Schwerhörige Luzernerin setzt ein Zeichen

Diyala Kayiran will an der grössten Foto-Werkschau aufrütteln

Diyala Kayiran hat sich als Fotografin selbständig gemacht und hat ihr eigenes Fotostudio in Sempach eröffnet.

Die Luzerner Fotografin Diyala Kayiran hat gehörlose Frauen porträtiert. Damit möchte die 25-Jährige, die selber schwerhörig ist, ein Statement setzen. Auch sie selbst hat immer wieder das Gefühl, beweisen zu müssen, dass sie gar nicht so anders ist. Mit ihrer Arbeit ist sie nun an der grössten Schweizer Werkschau für Fotografie zu sehen.

«Man sieht dir gar nicht an, dass du gehörlos bist!» – Klar! Warum auch?

Genau darum geht's in der Porträt-Serie der Fotografin Diyala Kayiran. Die Luzernerin porträtiert mit der Serie «You don't look deaf» fünf gehörlose Frauen. Die 25-Jährige ist selber schwerhörig und wurde auch schon oft mit dieser Aussage konfrontiert. Deswegen hat Diyala Kayiran auch eine klare Message, die sie mit ihren Fotos vermitteln möchte: «Ich will zeigen, dass nicht alle Beeinträchtigungen sichtbar sind.»

Zu sehen sind die Porträts an der grössten Werkschau für Fotografie der Schweiz – der «photoSCHWEIZ». Diese findet dieses Jahr vom 2. bis 11. Juli in der Halle 550 in Zürich-Oerlikon statt.

Durch die Porträts möchte Diyala Kayiran den Besucherinnen das Thema Hörbeeinträchtigung näherbringen und sie dazu veranlassen, sich damit auseinanderzusetzen. «Denn wir Hörbeeinträchtigte begegnen täglich hörenden Menschen, sie uns aber nicht.»

Sich als Schwerhörige immer wieder beweisen müssen

Diyala Kayiran kommt immer wieder in Situationen, in denen sie das Gefühl hat, beweisen zu müssen, dass sie gar nicht so anders ist als andere.

Vor allem in der Berufswelt, so schreibt Diyala Kayiran. «Ich musste mich immer durchsetzen und beweisen, dass ich nicht viel anders bin als sie und dass sie mich wahrnehmen.» So konnte sie beispielsweise an Meetings nicht viel beitragen, konnte auch nicht mit Kunden telefonieren. «Oder manchmal hat man sich auch nicht bemüht, mir zu erklären, was genau meine Aufgabe ist. Schon dadurch bekam ich weniger Selbstwertgefühl.»

«Ich habe das Gefühl, dass die Menschen oft eingeschüchtert sind. Oft denken sie, dass wir nicht sprechen können oder weniger klug sind.»

In der dritten Oberstufe musste sie viele Bewerbungen schreiben, in denen sie auch ihre Hörbeeinträchtigung angesprochen hat. «Ich wurde an kein Vorstellungsgespräch eingeladen. Als ich mich entschieden hatte, nichts von der Hörbeeinträchtigung zu erwähnen, wurde ich plötzlich eingeladen.»

Zuletzt arbeitete Diyala Kayiran als Grafik- und Produktionsleiterin in einer Agentur. Es war dieser letzte Arbeitsplatz, an dem sie zum ersten Mal das Gefühl hatte, in der Berufswelt wirklich wahrgenommen zu werden. Sie hatte viel Verantwortung, Kundenkontakt und konnte ihre Entscheidungen alleine treffen.

Mühe, einen Job zu finden

Was Diyala Kayiran erlebt hat, das erleben viele schwerhörige oder gehörlose Menschen. Oft sei es für die Unternehmen eine Herausforderung, einen Menschen mit einer Hörbeeinträchtigung anzustellen. Oder sie nehmen die Person nicht wahr, obwohl diese ihre Ausbildung erfolgreich abgeschlossen hat.

Das zeigen auch die Statements, welche die Fotografin zu den einzelnen porträtierten Frauen, die an der «photoSchweiz» gezeigt werden, verfasst hat. Alles sind Statements, welche die Frauen im Alltag widerspiegeln sollen. So sucht eine Frau schon seit mehreren Jahren erfolglos einen Job.

Auch eine der porträtierten Frauen musste Bewerbung um Bewerbung schreiben, bis sie eine Stelle fand, in der sie sich wohlfühlt und wahrgenommen wird. «In der Berufswelt sowie im Alltag werden Hörbeeinträchtigte nicht genug wahrgenommen und unterschätzt», sagt Diyala Kayiran. «Ich habe das Gefühl, dass die Menschen oft eingeschüchtert sind. Oft denken sie, dass wir nicht sprechen können oder weniger klug sind.» Sie wünscht sich mehr Offenheit – und weniger Vorurteile.

Im Kindergarten mit den Händen gesprochen

Diyala Kayiran hat als Kind einen Grossteil ihres Gehörs verloren. Schuld daran war eine Mittelohrentzündung. Im Kindergarten hat sie auf der linken Seite eine Hörprothese – das Cochlea-Implantat – bekommen. Auf der rechten Seite trägt sie ein Hörgerät. So hört Diyala Kayiran mittlerweile mit den Hilfsmitteln auf der linken Seite fast nichts und auf der rechten Seite rund 60 Prozent im Vergleich zum durchschnittlichen Gehör.

«Durch die Fotografie habe ich die Freiheit, so zu sein, wie ich bin.»

Mit der Lautsprache hatte Diyala Kayiran erst Mühe. Im Kindergarten lernte sie die Gebärdensprache und sprach mit den Händen. Da sie keine Fortschritte bei der gesprochenen Sprache machte, entschieden die Ärzte und ihre Eltern, dass sie die reguläre Schule ab der ersten Klasse besucht. Für Diyala eine grosse Herausforderung. «Aber dadurch habe ich mich sprachlich sehr weiterentwickelt und das Umfeld mit Hörenden wurde für mich zum Alltag.»

Die Persönlichkeit junger Frauen authentisch auffangen

Mittlerweile hat die junge Luzernerin ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht. Dafür gab Diyala Kayiran ihren Job als Grafik- und Produktionsleiterin sowie ihr Studium in visueller Kommunikation auf.

«Anfangs hatte ich eine gute Balance zwischen Job, Studium und meiner Leidenschaft – dem Fotografieren. Nach einem Jahr jedoch hatte ich mehrere Hörstürze nacheinander.» Sie musste ihre Arbeit reduzieren und sich mehr Zeit für sich und ihre Gesundheit nehmen. «Also habe ich mich auf eine neue Reise gewagt.» Kürzlich hat sie ihr eigenes Fotostudio in Sempach eröffnet.

Ihr Beruf bereitet ihr grosse Freude. «Durch die Fotografie habe ich die Freiheit, so zu sein, wie ich bin.» Gleichzeitig lernt sie dabei verschiedene Menschen kennen. Sie begegnet immer wieder jungen Frauen, deren Persönlichkeit sie authentisch auffangen will. Unter anderem hat Diyala Kayiran mehrmals die Luzernerin Gabriela Acquaviva Gisler abgelichtet. Diese war 2019 Switzerland's next Topmodel geworden (zentralplus berichtete). Oder Rapperin Loredana, die zu den grössten Rapstars Deutschland zählt, gehört ebenso ins Portfolio von Diyala Kayiran.

«Mit der Fotografie kann ich Emotionen, Momente und Schönheiten in Menschen festhalten», sagt Diyala Kayiran. Die Fotografie biete ihr so viel Kreativität und eine völlig neue Perspektive im Alltagsleben. «Ich wollte nicht, dass das aufhört.»

Diese Fotografinnen aus Luzern und Zug sind ebenfalls an der photoSCHWEIZ

  • Jessica Churschellas (Luzern)
  • Franz Roos (Kriens)
  • Roman Beer (Luzern)
  • Christoph Zürcher (Luzern)
  • Dominik Gander (Luzern)
  • Heinz Fischer (Luzern)
  • Nils Riedegg (Cham)
  • Nora Nussbaumer (Zug)
  • Oliver Kümmerli (Zug)
  • René Schädler (Baar)
  • Rudolf Koenig (Hünenberg)
  • Sascha Herold (Zug)

Die «photoSCHWEIZ» ist die grösste und wichtigste Werkschau für Fotografie der Schweiz. Dieses Jahr findet sie vom Freitag, 2. Juli bis Sonntag, 11. Juli in der Halle 550 Zürich-Oerlikon statt. Sie zeigt aktuelle Arbeiten von 200 Schweizer Fotografinnen. Ergänzt wird die 10-tägige Werkschau mit 14 Sonderausstellungen, die Zeitgeist-Themen wie Tod, Identität und Diversität aufnehmen und bildgewaltig bespielen.

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