Schiff Ahoi: Fischermänner beziehen ihre «Werft»

Ein Zeichen gegen Proberaum-Not auf der Seetalplatz-Brache

Fast fertig: Die Fischermänner vor (Thomas Reist) und auf ihrer Werft. (Bild: zvg/Fischermanns Orchestra)

Das elfköpfige Fischermanns Orchestra ist weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt – trotzdem fanden die elf Musiker in Luzern keinen Proberaum mehr. Nun haben sie auf der Brache beim Seetalplatz die Sache selber in die Hand genommen und ihre eigene «Werft» gebaut. Auch für die Zeit nach der Zwischennutzung haben sie schon vorgesorgt.

Wie aus der Not das Beste entstehen kann, zeigt die neue Werft in Emmen am Seetalplatz. Weil beim Eichhof, Luzern, die alten Industriehäuser diesen Sommer abgerissen wurden, ist das Fischermanns Orchestra heimatlos geworden. Ersatz zu finden war für die Grossformation ein Ding der Unmöglichkeit – die Suche blieb erfolglos.

Das Fischermanns Orchestra ist nicht einfach ein wilder Haufen, sondern hat sich mit ihrem Sound zwischen World Music und Jazz auf Bühnen in ganz Europa einen exzellenten Ruf erspielt. Die Fischermänner resignierten nicht und ergriffen die Flucht nach vorn.

Land kam in Emmen in Sicht: Auf der Zwischennutzung NF49 auf der Brache beim Seetalplatz wurde ihnen eine Fläche angeboten. Und so beschlossen sie, ihr neues Zuhause selber zu bauen.

Aus altem Schulhaus-Container

Neben der bestehenden Container-Siedlung aus Ateliers, Magazin und Kleingewerbe ist nun ihr neuer Ankerplatz entstanden. Fündig wurden die Fischermänner bei einem alten Schulhausprovisorium aus Rothenburg, das sie zu ihrem neuen Probehaus zusammenbauten. Am Wochenende wird die Werft mit einem Festival eröffnet, an dem neben dem Fischermanns Orchestra weitere Bands auftreten (siehe Box).

Thomas Reist steht auf dem Platz, als wir ihn erreichen, und steckt mitten in den letzten Arbeiten. Auf dem Dach wird ein Billboard aufgerichtet, sodass das Gebäude weitherum sichtbar wird. «Das wird hier nicht einfach ein pragmatischer Proberaum, sondern eine echte Werft: mit Schiffsteg, der als Aussenbühne genutzt werden kann, einem Ankerplatz und Pollern», sagt Kapitän Reist.

«Wir sind eigentlich komplett überfordert.»

Thomas Reist, Fischermanns Orchestra

So mitreissend die Spielfreude der Truppe auf der Bühne, so ansteckend seine Begeisterung für die Vision des Fischermanns-Probehauses. Es liegt mitten im Hotspot von Zwischennutzung, Viscosistadt und Kunsthochschule. «Es musste in Emmen sein, es ist für mich momentan der spannendste Ort», sagt der Bandleader und Schlagzeuger.

Zudem sei die Lage auf dem NF49 perfekt. Nicht nur, weil sie dort niemanden stören, sondern weil der Verkehrsknotenpunkt gut erschlossen ist. Denn die elf Mitglieder wohnen über die ganze Schweiz verteilt.

Offen für Musikszene

Im Kern ist die Werft das Probehaus des Kollektivs Fischermanns Orchestra, doch sie will mehr sein und soll zu einem neuen Schmelztiegel der Luzerner Musikszene werden. Und sie kann als Vorzeigeobjekt dienen, wie der Raumnot für Musikschaffende kreativ begegnet werden kann.

Zwar ist sie nur 80 Quadratmeter gross, aber voll auf die Bedürfnisse der Musiker ausgerichtet. Durch die Eigenleistung sei eine ganz andere Identifikation mit dem Projekt entstanden. «Nur so war das überhaupt zu packen», sagt Reist.

Mehr als ein Proberaum: Die Werft des Fischermanns Orchestra steht auch anderen Musikern offen. (Bild: zvg/Fischermanns Orchestra)

Musikerinnen und Bands sollen das Haus mieten können, wenn das Fischermanns Orchestra selber nicht probt. Zudem werden die Veranstalter der «Kulturbrauerei», die zuvor ebenfalls beim Eichhof war, kleine Konzerte organisieren.

Neben Aufnahmen oder Proben sind auch Ausstellungen oder Videodrehs denkbar. Es gibt 35 Sitzplätze, eine kleine Bar und mit der Aussenbühne kann man zusammen mit dem Magazin auch Open-Air-Veranstaltungen durchführen. «Wir müssen jetzt rausfinden, was es genau ist und noch werden kann», sagt Reist.

Eröffnung «Werft»
Freitag 20. und Samstag 21. September ab 17 Uhr mit Konzerten u. a. von Fischermanns Orchestra, Dubment und WolfWolf. Zudem: Kinderprogramm, Filmpremiere «The Poet of Bolivia», Barbecue und DJ U.R.S.N

Weiterhin Gönner gesucht

Reist gibt zu: Die Fischermänner haben sich übernommen mit der Werft: Rund 600 Stunden Eigenleistungen stecken im Projekt. Zahlen will er keine nennen, aber trotz Anschubfinanzierung durch eine Stiftung fehlt noch ein rechter Batzen. Darum sind Gönner immer noch hoch willkommen. «Wir sind fast am Ziel», sagt er.

Zudem startet nach der Eröffnung am Wochenende schon die nächste Tour: Im Oktober gehts nach Ägypten und in die Vereinigten Arabischen Emirate. Im Dezember folgen der Release eines Live-Albums und Konzerte im deutschsprachigen Raum.

«Wir sind eigentlich komplett überfordert», sagt Reist. Aber es scheint der Truppe damit ganz wohl zu sein. «Wir gehen da durch, es überschäumt etwas, aber das muss Kunst schliesslich.»

Fischermanns Orchestra in Aktion:

Irgendwann zieht die Werft weiter

Die Zwischennutzung NF49 kann sicher bis 2021 bleiben – das Gleiche gilt für die Werft. Aber auch für das mögliche Ende sind die Fischermänner bereits gerüstet: «Wir werden dann schauen, wo in Zukunft der Hotspot sein wird und ziehen weiter», sagt Reist. Die Werft ist ja so gebaut, dass man sie zügeln kann, auch wenn es dafür aufwendige Fundamentarbeiten braucht. Aber es ist eine Möglichkeit, am Puls der Zeit zu bleiben.

Die Werft kann auch als ermunterndes Zeichen in Zeiten verstanden werden, in denen Bands kaum mehr zahlbare Räume im Zentrum finden: Geht nach Emmen – und werdet selber aktiv!

«Proberäume fehlen an allen Ecken und Enden.»

Marianne Doran, Musikschaffende Schweiz

An der Eröffnung wird am Freitag Marianne Doran, Präsidentin von Sonart – Musikschaffende Schweiz, eine Rede halten zum Thema «Ohne Räume keine Werke». Denn die fehlenden Proberäume für Musikschaffende sind ein grosses und drängendes Problem in der Musikstadt Luzern mit ihrer renommierten Musikhochschule.

Proberaum-Problematik wird zum Thema

Es gebe zwar immer wieder Zwischennutzungen und einzelne Projekte, aber nichts, was die Raumknappheit dauerhaft entschärfe – so wie der Sedel mit seinen 54 Proberäumen (der eine Warteliste führt).

«Luzern mit seiner lebendigen Szene braucht Proberäume als Orte zum Schaffen und Austauschen und die fehlen an allen Ecken und Enden», sagt Doran. Kommt dazu, dass sich viele Räume nicht für Musiker eignen. Als nächster Schritt soll eine Bedürfnisanalyse durchgeführt werden, um besseres Zahlenmaterial zu erhalten.

Immerhin scheint die Thematik erkannt, auch an oberster Stelle: Bei der Eröffnung wird der neue kantonale Kulturdirektor Marcel Schwerzmann ein Grusswort halten. Und beim gemeinsamen Interview kürzlich sagte Stadtpräsident Beat Züsli: «Wir haben Rückmeldungen, dass es zu wenig Proberäume gibt. Dieses Thema wollen wir aufgreifen.»

Dieser Film von Fischermanns aus Bolivien wird am Wochenende gezeigt:

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