Grundfragen werden nicht verschwinden

Eichwäldli: Was wir als Luzerner aus dem Fall lernen können

Das Eichwäldli erhitzt seit drei Jahren die Gemüter. Doch wir sollten die Chancen nicht ungenutzt lassen und aus der Geschichte lernen. (Bild: bic)

Der Fall Eichwäldli bleibt in Luzern wohl nicht der letzte seiner Art. Es ist deshalb angezeigt, etwas Ordnung in die Wendungen und Wirren der Geschichte zu bringen. Zumal es im Kern auch um Fragen geht, die wir eigentlich schon lange öffentlich diskutieren. Denn wenn wir wollen, können wir als Stadt viel von der Causa lernen.

Die Polizei ist am Dienstag beim Eichwäldli in Luzern aufgefahren. Eine Räumung war es zwar noch nicht, doch das Ende der Geschichte zeichnet sich ab – mit welchem Ausgang auch immer.

Seit nunmehr drei Jahren beschäftigen die Entwicklungen rund um die alte Soldatenstube beim Eichwald Öffentlichkeit, Politik und Medien. Es wird teils scharfes Geschütz aufgefahren und insbesondere in den Kommentarspalten aus allen Rohren gegen die Bewohnerinnen, aber auch gegen Baudirektorin Manuela Jost (GLP) geschossen.

Ein Anfängerfehler?

Manuela Jost ist in eine Lage geraten, um die sie niemand beneidet. Sie ist gewählte Exekutivpolitikerin einer Partei, die für eine liberale und fortschrittliche Gesellschaft einsteht. Als Herrin über die städtischen Immobilien muss sie zudem die geltenden Regeln durchsetzen.

Im Rückblick war es vielleicht ein Anfängerfehler der Stadt, davon auszugehen, dass sich die Sache wie erhofft erledigen wird. Zumal sich solche Phänomene in den grossen Städten unseres Landes seit Jahrzehnten zeigen und man auch zuerst Lösungen finden musste. Denn der Familie Eichwäldli geht es nicht einfach um das Haus, sondern um eine Vision unserer Gesellschaft und somit unserer Stadt, die wohl nicht verschwinden, sollte die Soldatenstube dereinst platt sein.

Die Causa Eichwäldli kann in diesem Sinne als Lehrstück bezeichnet werden. Zumindest lässt sich so das grundsätzlich zurückhaltende, auf Deeskalation ausgelegte Vorgehen Josts erklären, auch wenn genau dieses von einigen harsch kritisiert wird.

Es musste ein politischer Entscheid her

Ein Umschwenken und somit ein vorläufiger Verzicht auf den Abriss war aus politischen Überlegungen für den Stadtrat keine Option. Schliesslich soll in einem funktionierenden Staat die Regierung wahrgenommen werden als gestaltende und dirigierende Institution, welche die Zügel in der Hand hält. Diese Ansicht kann man teilen oder nicht. Zumindest mit diesen Gedanken im Hinterkopf ist der Abriss des Gebäudes ein logischer (finanz-)politischer Entscheid.

Jedoch nicht dahingehend, dass die Stadt den beschriebenen Forderungen von vornherein das Wasser abgraben möchte, wie es Kundgebungen und die Verlautbarungen der Bewohner und Sympathisantinnen suggerieren. Und natürlich darf der Aspekt der Haftung der Stadt als Eigentümerin des Hauses im Falle eines Unglücks nicht aussen vor gelassen werden, auch wenn die Meinungen über dessen Zustand weit auseinandergehen.

Es geht um relevante Fragen für unsere Stadt

Der abtretende Stadtarchitekt Jürg Rehsteiner, der zuvor in ähnlicher Funktion in der Metropole Zürich tätig war, sagte gegenüber zentralplus: «Beim Eichwäldli geht es um Fragen, die ich für eine Stadt relevant finde. Nämlich, ob es noch Orte gibt, wo in unserer reglementierten Welt alternative Lebensformen abseits der Mehrheitsgesellschaft möglich sind. Das wollte der Stadtrat hier ermöglichen.» Auch wenn das Verhalten der Bewohnerinnen auch bei ihm ab einem gewissen Zeitpunkt auf Unverständnis gestossen sei. Stadträtin Jost sprach beim Eichwäldli folglich von einem «Experiment».

Heisst: Luzern, und damit sind in erster Linie alle Stimmbürgerinnen gemeint, muss sich überlegen, wie es künftig mit Fällen wie dem Eichwäldli umgehen möchte. Wie viele Leute in der Leuchtenstadt sich dieser Tragweite wirklich bewusst sind, ist jedoch schwer zu sagen. Zumal es tatsächlich nicht einfach ist, den Überblick zu behalten. Und selbstverständlich schwebt über allem der Geist der Besetzung und der Weigerung der Familie Eichwäldli, sich an die Abmachungen mit der Stadt zu halten. Einfacher wird es dadurch künftig sicher nicht.

Warum solche Projekte weiterhin eine Chance haben

Dies sorgte auch in politischen Kreisen, welche die Familie Eichwäldli ansonsten unterstützen, für Unmut (zentralplus berichtete). Es wird richtigerweise kritisiert, dass das Kollektiv mit seinem Verhalten kommenden Projekten einen Bärendienst erweist, indem Grundeigentümerinnen durch das politische und mittlerweile auch juristische Hickhack abgeschreckt werden.

Der Stadt dürfte die Lust an der Ermöglichung solcher Projekt indes nicht automatisch vergangen sein. Wer in den vergangenen Monaten mit den Verantwortlichen sprach, spürte zwar, dass die Geschichte an die Nerven geht. Groll oder tiefe Enttäuschung über die Entwicklungen sind im Stadthaus aber trotz allem nicht vorhanden. Ob Private Grundeigentümer das ebenfalls so sehen, steht auf einem anderen Blatt.

Geld spielte nie eine direkte Rolle

Seit Beginn der Geschichte ums Eichwäldli war in der öffentlichen Debatte immer wieder die Rede davon, dass sich die Bewohnerinnen auf Kosten der öffentlichen Hand ein schönes Leben machen und nicht arbeiten würden. Als «schnöde Schmarotzer» wurden sie von einem hörbar enervierten Herrn einst bezeichnet.

Tatsache ist: Die Stadt hat keine Miete verlangt, weil dies aus Sicht der Behörden aufgrund des Zustandes des Hauses nicht fair gewesen wäre. Die Familie Eichwäldli musste lediglich für Strom, Gas und Wasser aufkommen. Forderungen nach Gratiswohnraum wurden indes nie an die Stadt herangetragen, wie man dort bestätigte (zentralplus berichtete). Der Aufwand, der im Stadthaus wegen des stetigen Hin und Her entstand, soll bei der Diskussion über die Kosten für die öffentliche Hand mal aussen vor gelassen werden.

Credo: kein Profit mit Wohnraum

Die Eichwäldlerinnen ihrerseits sind aus Überzeugung nicht bereit, für Wohnraum, mit dem eine Rendite erzielt wird, zu zahlen. «Einen Wohnraum zu haben, in dem Mensch sich wohlfühlt, ist etwas vom Grundlegendsten, das es für ein würdevolles Leben braucht», schreiben sie auf Anfrage. Das heisse aber nicht, dass man nicht bereit sei, für die Kosten aufzukommen, die beim Unterhalt des Hauses entstehen (Kostenmiete). Auf diesem Modell basieren übrigens diverse Wohnbaugenossenschaften im ganzen Land.

Die Diskussion darüber, ob und wie viel Geld mit Wohnraum verdient werden soll und wie das Wohnen für alle erschwinglich gemacht werden kann, steht in der Stadt Luzern seit Längerem auf der offiziellen politischen Agenda. Auch im ganzen Land beraten die Parlamente auf allen drei Staatsebenen in demokratischem, rechtsstaatlichem Rahmen darüber. Und bei der Initiative «Mehr bezahlbare Wohnungen» hat sich auch das Schweizer Stimmvolk im Februar 2020 zu solchen Fragen geäussert. Die Stadt Luzern hat der Vorlage zugestimmt (zentralplus berichtete).

Unter anderem in der Gastronomie und im Gesundheitswesen tätig

Übrigens gehen alle Bewohner des Eichwäldli einer geregelten Arbeit nach, wie sie schreiben. Einige sind selbständige Gestalter, Musikerinnen oder produzieren Filme, andere arbeiten in der Gastronomie oder im Gesundheitswesen. Gerade die zwei letztgenannten Branchen gelten gemeinhin nicht als Arbeitsfelder, in denen man quasi auf dem Liegestuhl Geld verdienen kann. Eine Person arbeitet beim Velokurier. Bei 30 Grad im Sommer und minus 10 Grad im Winter.

Laut der Familie Eichwäldli verdienen alle zwischen 500 und 4'000 Franken. Die Bewohner tragen monatlich also mehrere zehntausend Franken in die Soldatenstube. Ein Grund, weshalb sie sich wiederholt bereit erklärten, das Haus auf eigene Kosten instand zu setzen. Sie verweisen zudem auf die unbezahlte Arbeit, die sie verrichten.

Dazu gehörten Kinderbetreuung, Carearbeit, Mittagstisch und Nachtessen, Quartierarbeit, politische Arbeit, Bildungsarbeit, Studieren, Beteiligung an diversen emanzipatorischen Projekten, Durchführung von kulturellen Veranstaltungen und anderes.

«Für uns ist es wichtig zu betonen, dass Arbeit nicht gewertet werden soll und somit auch Arbeit, bei der kein Geld verdient wird, wichtige Arbeit ist», schreibt die Familie Eichwäldli an zentralplus. Auch dies ist im Übrigen eine Diskussion, die Einzug in unsere demokratisch gewählten Parlamente gefunden hat. Man kann einfach hoffen, dass die Debatten dazu möglichst sachlich geführt werden.

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4 Kommentare
  • Profilfoto von Enrico Ercolani
    Enrico Ercolani, 06.05.2021, 16:04 Uhr

    Dem Stadtrat kann im Fall Eichwäldli nur eine Schwäche vorgeworfen werden und dies ist, dass er nicht in der Lage ist die gesetzeswiderige Lage zu bereinigen! Warum hat es in diesem Haus noch Strom und Wasser? Weshalb fahren keine Bagger auf, die das Haus abbrechen? Das Verhalten der Regierung ist katastrophal und wird zu weiteren Besetzungen führen.

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  • Profilfoto von Quartier Mitbewohner
    Quartier Mitbewohner, 06.05.2021, 09:04 Uhr

    Man kann auch hoffen das im Sommer nicht jeden Abend bis spät in die Nacht Lärm gemacht wird und das Quartier mit Musik beschallt wird.

    Für andere Leute die einer geregelten Arbeit nachgehen ist das nämlich nicht so einfach! Die Verunstaltung des freien Raums mit politischen Plakaten ist dann wohl die unbezahlte wertvolle Arbeit?

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    • Profilfoto von Carlo Agrario
      Carlo Agrario, 06.05.2021, 10:54 Uhr

      Genau! Nicht oder wenig arbeiten, aber dann zulasten des tätigen Volkes Forderungen stellen. Weit haben wir es gebracht in der rot-grün dominierten Stadt Luzern.

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  • Profilfoto von Roli Greter
    Roli Greter, 06.05.2021, 07:02 Uhr

    Leben und leben lassen liebe Luzerner*aussen. Danke für den morgendlichen Schmunzler «Beteiligung an diversen emanzipatorischen Projekten». Der war wirklich gut.

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