Spionagebuch mit lokalen Anekdoten

Wie der Zuger Stapi der Polizei unsichere Funkgeräte andrehen wollte

Das Gebäude der Crypto AG in Steinhausen. (Bild: mam)

Ein Doku-Thriller, fast so spannend wie ein Agentenroman: Das neue Buch von Res Strehle über die Zuger Crypto AG enthält akribische Recherchen über den Spionagefall – und persönliche Erinnerungen.

Die Steinhauser Firma Crypto AG belieferte im Kalten Krieg über hundert Staaten mit Chiffriergeräten. Die Kunden vertrauten der Spitzentechnologie aus der neutralen Schweiz – ohne zu wissen, dass die Geräte gezielt manipuliert waren. Die amerikanischen Geheimdienste CIA und NSA sowie der deutsche Bundesnachrichtendienst BND konnten direkt mitlesen.

Hat die Schweiz damit ihre Unschuld verloren und die Neutralität verletzt? Das ist die Frage, welcher der Investigativjournalist Res Strehle in seinem am Montag erschienenen Buch «Operation Crypto. Die Schweiz im Dienst von CIA und BND» stellt.

Einzelne Bundesräte wussten Bescheid

Die Essenz daraus: Mindestens neun bedeutende Schweizer Persönlichkeiten aus Armee, Nachrichtendienst und Politik waren über die Spionageverwicklung der Crypto AG im Bild. Darunter die Bundesräte Kaspar Villiger (FDP) und – wie ein nachrichtendienstliches Papier aus einem Schweizer Bunker nahelegt – auch Kollege Arnold Koller (CVP).

Bereits in den 1950er Jahren wusste ein hoher Schweizer Offizier als Crypto-Verkaufsschef über die Einflussnahme der amerikanischen Geheimdienste Bescheid. Von 1978 bis 1997 installierte die Schweiz gar einen eigenen Verbindungsmann bei Crypto – den Basler ETH-Ingenieur und Generalstabsoffizier Kirk Kirchhofer.

Das Urteil von Strehle ist klar: Die Operation Crypto sei «ein massiver Verstoss gegen den Geist der Schweizer Neutralität» gewesen (zentralplus berichtete).

Über die lokalen Würdenträger, die in den Spionageskandal verwickelt sind, schreibt er: «Die Zuger Politiker Hegglin, Stucky und Schweiger stehen für die Haltung der Schweiz gegenüber dem wichtigsten gemeinsamen Programm der Geheimdienste CIA und BND in der Nachkriegszeit auf ihrem Boden: Sie ahnen den Hintergrund erst nur vage, kommen dem Geheimnis irgendwann auf die Spur und ‹vergessen› oder verdrängen gleich wieder, was sie wissen.»

Zug als Kulisse für Spionage

Auf über 130 Seiten liefert Strehle eine dichte und umfassende Darstellung des Falles. Angefangen in der Kindheit von Firmengründer Boris Hagelin, dessen Vater im russischen Kaiserreich für Emanuel Nobel nach Öl bohrte. Bis zum Verbleib der Crypto-Leute, welche die Geschichte der Firma gegen Ende des 20. Jahrundert geprägt haben.

Natürlich dreht sich vieles um Vorfälle der internationalen Politik, bei der Crypto-Geräte eine Rolle gespielt haben: Um Anschläge, Bombardierungen, die Besetzung der amerikanischen Botschaft in Teheran, die Welt der Spione.

Doch eine massgebliche Rolle spielt auch Zug – nicht nur als pittoreske, anfangs noch sehr katholische Kulisse. Hier wächst ein weltläufiges Hightech-Unternehmen heran, in dem man sich nach amerikanischer Art duzt. Strehle hat dazu auch lokale Anekdoten zusammengetragen.

Wirtepatent für Zuger Hausbesetzer

Er erinnert zum Beispiel daran, dass Walther A. Hegglin, CVP-Stapi und langjähriger Verwaltungsratspräsident der Crypto auch anderweitig überraschen konnte: Als er als «Ochsen»-Wirt Zuger Hausbesetzern sein Wirtepatent zur Verfügung stellte, damit sie in einer leerstehenden Liegenschaft legal ihre Einweihungsparty feiern konnten.

Hegglin tritt auch im Zusammenhang mit einer Beschaffung der Zuger Polizei in Erscheinung: Die will 1992 verschlüsselte Funkgeräte kaufen und hat die Wahl zwischen einem amerikanischen Produkt von Motorola und einem Schweizer Gerät von Crypto und Ascom. Hegglin versucht als wichtiger Mann in Zug seinen Einfluss zugunsten der Crypto geltend zu machen.

«Buehlers Verhaftung hatte wahrscheinlich mit einer ganz anderen Angelegenheit zu tun.»

Zitat aus dem Minerva-Bericht

Er behauptet, bei Motorola würden die Amerikaner mithören. Er weiss damals noch nicht, dass die Crypto AG ein Geheimdienstvehikel ist. Die Polizei übrigens kauft das amerikanische Produkt, welches eine Million Franken günstiger ist.

Fall Bühler aus Sicht der Geheimdienste

Strehle hat für seine Recherche verschiedene Bücher und Schriften herangezogen und zitiert immer wieder lange Passagen aus dem übersetzten Minerva-Bericht der CIA. Besonderes Gewicht erhält der Fall des im Iran inhaftierten Crypto-Verkaufsingenieurs Hans Bühler, über den Strehle mit «Verschlüsselt» 1994 schon einmal ein Buch veröffentlicht hatte.

Nun wird die Sicht der Geheimdienste auf den Fall nachgeliefert. Überraschende Erkenntnis: Die Geheimen glauben nicht, dass die Iraner Bühler festgehalten haben, weil sie wussten, dass die CIA die Crypto-Geräte knacken kann. Sie brauchten nur ein Faustpfand.

Minerva-Bericht im Wortlaut

Der Minerva-Bericht dazu: «Buehlers Verhaftung hatte wahrscheinlich mit einer ganz anderen Angelegenheit zu tun. Die Schweiz hatte kurz zuvor einen Iraner namens Zeynal Abedin Sarhadi verhaftet und beschuldigte ihn, an der Ermordung von Schapur Bachtiar beteiligt gewesen zu sein.»

Der ehemalige iranische Ministerpräsident war in Frankreich ermordet worden, und die Franzosen verlangten Sarhadis Auslieferung. «Die amerikanische Botschaft in Bern glaubte, dass die Iraner einen Schweizer Bürger als Geisel genommen hatten, um zu verhindern, dass Sarhadi nach Frankreich ausgeliefert würde.»

Sarhadi war ein einfacher Botschaftsangestellter, der das Pech hatte, mit den wahren Mördern in Kontakt gekommen zu sein. Er wurde später in Frankreich freigesprochen.

Im Kampf gegen ein Monster

Als Stilmittel werden im Buch die zahlreichen Decknamen eingeführt, welche im Minerva-Bericht auftauchen «Die CIA liebt Anspielungen auf die griechische Mythologie», schreibt Strehle. Das habe mit der humanistischen Bildung ihrer Historiker zu tun, «ausserdem lässt sich so die aktuelle US-Geschichte als Fortsetzung der antiken Hochkultur lesen».

Als etwa der Fall Bühler neue Weiterungen nimmt, erhält er den Decknamen «Hydra». Das war ein schlangenähnliches Monster, dem immer neue Köpfe nachwachsen, wenn einer abgeschlagen wird. Sich selber gibt die CIA im Minerva-Programm den Decknamen «Eos»; die Göttin der Mörgenröte.

Name für die Schweiz ist Quitte

Die Schweiz indes wird als «Quitte» bezeichnet. Von den Schweizer Beteiligten wird niemand mit Bezeichnungen aus dem griechischen Altertum geadelt – nicht einmal die Crypto AG selber. Sie ist «Minerva», die römische Göttin der Weisheit. Oskar Stürzinger, erster Verkaufschef bei Crypto, erhält immerhin noch einen germanischen Heldennamen: «Siegfried».

Kirk Kirchhofer, der spätere Verbindungsmann der Schweiz bei Crypto, ist ein grosser USA-Fan und erhält die wenig schmeichelhafte Bezeichnung «Clapper» – der Beifallklatscher. Er hat über sich selber später einen Schlüsselroman geschrieben. Strehle hat ihn gelesen, um «Clapper» besser kennenzulernen.

Strehle wagt Urteile

Viele andere hat Res Strehle befragt. Zu Wort kommen drei ehemalige Entwicklungsingenieure der Crypto. Strehle hat bei ehemaligen Politikern und Beamten nachgehakt und wagt das Urteil, dass die ehemaligen Bundespolizei-Chefs Peter Huber und Urs von Daeniken nichts über die Eigentümerschaft der CIA wussten.

Das Gleiche gesteht er Armin Huber zu, der zweitletzte Geschäftsführer von Crypto zwischen 1997 und 2001. Er habe zwar gewusst, dass die Crypto auch unterkomplexe Geräte verkaufe, nicht aber, wem die Firma gehöre, meint Strehle. Über zwei Männer urteilt Strehle nicht: Den letzten Geschäftsführer Giuliano Otth und den letzten Chefkryptologen Markus Stadler, die beim Management-Buyout des Schweizer Firmenteils mitwirkten.   

Mutiger Minister

Viele Angefragte aus Politik, Armee und Nachrichtendienst haben sich vor der Recherche des Investigativjournalisten weggeduckt. Doch es gibt eine Ausnahme: Bernd Schmidbauer, ehemaliger Minister im deutschen Kanzleramt. Er war für das Programm vor 30 Jahren auf deutscher Seite verantwortlich. Als einziger Politiker der damaligen Zeit stellte er sich den Fragen des Autors.

Überraschend auch, dass Michael Grupe Strehle Auskunft gab. Der gebürtige Berliner war von 1989 bis 1997 Geschäftsführer der Crypto. Er war bei seiner Anstellung über die Eigentümerschaft der Geheimdienste informiert worden.

1994 bestritt er die Behauptungen geheimdienstlicher Verwicklungen der Steinhauser Firma im Fernsehen, nannte sie «aufgewärmte Vorwürfe frustrierter ehemaliger Angestellter».

Nun fragt er in «Operation Crypto»: «Was hätte ich in der Öffentlichkeit sagen sollen? An der Crypto bestanden übergeordnete Interessen – das kann man nur aus der damaligen Zeit heraus verstehen. Das war ein Programm der Nachrichtendienste, da darf man nicht alle Dinge auf den Tisch legen. Und wenn man einmal Ja dazu gesagt hat, muss man dazu stehen.»

Res Strehle: «Operation Crypto. Die Schweiz im Dienst von CIA und BND», Echtzeit-Verlag, Basel (2020). 136 Seiten.

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