Auch Journalisten dürfen gescheiter werden

Vom Nörgler zum Mittäter: Wie ich die Fasnacht lieben lernte

Gefeiert wird die Luzerner Fasnacht bei schönstem Wetter. (Bild: Emanuel Ammon/Aura)

Um ein Haar hätte es traumatisch geendet, als ich frisch bei zentralplus an den Urknall geschickt wurde. Doch es kam anders: Vier Jahre später gehe ich freiwillig an die Fasnacht und finde nur lobende Worte. Wie es dazu kam.

Gerade einmal seit einem Monat hatte ich an diesem 4. Februar 2016 bei zentralplus gearbeitet. Und schon stand ich am Schmutzigen Donnerstag um 5 Uhr in der Früh auf dem Kapellplatz.

«Ich fühle mich rüüdig fehl am Platz. Weil es absurd früh und absurd laut ist. Trinken will und kann ich nicht, denn ich bin dienstlich anwesend», schrieb ich über mein unfreiwilliges Erlebnis.

Vier Jahre später, Ende Februar 2020, werde ich während der Fasnachtstage wieder in den engen Gassen stehen. Wie schon im Jahr zuvor. Und nicht nur das: Bewaffnet mit einem Instrument übe ich mich tatkräftig im Aufheizen der ausgelassenen Stimmung. Freiwillig und begeistert werde ich mich ins Reich von Guuggen, Holdrios und dekorierten Beizen begeben.

Von Beiz zu Beiz, die Musik im Ohr

Was ist passiert? Auf den ersten Blick ganz viel: Ich bin vom Nörgler zum Mittäter geworden. Auf den zweiten Blick jedoch nicht: Ich mochte viele Aspekte des unreglementierten Feierns schon immer. Nachts in den Strassen, von Beiz zu Bar, die Musik im Ohr.

Wie so oft im Leben braucht es aber einen kleinen Schubser und eine gute Gelegenheit zum richtigen Zeitpunkt. In der wunderbar dilettantisch-ambitionierten kleinen Gruppe «Schofseckle» kam es zu einer Vakanz – und ich zu einem Anlass, das Epizentrum der Fasnacht neu lieben zu lernen. Das ist alles andere als selbstverständlich, wenn ein Neo-Fasnächtler in einer Kleinformation mit 25 Jahren Erfahrung landet.

Wie der asiatische Nahverkehr

Die Beizen: Während die einen einfach mal absitzen und essen möchten, andere daneben dutzendfach im Chor grölen und wieder andere zu bedienen versuchen, platzt da ein Dutzend mit Wagen und Instrumenten in die Szenerie. Wo vorher schon kein Platz war, wird es noch gedrängter. Analog zum asiatischen Nahverkehr und entgegen aller Naturgesetze scheint eine fasnächtliche Beiz nie zu voll. Die Stimmung ist nach anfänglichen argwöhnischen Blicken schliesslich immer euphorisch.

«Das Tolle an der Fasnacht ist eben, dass jeder auf seine Weise doof sein kann.»

Ich finde es durchaus erstaunlich, dass es kaum zu Zwischenfällen kommt mitten im bunten und alkoholisierten Treiben. Gewalttaten, verübt im Schutze der Masse und hinter der Anonymität der Maske, sind äusserst selten.

Der alkoholisierte Zustand fördert zwar nicht zwingend die besten Seiten der Menschen zutage. Die Witze sind plump, die Sprüche oft doof und die Töne schief. Aber das Tolle an der Fasnacht ist eben, dass jeder auf seine Weise doof sein kann, ohne sich dafür schämen zu müssen. Und grösstenteils wird man in Ruhe gelassen und es wird Rücksicht genommen, und dies trotz Gedränge und Gedrücke.

Drängen, trinken, schnorren, lüpfen, sorry, müssen weiter, auf und ab, hinein und hinaus, dahin und zurück – und das Ganze von vorn. Die Nacht vergeht wie im Flug – nur viel lustiger.

Leben und leben lassen als Qualität

Ich habe immer noch meine liebe Mühe mit Guugger-Karawanen und Zunft-Zeremonien – insbesondere, wenn sie sich in Satire versuchen. Aber ich habe für mich die wunderbare Beizen-Fasnacht wiederentdeckt. Und das scheint mir eine Qualität der Luzerner rüüdigen Tage zu sein: Jede und jeder findet ihre oder seine Fasnacht: die poetischen Kleinbühnen, die drückend heissen Bars, die stampfenden Partywagen, die herzigen Kinderumzüge und all die Pseudotraditionen.

In einer Welt, in der alles sofort gewertet wird und wo jeder eine Meinung hat und sich am liebsten mit Gleichgesinnten umgibt, ist das Leben und Leben lassen eine grosse Qualität. Es ist kein Klischee, dass hier jede willkommen ist, selbst wenn sie als Aargauerin auftaucht. Und für alle anderen ist die Stadt noch immer gross genug, um der Fasnacht aus dem Weg zu gehen.

«Ach Fasnacht, vielleicht wird das ja doch noch was mit uns … irgendwann mal.» Die abschliessende Prophezeiung von vor vier Jahren hat sich bewahrheitet. Man darf schliesslich auch als Journalist gescheiter werden.

So schrieb ich damals über die Fasnacht:

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1 Kommentar
  • Profilfoto von CScherrer
    CScherrer, 17.02.2020, 11:27 Uhr

    Mein Urknall

    Der Weihnachtsbraten liegt einigen noch immer auf dem Magen. Langsam weicht die besinnliche Lethargie des Dezembers dem Sauglattismus vor Ostern. Die Stadt badet im vorfasnächtlichen Treiben und ist voll von huttragenden schwarz gekleideten Oberlustigen. Wochenende für Wochenende posaunen einheitlich gekleidete Guuggenmusigen in Einkaufszentren nicht erkennbare Melodien hinaus. Man trägt wieder Ohrstöpsel.

    Die Stadt hat sich herausgeputzt. Schaufenster sind mit stark vergilbten Luftschlangen und schön konfektionieren Konfetti geschmückt. Fasnacht dieses ungeheuerliche Ungeheuer, wo der durchschnitte Wohnwandbesitzer sich verkleidet und selbst ernannte Fasnachtsexperten frisch und fröhlich jeden Seich von sich geben.
    Das ist so eine Sache mit der „Lozärner Fasnacht“. Der lokale Fernsehsender berichtet tagelang und so manch ein Künstler kommentiert das Treiben, wie ein ausrangierter Alt-Fußballer während eines Spiels, der doch tatsächlich die irrationale Meinung vertritt, dass er damals alles andere, aber sicher keinen Standfußball gespielt hat. So kommt es, dass jeder mit seinem „Seich“ über die „Lozärner Fasnacht“ immer wieder ein wenig Recht hat, doch den Nagel nie ganz auf den Kopf trifft.
    Schlussendlich und definitiv ist es absolut unwichtig und absolut irrelevant, wer die erste, die zweite oder die letzte Guuggenmusig gegründet hat. Interessiert keinen und nur eine Handvoll erinnert sich an die wirklich gute alte Zeit. Es gibt wichtigere Dinge an der Fasnacht. Natürlich das Essen oder das Trinken von wirklich gutem Rotwein.

    In vielen Rotwein durchtränkten Nächten habe ich dem stundelangen rezitieren vergangener Geschichten alter und alternder Alt-Guugger, Gold-Guugger, Platinum-Guugger und anderweitig verwirrten Fasnächtler schon zuhören müssen. Diese Geschichten nehmen mich jeweils mit auf eine Reise in eine längst vergessene Welt. So unterschiedlich die Erinnerungen auch sind, eines haben alle Erzähler gemeinsam: Die Fasnacht ist in etwa so unwichtig, wie der Furz einer Meise.
    Damals, als alles begann, schien die gutbürgerliche und heile Welt in dieser Stadt am See noch halbwegs in Ordnung zu sein. Krawattiert, das Hemd weiß und gebügelt. Den Hut beim Gruß in der Hand. Und der Bankdirektor war zu dieser Zeit ganz gewiss noch ein Ehrenmann. Zu dieser Zeit war die Veranstaltung „Fasnacht“ mehr oder weniger ein langweiliger Anlass ohne, dass wirklich Bewegendes passiert. Etwas „brüelle“ am frühen Morgen, danach etwas Orangen werfen und am Nachmittag ein klein wenig Umzug. Komische Veranstaltungen gab es in den großen Hotels in der Stadt. Die Leute wurden durch das Orchester zum Tanzen animiert. Wer etwas auf sich hielt, tanzte natürlich schon damals maskiert. Im Minimum ein „Ebinger-Mäskeli“ musste es dann schon sein. Die katholische geprägte Stadt, geteilt durch die Reuss, tanzte an den Abenden in den schönen Ballsälen bis in die frühen Morgenstunden.
    Es wurden noch nie Wintergeister vertrieben, denn die katholische Obrigkeit hätte diesen heidnischen Brauch nicht toleriert. Apropos Obrigkeit: Schon damals kam es vor, dass sich die Luzerner ganz gehörig lustig über die Obrigkeit machte. Immer wieder etwa zum Missfallen der Obrigkeit.
    Irgendwann zwischen 1947 und 1948 geschah endlich etwas wirklich Bewegendes. Blickt man heute zurück, würden sich aufsatzschreibende Medienleute mit Superlativen wohl selbst übertreffen. Ein gehöriger Paukenschlag war es aber allemal. Inspiriert von einer aus Basel stammenden Guuggenmusig (der elende Fasnachtstourismus wurde schon damals praktiziert), begann sich schlagartig etwas zu verändern. Es wäre nicht typisch Luzern, hätte man den „Seich“ aus Basel einfach nur kopiert. Nein, auf keinen Fall. Das macht man in Luzern anders und erst noch besser. So geschehen in diesen geschichtsträchtigen Stunden anno 1948. Im Gegensatz zu den Guuggenmusigen aus Basel, welche sich im ordentlichen Militärmarschschritttempo fortbewegten und gelegentlich quasi den Spalenberg rauf und runter „secklen“, wird in Luzern durch die Gassen eher gemächlich und langsam „gezügelt“. „Gässlet“ wird in Basel.
    Weiter spielt die Luzerner Guuggenmusig selbstverständlich die Märsche wie „Sempacher“, „Alte Kameraden“, „Aida“ entsprechend dem gemächlichen Schritt auch langsamer und – entscheidend und wichtig – kakophonisch falsch.
    Die „Lozärner Fasnacht“ erwachte aus einem lethargischen Schlaf. Guuggenmusig um Guuggenmusig entstand. Einige verschwanden, um anderntags Neuem zu weichen. Erst richtig turbulent und wild wurde es dann in den 1960er Jahren. Da wurde schon mal gehörig protestiert und tränenübergossen Kutsche gefahren. Es folgte die Selbsterkenntnis vieler Guugger, dass man trotz Fasnacht eben doch nicht ganz dem kleinkarierten bürgerlichen Leben entfliehen kann. So geschehen im Jahre des Herrn 1964 oder so. Doch sie lebte, die „Lozärner Fasnacht“. In der Stadt hatte es damals noch ein paar richtige „Beizen“. Das „Hubertus“ war so eine richtige Beiz. Andere natürlich auch. Es guuggte schräg und laut in den Gassen der Stadt. Reservationen oder eine detaillierte Planung der Fasnacht waren kaum notwendig. Zog eine Guuggenmusig gerade an einer dieser Beizen vorbei, eilte nicht selten der Wirt auf die Gasse und bat die Guuggenmusig herein. Die Gäste wurden mit kakophonischen Klängen verwöhnt. Danach gab es Weißwein in rauen Mengen für die Musig. Ab und zu gar wirklich schlechten Weißen. Und war dann „de Wyssi“ ganz grauselig, da reichte es dem einen oder anderen Tambourmajor ganz gehörig und es flog dann schon mal ein Tablet voller Weissweingläser.
    Aber das ist eine andere Geschichte und soll hier nicht weiter vertieft werden.
    Ob die Hippies und Achtundsechziger das nächste Jahrzehnt prägten, ist in den bunten Farben der LSD-Nachwehen nicht mehr klar. Die Guuggenmusigen trieben es immer noch wild. Alles verblast im Dunst der gerauchten „Mushrooms“ und so manch einer tanzt noch heute auf der frisch gepuderten Linie herum. Es krachte und schränzte in der Stadt.
    Irgendwann schien es sich ein weiteres Mal zu verändern. Die 1980er und 1990er Jahre standen vor der Türe. Die im Rausch gezeugten wurden flügge und besetzten die Chargen in Vorständen. Strukturen mussten her. Statuten wurden geschrieben. Notenblätter verteilt. Das Vögeln und das Saufen wurden weniger. Und erschrocken sahen sich die alt gewordenen Achtundsechziger fragend an: Oh Gott, was haben wir getan? Es folgen Jahre ohne, dass wirklich etwas Bewegendes geschieht. Spießbürgerlich soll sie künftig sein. Hauptsache, die VBL-Busse können um viertel nach fünf Uhr morgens fahrplanmäßig korrekt wieder fahren. Der Schmassmann ist eben kein Spassmann und abgesperrt wird nur, wen kräftig gejodelt wird. Die Stadtverwaltung, unflexibel und stur. Und jeder der irgendwie meint, die Fasnacht erfunden zu haben, zeigt seine Fresse am lokalen Regionalsender. Hauptsache am Fernsehen! Verantwortliche Chefredaktoren werden an Präsidentenversammlungen zitiert, weil die eine Guuggenmusig dreikommaacht Sekunden länger als die Andere am Fernsehen gezeigt wurde! Das geht gar nicht. Und als ob die Realsatire nicht schon komplett genug ist, wird das „Grende“ tragen eifrig diskutiert. Da meint einer doch tatsächlich, dass dies ein Sicherheitsrisiko sei und bei den vielen Flaschen, welche am Boden liegen, die Gefahr bestünde, dass er darauf ausrutsche. Man hätte ihn doch gleich mit einer leeren Flasche erschlagen.
    Und so dümpelt die „Lozärner Fasnacht“ vor sich hin. Immer das Gleiche, ohne dass etwas wirklich Bewegendes passiert. Ab und an versucht mal der Einte oder Andere etwas Neues. Im Ansatz gut, in der Umsetzung gewöhnlich und bieder. Schade eigentlich. Doch die Luft ist raus. Explodiert ist es schon lange und etwas mehr Konfetti macht noch lange keine Fasnacht.
    Ich habe schon lange genug. Manchmal, wenn ich davon erzähle, dann blitzt das Feuer in meinen Augen ganz kurz auf. Dann stehe ich in schwarz/weiss auf dem Mühleplatz. Von allen Seiten strömen Guuggenmusigen auf mich zu. Zum Greifen nahe.
    „Weisch no de Sepp met dene tolle Sujet?“
    „Jo klar. Ond de Leopold het’s es Johr spöter nochegmacht.“
    „Ond weisch no, die Ander, wie het sy gheisse? Weisch, die wo eus amigs Kleider gnähet het? Hei, hei, hei……“
    „Und weisch no de Erwin. D’Wyber händ rüüdig freud gha!“
    „De Erwin esch aber au e statlech schöne Maa gsy.“
    „Ond im Aschtoria esch es amigs rüüdig zue ond här gange. I de Dachterasse ond uf de Gäng vom Hotel.“
    Ich wache aus meinem Tagtraum auf. Die Zeiten sind vergänglich. Die Erinnerungen aber bleiben. Die gute alte Zeit war besser und ich werde einmal mehr philosophisch in meinen Gedankengängen.

    Was hat der Sepp einst gelehrt. Damals im Bahnhofbuffet morgens um zwei Uhr als die beiden Polizeibeamten mit ernster Miene beenden wollten, was nicht zu beenden war. Die Frage aller Fragen. Philosophisch betrachtet geht es dabei tatsächlich um den Sinn und Unsinn der „Lozärner Fasnacht“ als Sepp auf den Stuhl stieg, an der Uhr drehte und fragte: „Was wänd er för Zyt?“
    Augenzwinkernd und fast flüsternd meine ich: „Ich sehne mich danach und es wird die Zeit kommen, da wird der Sepp vom Stuhl herunter steigen um uns allen einmal gehörig und kräftig seinen Tambourmajorenstab um die Ohren zu hauen.“

    Und wenn ich spätabends durch die Gassen der Altstadt heimwärts schlendere, da scheint es mir, als höre ich ganz leise von irgendwo her eine Guuggenmusig.

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