Sexfilme boomen während Corona

Luzerner Experte: «Viele Männer kommen zu mir und meinen, sie seien pornosüchtig»

Herr und Frau Schweizer schauen während Corona vermehrt Pornos. (Symbolbild: Charles Deluvio/Unsplash)

Wegen Corona werden mehr Pornos geschaut. In der Luzerner Suchtberatungsstelle suchen einige Männer Hilfe, weil sie meinen, sie seien süchtig nach Sexfilmen. Ein Luzerner Experte erzählt, wann es wirklich zu viel ist – und warum Männer, die sich nach einer Beziehung sehnen, Pornos gucken.

Die Coronapandemie verlagerte unser Leben in die eigenen vier Wände. Wir zogen uns zurück, unsere reale Welt verschob sich zunehmend ins Digitale. Geschäftsmeetings fanden per Zoom statt, mit Freunden stiess man per Videocall an. Und auch die Lust findet in der virtuellen Welt statt – während Corona boomte der Pornokonsum.

So zeigen Zahlen von Pornhub – einem der weltweit grössten Anbieter –, dass der Pornokonsum in der Schweiz seit Beginn der Pandemie um mehr als 20 Prozent gestiegen ist.

Männer haben Mühe, eine Partnerin zu finden

Auch bei «Klick», der Fachstelle Sucht Region Luzern, nimmt man seit Corona einen leichten Anstieg der Beratungen im Bereich von Sexualität und Pornografie wahr. Wenn auch noch keine Tendenz spürbar sei, sagt der Berater Giacomo Bellotto. Zu ihm kommen derzeit einige Männer in die Beratung, die Rat zu diesen Themen suchen.

Mehrheitlich seien es Singlemänner, die sich eine Partnerin wünschten. Sie möchten sich entfalten und gleichzeitig entladen. Auf Pornos zurückzugreifen ist ein möglicher Ausdruck, seine Sexualität auszuleben. «Auf pornografischen Seiten realisieren die Betroffenen, wie schnell sie ihren Fantasien, Wünschen und Bedürftigkeiten visuell begegnen können», sagt der Sozialarbeiter.

Viele Männer hätten Schwierigkeiten, überhaupt mit Frauen in Kontakt zu kommen. Sie seien unsicher, wie sie eine Frau ansprechen können. Ein Problem, das sich in Zeiten von Corona zugespitzt hat. «Viele unserer Klienten sehnen sich danach, mit einer Partnerin Nähe zu erleben, aus der mehr entstehen kann. Nicht nur Sex – sondern eine Partnerschaft.»

Pornosucht ist nicht gleich Sucht

Dass seit Corona mehr Pornos konsumiert werden, dafür hat Bellotto eine Erklärung. «Der Mensch ist ein soziales und emotionales Wesen mit entsprechenden Bedürfnissen, die gelebt werden wollen.» Während Corona war es schwieriger, neue Bekanntschaften zu knüpfen, monatelang hatten auch Massagesalons oder Erotiketablissements geschlossen.

Die Welt der Pornos offenbart sich uns als lustvoll-dreckig und schwitzig. «Für viele ist sie aber auch ernüchternd», so Bellotto. Weil Pornos häufig mit Sexchats oder Telefonsex funktionieren, realisieren Konsumenten schnell, dass es primär um gekaufte Liebe und ums Geld geht. Das emotionale Bedürfnis bleibt auf der Strecke.

«Ich höre oft: Ständig Lust nach Sex oder Pornos zu haben, ist belastend.»

Giacomo Bellotto, «Klick» Fachstelle Sucht Region Luzern

«Viele Männer kommen zu mir und meinen, sie seien pornosüchtig», sagt Bellotto und relativiert: «Sucht ist immer eine Bewertung.» Die wenigsten sind nach diagnostischen Kriterien wirklich süchtig, wenn sie sozial integriert seien, so Bellotto. «In den meisten Fällen haben sie einen problematischen, belastenden Umgang mit Pornos, ohne schon eine Abhängigkeit entwickelt zu haben.»

Hier wird dir geholfen

Wie viel ist zu viel? Bei diesen und ähnlichen Fragen hilft dir «Klick – Fachstelle Sucht Region Luzern», im restlichen Kanton die «Sozialberatungszentren». Sie unterstützen dich bei Themen wie digitale Welten, Alkohol, Glücksspiele, Medikamente und Tabak. Bei «Klick» kannst du dich auch online beraten lassen.

«Akzent Prävention und Suchttherapie» setzt sich im Auftrag des Kantons und dessen Gemeinden für Suchtgefährdete und -betroffene ein. Es finden noch weitere Online-Teatimes statt, in denen Expertinnen Fragen aus dem Berufsalltag beantworten.

Dass der Konsum ein Übermass angenommen habe, sei nur ein Kriterium einer Sucht. «Unsere Klienten treibt ein ungutes Gefühl um. Ich höre dann oft: Ständig Lust nach Sex oder Pornos zu haben, immer diesen Lustpegel in sich zu haben, ist belastend.»

Übermüdet und unkonzentriert

Doch: Wann ist es denn zu viel? «Ein Erkennungsmerkmal für einen zu hohen Pornokonsum oder übermässiges Gamen ist der soziale Rückzug», sagt Felix Wahrenberger von der Luzerner Fachstelle «Akzent Prävention und Suchttherapie». Wenn jemand nicht mehr unter Menschen geht oder nicht mehr auf Einladungen reagiere.

Kürzlich luden die Fachstelle Arbeitgeberinnen und Personalverantwortliche zu einem Onlinetreffen zum Thema Games und Pornos ein. Eigentlich sind Letztere Privatsache – in Zeiten von Homeoffice können diese Bereiche aber ineinanderfliessen. Denn laut Pornhub werden die meisten Filme seit Beginn der Coronapandemie während der Arbeitszeit konsumiert. «Wohl auch, weil aufgrund des Homeoffice weniger soziale Kontrolle im Betrieb herrscht», sagt Felix Wahrenberger, Teamleiter Prävention bei Akzent.

«Ein Erkennungsmerkmal für einen zu hohen Pornokonsum oder übermässiges Gamen ist der soziale Rückzug.»

Felix Wahrenberger, Akzent Prävention und Suchttherapie

Bei Süchtigen wird nicht nur der Konsum, quasi die Dosis, mit der Zeit erhöht, sondern es komme auch zu einem Verlust der Selbstbestimmung. Erlebbar ist dies beim Handy, auf dessen Bildschirm eine Nachricht aufploppt. Bestimme ich, wann ich das Handy in die Hand nehme und die Nachricht checke – oder ist das Handy quasi der Chef, der die Kontrolle darüber hat, wann ich mich ihm zuwende?

Investiert jemand übermässig viel Zeit in Porno oder Games, seien die die am schnellsten am Arbeitsplatz spürbaren Folgen Übermüdung und Unkonzentriertheit. «Die Gedanken driften auch bei der Arbeit immer wieder ab. Betroffene können dann so abgelenkt sein, dass sie beispielsweise auch versuchen, längere WC-Pausen zu machen – weil sie lieber Pornos gucken als bei der Arbeit sitzen wollen.»

Laut Wahrenberger ist es gut, wenn Personen aus dem Umfeld reagieren und ihre Sorgen äussern. Denn bis Betroffenen das Problem bewusst wird, sei meist schon viel passiert. Um zu verhindern, dass Sucht überhaupt entsteht, ist es zum Beispiel hilfreich, unterschiedliche Freizeitbeschäftigungen zu haben und reale Gespräche zu führen. Am Arbeitsplatz soll Wertschätzung und Anerkennung vermittelt werden.

Männer haben mit dem Druck und den Erwartungen zu kämpfen

Oft liest man in den Medien, dass Erektionsstörungen mögliche Folgen eines überhöhten Pornokonsums seien. Sozialarbeiter Giacomo Bellotto von «Klick» meint: «Es ist mehr die Angst vor dem Versagen.» Oftmals hängt dies wohl mit dem gesellschaftlichen Druck zusammen, verinnerlichte Erwartungen erfüllen zu müssen, wie ein Mann sein sollte. Und bei manchen ist wohl auch die starre Rollenteilung in Pornos ein Faktor: der Mann, grob und rücksichtslos mit dem ewig stehenden Phallus. Die Frau, gefügig und zu allem bereit.

«Die Frage ist, ob es sich beim Sex und bei Pornos um ein entspanntes, tief befriedigendes Gefühl oder um ein vordergründiges körperliches Abreagieren handelt.»

Giacomo Bellotto

Bellotto hatte schon Gespräche mit Paaren, in denen Frauen äusserten, dass sie mit dem Pornokonsum des Partners zu kämpfen hätten. «Sie sagen, dass sie sich dadurch als Lustobjekt und mit Fantasien konfrontiert sehen, die sie nicht wollen.»

Klienten sind reflektiert

In seinen Therapiegesprächen nimmt Bellotto Pornokonsumenten indes als sehr reflektiert und achtsam wahr. «Sie wissen, dass es sich um reine Sexfantasien und Ideen im Kopf handelt, die sie so nicht 1:1 in die Realität umsetzen wollen.»

Bellotto spricht in seinen Therapieberatungen sehr offen mit seinen Klienten über Sexualität und Pornos. «Ich frage sie dann, ob Frauen sich wirklich einen Partner an ihrer Seite wünschen, der den in den Pornoseiten dargestellten Bilderwelten entspricht.» Und er ermutigt sie auch, mit Frauen – etwa Kolleginnen – darüber zu sprechen.

«Dass Menschen sexuelle Wesen sind, ist etwas völlig Natürliches und auch etwas Schönes», sagt Bellotto. «Die Frage ist nur, ob es sich beim Sex und bei Pornos um ein entspanntes, tief befriedigendes Gefühl oder um ein vordergründiges körperliches Abreagieren handelt.»

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