Gegen 3000 Menschen demonstrieren friedlich in Zug

Widerstand gegen Covid-19-Gesetz: «Aufgeben ist völlig ausgeschlossen»

Humoristischer Beitrag zur Covid-Problematik auf dem Stierenmarktareal in Zug. (Bild: MarkusMathis)

Warum demonstrieren fast 3000 Leute gegen eine Pandemie, die am Abklingen und so gut wie vorbei ist? Gegen Massnahmen, die fortwährend gelockert werden und bald der Vergangenheit angehören werden? Gegen ein Covid-19-Gesetz, das an der Urne absehbar mit grosser Mehrheit angenommen wird? Dies wollte zentralplus am Sonntag in Zug ergründen.

Der Schauplatz: Schon früh am Morgen sind Ordner auf dem Parkplatz hinter dem Bahnhof Zug unterwegs und scheuchen Autofahrer weg, die anhalten wollen. Grund ist ein Bahnersatz für die S-Bahn-Linie 24. Später kommen hier Demonstrantinnen und Demonstranten an und die Busse fahren anderswo ab.

Die Manifestanten sammeln sich um die Mittagszeit bei der Unterführung der Gubelstrasse unter den Gleisen. Von 13 bis 14 Uhr müssen sie warten. Anschliessend setzt sich der Demonstrationszug in Bewegung (zentralplus berichtete). Entlang der General-Guisan-Strasse geht’s zum Stierenmarktareal, wo Reden gehalten werden.

Es ist die einzige Route in der Stadt Zug, welche von der Polizei per Video überwacht werden kann. Die Echtzeitüberwachung diene dazu, die grosse Menschenmenge zu koordinieren und fokussiert nicht auf einzelne Personen, sagte Judith Aklin, Kommunikationsverantwortliche der Zuger Polizei. «So können bei Notfällen rasch die notwendigen Massnahmen ausgelöst werden.» Für die Besucherinnen und Besucher werde dadurch die Sicherheit erhöht. Die Bilder würden nur ausgewertet, wenn etwas passiert ist. «Heute gab es dazu keine Notwendigkeit», so Aklin.

Wer ist da? Eine kunterbunte Masse von Menschen, jung und alt, einige Hunde, wenige Kinder. Am meisten Fahnen sind von den Gruppierungen «Mass-voll» und «Stiller Protest» zu sehen, die «Freunde der Verfassung» recken mit ihrer Schwurhand gedruckte Bundesverfassungen in die Höhe. Daneben gibt’s esoterisch angehauchte Selbstdarsteller, Leute mit Freimaurersymbolen. Vieles erscheint vaterländisch inspiriert, aber es gibt auch «Freie Linke», die ihre roten Fahnen schwenken. Ein Spruchband erinnert gar an das Schicksal des Holocaustopfers Anne Frank (1929-1945).

Gegendemonstranten weggewiesen

Das Tenue: Im Gegensatz zu früheren vom «Stillen Protest» organisierten Anticoronademos, an denen Teilnehmende merkwürdige Seuchenschutzanzüge trugen, sind nun durchwegs Sommerkleider angesagt. Die meisten tragen Shorts, ein T-Shirt, vielleicht noch eine Kopfbedeckung und ein Schweizer- oder Kantonsfähnli.

Absolut verpönt: Atemschutzmasken. Nur die Polizei trägt sie, die Demonstrierenden auf keinen Fall. Dennoch kann man sie auf dem Stierenmarkt-Areal erwerben – an den Merchandisingständen der beteiligten Organisationen.

Einige Gegendemonstranten werden von der Zuger Polizei diskret bis um 21 Uhr weggewiesen. Die Polizei macht geltend, die bewilligte Demo verlaufe friedlich, Provokateure würden dies möglicherweise verhindern. Laut einem Tweet sind die weggewiesenen Jugendlichen mit Antifa-Symbolen und Gesichtsmasken unterwegs.

Sonnencrème nicht vergessen

Apropos Polizei: Polizistinnen und Polizisten sind die einzigen, die konsequent in lange Hosen gekleidet sind. Zahlreiche «Dialogteams» begleiteten den Zug. Lautsprecheransagen sollen deeskalierend wirken. Die Polizei heisst die Teilnehmenden willkommen, bittet sie, ihre «soziale Verantwortung» wahrzunehmen und ermahnt die Leute, doch bitte den Sonnenschutz nicht zu vergessen.

Am Ende der Route stehen dann auf der Allmendstrasse und der General-Guisan-Strasse je zwanzig Polizisten in Kampfmontur, die grimmig dreinblicken und Kastenwagen zum Abtransport von Randalierern schon bereitgestellt haben. Ein Hauch von Weissrussland zieht durch Zug. Weil die Kundgebung aber durchwegs friedlich verläuft, ziehen die Kampfbereiten schnell ab.

Wilhelm Tell führt Demo an

Der Korso: Kurz vor 14 Uhr setzt sich Wilhelm Tell in Bewegung – oder besser: ein Tell-Darsteller aus dem Urnerland. Anschliessend folgen unter dem Jubel der Demonstrierenden die «Freiheitstrychler» aus dem Kanton Schwyz. Dann ein Vertreter der Freunde der Verfassung, welcher zuvor den Kreisel beim Hochhaus Park-Tower zum «Platz der Freiheit» erklärt hatte.

Anschliessend nochmals Treichler und dann in einem bunten Pulk Leute vom «Stillen Protest» und von den «Freunden der Verfassung». Ihnen folgt die Bewegung «Mass-voll», quasi der Schwarze Block der Massnahmegegner. Die Mitglieder sind alle in lila T-Shirts gekleidet und tragen ein Spruchband in Strassenbreite. Im freien Platz davor setzt sich Gründer Nicolas A. Rimoldi in Szene und zieht genüsslich an einer Zigarre. Den Demonstrationszug beschliesst ein bunter Haufen aus Impfgegnern und Besorgten.  

Der Slogan: «Liberté» – Freiheit – wird immer wieder skandiert. Manchmal auch: «Das Volk ist der Souverän».

Eindrücke der Demo gibt's im Video:

Widerborstige feiern sich selber

Aufgefallen: Im Gegensatz zu anderen Demonstrationen, wo Fotografen nicht immer gern gesehen sind, wird gefilmt und geknipst, was die Geräte hergeben. Es gibt Livestreams auf Telegram. Eine in Zug wohnhafte Russin steht auf der Brücke über die General-Guisan-Strasse beim alten Bahndamm, filmt das Geschehen und kommentiert es live in ihrer Sprache. Ein Fotograf mit langem Rossschwanz, der für «Mass-voll» unterwegs ist, jubelt über die Aussicht: «Der Überblick von hier oben ist traumhaft.»

Warum das Ganze? Diese 3000 Menschen sind hier, um sich selber zu feiern. Die eineinhalb Jahre der Pandemie haben viele in diesem Land mitgenommen. Die Demonstrierenden sind stolz, auf ihre eigene Weise Widerstand, wogegen auch immer, geleistet zu haben. Dass sie an der Urne gerade eine krachende Niederlage erleben, ist unerheblich.

«Im Januar waren wir weniger als Tausend, aber jetzt haben wir über Zehntausend Mitglieder – mehr als die Grüne Partei.»

Freund der Verfassung an der Zuger Coronademo

«Egal, wie die Abstimmungen heute ausgehen: Es ist unsere Pflicht als Bürger, die Verfassung der Schweiz wiederherzustellen», sagt ein Vertreter der Freunde der Verfassung in eine Handykamera. Auf dem Stierenmarktareal sagt ein anderer: «Aufgeben ist gerade nach dem heutigen Tag völlig ausgeschlossen.»

Das seltsame Sammelbecken aus unterschiedlichsten Leuten und vielen schrägen Vögeln ist auch dabei, ein gemeinsames Bewusstsein zu entwickeln. Auf dem Stierenmarktareal ist von einer gemeinsamen Bürgerrechtsbewegung die Rede, welche entstanden sei.

Für zweites Referendum wird gesammelt

Wie sich diese nach der Pandemie entwickelt, ist offen. Aber sicher ist: Einzelne Vereinigungen wie die Freunde der Verfassung haben sich zu ernstzunehmenden Kräften entwickelt: «Im Januar waren wir weniger als Tausend, aber jetzt haben wir über zehntausend Mitglieder – mehr als die Grüne Partei», sagt ein Redner. Nicht nur das Referendum gegen das Covid-19-Gesetz geht massgeblich auf ihre Aktivität zurück – auch jenes gegen das Antiterrorgesetz wäre ohne die Freunde der Verfassung nicht zustande gekommen.

Es geht in ähnlichem Stil weiter. Vor und nach der Demo werden eifrig Unterschriften für ein neues Referendum gegen das Covid-19-Gesetz gesammelt. Weil dieses nämlich im März verschärft wurde, im Abstimmungsbüchlein aber davon keine Rede war und die Stimmbürger also nichts davon wussten, soll es nochmals bekämpft werden.

Federführend ist das «Aktionsbündnis Urkantone für eine vernünftige Corona-Politik». «Bis Mitte Juli brauchen wir 60'000 Unterschriften», sagt eine ältere Dame, die mit Unterschriftbögen unterwegs ist. «Das schaffen wir locker.»

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2 Kommentare
  • Profilfoto von Erika
    Erika, 14.06.2021, 09:02 Uhr

    Reine Folklore. Da haben ein paar Abgehängte ein neues Hobby gefunden.

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    • Profilfoto von Roli Greter
      Roli Greter, 14.06.2021, 11:05 Uhr

      Erika, warum so unsicher? 1,3 Millionen Menschen versuchen in eine Schublade zu packen? Das haben Sie doch nicht nötig, oder?

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