Grundrechte werden eingeschränkt

Datenschutz: Neues Luzerner Polizeigesetz fällt durch

Das neue Polizeigesetz erlaubt die Überwachungs der Luzerner Strassen – aus Sicht vom Datenschutz ist das heikel. (Bild: Symbolbild Adobe Stock)

Die Luzerner Regierung will der Polizei mehr Freiheiten geben, um Verbrechen und kleinere Delikte zu bekämpfen. Dass dabei Grundrechte von uns allen verletzt werden, wird teils ausgeblendet.

Ein Staat, der seine Bürgerinnen überwacht. Die Horrorvision, die George Orwell in seinem Buch 1984 skizzierte, ist von der Realität längst übertroffen worden. In China überwachen Millionen von Kameras den öffentlichen Raum. Fällt jemand negativ auf, ist er innerhalb von sieben Minuten gefasst (zentralplus berichtete). Das System achtet auf kleinste Details. Beispielweise registriert es, wenn jemand auf einer Baustelle keinen Helm trägt.

Und wie sieht das bei uns aus? Die Luzerner Regierung will der Polizei mit einer Gesetzesrevision weit deutlich mehr Freiheiten geben. Aus Sicht der Grünen geht sie damit deutlich zu weit. Sie sehen die Grundrechte in Gefahr (zentralplus berichtete). Die vorbereitende Justizkommission hingegen befürwortet, dass der Luzerner Polizei mehr Kompetenzen gegeben werden (zentralplus berichtete).

Und was sagt der Luzerner Datenschützer dazu? Matthias R. Schönbächler hatte sich im Rahmen der Vernehmlassung zum neuen Polizeigesetz ausführlich geäussert. Die Regierung hat einige der Inputs aufgenommen – aber längst nicht alle. Auf Anfrage erwähnt Schönbächler fünf Punkte, die in der aktuell vorliegenden Gesetzesversion aus Sicht des Datenschutzes heikel sind.

Hochauflösende Kameras im Strassenverkehr

Das Bundesgericht hat klar festgehalten: Kamerabilder im öffentlichen Strassenverkehr, auf denen das Gesicht eines Menschen zu erkennen ist, sind ein «schwerer» Eingriff in die Grundrechte. Solche Aufnahmen zu machen und aufzubewahren, kann zwar gerechtfertigt sein. Aber nur mit einer sehr guten Begründung. Und mit dieser hapert es.

Die Luzerner Polizei soll künftig ein automatisches Fahrzeugfahndungs- und Verkehrsüberwachungssystem (AFV) einsetzen (zentralplus berichtete). Fahndet die Polizei nach einem Fahrzeug – und dieses fährt an einer der hochauflösenden Kameras vorbei – wird der Standort automatisch der Einsatzleitzentrale gemeldet. Dagegen dürften die wenigsten etwas einzuwenden haben. Aber: Das System bietet noch weitere Möglichkeiten.

So können die gespeicherten Daten genutzt werden, um beispielweise nachzuzeichnen, welchen Weg eine Verdächtige gefahren ist, um zum Tatort zu gelangen. Wohlgemerkt handelt es sich dabei um eine Person, die zum Zeitpunkt der Aufnahme nichts verbrochen hatte und – möglicherweise – auch nichts mit dem begangenen Delikt zu tun hat, wie sich später herausstellen kann.

«Das ist das Maximum dessen, was das Gesetz über die Videoüberwachung erlaubt.»

Matthias R. Schönbächler über die Aufbewahrungsfrist der Daten

«Das ist ein schwerer Eingriff in die Privatsphäre», sagt der Luzerner Datenschützer Matthias R. Schönbächler. Der aktuelle Gesetzesentwurf sieht vor, dass das Überwachungssystem bei Delikten eingesetzt werden kann, die nichts mit dieser Autofahrt zu tun haben. So könnte nachgeschaut werden, wie oft eine Ladendiebin zu ihrer Mutter gefahren ist. Oder wie oft ein Mann ins Kino fährt, der daheim verbotene Pornografie auf dem Computer hat.

Wie tragen solche Informationen – die nur mit einem Grundrechtseingriff gewonnen werden können – zur Aufklärung eines Vergehens bei? Das ist eine entscheidende Frage. «Das Datenschutzgesetz schreibt vor, dass genau definiert wird, zu welchem Zweck Daten erhoben werden», erklärt Schönbächler. «Bei diesem Überwachungssystem ist mir das nicht klar.» Anders gesagt: Es ist möglich, dass das Polizeigesetz übergeordnetem Recht widerspricht.

Aufbewahrt werden dürfen die Aufnahmen gemäss dem aktuellen Entwurf 100 Tage. «Das ist das Maximum dessen, was das Gesetz über die Videoüberwachung erlaubt», so Schönbächler. Die Luzerner Regierung orientiert sich dabei an der gesetzlichen Regelung für geheime Überwachungsaufnahmen. Nur: Um diese anzuordnen, braucht es einen «dringenden Tatverdacht». Bei der Überwachung der Luzerner Strassen liegt ein solcher eben gerade nicht vor.

Analyse von Deliktserien

Die Luzerner Polizei will ein Tool anschaffen, mit dem sie Zusammenhänge zwischen Delikten besser erkennen kann (zentralplus berichtete). Das klingt vielversprechend. Nur: Das neue Polizeigesetz schweigt sich darüber aus, mit welchen Daten das neue System gefüttert werden soll.

«Der Grundsatz, dass ich als Mensch erkennen muss, wenn Daten von mir gesammelt und wie diese verwendet werden, wird damit verletzt», sagt dazu Datenschützer Schönbächler. Klar ist nur, dass es um Informationen geht, welche die Privatsphäre tangieren, einschliesslich besonders schützenswerter Personendaten.

«Der Grundsatz, dass ich als Mensch erkennen muss, wenn Daten von mir gesammelt werden, wird damit verletzt.»

Matthias R. Schönbächler über das neue Analysetool

Auch hier könnte ein solcher Eingriff bei der Bekämpfung von schwerer Kriminalität gerechtfertigt sein. Das Problem: Mit dem Tool sollen Verbrechen oder Vergehen aufgeklärt werden, die «häufig durch die gleiche Täterschaft oder Gruppierung wiederholt begangen werden». Heisst: Mit einer relativ leichten Tat – zum Beispiel dem Sprayen von Graffitis – kannst du durch das Tool als potenzielle Täterin für weitere Straftaten identifiziert werden.

«Es ist eine politische Frage, ob beispielsweise ein einfacher Hausfriedensbruch als ein genügend schweres Delikt eingestuft wird, das einen solchen Eingriff in die Grundrechte rechtfertigt», meint dazu Schönbächler. «Für mich persönlich sind schwere Delikte diejenigen, die in der Strafprozessordnung als solche ausgewiesen werden.» Hausfriedensbruch und Sachbeschädigungen gehören da beispielsweise nicht dazu.

Zusammenlegung der Einsatzzentralen

Die Regierung will mit dem neuen Polizeigesetz die Zusammenlegung mehrere kantonaler Einsatzleitzentralen in Rothenburg und Schwyz ermöglichen (zentralplus berichtete). Das erfordert, dass die Mitarbeiter dort jederzeit Zugriff auf alle Polizeidaten der Kantone Luzern, Zug, Uri, Ob- und Nidwalden sowie Schwyz haben. Bisher war dies nur in Einzelfällen möglich. Beispielsweise, wenn ein Grosseinsatz koordiniert werden musste.

«Es reicht nicht, wenn alle Kantone ihre Polizeigesetze anpassen, nur um den Aufwand eines Konkordats zu umgehen.»

Matthias R. Schönbächler über die Einsatzleitzentrale

Aus Sicht von Datenschützer Matthias R. Schönbächler ist diese Vision der Polizeiarbeit sinnvoll. Es braucht dazu aber einen Konkordatsvertrag, der genau festlegt, wie die Daten bearbeitet werden dürfen. «Diesen Detaillierungsgrad erreicht das Gesetz nicht. Das bedeutet: Es reicht nicht, wenn alle Kantone ihre Polizeigesetze anpassen, nur um den Aufwand eines Konkordats zu umgehen.»

Polizeilicher Informationsverbund

Stell dir vor, deine Nachbarin ruft bei der Luzerner Polizei an und behauptet, du würdest dein Kind schlagen. Vermutlich ist das nicht so. Dennoch nimmt die Einsatzleitzentrale die Meldung entgegen und geht der Vermutung vielleicht sogar nach. Aber natürlich wird erst dann ein Strafverfahren eröffnet, wenn sich die Hinweise verdichten, der Verdacht sich also erhärtet.

«Ich empfinde das als einen schweren Grundrechtseingriff.»

Matthias R. Schönbächler über den polizeilichen Informationsaustausch

Das neue Polizeigesetz sieht vor, dass so heikle Informationen gesamtschweizerisch geteilt werden. Stell dir vor, du machst einen Ausflug nach Lausanne und dort wird deine Handtasche geklaut. Wenn du eine Anzeige machst, kann die Polizistin am Schalter von der Vermutung erfahren, dass du dein Kind schlägst. Und das – wohlgemerkt – ohne dass ein wirklicher Verdacht vorliegt.

«Im Bereich der Vorermittlungen geht es um einen besonders sensitiven Bereich der Polizeiarbeit, dessen Informationen nicht mit allen geteilt werden sollten, bevor die Luzerner Polizei der Sache überhaupt nachgehen konnte», meint Schönbächler. «Ich empfinde das als einen schweren Grundrechtseingriff.»

System zur Darstellung von Lagebildern

Die Luzerner Polizei will künftig mit einem neuen Tool Lagebilder machen können. Sie sollen beispielsweise kürzlich begangene Delikte, Umwelteinflüsse, Verkehrsprobleme und die verfügbaren Ressourcen auf einer Karte darstellen. «Sie ermöglichen auch eine Prognose für die Entwicklung dieser Umstände in nächster Zukunft», hofft die Regierung (zentralplus berichtete).

Der Datenschützer hat aber auch hier Vorbehalte. Zum einen ist nicht definiert, welche Daten in die Karten einfliessen werden. Zum anderen ist aus seiner Sicht unklar, zu welchem Zweck sie überhaupt eingesetzt werden sollen. Dabei ist die Verknüpfung von Personendaten häufig ein intensiverer Eingriff in das Grundrecht.

Ein weiterer heikler Punkt ist: Es gibt die Idee, dass die Einsatzleitzentrale die Polizisten mithilfe von Google Traffic zu Einsatzorten leiten könnte. Der Internetgigant weiss dann aber, dass die IP-Adresse der Luzerner Polizei an einer bestimmten Stelle etwas markiert hat.

Polizeigesetz stösst wegen dem Datenschutz auf Widerstand

Das neue Polizeigesetz wird als Nächstes im Kantonsrat besprochen. Die Grünen haben bereits angekündigt, dass sie die Vorlage an den Absender zurückschicken wollen (zentralplus berichtete). Die Mehrheit der vorbereitenden Justizkommission hingegen will den Entwurf in der jetzigen Form durchwinken (zentralplus berichtete).

Verwendete Quellen
Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


7 Kommentare
  • Profilfoto von Chregu
    Chregu, 18.07.2022, 11:22 Uhr

    Kriminelle Energie muss bekämpft werden… oder? Die dafür notwendigen Sicherheitsmittel sind ungenügend, solange es schwere Verbrechen gibt. Statistiken bestätigen eine Zunahme von kriminellen Handlungen und auch dass diese immer in ihrer Form aggressiver werden. Ebenfalls statistisch und wissenschaftlich bewiesen, ist die Zunahme der Bevölkerungsdichte in Durchmischung mit anderen kulturellen Mentalitäten. Bitte benutzt alle euer Hirn und versucht zu merken, dass diese Massnahmen im Sinne von Sicherheitsmassnahmen für eure Sicherheit eingesetzt werden. Es geht um den Schutz unbescholtener Bürger und um die Bekämpfung krimineller Energie. Wir gehen sonst in Richtung Täterschutz… wollen wir das?

    👍0Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
  • Profilfoto von M. Moser
    M. Moser, 15.07.2022, 17:38 Uhr

    Nach den neuesten Vorfällen bin ich äusserst vorsichtig was dieses Gesetz angeht. In meinen Augen schiesst es weit über das gesunde Mass hinaus. Man will hier eine allmächtige Polizeiüberwachung schaffen. Dieses Gesetz muss in seiner jetzigen Form verhindert werden. Wenn ich da an gewisse Verhaltensweisen der Exekutivbeamten denke wird mir wind und wehe.

    👍1Gefällt mir👏1Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
  • Profilfoto von Lucommenter
    Lucommenter, 15.07.2022, 08:11 Uhr

    Mitteilung an die Redaktion. Hier wurde der Titel falsch gesetzt.
    Das Gesetz fällt nicht durch, sondern wurde von der Mehrheit der Justizkommission gutgeheissen, trotz gewissen Bedenken des Datenschutzbeauftragten.

    👍1Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎2Daumen runter
  • Profilfoto von Trömpeterli
    Trömpeterli, 15.07.2022, 06:11 Uhr

    Willkommen in der DDR. Oder in China. Die hatten oder haben auch solche freiheitseinschränkende Massenüberwachung.

    👍1Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
    • Profilfoto von Roli Greter
      Roli Greter, 15.07.2022, 10:57 Uhr

      Bis vor einem halben Jahr wurde man aufgrund solcher Aussagen von der Mehrheit als Schwurbler tituliert. Es dient der Sache, nicht wahr?

      👍1Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎1Daumen runter
      • Profilfoto von Schwurbli et Urbli
        Schwurbli et Urbli, 15.07.2022, 12:09 Uhr

        Die Schwurbler litten allerdings unter Wahnvorstellungen, da es im Covid Gesetz keine Überwachungsmassnahmen gab. In diesem Gesetz geht es explizit um Überwachung.

        👍0Gefällt mir👏0Applaus🤔1Nachdenklich👎0Daumen runter
      • Profilfoto von Roli Greter
        Roli Greter, 15.07.2022, 16:20 Uhr

        Es geht um die Aussage von Trömpeterli…

        👍1Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
Apple Store IconGoogle Play Store Icon