Oral History mit einer stadtbekannten Persönlichkeit

Joe Brändli: der Mann, der den Zugern fast alles repariert

Max Pfeffer (links) interviewt den Tausendsassa Joe Brändli in der Werkstatt seines Ladens. (Bild: zvg)

Der Zuger Verein «wiiter verzelle» trägt Geschichten zusammen, welche die Seele von Zug berühren. Erzählt von Menschen, die zwar fast jeder in der Stadt oberflächlich kennt, die aber weit mehr auf dem Kasten haben als vermutet. Jetzt wurde ein verschwunden geglaubter Tüftler wiederentdeckt.

Er ist einer jener Menschen, die schon immer zu Zug gehörten. Joe Brändli: Elektroniker, Sammler, Vieleskönner. Ganze Generationen waren mit ihren Problemen schon bei ihm im Electronic Center an der Lauriedstrasse.

Wenn die Stereoanlage defekt war, ein Gerätekabel einen Wackelkontakt hatte, der Telefonapparat seinen Geist aufgegeben hatte, oder seltenes Zubehör gefragt war – dann fragte man Joe Brändli um Rat.

In Laden ging es oft geschäftig zu. Brändli war manchmal kurz angebunden oder hatte einen bärbeissigen Spruch auf den Lippen. Aber am Ende hatte er das Problem gelöst oder die Reparatur versprochen.

Laden verkleinert

Vor zwei Jahren dachten einige, die Institution Brändli sei verschwunden. In den Schaufenstern, hinter denen er einst Verstärker und Boxen aufgetürmt hatte, war ein Sanitätshaus eingezogen.

Doch Brändli hat sein Center einfach redimensioniert, die Ladenfläche mit zwei andern Geschäften geteilt. Denn der mittlerweile 76-Jährige denkt noch lange nicht ans Aufhören, wie er in einer am Freitag publizierten Videodokumentation des Zuger Vereins «wiiter verzelle» sagt. «Ich bin ja noch jung und gesund», sagt er.

Kinobetreiber in Unterägeri

Er lässt durchblicken, dass der Laden dereinst von seinem Adoptvisohn übernommen werden könnte, der zusammen mit ihm morgens Reparaturen erledigt und nachmittags das Elektronik Center für Laufkunden öffnet.

Brändli mag eine Einrichtung in Zug sein, aber geboren wurde er in der Ostschweiz. Als Kleinkind zog seine Familie nach Unterägeri, übernahm das Hotel Brücke und betrieb dort ein Kino. Er erlebte die Zeit, als das Ägerital mit Zug noch durch eine Tramlinie verbunden war.

Gestrandet in der Sahara

Er machte bei Landis & Gyr in Zug eine Lehre als Fernmelde-, Elektro- und Apparatemonteur, arbeitet als Flugzeugmechaniker für die Schweizer Flugwaffe und ging dann als Elektroniker für Siemens nach Südafrika. Dort lebte er mit seiner Freundin, fuhr mit dem VW-Bus durch ganz Afrika, bis dieser schliesslich mitten in der Sahara abbrannte.

Nachdem die Beziehung beendet war, kehrte Brändli nach Zug zurück, wo er schliesslich 1979 am Kolinplatz einen Elektronikladen eröffnete. Später zügelte das Geschäft an die Baarerstrasse – seit 38 Jahren ist es nun aber an der Lauriedstrasse in der Nähe des Metalli-Centers angesiedelt. Von dort aus hat Brändli beobachtet, wie sich sein Geschäft und seine Stadt verändert haben.

Alte Leuchtreklame. (Bild: zvg)

Seit acht Jahren wird gedreht

Ebensolche Erinnerungen sammelt der Verein «wiiter verzelle» in seiner frei zugänglichen Videodokumentationsreihe. Befragt werden seit acht Jahren Persönlichkeiten, welche für Zug prägend waren. Es sei eine «kuratierte Auswahl an Geschichten» sagt der Filmemacher Remo Hegglin, einer der Aktiven des Vereins.

Am Anfang stand 2013 ein Gespräch mit Walter Friedrich Haettenschweiler. Der mittlerweile verstorbene Grafiker war in Zug als Zigarren rauchendes Stadtoriginal bekannt gewesen. Aber er hat eben auch eine Schriftart entwickelt, die heute auf Milliarden von Computern installiert ist.

Menschen prägen Identität der Stadt

«Dass wir mit Haettenschweiler noch sprechen konnten, war eine Herzensangelegenheit für uns», sagt Hegglin. Auf die anderen Gesprächspartner kamen die Filmer in Diskussionen. Nicht immer waren es persönliche Bekannte. Die Oral-History-Reihe «wiiter verzelle» ist daher auch eine Entdeckungsreise für die Macherinnen und Macher selber – und eine Suche nach der Identität der Stadt Zug. «Nur wenn du die Vergangenheit kennst, kannst du die Gegenwart und Zukunft mitgestalten», meint Hegglin, der immer wieder erstaunt ist, welche «enormen Leistungen für Zug» die Interviewten erbracht hätten.

Ausserdem offenbaren die Geschichten abenteuerliche Leben. Wie eben jenes von Joe Brändli, der viermal mit dem Motorrad durch die Sahara fuhr. Der auf Reisen die weite Landschaft Nordamerikas erkundete. Dem aber auch die Nähe und Enge von Zug gefällt. «Mir ist es wohl hier», sagt er. Die Hochhäuser im Zentrum gefallen ihm – schliesslich mag er auch New York.

Töffs und Weihnachtsbaum brennen

Die Veränderungen in Zug konstatiert er nüchtern. Sicher sei die Stadt grösser und internationaler geworden. Selbst in seinem Laden spreche er manchmal öfter Englisch als Deutsch. Brändli stört das nicht. Aber dass «Ausländer» oft um Reparaturkosten feilschen, das nervt ihn. Schliesslich arbeite man preisgünstig und nehme auch alle Geräte an – selbst fettige Friteusen, «vor denen es mich graust».

Brändli erzählt von seinen Hobbys. Zwei seiner Motorräder sind verbrannt, ebenso wie der VW-Bus in der Wüste – und ein Weihnachtsbaum im Kino in Unterägeri, den er als Kind in Brand setzte und so Panik auslöste. Brändli schwärmt von seiner Leidenschaft, der Technik. Er ist ein Sammler, liebt Messgeräte, sammelt Kameras und Projektoren. Die Liebe zum Film ist ihm seit seiner Kindheit geblieben und er hat auch immer selber Filme gedreht.

Anfänge der Zuger Kinobetreiber

Vor einiger Zeit kaufte er einen alten Projektor der Firma Hürlimann, welche in Zug die Kinos betreibt. In einem beigelegten Büchlein entdeckte er, dass der Patron früher mit dem mobilen Projektor durchs Land reiste und in entlegenen Dörfern seine Filme zeigte.

Im Ladengeschäft: Vor zwei Jahren hat Brändli das Electronic Center gesundgeschrumpft. (Bild: zvg)

Befragt wird Joe Brändli von Max Pfeffer, der als Video Editor fürs Schweizer Fernsehen arbeitet und mitunter für «wiiter verzelle» die Beiträge schneidet. Dies möglichst behutsam, wie Remo Hegglin sagt. Man wolle möglichst viel von den Gesprächen zeigen und so auch dem Geist von mündlicher Geschichtserzählung und Dokumentation gerecht werden.

Es braucht Einfühlungsvermögen

Pfeffer ist gelernter Elektroniker wie Joe Brändli. Mit seinem Fachwissen kann er das Eis brechen und Joe Brändli zum Erzählen bewegen. Oft sei es nicht einfach, die Gesprächspartner von einer Teilnahme zu überzeugen, sagt Remo Hegglin. Es brauche manchmal mehrere Vorgespräche. «Einige sind stille Schaffer im Hintergrund, die das Rampenlicht meiden.»

Dennoch hat «wiiter verzelle» im Laufe der Jahre 15 Beiträge gefertigt. Zu Beginn unter Mitwirkung des Zuger Journalisten Beat Holdener, mittlerweile durch Remo Hegglin und Max Pfeffer. Regelmässig dabei ist auch die Zuger Fotografin Alexandra Wey, welche Porträts und Fotostrecken zu den Beiträgen fertigt.

Für viele Aufgaben gewappnet: Kleinteillager im Electronic Center. (Bild: zvg)

Zukunftschance in der Nische

Bei Joe Brändli fallen die Werkstatt und sein enormes Lager ins Auge. Er erzählt davon, dass sein Geschäft härter geworden sei, dass nun zu den herkömmlichen Geräten vermehrt Laptops und Handy-Displays kämen, die repariert werden sollten. Dennoch werde es wohl auch in Zukunft möglich sein, einen auf Reparaturen spezialisierten Elektronikladen zu betreiben und davon zu leben.

Wie es bisher für ihn gelaufen ist, damit ist Joe Brändli zufrieden. Die wichtigen Sachen, die er habe umsetzen wollen, seien ihm gelungen. «Ich habe Glück gehabt im Leben», sagt er. Auch ein Grund, weiterzuarbeiten. «Was soll ich zu Hause rumsitzen oder den ganzen Tag den Töff putzen?», fragt er. «Hier in meiner Werkstatt ist mir wohler.»

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2 Kommentare
  • Profilfoto von mebinger
    mebinger, 17.05.2021, 16:36 Uhr

    Danke, das ihr Jugenderinnerungen habt aufleben lassen

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  • Profilfoto von Ueli
    Ueli, 17.05.2021, 11:13 Uhr

    Einfach ein guter Typ! Wahres Original. Danke für den Bericht.

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