Luzerner Sängerin über Sexismus in der Metal-Szene

Anna Murphy: «In meiner Karriere pushten mich vor allem Männer»

Anna Murphy im Soundfarm Studio in Kriens. (Bild: ida)

Eine neue Plattform für Frauen, inter, trans sowie non-binäre Menschen aus der Musikszene will diejenigen sichtbar machen, die im Alltag oftmals untergehen. Die Luzerner Sängerin Anna Murphy sagt, weshalb das nötig ist – obwohl sie noch nie sexistische Erfahrungen im Musikbusiness gemacht hat.

Sie singt, spielt Drehleier, Querflöte und Keyboard. Ein neues Instrument zu lernen, hilft ihr. Denn so fühlt sie sich auf der Bühne, wenn sie die «alten» Instrumente spielt, sicherer. Und sei dadurch nur noch dann nervös, wenn sie das neuere Instrument spielt. Dass die 31-jährige Anna Murphy Bühnenangst hat, sich gar unsicher fühlt, würde man ihr nicht geben.

Mit 16 Jahren stiess sie als Drehleier-Spielerin und Sängerin zu Eluveitie – einer international bekannten Schweizer Folk-Metal-Band. Vor vier Jahren gründete sie ihre eigene Band Cellar Darling. Auf der Bühne tritt sie selbstsicher auf. Mit fester Stimme, ihre Haare zum Takt der Musik wild schwingend. Beim Treffen im Tonstudio Soundfarm in Kriens, wo sie als Produzentin und Tontechnikerin tätig ist, ist sie ruhig und gelassen.

zentralplus: Anna Murphy, Sie sagten in einem früheren Interview, dass Sie noch nie sexistisch behandelt wurden oder das Gefühl hatten, ausgeschlossen zu werden. Ist das wirklich so?

«Wenn mir jemand sagen würde, dass er nicht mit mir zusammen arbeiten möchte, weil ich eine Frau und somit nicht kompetent wäre, wäre das Sexismus pur.»

Anna Murphy: Ja. Ich glaube schon, dass ich enorm Glück hatte. Dass ich von Leuten umgeben war und bin, wo das kein Thema ist. Ich arbeite grösstenteils mit Männern zusammen. Sei das hier im Studio im Team – ich bin die Einzige, die hier produziert – oder mit den Bands. Es fiel noch nie eine Andeutung oder ein Wort, das mich so fühlen liess. Auch als ich mit Eluveitie auf Welttournee ging, kam es sehr selten vor. Ich bin natürlich auch in einer dankbaren Szene unterwegs. Die Rock- und Metalwelt ist diverser, als man denkt. Natürlich habe ich auch eine dicke Haut in all den Jahren bekommen und bin wohl auch ein Stück weit desensibilisiert.

zentralplus: Wie meinen Sie das?

Murphy: Das Tourneeleben ist kein luxuriöses. Irgendwann fängt die Toilette an zu stinken, es gibt keine Dusche, irgendwann beginnen auch die Leute drin zu riechen. Das Tourleben ist chaotisch, man trinkt viel, ist lange wach. Da kriegte ich automatisch eine dickere Haut. Sie lacht.

«Das ist ein dummer Spruch von jemandem, der es einfach nicht besser weiss.»

zentralplus: Haben Sie vielleicht doch schon mal einen sexistischen Spruch gehört, das aber überspielt, weil es Ihnen nicht naheging?

Murphy: Es kam vor, dass jemand einen dummen Spruch klopfte. Ich lernte hier im Tonstudio das Handwerk von Marco Jencarelli und half dafür aus, assistierte. Als eine Band hier war und ich in die Regie lief, meinte einer, ob ich nicht im Bikini rumlaufen könne. Marco war stinkhässig. Ich dachte mir: Das ist ein dummer Spruch von jemandem, der es einfach nicht besser weiss. In so etwas möchte ich nicht meine Energie investieren. Auch wenn ich das retrospektive wohl hätte tun sollen, wenn man bedenkt, dass es heute noch immer zu viel vorkommt. Wenn mir aber jemand sagen würde, dass er nicht mit mir zusammen arbeiten möchte, weil ich eine Frau und somit nicht kompetent wäre, wäre das unterste Schublade und Sexismus pur. Dann würde ich mich wehren. Nur kam das glücklicherweise noch nie vor.

Über Music Directory

Music Directory ist eine Plattform für Frauen, inter, trans sowie non-binäre Menschen, die in der Schweizer Musikbranche tätig sind. Sie ist sowohl für Laien wie für Professionelle.

«Frauen, inter, trans und non-binäre Menschen sind auf, vor und hinter den Schweizer Bühnen unterrepräsentiert», erklärt Kathy Bajaria von Helvetiarockt, welche die Plattform ins Leben gerufen hat. Music Directory soll greifbare Vorbilder zeigen, die Community stärken und Vernetzung in der Szene ermöglichen.

zentralplus: Warum differenzieren Sie zwischen «dummen» sexistischen Sprüchen und Sexismus?

Murphy: Weil ich finde, dass man verschiedene Dinge auch verschieden auffassen und beurteilen kann. Eines ist doof, das Andere schlimm. Das empfinde ich einfach so und über das Eine kann ich eher hinwegsehen als über das Andere. Abgesehen davon möchte ich lieber an mir arbeiten und meine Energie darin investieren – desto stärker und besser ich werde, desto mehr kann ich ein Vorbild für andere sein und desto mehr kann ich jemanden, der meint, über mir zu stehen, zeigen, was Sache ist. Klar muss die Aussenwelt diese Vorurteile abbauen, Sexismus darf nicht toleriert werden. Und ich kenne auch viele Frauen in der Musikbranche, die Sexismus erlebt haben. Ich finde es wichtig, dass wir Frauen selbstbewusster und stärker werden. Viele Frauen sind unsicher, da schliesse ich mich selbst nicht aus.

«Früher trank ich vor den Gigs Whiskeyshots – heute meditiere ich.»

zentralplus: Wenn Sie auf der Bühne stehen, hat man nicht diesen Eindruck, dass da eine schüchterne, unsichere Frau auf der Bühne steht.

Murphy: lacht. Ich habe heute immer noch eine wahnsinnige Bühnenangst. Früher trank ich vor den Gigs Whiskeyshots – heute meditiere ich. Mit den Jahren findet man seine Taktiken, auch wenn es mit der Bühnenangst fast noch schlimmer wurde. Manchmal hilft es, auf der Bühne zu übertreiben, die Angst zu überspielen. Ich bin seit klein auf introvertiert. Das habe ich wohl von den Iren geerbt. Die sind auch eher introvertiert, bis sie ins Pub gehen. Sie lacht. Ich hatte Mühe, mich mit fremden Menschen zu treffen, Interviews zu geben. Oft fällt es mir schwer, meine Gedanken in Worte zu fassen. Ich bin keine geübte Rednerin.

zentralplus: Wann fühlen Sie sich sonst noch unsicher?

Murphy: Wenn ich beispielsweise Offerten an Bands mache, die mich als Tontechnikerin und Produzentin engagieren wollen. Es kam auch schon vor, dass ich ihnen mit dem Preis entgegengekommen bin und eigentlich unter meinem Wert den Job machte. Einfach aus Angst, dass ich zu teuer wäre. Dieses Selbstbewusstsein, hinzustehen und zu sagen, wie teuer meine Arbeit ist, fehlt mir total. Ich habe schon mit vielen Frauen, die ebenfalls selbständig erwerbend sind, geredet, denen es in dieser Hinsicht ähnlich geht. Bei den Männern, die ich kenne, kommt das selten bis gar nicht vor.

zentralplus: Also sollten sich Frauen mehr zutrauen?

Murphy: Definitiv. Frauen sollten Vertrauen in sich selbst haben und dass sie gut sind in dem, was sie machen. Das ist natürlich einfacher gesagt als getan.

zentralplus: Was hilft Ihnen dabei?

Murphy: Natürlich tut eine Bestätigung aus der Aussenwelt gut. Wie ein Philip Fankhauser, der mich als Tontechnikerin für zwei seiner Alben ausgewählt hat. Anna Murphy blickt an die Decke, wo Platten von Fankhauser hängen. Ich möchte kein Mensch sein, der superzufrieden mit sich ist, sondern immer besser werden. Einerseits pushe ich mich so, stagniere nie oder klopfe mir nie auf die Schultern und sage: Hey Anna, jetzt bist du wirklich ein geiler Siech. Es geht immer weiter und noch besser.

zentralplus: Wenn man von Metalbands spricht und liest, stolpert man schnell auf den Begriff «Female Fronted Metal» …

Murphy: … das finde ich eine ganz schlimme Bezeichnung. Sie lacht.

zentralplus: Warum?

Murphy: Weil es keine Rolle spielt, wer ins Mikrofon singt. Und weil es die ganze Band auf die Sängerin reduziert. Man spricht ja auch nicht von «male guitared bands» oder «male fronted bands».

«Es geht meiner Meinung nach nicht darum, dass in Metal-Bands zu 50 Prozent Frauen spielen. Wichtig ist, dass eine Frau, die Metalmusik machen will, das kann.»

zentralplus: Der Begriff deutet ja auch auf die Problematik hin, dass sich Bands mit Frauen von anderen Bands abheben, dass es explizit bezeichnet werden müsste.

Murphy: Genau. Frauen sind in der Metalszene sicherlich in Unterzahl, auch wenn einige bekannte und erfolgreiche Bands Musikerinnen haben. Es geht meiner Meinung nach nicht darum, dass in Metal-Bands zu 50 Prozent Frauen spielen. Wichtig ist, dass eine Frau, die Metalmusik machen will, das kann.

zentralplus: Sie sind selbst Teil der Plattform Music Directory und sind Kampagnenträgerin. Weshalb setzen Sie sich dafür ein?

Murphy: Ich kenne viele Kunstschaffende, die sich in ihrer Bubble befinden und zu schüchtern sind, an Events zu gehen und neue Kontakte zu knüpfen. So geht es mir selbst auch. Oft haben wir das Gefühl, alleine in dieser Welt zu sein. Dabei teilen wir diese Welt mit vielen anderen, die wir einfach noch nicht kennen. Die Plattform hilft, sich mit anderen austauschen und vernetzen zu können.

Anna Murphy erklärt im Video, warum sie Teil der Plattform Music Directory ist und worin sie Vorteile sieht:

zentralplus: Durch die Plattform wird aber ein Grossteil – cis-Männer – ausgeschlossen.

Murphy: Ich finde nicht, dass Männer dadurch ausgeschlossen werden. Durch die Plattform werden diejenigen sichtbarer, die sonst eher im Versteckten sind. Musikschaffende, die unter dem Radar durchfallen, Menschen, die in der Szene nicht dominieren. Mir ist es aber auch wichtig, mit Männern zusammenzuspannen. Denn so schlimm ich Sexismus gegenüber Frauen finde – genauso finde ich es nicht in Ordnung, diskriminierende Sprüche gegenüber Männern zu äussern.

«Alle Frauen rundum nickten. Ich dachte: Echt jetzt?»

zentralplus: Haben Sie das in der Szene erlebt?

Murphy: Ja. Ich war einmal an einem Panel für Frauen in progressiver Musik. Es ging um die Frage, was Frauen in die Szene einbringen können, was Männer nicht können. Eine Frau meinte: Empathie. Alle Frauen rundum nickten. Ich dachte: Echt jetzt? Einige der empathischsten Menschen in meinem Umfeld sind Männer. Das hat doch nichts mit dem Geschlecht zu tun. Zudem waren es vor allem Männer, die mich auf meinem Weg und in meiner Karriere pushten. Einen sehen Sie gerade hinter mir. Anna Murphy zeigt mit der Hand hinter sich, wo sich der Gründer des Soundfarm Studio, Marco Jencarelli, gerade einen Kaffee zubereitet.

zentralplus: Sie sind in einer Künstlerfamilie grossgeworden, Ihre Eltern waren professionelle Opernsänger. Inwiefern hat Sie das geprägt?

Murphy: Ich bin praktisch im Theater aufgewachsen. Ich war von Anfang an von Künstlern umgeben und Leuten aus diversen Kulturen, mit diversen Sexualitäten und Geschlechtsidentitäten. Ich bin mit dem Konzept aufgewachsen, dass man niemanden ausschliesst oder als nicht gleichwertig betrachtet. Eine privilegierte Bubble, aus der man später austritt und merkt, dass die Realität anders aussieht. 

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Sandro Papenfuss
    Sandro Papenfuss, 31.10.2020, 18:52 Uhr

    Ich denke, gerade die Metal-Szene ist – trotz der vielen Vorurteile, die ihr anhaften mögen – definitiv das falsche Umfeld, um eine Sexismus-Diskussion loszutreten.
    Ein ganz grosses Dankeschön an Anna, dass die das Ganze dermassen differenziert und pragmatisch kommentiert hat – Respekt!

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