Diskussion zum Spionageskandal um die Crypto AG

«Wie viel Aufklärungsarbeit bleibt, hängt von der Zahl der geschwärzten Stellen ab»

Die Crypto AG ermöglichte den amerikanischen und deutschen Geheimdiensten über Jahrzehnte einen Lauschangriff. (Bild: Adobe Stock)

In wenigen Wochen erscheint der Bericht von alt Bundesrichter Niklaus Oberholzer über die Crypto AG in Steinhausen. Fürs Bundesparlament untersucht er einen der grössten Spionagefälle des 20. Jahrhunderts. In Zug war man sich aber am Donnerstag schon sicher, dass es im Interesse der Schweizer Neutralität noch mehr Aufklärung braucht.

Als im Frühjahr bekannt wurde, dass die Steinhauser Verschlüsselungsfirma Crypto AG jahrzehntelang den Geheimdiensten CIA und BND gehörte und ihnen mit der Lieferung von knackbaren Geräten in vielen Ländern einen Wissensvorsprung verschaffte, war das Thema eine Weile in den Schlagzeilen – und wurde dann komplett von der Covid-19-Pandemie in den Hintergrund gedrängt.

Nun, ein halbes Jahr später, wird das Ergebnis der Inspektion der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) des Bundesparlaments erwartet. Alt Bundesrichter Niklaus Oberholzer untersucht bekanntlich für den Ausschuss die Zusammenarbeit zwischen der Schweizer Firma Crypto AG und den ausländischen Nachrichtendiensten. Und was geschieht? Die Infektionszahlen gehen erneut durch die Decke und die zweite Welle der Pandemie absorbiert die Aufmerksamkeit der Medien und der Öffentlichkeit.

Schweizer wollen die Neutralität

Das ist bedeutsam, denn Cryptoleaks ist nicht nur einer der grössten internationalen Spionageskandale der jüngeren Zeit, sondern hat auch die Schweizer Neutralität in Mitleidenschaft gezogen.

«Ich glaube nicht, dass man deswegen die Neutralität neu definieren muss», sagte Res Strehle am Donnerstag vor 75 Zuhörern an einer Podiumsdiskussion der ALG / Jungen Alternative zur Rolle der Crypto AG. «Aber man muss die Neutralität wieder ernst nehmen», meinte der Autor des Buches «Operation Crypto. Die Schweiz im Dienste der CIA und des BND» (zentralplus berichtete).

«Der Fall Crypto muss wirklich lückenlos aufgearbeitet werden.»

Res Strehle, Ökonom und Journalist

Die Neutralität stelle einen Wert dar, der von einer Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer befürwortet werde. Und er könnte in Zukunft an Wichtigkeit gewinnen. «Es zeichnet sich ein neuer Kalter Krieg ab», sagte Strehle. Mit zwei Supermächten, namentlich China und den USA, und verschiedenen «Störfaktoren» wie Russland oder die Türkei. «Umso wichtiger wird ein neutraler, der Humanität verpflichteter Player wie die Schweiz, der zum Beispiel auch in der UNO ein wichtiges Engagement erfüllen kann.» Dafür brauche es ein Fundament und dafür müsste der Fall Crypto «wirklich lückenlos» aufgearbeitet werden.

«Alles muss auf den Tisch»

Auch für alt Nationalrat Josef Lang ist dies unabdingbar. «Alles muss auf den Tisch.» Natürlich sei es wichtig, die Lehren daraus zu ziehen. Aber bevor man sich der Zukunft zuwende, müsse man die Vergangenheit aufarbeiten.

«Ich glaube, so etwas könnte sich in der Schweiz wieder ereignen.»

Chris Blumer, Tierärztin

Für Lang gibt es verschiedene Konsequenzen aus der Geschichte. «Die Zuger Steuerdumping-Politik muss aufhören.» Sie zöge fragwürdige Firmen an, sagte der Historiker und langjährige Kritiker des Wirtschaftsstandortes. Wenn die Zuger Regierung sage, es handle sich dabei um Einzelfälle, so sei festzustellen, dass die Einzelfälle nun schon seit 40 Jahren immer wieder vorkämen und es sich um sehr grosse Einzelfälle handle. «Auch das Matterhorn ist ein Einzelfall», so Lang.

Zu wenig Transparenz

Zweitens müsse mehr Transparenz hergestellt werden. Einiges sei bereits passiert, etwa bei der Offenlegung von Mandaten der Politiker. Anderswo hapere es noch. Insbesondere bei der Offenlegung der Parteienfinanzierung.

Josef Lang war bereits vor 26 Jahren an einem Podium über die Crypto AG beteiligt gewesen. Damals hatte die Partei einen Anlass durchgeführt, als Res Strehle ein Buch über den im Iran inhaftierten Verkaufsingenieur der Crypto AG, Hans Bühler, geschrieben hatte.

«Schurken können kaum andere Schurken im Sinne des Guten bekämpfen.»

Josef Lang, Historiker und Politiker

Hans Bühler ist mittlerweile verschieden. Ihn vertrat am Donnerstag Chris Blumer, seine Tochter. Diese ist nicht vom singulären Charakter der Ereignisse überzeugt. «Ich glaube, so etwas könnte sich in der Schweiz wieder ereignen», sagte sie. Auch sie ist skeptisch, ob wirklich genügend Wille vorhanden sei, um die Affäre aufzuklären. Dazu müssten alle noch lebenden Akteure der Crypto befragt werden. Viele seien aber offensichtlich von Ex-Bundesrichter Oberholzer nicht vorgeladen worden.

Auch Res Strehle glaubt, dass nach der Publikation des GPDel-Berichts einige Arbeit für Journalisten und Historiker bleibt: Das Ausmass hänge davon ab, wie viele Stellen im GPDel-Bericht eingeschwärzt würden.

«Unglaubliche Schurkerei»

Uneinigkeit bestand bei den Rednern in der Frage, ob die Hintertüre der Crypto-Geräte auch Gutes in der Welt bewirkt hätten. «Kleine Kollateralnutzen mag es gegeben haben. Aber angesichts des Desasters sind die nicht die Rede wert», urteilte Josef Lang. Er erinnerte daran, dass in Chile die Amerikaner dank Crypto dem Diktator Pinochet beim Putsch helfen konnten. In Argentinien habe die Militärdiktatur 30'000 junge Menschen getötet. «Die deutsche SPD-Regierung wusste das und hat zugeschaut. Das ist ein moralisches Desaster.»

Hier kannst du das ganze Podiumsgespräch nachverfolgen:

Was CIA und der BND mit der Firma Crypto AG gemacht hätten, sei schurkenhaft. «Schurken können kaum andere Schurken im Sinne des Guten bekämpfen», so Lang. Die Neutralität der Schweiz sei missbraucht worden, um andern Ländern Geräte zu liefern, die diese nur deswegen kauften, weil die Schweiz neutral ist. Dies sei auch vom privatrechtlichen und geschäftlichen Standpunkt her «eine unglaubliche Schurkerei».

Res Strehle fand indes, es habe sich auch Nützliches ergeben. Die Schweiz habe im Fall von zwei Geiseln in Libyen auf eine diskutierte Befreiungsaktion verzichtet, weil sie dank dem Minerva-Programm wusste, dass sie freikämen.

Atombomben für Gaddafi

A propos Libyen: Es sei dank Minerva bekannt gewesen, dass der langjährige Diktator Muammar al-Gaddafi ein Nuklearwaffen-Programm verfolgte. Daher konnten fehlerhafte Ausrüstungsteile geliefert werden, die das Rüstungsprogramm so lange verzögerten, bis der Atomsperrvertrag unterschrieben wurde. Dank den Crypto-Geräten wurde also verhindert, dass Gaddafi Atomwaffen in die Finger bekam.

Chris Blumer sagte, was Cryptoleaks für ihren Vater bedeutet hätte. Josef Lang erklärte, warum die Alternative bereits früher und als einzige Partei das Treiben internationaler Akteure auf dem Platz Zug kritisch begleitet hatte.

Res Strehle erzählte, was der Fall Crypto für ihn persönlich darstellt. «Dass wir die Diskussion nun wegen Corona online führen, passt irgendwie zu Zug, der Hauptstadt des virtuellen Kapitals.» Ein Schauplatz, der für ihn als Aussenstehender eine Ambivalenz ausstrahle. Zum einen sei es «ein freundlicher, ja warmherziger Ort mit einem wunderschönen See» – der aber gleichzeitig auch düstere Geheimnisse seiner internationalen Geschäftswelt verberge.

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