Luzerner Firma führt 20 Wochen Elternzeit ein

Gleichstellung: «Wenn es nicht wehtut, passiert auch nichts»

«Eine Familie ist eine Familie», sagt Diversity-Expertin Christiane Bisanzio. (Symbolbild: Jakob Owens/Unsplash)

Ein Tabakkonzern mit Sitz in Dagmersellen sieht sich als Vorreiter in Sachen Gleichstellung. Man setzt auf eine Elternzeit von 20 Wochen – unabhängig von Geschlecht und sexueller Orientierung. Ein Blick in die USA zeigt: Viele Arbeitgeber gewähren ihren Angestellten mehr Elternzeit, als das Gesetz zulässt.

Der Tabakkonzern JTI mit Sitz in Dagmersellen führt weltweit für alle Mitarbeitenden 20 Wochen Elternzeit ein. Unabhängig von Geschlecht und sexueller Orientierung. Und unabhängig davon, ob die Mitarbeitenden durch eine Geburt, Adoption oder Leihmutterschaft Eltern werden.

Das ist alles andere als selbstverständlich – schweizweit nimmt der Tabakkonzern damit eine Vorreiterrolle ein. Gesetzlich vorgeschrieben ist für Frauen ein Mutterschaftsurlaub von mindestens 14 Wochen. Für frisch gebackene Väter gerade mal einen Tag – das ist gleich viel, wie wenn man zügelt. Im September entscheidet das Schweizer Stimmvolk nun darüber, ob Väter zwei Wochen Vaterschaftsurlaub haben sollen.

Die Elternzeit gilt auch für Eltern mit Adoptivkindern

2 Wochen für Väter, 14 Wochen für Mütter – echte Gleichstellung sieht anders aus, findet Christiane Bisanzio, Vice President of Diversity and Inclusion bei JTI. Auch wenn sie beim zweiwöchigen Schweizer Vaterschaftsurlaub nicht von «Peanuts» sprechen will. «Für die Schweiz ist das ein relativ grosser Fortschritt. Auch wenn ich gleichwohl der Meinung bin, dass es mit den zwei Wochen längst nicht getan ist.»

Mit der «Family Leave Policy» des Unternehmens verfolge man keine politische Agenda. Sondern man fokussiere sich auf die 44'000 Mitarbeitenden rund um die Welt, betont Bisanzio.

Beim Tabakkonzern lässt man zudem gleichgeschlechtliche Paare nicht ausser Acht. «Eine Familie ist eine Familie – wir machen da keinen Unterschied zwischen gleich- und andersgeschlechtlichen Paaren.»

Nur auf Freiwilligkeit zu hoffen, reicht nicht

Doch kann es auch zu viel Elternzeit geben? Schliesslich kann ein Elternteil bei mehreren Kindern und mehrmaligen Einbeziehen der Elternzeit jahrelang vom Arbeitsmarkt fernbleiben. Das streitet auch Bisanzio nicht ab. «Klar hat es einen Einfluss auf die Karriere, wenn jemand vier, fünf Jahre ununterbrochen in Elternzeit ist. Die 20 Wochen sind aber in unseren Augen in einem durchaus realistischen Rahmen.»

«In den USA und nordischen Ländern bieten Arbeitgeber vermehrt längere Elternzeiten, als es die Gesetzgebung zulässt oder erlaubt.»

Christiane Bisanzio, Diversity-Expertin

Die Grenze auf 20 Wochen wurde nicht willkürlich festgelegt. Bisanzio verglich, wie es die Arbeitgeber verschiedener Länder mit der Elternzeit handhaben. «In den USA und nordischen Ländern lässt sich der Trend festmachen, dass Arbeitgeber ihren Mitarbeitenden vermehrt längere Elternzeiten bieten, als es die Gesetzgebung zulässt oder erlaubt.» Bei vielen habe sich die Elternzeit für den Primary Caregiver – also demjenigen Elternteil, der die grössere Verantwortung für die Betreuung der Kinder übernimmt – auf 20 Wochen eingependelt. «Und weil wir für Equality einstehen, bedeutet das bei uns: 20 Wochen für jede und jeden, die Mutter oder Vater wird.»

Ihrer Meinung nach müssen Unternehmen sowie Staat gleichwohl an einem Strang ziehen und Hand in Hand arbeiten. «Nur auf die Freiwilligkeit der Unternehmen zu hoffen, reicht in der Schweiz nicht aus. Unternehmen können zum Nachdenken angestossen werden.»

Diversity muss wehtun, sagt die Expertin

Studien aus Deutschland aber zeigen: Nur vier von zehn Vätern gehen in Elternzeit. Die meisten von ihnen fürchten finanzielle Einbussen und berufliche Nachteile. Man spricht gar von einem «Zweimonatspapa». Junge Mütter setzen länger aus – der «Durchschnitt-Vater» jedoch meist nur zwei Monate.

«Es dauert bestimmt noch einige Jahre, bis es nicht mehr als Stigma gesehen wird und es zur Norm gehört, dass auch Männer Vaterschaftsurlaub nehmen», sagt Bisanzio. «Hier brauchen wir mehr männliche Vorbilder.» Männer, die sich auf die Vaterrolle fokussieren, Windeln wechseln und ihre Kinder zum Arzt begleiten. Und so gelten Männer in der Vorreiterrolle vielleicht bald nicht mehr als progressiv, sondern als normal.

Die Diversity-Expertin betont: «Diversität ist harte Arbeit.» Jede Veränderung schmerze ein Unternehmen. Man müsse viel Überzeugungsarbeit leisten, viel erklären und vor allem breite Kenntnis aller relevanten HR-Prozesse mitbringen. «Aber wenn es nicht wehtut, passiert auch nichts.»

Über statt nur mit Frauen sprechen

Die Gleichstellung ist JTI allgemein ein Anliegen. In puncto Frauenförderung setzt der Konzern auf das Sponsorship. Frauen werden zu viel gementort und zu wenig gesponsert – oder einfacher gesagt: «Es wird mehr mit Frauen als über Frauen gesprochen», sagt Bisanzio.

Beim Sponsorship sucht sich ein Mitglied der Geschäftsleitung eine Frau aus, die es für einen Zeitraum von einem Jahr sponsern möchte. Dreimal im Jahr werden gezielt die Stärken der Mitarbeiterin ausgearbeitet. Das Mitglied der Geschäftsleitung und die Frau arbeiten gemeinsam on the job. Vor seinen anderen Kollegen spricht das Geschäftsmitglied dann aktiv über die Frau und setzt sie und ihre Talente gezielt in den Momenten ein, die wichtig für ihre Karriere sind.

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