Schnäppchenjäger treffen auf Veloaktivisten

Am Freitag wird’s auf Luzerns Strassen wieder eng

Noch sind es noch nicht so viele wie in anderen Städten: Veloaktion Critical Mass auf der Luzerner Seebrücke. (Bild: zvg)

«Black Friday» auf der einen, Klima- und Veloaktivisten auf der anderen Seite: Am Freitag dürfte es im Verkehr eng werden. Der Velo-Flashmob «Critical Mass» ist auch in Luzern angekommen – und selbst die Polizei lobt die Bewegung.

Sie winken, sie klingeln im Akkord – und sie machen sich auf der Strasse breit: Wenn sich Velofahrerinnen und Radler zur Critical Mass (CM) zusammentun, gehört die Fahrbahn für einmal ihnen. «Reclaim the Street» auf zwei Rädern quasi. Friedlicher Widerstand in Form einer gemütlichen Bummelfahrt durch die Stadt.

Seit diesem Frühling gibt’s die CM auch in Luzern. Immer am letzten Freitag im Monat organisiert sich die Gruppe via Facebook, den Messenger-Dienst Telegram oder Mund-zu-Mund-Propaganda. Treffpunkt ist jeweils um 19.30 Uhr auf dem Mühlenplatz. Mitmachen kann jede und jeder mit einem Velo.

Ist die kritische Masse erreicht, fährt die Gruppe los und pedalt einmal durch die Stadt. Sie macht sich auf der Strasse breit, der Vorderste bestimmt die Route. Auch diesen Freitag, 29. November, setzt sich die Critical Mass wieder in Bewegung.

«Die Autofahrer sollen erfahren, wie es ist, wenn sich das Velo breit macht.»

Teilnehmer Critical Mass Luzern

Es dürfte ein besonders spannender Freitag werden: Am gleichen Tag findet in Luzern eine Klimademo statt – und dann ist noch der Shopping-Event Black Friday. Letztes Jahr war im Luzerner Feierabendverkehr kaum mehr ein Durchkommen, weil der Ansturm der Schnäppchenjäger die Stadt kurzzeitig lahmlegte.

Am Freitag kollidieren somit Weltbilder, die beide aus den USA kommen: Der Black Friday steht für ungehemmten Konsum, Wegwerfgesellschaft und Globalisierung. Die Veloaktivisten legen sich für eine Wende in der Verkehrs- und Umweltpolitik ins Zeug.

In Zürich waren’s 1000 Leute

In Zürich zog der Velokorso Ende September fast 1’000 Leute an, dort gibt es CM mit Unterbrüchen bereits seit 2011. In Luzern sind’s weniger: Bis zu 80 Velofahrerinnen und -fahrer sind jeweils dabei. Es waren Zürcher Velofahrer, die mit ihren Erfahrungen hier zur Seite stehen und die erste CM initiierten.

Auch in Lausanne waren's schon viele Velofahrer:

«Ich bin froh, ist es in Luzern kleiner: Es ist übersichtlich und blockiert den Verkehr nicht zu lange», sagt einer der Köpfe hinter CM Luzern. Weil’s kein offizielles Organisationskomitee gibt, sei auch sein Name hier nicht wichtig.

«Wir blockieren nicht den Verkehr, wir sind der Verkehr.»

Critical Mass

Es brauche eine kritische Masse von rund 50 Leuten, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. «Die Autofahrer sollen erfahren, wie es ist, wenn sich das Velo breitmacht», sagt er. Dabei gehe es nicht um Provokation, sondern um Respekt. Der passionierte Velofahrer erzählt von strahlenden Gesichtern, friedlicher Stimmung und Musik. «Auch Autofahrer winken und es ergeben sich gute Gespräche», erzählt er.

Gefährlich werde es, wenn Autos versuchten, sich in die Gruppe zu zwängen – darum bleibt der Korso kompakt. Und für ungeübte Velofahrer, die sich sonst nicht über die Seebrücke trauen, könnte der CM ein positives und motivierendes Erlebnis sein.

Aufnahme der ersten Critical Mass in Luzern diesen April beim Bundesplatz. (Bild: zvg)

Keine Demo, nur eine Rundfahrt

Die Teilnehmer beanspruchen zwar die ganze Fahrspur, fahren im Kreisel auch mal mehrere Runden und rollen zuweilen bei Rot über die Ampel, wenn die Grünphase nicht für die ganze Gruppe reicht.

Ansonsten gelten die Verkehrsregeln; das Trottoir und die Gegenfahrbahn sind tabu. Erfahrene CM-Teilnehmer sorgen für die Sicherheit und schauen, dass die Gruppe kompakt bleibt (siehe Box).

«Soweit wir festgestellt haben, wurden die Verkehrsregeln eingehalten.»

Urs Wigger, Luzerner Polizei

Es sei keine Demo, betonen die Veranstalter, sondern ein «spontanes, grosses Verkehrsaufkommen von Velos» – vergleichbar mit einem Flashmob. «Wir blockieren nicht den Verkehr, wir sind der Verkehr», lautet die Devise.

Aber natürlich kann das Velo-Happening zuweilen zu Staus führen. «Im Gegensatz zum motorisierten Verkehr, der tagtäglich unsere Strassen versperrt, handelt es sich hierbei um einen Stau ohne jegliche Umweltverschmutzung», heisst es auf Facebook.

Die Velopolizei fährt mit

Mehrmals mitgefahren ist auch der Luzerner SP-Politiker Mario Stübi, weil er die Idee sympathisch findet und den Zeitpunkt am Freitagabend nach dem Feierabendverkehr ideal. «Meist hat man leere Strassen vor sich. Wenn man nur hupende Autos um sich hätte, wär’s auch nicht lustig», sagt er.

Regeln der Critical Mass

Die erste Critical Mass fand 1992 in San Francisco statt, die erste in Europa 1997 in Berlin. Den Rekord hat mit 100’000 Teilnehmern Budapest. In rund 300 Städten gibt es derzeit monatliche Rundfahrten. Die Regeln:

  • Die Gruppe fährt auf einer Spur und hält sich an die Verkehrsregeln.
  • Die Gruppe bleibt kompakt beisammen, um durch Autos nicht zerrissen zu werden.
  • Die vorderste Person wartet bei einem Rotlicht und fährt bei Grün – der Rest folgt. Wechselt die Ampel auf Rot, so fährt die Gruppe geschlossen weiter.
  • So genannte «Korker» (erfahrene Teilnehmer) sorgen für den reibungslosen Ablauf. Sie stellen sich etwa bei Kreiseln oder an Kreuzungen vor einfahrende Autos oder Busse. Danach wird die Strasse wieder freigegeben.
  • Korkerinnen provozieren Autofahrer nicht, sondern suchen den Kontakt zu ihnen und bleiben gelassen.

Es handle sich um eine bunte Truppe, von Velocracks über junge Politiker, Studenten bis zu Kindern findet man alles auf zwei Rädern. Je nach Wetter mal mehr, mal weniger. «Es braucht die Regelmässigkeit und immer wieder den Aufruf via Facebook», ist Stübi überzeugt.

Probleme oder brenzlige Situationen hat er noch keine erlebt. Anfangs sei die Polizei noch mit einem Fahrzeug und zwei Velopolizisten mitgefahren. «Mit der Zeit waren sie nicht mehr dabei, weil sie gemerkt haben, dass es harmlos ist», so Stübi. Harmlos, aber deutlich in den Forderungen: eine sichere Stadt für den Veloverkehr.

Keine Bewilligung nötig

Die Luzerner Polizei bestätigt, dass sie die «Ausfahrten von Fahrradgruppen» beobachtet und auch schon einige Male mitgefahren ist. Vereinzelt habe dies zu kurzen Verkehrsbehinderungen geführt, sagt Sprecher Urs Wigger – und relativiert: «Soweit wir festgestellt haben, wurden die Verkehrsregeln eingehalten.»

Zuständig für Bewilligungen für den Gebrauch des öffentlichen Grundes wäre die Stadt Luzern, doch diese hat das Vorhaben als nicht bewilligungspflichtig eingestuft. So gesehen ist es auch kein Problem, dass es seitens der CM keinen Ansprechpartner gibt.

Ob die Polizei konkret für diesen Freitag mit Klimademo, Critical Mass und Black Friday Massnahmen ins Auge fasst, gibt sie nicht bekannt. «Wir machen im Vorfeld von Veranstaltungen generell keine Angaben zu Lagebeurteilungen und getroffenen Massnahmen», so Wigger.

Die Stadt Luzern verweist im Hinblick auf das Verkehrsaufkommen am Freitag auf die Polizei. Und: «Die Aktionen des Black Friday scheinen sich stark in Richtung Online-Handel zu entwickeln», sagt Mario Lütolf, Leiter Stadtraum und Veranstaltungen bei der Stadt Luzern. Er glaubt, dass sich die bisherigen Erfahrungswerte positiv auf das Verhalten kaufwilliger Besucher auswirke. Kurz: Wer letztes Jahr im Stau steckte, wird dieses Mal vielleicht auf das Auto verzichten.

Beitrag von der ersten Critical Mass in Luzern:

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