Luzerner Sängerin mischt Musikszene auf

Ivorrie: «Wenn ein Mann austeilen und fluchen darf, darf ich das auch»

Setzt nun voll und ganz auf die Musik: Michelle Allemann alias Ivorrie.

(Bild: ida)

Die Musik der Luzernerin Michelle Allemann bricht mit Klischees und Stereotypen. Als Frau musste sie sich in der Schweizer R’n’B- und Hip-Hop-Szene durchboxen und sich gegen sexuelle Anspielungen wehren. Nach einer Depression setzt sie nun ganz auf ihre Leidenschaft – und veröffentlicht eine neue Single.

Der linke Oberarm der 22-Jährigen ist von Rosen geziert – und einem Schlagring. Die beiden Motive widerspiegeln die Persönlichkeit ziemlich treffend. Da sitzt die junge und emotionale Frau namens Michelle Allemann vor einem, die grosse Träume hegt und optimistisch genug ist, diese zu verwirklichen. Und dann auf der Bühne wird sie zu «Ivorrie», einer Rampensau, die kein Blatt vor den Mund nimmt und ordentlich austeilt.

Mit 20 Jahren habe sie sich den Schlagring selbst tätowiert. «Das kommt raus, wenn sich eine 20-Jährige von AliExpress eine Tätowiermaschine für 50 Stutz kauft», sagt Michelle Allemann mit einem Schulterzucken. Auf den Künstlernamen «Ivorrie» sei sie wegen eines «Kifferfilms» gekommen, in welchem eine Graspflanze so getauft wurde. «Ich habe mich wirklich nach einer Marihuana-Pflanze benannt», meint sie heute lachend.

Sex gegen Beats?

Momentan verschreibt sich die Luzernerin voll und ganz der Musik. Am 28. Juni erscheint eine neue Single «Kinda True». Um was geht's darin? «Es geht darum, dass wir Frauen unsere Ziele auch erreichen können, ohne unsere Beine breitzumachen.»

Als Musikerin habe sie sich oftmals durchboxen müssen. «Ein Produzent sagte mir auch schon, dass wir die Arbeit anders berechnen können, und machte ständig sexuelle Anspielungen.» Schnell habe sie ihm dann die Leviten gelesen und das Weite gesucht. Beats produzieren kann sie auch alleine – zumindest lernt sie es nun. Dass man als Frau als Objekt wahrgenommen werde, das hasse sie. «Das Getue von gewissen Rappern, Produzenten oder Labels geht mir auf den Sack.» Gerade als Frau müsse man sich in der eher männerlastigen R'n'B- und Hip-Hop-Szene mehr beweisen, damit man ernst genommen werde.

So klingt «Number» von Ivorrie:

Mit der Musik aus der Depression

Ivorries Musik ist eine Mischung aus R'n'B, Hip-Hop und Trap. «Es geht um mich, was ich erlebe und erlebt habe. Aber auch um die Liebe, die Rechte der Frauen – es ist eigentlich das ganze Paket drin.»

Vor drei Jahren machte Ivorrie ein Praktikum als Krankenschwester im OP-Bereich. «Megaspannend», sagt Ivorrie dazu. Danach holte sie eine tiefe Depression ein. Mit ein Grund, weshalb sie noch heute nicht arbeite oder eine Lehre abgeschlossen habe. «Wegen einer Beziehung bin ich in die Drogenszene gerutscht.» Sie hätte Pillen geschluckt, nicht mehr gewusst, was mit ihrem Leben anzufangen. Auch familiäre Gründe hätten dazu geführt – die Eltern trennten sich, das Verhältnis zur Mutter war schwierig. Nun lebt sie bei ihrem Vater im 2’600-Seelen-Dorf Nebikon. «Recht idyllisch, da kennt mich niemand», so der Kommentar Ivorries.

Die Depressionen sind überwunden, die Drogen passé. «Heute geht es mir viel, viel besser.» Sie sei froh, habe sie diese Zeit durchgemacht. «Es ist ein Teil von mir und ich habe daraus viel gelernt.» Etwa, dass die Familie das Wichtigste sei und sie sich von niemandem abhängig machen dürfe. «Und es hat mir viel Stoff für meine Musik gegeben.» Nicht zuletzt hat sie es ihrer Musik zu verdanken, dass sie die Depressionen überwunden hat. «In meinen Liedern habe ich die Depressionen verarbeitet. Ich habe zwei Lieder auf der Seite, die ich noch nicht veröffentlicht habe – keine Ahnung, warum.» Vielleicht, weil sie Musik vor allem für sich selbst mache.

It's a fake world

Klar, hätten ihre Eltern interveniert, als sie ihnen sagte, dass sie keine Lehre machen möchte. «Auch ich bin der Meinung, dass eine Lehre der vernünftigere Weg wäre», sagt Ivorrie gar selbst. Aber vielleicht sei sie auch gar nicht dafür gemacht, wochentags monoton einem Job nachzugehen. Dafür sei sie zu kreativ, mache viel lieber das, was sie auch wirklich liebt und ihr etwas zurückgebe. Mit einem Medizinstudium habe sie mal geliebäugelt, aber habe dies zu spät erkannt und nun lohne es sich nicht mehr, so Ivorrie.

«Vor zwei Jahren kam dann der Moment, als ich dachte, jetzt kann es mit der Musikkarriere wirklich klappen.» Von Coca-Cola wurde sie auserwählt, gemeinsam mit zwei anderen Sängerinnen aus der Schweiz, mit Jason Derulo das Lied für die Eröffnungsfeier der Fussball-WM 2018 aufzunehmen. «Auch mein Vater sagte damals: Wenn du es machst, dann ziehst du es auch richtig durch.» Heute unterstütze er sie, wo es nur geht – auch finanziell. Ihr Vater selbst war DJ, die Mutter sang gerne.

Nun steckt sich Ivorrie grosse Ziele: «Nach Europa, insbesondere London und Paris, ist Amerika bei mir schon das höchste Ziel.» Aber auch ans Openair Frauenfeld möchte sie unbedingt.

Bezeichnet sich selbst als Feministin, Ivorrie:

Stereotypen aufmischen

Viele Tracks von Ivorrie handeln davon, dass Frauen alles erreichen können, wenn sie es denn wollen. Und dass sich Frauen nichts verbieten lassen sollten. «Ich bezeichne mich selbst als Feministin von Kopf bis Fuss.» Deswegen trat Ivorrie auch am diesjährigen Frauenstreik in Luzern auf die Bühne. «Es war unglaublich: Die Frauen schrien, bevor ich die Bühne betrat. Und jedes Mal, wenn ich wieder etwas über Frauen sang, schrien wieder alle.»

Auch ein Fluchwort fällt nicht selten in Ivorries Tracks. «Ich habe auch schon versucht, ein Lied zu schreiben, in dem kein Fluchwort fällt. Aber das ist gar nicht so einfach», sagt Ivorrie lachend. Gerade die Schweizer R'n'B- und Hip-Hop-Szene sei eine rechte Männerdomäne. «Und Fluchen ist ja sowieso nur Männersache», meint Ivorrie, während sie die Augen verdreht. Ein Mann, der sagt, was ihn störe, sei ehrlich. Sage eine Frau, was sie stört, werde sie als Zicke betitelt, kritisiert sie. «Klar versuche ich mit meiner Musik, diese Klischees und Stereotypen zu brechen.» Denn: «Wieso soll ich nicht sagen, was mich stört? Wenn ein Mann austeilen darf, darf ich das auch.»

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