400'000 Franken Überbrückungshilfe

Ausländer in Not: Nun springt Stadt Luzern in die Bresche

Die Stadt Luzern stellt 400'000 Franken Überbrückungshilfe für Ausländerinnen in Not zur Verfügung. (Archivbild)

Viele Ausländerinnen in prekären Arbeitsverhältnissen sind während der Corona-Pandemie in Not geraten. Menschen mit einer B- oder C-Bewilligung scheuen den Gang aufs Sozialamt aus Angst, ihre Aufenthaltsbewilligung zu verlieren. Die Stadt Luzern stellt darum 400'000 Franken Überbrückungshilfe zur Verfügung.

Dascha* – 48-jährig, geschieden, Mutter zweier erwachsener Kinder – lebt seit 20 Jahren in der Schweiz, acht davon in Luzern. Auf Stundenbasis arbeitet sie bei einer Reinigungsfirma. Dann kam Corona. Und damit weniger Putzaufträge, weniger Lohn.

Daschas Gehalt ist plötzlich nicht mehr existenzsichernd. Eigentlich hätte die gebürtige Polin mit ihrer B-Bewilligung Anrecht auf Sozialhilfe. Doch sie hat Angst, damit ihre Aufenthaltsbewilligung zu verlieren. Dascha schlägt sich sechs Monate lang durch, braucht sämtliche Reserven auf. Sie hat Geld bei ihrer Kollegin geliehen, lebt unter dem Existenzminimum. Sie kann die Miete nicht mehr bezahlen, ist zwei Monate im Rückstand. Die 48-Jährige leidet an einer Arthrose, aber für Medikamente oder orthopädische Einlagen reicht ihr Geld nicht mehr.

Dascha sucht Rat bei der Caritas Luzern. Die Beraterin prüft sämtliche Einnahmen und Ausgaben, sucht nach Möglichkeiten, welche Dascha vielleicht noch nicht ausgeschöpft hat. Ob sie Anspruch auf Prämienverbilligung hat beispielsweise. Sie nimmt Kontakt mit der Vermieterin auf, damit Dascha nicht plötzlich auf der Strasse steht. Die Caritas-Beraterin versucht, Dascha dazu zu motivieren, sich bei weiteren Vermittlungsagenturen zu bewerben, damit sie wieder an mehr Putzaufträge und mehr Lohn kommt.

Überbrückungshilfe, um den Lebensbedarf zu decken

Damit es künftig weniger zu solch prekären Situationen kommt, hat die Stadt Luzern das Pilotprojekt «Überbrückungshilfen» lanciert. Mit diesem Geld könnten auch Daschas ausstehende Rechnungen der Krankenkasse bezahlt werden. Auch der Selbstbehalt der Leistungen wie für orthopädische Einlagen. Und je nachdem auch der Mietzins, um zu verhindern, dass Dascha die Wohnung verliert.

«Das Netz der Sozialhilfe fängt einfach nicht alle auf.»

Martin Merki, Sozialdirektor Stadt Luzern (FDP)

Die Überbrückungshilfe soll der Überbrückung von Notsituationen für Menschen in prekären finanziellen Arbeitssituationen dienen. Sie richtet sich gezielt an Menschen mit einer B- oder C-Bewilligung sowie an Sans-Papiers. Die Überbrückungshilfe wird nur vorübergehend geleistet, sodass der minimal notwendige Lebensbedarf der betroffenen Menschen gedeckt werden kann. Das heisst: ein Dach über dem Kopf, Essen, Kleider und die Gesundheitsversorgung. Ziel ist gemäss der Stadt, die Betroffenen dabei zu unterstützen, dass sie ihre Situation «ordnen und stabilisieren» können.

Stadtluzerner Sozialdirektor kritisiert nationales Ausländerrecht

«Die versteckte Armut hat in Luzern zugenommen», begründete der Stadtluzerner Sozialdirektor Martin Merki (FDP) am Freitag vor den Medien die Lancierung des Projekts. Eine Zürcher Studie zeige, wer in der Corona-Krise für Gratis-Essen anstehe: Es sind Randständige, alte und einsame Menschen, Sozialhilfebezüger, Sexarbeiterinnen, Wanderarbeiterinnen, Nothilfebezüger und Sans-Papiers.

«Das Netz der Sozialhilfe fängt schlicht nicht alle auf», so Merki. In Luzern leben mehrere hundert Menschen ohne Aufenthaltsbewilligung, führt er aus. Menschen, die fest verankert seien, seit Jahren hier arbeiten und ihren Beitrag zu unserer Wohlfahrt leisten würden. Sie zahlten auch AHV, hätten aber keinen oder nur ungenügenden Zugang zur Sozialhilfe, so Merki. «Die Gründe liegen im nationalen Ausländerrecht, das Armut produziert.»

«Das ist ein Armutszeugnis für den Sozialstaat Schweiz.»

Martin Merki, Sozialdirektor Stadt Luzern (FDP)

Dieses verknüpft den Aufenthalt in der Schweiz mit dem Bezug zur Sozialhilfe. Darum scheuen viele den Gang aufs Sozialamt, aus Angst, darauf ausländerrechtlich zurückgestuft oder ausgeschafft zu werden. «Das ist ein Armutszeugnis für den Sozialstaat Schweiz.» Armutsbekämpfung sei eine zentrale Aufgabe der Städte, das Migrationsrecht auf Bundesebene müsse reformiert werden, fordert der FDP-Mann.

FDP-Stadtrat Martin Merki. (Archivbild) (Bild: bic)

400'000 Franken aus dem Binggeli-Fonds

Anlass für die Initiierung des neuen Projekts ist ein überwiesener Vorstoss von drei Luzerner SP-Grossstadträten. In seiner Antwort zeigte der Stadtrat auf, dass er in eigener Kompetenz ein Pilotprojekt unter dem Arbeitstitel «Wirtschaftliche Basishilfe» beschlossen hat. In Zürich wurde im Juli ein ähnliches Projekt lanciert.

Das Pilotprojekt «Überbrückungshilfe» startet in Luzern in diesem September und dauert eineinhalb Jahre. Die Stadt arbeitet mit der Caritas Luzern und der Kontakt- und Beratungsstelle für Sans-Papiers in Luzern zusammen, die als Anlaufstellen dienen, weil Betroffene aus Angst bekannterweise nicht die Stadtverwaltung aufsuchen. Das Projekt wird mit 400'000 Franken aus dem Margaretha-Binggeli-Fonds finanziert, davon 24'000 Franken für Sans-Papiers. Der private mit 6,7 Millionen Franken geäufnete Fonds ist eigens für Personen gedacht, die sich vorübergehend in sozialer Not befinden und keine wirtschaftliche Sozialhilfe beziehen. Die 2020 verstorbene Margaretha Binggeli hatte der Stadt dieses Geld vererbt.

«Das ist eine enorme Entlastung für viele Menschen, die während Corona – oder bereits vorher – in prekären Situationen lebten.»

Daniel Furrer, Caritas Luzern

Die Kriterien, wer mit einer solchen Überbrückungshilfe unterstützt werden kann, sind jedoch relativ eng gefasst. Armutsbetroffene Ausländerinnen mit einer B- oder C-Bewilligung sowie nicht registrierte Sans-Papiers müssen mindestens seit fünf Jahren in der Schweiz leben, davon zwei Jahre in der Stadt Luzern. Dass der feste Wohnsitz in der Stadt Luzern sein muss, ist in den Bestimmungen des Binggeli-Fonds festgehalten. Wie Sozialdirektor Merki auf Nachfrage sagte, könnten die Kriterien bei Bedarf aber angepasst oder gelockert werden.

Damit werden wohl einige durch die Maschen dieses sozialen Auffangnetzes fallen. Die Verantwortlichen wissen nicht mit Sicherheit, wie viele Personen von der Überbrückungshilfe profitieren können – man schätzt rund 50 bis 300 Personen.

«Wir von der Caritas sind sehr, sehr froh, dass die Stadt Luzern diesen Schritt gegangen ist und dieses Pilotprojekt startet», sagt Daniel Furrer, Geschäftsleiter der Caritas Luzern. «Das ist eine enorme Entlastung für viele Menschen, die während Corona – oder bereits vorher – in prekären Situationen lebten.»

*Das Beispiel beruft sich auf einen fiktiven Namen.

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7 Kommentare
  • Profilfoto von Michel von der Schwand
    Michel von der Schwand, 11.09.2021, 08:43 Uhr

    Zeigt einmal mehr, dass es mit dem Textverständnis nicht zum Allerbesten steht. Die Finanzierung erfolgt über den Margaretha-Binggeli-Fonds, welcher mit Spendengeldern von Privaten gehäuft wurde resp. wird. Es werden somit keine Steuergelder verwendet. Soweit ich weiss, sieht der Margaretha-Binggeli-Fonds den Einsatz der Gelder genauso vor. Man kann politisch anderer Meinung sein, dennoch kann die Stadt diese Gelder so einsetzen. Übrigens sind die 6,7 Millionen erst vor Kurzem von einer privaten sehr vermögenden Person gespendet worden.

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    Patricia Blattmann, 11.09.2021, 08:11 Uhr

    Merki, angeblich FDP, redet wie ein Genosse. Und sichert sich die Wiederwahl. Während «seine» FDP im freien Fall ist.

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    Argumentum ad Parmesan, 10.09.2021, 17:32 Uhr

    LIebe Dascha, es war für Sie immer freiwillig in der Schweiz zu leben. Das ist ihre persönliche Entscheidung, das respektiere ich. Aber wenn Sie es sich nicht leisten können, dann wird es halt unangenehm. Ich sehe nicht ein wieso die Allgemeinheit für Ihren gescheiterten Lebensentwurf aufkommen sollte.
    Ich habe meinem Neffen auch gesagt, wenn du in der Schweiz leben willst dann musst du dir das leisten können.

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    • Profilfoto von Michel von der Schwand
      Michel von der Schwand, 11.09.2021, 08:45 Uhr

      Bitte Artikel genau durchlesen. Nicht die Allgemeinheit kommt dafür auf. Die Gelder stammen aus dem Margaretha-Binggeli-Fonds, welcher durch private Spendengelder finanziert wird.

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    Honkea H., 10.09.2021, 16:27 Uhr

    Alsbald wird es in der Stadt Luzern keine Ausländer mehr geben, da die Stadt auf Teufel komm› raus einbürgert. Dann sind diese Hilfeleistungen ohnehin vom Tisch. Ich nehme gar Kenntnis von Einbürgerungen trotz jahrelangem und andauerndem Sozialhilfebezug. Offenbar ist das neue politische Narrativ damit beschäftigt, die Welt nach bisher unbekannten Kriterien zu reorganisieren. Ob die Kosten dafür längerfristig tragbar sind, die gesellschaftlichen Verwerfungen, die damit einhergehen könnten, kalkulierbar und für die Machthaber ungefährlich bleiben, muss man abwarten.

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    • Profilfoto von Andreas Bründler
      Andreas Bründler, 10.09.2021, 20:11 Uhr

      Danke für Ihre sehr treffende Beobachtung. Dazu passt, dass die Stadt Luzern sich kürzlich bereit erklärt hat, Afghanen aufzunehmen. Dabei wissen wir, dass Afghanen von ihrer Kultur her sehr schlecht integrierbar sind. Aber die Politik will diese Leute ja gar nicht mehr integrieren. Man nimmt es bewusst in Kauf, dass eine Parallelgesellschaft geschaffen wird. Ich habe diesen Sommer fast jeden Tag auf dem Bahnhofplatz, Europaplatz und Inseli verbracht. Ich sollte ein Buch schreiben über die Eindrücke, die ich gewonnen habe. Jeden Tag viele Gruppen, vor allem von Eritreern. Ich habe immer wieder Flaschen und anderen Abfall dieser Gruppen aufgelesen und entsorgt. Zudem haben all diese Leute ein moderneres Handy als ich es habe. Aha ja: Diese Leute haben ja ein Anrecht an der technologischen Wohlfahrt teilzunehmen. Das ist Poltik der Stadt Luzern. In 20 Jahren wird eine Kommission eingesetzt, die die Aufnahme von Afghanen durch den Stadtrat von Luzern untersucht. Dabei wird man in einem grossangelegten Bericht zum Schluss kommen, dass man diesen Menschen grosses Unrecht getan hat, weil man sie ihrem angestammten Kulturkreis entrissen hat. Sie werden alle grosszügig entschädigt für das ihnen angetane Leid.

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  • Profilfoto von Dunning-Kruger
    Dunning-Kruger, 10.09.2021, 14:10 Uhr

    Damit wird die geltende Rechtsordnung systematisch ausgehebelt! Ist der politische Auftrag also, gegen die geltenden Gesetze zu arbeiten; diese in Eigenregie exekutive nicht zu beachten? Was ist die Basis für diesen Entscheid: Die Anforderungen des Gutmenschentums?
    Es hat durchaus seine Berechtigung, wenn man Nicht-Schweizern die Aufenthaltsbewilligung entzieht, wenn sie armengenössig werden – sonst wird das ganz schnell zum Fass ohne Boden. Andersfalls soll man transparent sein und die gesetzlichen Grundlagen ändern. Der Souverän würde diesem Unterfangen allerdings ziemlich sicher die Zustimmung verweigern!

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