Frauen gedenken den Opfern von damals

Hexenverbrennung in Sursee: «Ein orchestrierter Femizid»

Im Bürgersaal des Rathauses in Sursee hat damals ein Männergremium über die Frauen gerichtet und über Leben und Tod entschieden. (Bild: Adobe Stock)

Es ist gar noch nicht mal allzu lange her, als in Sursee bei der Galgenmühle auf dem Münchrüti 58 Frauen und ein Mann als Hexen verurteilt und hingerichtet wurden. Ein Frauenverein will den Hingerichteten nun eine Stimme geben. Dass dies anlässlich des Jubiläums 50 Jahre Frauenstimmrecht passiert, ist kein Zufall.

Das Wetter machte in letzter Zeit bekanntlich einige Faxen. Auch heftige Hagelstürme zogen über Luzern. Böse Wetter heraufbeschwören: Dafür wurden vor einiger Zeit noch Hexen angeschwärzt. Die dafür ihr Leben lassen mussten.

Im Kanton Luzern wurden gemäss heutigem Stand der Quellen 289 Hexen hingerichtet, die Letzte im Jahre 1675. Auch Sursee war eine Hochburg der Hexenprozesse. Hier soll die erste Frau 1423 verbrannt worden sein. Bis 1666 folgten ihr 57 weitere und ein Mann, die als Hexen verfolgt, verhört – und fast alle von ihnen hingerichtet wurden. Sie wurden bei der Galgenmühle auf dem Münchrüti geköpft oder bei lebendigem Leib verbrannt.

Sie sind «einen Pakt mit dem Teufel eingegangen», haben mit dem Teufel Sex gehabt, sich mit ihm vermählt. Oder sie flogen mit einem Besen. Wie Amalia Huber. Sie habe sich auf einen «Stecken» gesetzt und sei damit zur Kapelle Gormund geflogen. Ein anderes Mal nach Eich, wie Stefan Röllin, ehemaliger Stadtarchivar von Sursee in einem Referat darlegte.

In Sursee will man den Frauen ihren Platz zurückgeben

Die Hexenverfolgung ist ein dunkles Kapitel der europäischen Geschichte. Anlässlich des Jubiläums 50 Jahre Frauenstimmrecht in der Schweiz will der Surseer Verein «The Female Collective» den getöteten Hexen gedenken. Am 15. August plant der Verein in Sursee einen Event – unter Mitwirkung der Stadt Sursee, der Kirche und der Anna-Göldi-Stiftung. Ort des Geschehens ist der Platz vor dem Rathaus.

«Diese Frauen entsprachen einfach nicht den gängigen Normen und Rollenbildern.»

Alexandra Jud, Verein «The Female Collective»

Der Verein wird alle Namen der 59 Hingerichteten vorlegen. Damit will man zeigen: Jede Stimme zählt. Insbesondere wollen sie den getöteten «Hexen» mithilfe des Chores Vidas eine Stimme geben und die damaligen Opfer wieder in der Gesellschaft willkommen heissen. «Die Frauen, die in Sursee hingerichtet wurden, waren keine Hexen. Sie waren selbstbewusst, eigenwillig oder unangepasst. Diese Frauen entsprachen einfach nicht den gängigen Normen und Rollenbildern», sagt Alexandra Jud, Mitinitiantin im Namen des Vereins.

Das wird dahingehend offensichtlich, als fast ausschliesslich Frauen als Hexen verurteilt wurden. Wurde der Vorwurf der Hexerei instrumentalisiert, um «nicht angepasste Frauen» zu kontrollieren? Diese Frage stellt sich auch Stefan Jäggi, stellvertretender Luzerner Staatsarchivar in einem Beitrag der Schweizerischen Zeitschrift für Geschichte.

Denn: Viele der beschuldigten Frauen waren Zugezogene, die Mühe hatten, sich zu integrieren. «Auch wurde in den Zeugenaussagen immer wieder der Vorwurf laut, die Angeklagten seien frech und streitsüchtig und erfreuten sich auch in sittlicher Hinsicht nicht immer des besten Rufs; sie entsprachen also nicht dem gängigen Konzept von weiblicher Ehrhaftigkeit», so Jäggi.

Ein von Kirche und Staat orchestrierter Femizid

Seit mehreren Jahren ist die Stadt Sursee dabei, die lokale Geschichte aufzuarbeiten. Bereits 2008 fand im Sankturbanhof eine Ausstellung zur «Hexenverfolgung in Sursee und anderswo» statt. Das Theater Somehuus hat vor zwei Jahren in seiner Jubiläumsproduktion die Hexenverfolgung thematisiert. Die Stadt organisiert nun seit einem Jahr Führungen zum Thema «Tatort Sursee».

«Die Verfolgung von sogenannten Hexen war damals eine einfache und bequeme Lösung, um Erklärungen für aktuelle Probleme zu finden, beispielsweise eine Missernte, Unwetter oder Krankheiten.»

Alexandra Jud

    

Bei diesen wird auch erwähnt, dass nicht selten Frauen, «die Selbständigkeit, Selbstbewusstsein, sexuelle Freizügigkeit oder Widerstand gegenüber obrigkeitlichen Normsetzungen und männlichen Dominanzansprüchen zeigten», verdächtigt wurden, eine Hexe zu sein. Anders gesagt: Es waren starke und selbstbewusste Frauen. Im Jubiläumsjahr des Frauenstimmrechts möchte der Verein «The Female Collective» nun noch einen Schritt weiter gehen.

Alexandra Jud nennt die Ereignisse beim Namen: «Es war ein von Kirche und Staat orchestrierter Femizid. Die Verfolgung von sogenannten Hexen war damals eine einfache und bequeme Lösung, um Erklärungen für aktuelle Probleme zu finden, beispielsweise eine Missernte, Unwetter oder Krankheiten. Die Opfer waren willkommene Sündenböcke und mehrheitlich Frauen.»

Das heutige Erbe der Hexengeschichte

Den «Hexen» von damals zu gedenken, sei auch heute noch relevant, findet Jud. «Frauen wurden in unserer Gesellschaft über Jahrhunderte hinweg als Menschen zweiter Klasse betrachtet und zum Schweigen gebracht.» Dieses Erbe würden wir auch heute noch mittragen, denn es sei kein Zufall, dass wir in der Schweiz erst 50 Jahre Frauenstimm- und Wahlrecht feierten. «Unsere politischen Vorreiterinnen mussten über Jahrzehnte sehr hart kämpfen, bis dieses 1971 endlich umgesetzt wurde.»

Und es gibt auch im Jahre 2021 noch viel zu tun, wie gleicher Lohn für gleiche Arbeit oder eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. «Frauenarbeit, Frauenanliegen und Frauenstimmen werden nach wie vor nicht ernst genommen. Wir leben in einer Gesellschaft, die bis vor 50 Jahren ausschliesslich von Männern gestaltet wurde. Die Gesetze, die Normen und die Rollenbilder, nach welchen wir zu einem grossen Teil heute noch leben, wurden jahrhundertelang ausschliesslich von Männern geprägt.»

«Neben den nötigen Veränderungen in Politik und Wirtschaft ist heute eine der grössten Blockaden in unseren eigenen Köpfen.»

Alexandra Jud

Interessant sei jedoch nur schon darüber nachzudenken, wie unsere Gesellschaft heute aussehen würde, wenn dem nicht so wäre. Wenn Frauen schon 1848 die erste Bundesverfassung mitgeprägt hätten. Oder wenn sie bereits beim Bündnis von 1291 involviert gewesen wären.

Der Verein will mit dem Event auch ein symbolisches Zeichen setzen. «Wir wollen zeigen, dass jeder Mensch, und aufgrund unserer Geschichte speziell jede Frau, wichtig ist und Raum für sich und seine Bedürfnisse einnehmen darf.» Mit der ethisch-moralischen Rehabilitation der Vorfahrinnen erhalten alle Frauen wieder die Erlaubnis, diesen Raum für sich zu beanspruchen.

Eine der grössten Blockaden ist in den Köpfen

2019 haben die Surseerinnen den Verein «The Female Collective» ins Leben gerufen. Mit dem Ziel, sich gegenseitig auszutauschen und zu unterstützen. Sodass immer mehr Frauen «die eigene Stimme» wiederentdecken und für ihre Rechte einstehen. «Durch den Austausch untereinander haben wir realisiert, wie kraftvoll ein offener, ehrlicher Austausch unter Frauen ist. Nur so realisiert man, wie viel wir alle gemeinsam haben. Wie ähnlich unsere Herausforderungen im Alltag sind, auch wenn wir ganz unterschiedliche Geschichten und Hintergründe haben», sagt Alexandra Jud. Und wie tief verankert gewisse Glaubenssätze und Überzeugungen seien, nach denen wir oftmals unbewusst leben.

«Eine der grössten Blockaden für Veränderungen ist heute in unseren Köpfen. Hinzu kommen Strukturen in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik», sagt Jud. Auszubrechen – das wird auch am 15. August auf dem Rathausplatz in Sursee Thema sein. Beim Rathaus, in dessen Bürgersaal damals ein Männergremium über die Frauen gerichtet und über Leben und Tod entschieden hat. Beim Rathaus, in dessen Gefängniszelle Frauen einst brutal gefoltert wurden, bis sie gestanden, eine «Hexe» zu sein.

Alexandra Jud, Mitinitiantin des Vereins «The Female Collective». (Bild: zvg)
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2 Kommentare
  • Profilfoto von Sandra Klein
    Sandra Klein, 13.08.2021, 08:47 Uhr

    Leider scheint es das Hobby einer ganzen Generation zu sein, nach irgendwelchen Ungerechtigkeiten zu suchen. Wo könnte ich als Frau, Mann, Es, Weisser. Gelber, Schwarzer, Gläubiger, Velofahrer oder Autofahrer, Vegetarierer, Ungegenderte oder was auch immer vermeintlich diskriminiert werden. Der Vergewaltigungsfall in Basel ist ein typisches Beispiel, wie ein Mob rottet man sich zusammen und geht auf die Strasse und fordert den Rücktritt einer Richterin, bevor überhaupt die Uteilsbegründung vorliegt. Die Sache ist egal, hauptsache man kann sich empören. Und viele Medien bewirtschaften das noch. Wie dieses spaltende Verhalten unsere Gesellschaft weiter bringen soll, interessiert diese Generation nicht. Aber 400 zurück zu suchen ist schon nicht schlecht 😉

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  • Profilfoto von Dominik L.
    Dominik L., 13.08.2021, 07:49 Uhr

    Herrje, haben die Frauen mal wieder eine Ungerechtigkeit entdeckt. Was vor 400 Jahren mal war, interessiert doch längst keinen mehr. Oder wie sieht es mit dem Söldnerwesen und all den Kriegen aus, in die man Männer zwang und sie zu Millionen abschlachten liess? Aber wenn es Männer sind, ist es natürlich schon ok…

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