbehörden zu kuschen um seine vom GGR bewilligten Projekte überhaupt realisieren zu können?»

Die beiden fragten sich, «ob die Schüler und Schülerinnen von Oberwil die traurigen Verlierer einer absurden, übertriebenen Umsetzung des kantonalen Denkmalschutzgesetzes sind». Sie argwöhnen: «Dürfen unsere Kinder bei Regen und Schnee nicht mehr an die frische Luft, weil sie nass werden, sich erkälten, um dann in der Folge im Schulunterricht zu fehlen?»

Schulhaus ist «äusserst bedeutend»

In anklagenden Ton formulieren die Parlamentarier ihre Anfrage. Sie wollen wissen, ob das Pausendach nun abgerissen wird und warum der Stadtrat den Kanton selber darum gebeten hat, das Gebäude unter Schutz zu stellen, «wenn damit solche verblendeten und absurden Entscheide verbunden sind?»

Warum das Schulhaus mit der Renovierung unter Denkmalschutz gestellt wurde, ist tatsächlich eine interessante Frage. Zwar hat es Jahrgang 1913 und ist recht hübsch anzusehen. Aber es wurde im Verlauf der Zeit vielfach saniert und ausserdem 1957 und 1977 umgebaut und erweitert. Das Vordach am Pausenplatz stammt aus dem Jahr 1970.

Das Schulhaus sei die erste Schule in Oberwil gewesen, argumentiert der Stadtrat. Es liegt in der Ortsbildschutzzone und «besitzt eine sehr hohe identitätsstiftende Bedeutung». Es handle sich um einen «typischen Vertreter der Heimatstilbewegung». Es sei bautypologisch, architektur- und ortsgeschichtlich sowie sozialhistorisch «äusserst bedeutend».

Das ist «Lex Muttikan»

Der Unterschutzstellung behindere die schulische Nutzung in keiner Weise, hält die Stadtregierung weiter fest. Ausserdem übernehme der Kanton bei denkmalrelevanten Baumassnahmen einen Teil der Kosten. In der Tat wurde mit der Revision des Zuger Denkmalschutzgesetzes nicht nur eine Aufweichung der Schutzwürdigkeit beschlossen. Es handelt sich um ein eigentliches «Lex Muttikan».

Muttikan bezeichnet das Mutterhaus der Schwestern vom Heiligen Kreuz in Menzingen – ein grosses Ensemble mit mächtiger Kuppel, welche das Dorfbild prägt. Zur Zeit der Grabenkämpfe um den Zuger Denkmalschutz stand es vor der Renovation und bereitete den Gemeindebehörden grosse Bauchschmerzen, weil Menzingen einen Teil der denkmalrelevanten Kosten übernehmen musste.

Also halfen die Kantonsräte ihren Kollegen in den Gemeinden und veränderten den Verteilschlüssel. Statt die Hälfte der öffentlichen Beiträge müssen die Gemeinden seit Inkrafttreten des Gesetzes nur noch 25 Prozent entrichten, 75 Prozent steuert der Kanton bei. So ist der Denkmalschutz für die Gemeinden seither attraktiver geworden.

Allerdings muss der Bauherr nach wie vor die Hälfte der denkmalrelevanten Massnahmen selber bezahlen – die öffentliche Hand steuert nur 50 Prozent bei. Im Fall des Schulhauses Oberwil, welches der Stadt gehört, bleiben also 62,5 Prozent  der Ausgaben für den Denkmalschutz ohnehin bei der Stadt Zug hängen.

Denkmalschutz wehrt sich

Doch erzählen wir die Geschichte weiter: Mit der Unterschutzstellung erreichte die Stadt zwar, dass der Kanton sich an der Renovierung beteiligen musste, rief aber so natürlich auch den Denkmalschutz auf den Plan. Dieser fand in ihrer Beurteilung 2019, dass der geplante neue barrierefreie Zugang zum Untergeschoss nur bei Entfernung des Pausendachs akzeptiert werden könne.

«Unser Vorstoss hat also wirklich etwas genützt.»

Roman Küng, Fraktionschef SVP

«Die Eingangsfassade des Schulhauses Oberwil wird geprägt vom mächtigen Treppenhausturm und dem seitlich davon angefügten Treppenvorbau», sagt die kantonale Denkmalpflegerin Franziska Kaiser. Die später angebaute Pausenvorhalle beeinträchtige die Wirkung dieser ausgewogenen Gestaltung, die sehr typisch sei für den Heimatstil. «Mit dem geplanten Umbau hätte sich aus Sicht der Denkmalpflege die Gelegenheit geboten, diese unschöne Situation zu bereinigen, indem die Pausenhalle an einem anderen Ort neu realisiert wird», so Keiser.

Baron von Münchhausen

Wie also das Problem lösen? Einerseits dem Denkmalschutz Genüge zu tun und andererseits einen behindertengerechten Zugang zum Keller zu schaffen? Die Lösung lieferte der berühmte Baron von Münchhausen, der sich bekanntlich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zog. Im Januar 2020 befand der Stadtrat, dass die «verlangte Entfernung des Pausendaches als Voraussetzung für die Erstellung eines barrierefreien Zugangs eine Verknüpfung von zwei öffentlichen Interessen ist, die nicht ohne weiteres zulässig ist». Und erteilte sich somit selbst die Baubewilligung, um so einen behindertengerechten Zugang zum Keller zu schaffen.

Indes beschloss die Stadt, dass das Pausendach dann zu entfernen sei, wenn sich in der weiteren Projektierung eine andere Lösung abzeichnet. Man studierte herum und zog ein halbes Jahr später in Betracht, eine Pausenhalle auf der Nordwestseite des Schulhausareals zu bauen.

SVP fürchtete Kosten

Gegen ein entsprechendes Baugesuch ging eine Einsprache ein. Da die Stadt keine gütliche Einigung mit dem Beschwerdeführer finden konnte, zog sie Ende August – zwei Monate nach Eingang der SVP-Interpellation – ihr Baugesuch zurück. «Unser Vorstoss hat also wirklich etwas genützt», glaubt Roman Küng. Mit dem neuen Pausendach wäre Geld ausgegeben worden. «Klar hat Zug genügend Geld, aber unsere Aufgabe als Parlamentarier ist es auch, zu verhindern, dass kleinere Beträge zum Fenster herausgeworfen werden.»

Besonders zufrieden ist er mit dem Verhalten der Bauvorsteherin Eliane Birchmeier (FDP). «Sie hat die Situation hervorragend gemeistert.» Weniger erfreut ist man bei der Denkmalpflege. Man habe mit der Stadt konstruktive Gespräche geführt und die alternative Lösung in der Nordwestecke des Areals sehr begrüsst, sagt Franziska Kaiser. «Wir bedauern es, dass die Stadt sich entschieden hat, diese nicht umzusetzen.» Jedoch sei die Baubewilligung rechtskräftig und das Bauvorhaben umgesetzt.

Fazit nach all der Aufregung: Der Denkmalschutz hat seine Arbeit gemacht und ist für das Baudenkmal eingestanden. Die Legislativpolitiker haben einen Wirbel veranstaltet und können Anspruch darauf erheben, die Stadtkasse entlastet zu haben. Die Bauvorsteherin hat sich schlau aus der Affäre gezogen. Das Vordach ist noch immer da und die Oberwiler Schulkinder werden nicht durch die schlechte Witterung reihensweise ins Krankenbett befördert.

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