Gastbeitrag von Josef Lang

Zuger Wahlen legen das Majorz-Proporz-Gefälle offen

Der ehemalige Zuger Nationalrat Josef Lang analysiert für zentralplus die Wahlresultate. (Bild: zvg)

Die Mitte hat bei den Regierungswahlen gewonnen und bei den Parlamentswahlen verloren. Bei den Alternativ-Grünen verhält es sich umgekehrt. Der ehemalige Zuger Nationalrat Josef Lang (ALG) liefert in einem Gastbeitrag eine Erklärung.

Erstmals in der Geschichte des Kantons Zug hat die Mitte, die frühere CVP, weniger als 20 Sitze im 80-köpfigen Kantonsrat. Als ich 1974 das erste Mal wählen konnte, eroberte die CVP 44 Sitze. 1986 fiel sie erstmals unter 40, 1998 unter 30 Sitze. 1974 stellte sie – völlig zu Recht – vier der sieben Regierungsräte. Heute haben wir die groteske Situation, dass die Mitte mit 24 Prozent der Stimmen drei Regierungssitze und die Linke mit 24,2 Prozent keinen einzigen hat.

Ein Symbol für das kantonale Majorz-Proporz-Gefälle ist Oberägeri. In der Berggemeinde verlor die Mitte ihren zweiten Kantonsratssitz an den Jungen Alternativen Andreas Iten. Der Bisherige Patrick Iten kann seinen Sitz im Parlament behalten, weil seine Listenpartnerin Laura Dittli in die Regierung gewählt wurde (zentralplus berichtete). Gleichzeitig zeigt Oberägeri, dass das Gefälle auf kommunaler Ebene kleiner ist. Hier scheiterte die Mitte mit ihrem Versuch, das grüne Forum aus dem Gemeinderat zu kippen.

Die Mitte predigt Ausgleich und praktiziert Arroganz der Macht

Wie erklärt sich, dass die Mitte mit weniger als einem Viertel Stimmenanteil 43 Prozent der Regierungssitze inne hat? Die erste Erklärung ist der schweizweit bekannte Wortbruch. 2012, als die Regierung ihren dritten Anlauf unternahm, den Majorz einzuführen, hat sie «freiwilligen Proporz» versprochen. Nun aber praktiziert die gleiche Mitte, die national den politischen Ausgleich predigt, im Kanton ihres Parteipräsidenten die Arroganz der Macht.

Allerdings bleibt die Frage, warum die anderen bürgerlichen Parteien diesen Wortbruch mittragen. Der Bürgerblock ist in keinem Deutschschweizer Kanton so kompakt wie im Kanton Zug. Aus diesem Grund klappte das Zusammengehen der CVP und FDP mit der neuen SVP reibungsloser als in anderen Kantonen.

Dazu passt, dass die Zuger FDP am rechten Flügel des Schweizer Freisinns politisiert. Und dass nur ländliche Mitte-Sektionen derart rechts stehen wie die zugerische. Auf nationaler Ebene, selbst in der Mitte-Fraktion, gab es deshalb die Meinung, Gerhard Pfister passe besser in die SVP.

Am 2. Mai 2007 dementierte der damalige Kantonalpräsident diese Unterstellung vor Zuger Wirtschaftsvertretern, indem er das Bulletin des Alternativen Zug zitierte: «Für einmal hat Jo Lang etwas Richtiges geschrieben: Erstens sei der Stil der SVP nicht unbedingt mit meinem kompatibel, zweitens würde ich es ablehnen, in einer Fraktion zu sein, wo man auf Kommando politisiert, drittens sei ich durchaus ein typischer Vertreter der CVP Kanton Zug, die innerhalb der CVP Schweiz eine der wirtschaftsnahesten und in diesem Sinne rechtesten sei.»

Bürgerblock baut auf Tiefststeuerpolitik und «Willkommenskultur»

Die Kompaktheit des Zuger Bürgerblocks baut auf den beiden Zuger Spezialitäten: Tiefststeuerpolitik und «Willkommenskultur», wie Heinz Tännler die Willkür zugunsten von Konzernen und Reichen nannte. Irgendeine Firma, sei es eine Putin-Gesellschaft oder einen reichen Neuzuzüger, sei es ein Oligarch, zu kritisieren, ist ein Tabu. Und die kantonal verheerendste Folge des Fiskaldumpings, die hohen Wohnkosten und damit die soziale Verdrängung junger Familien, ist wahlpolitisch für die Bürgerlichen ein kleineres Problem als für die Linken.

Das bestätigten eine Woche vor den Zuger Wahlen die eidgenössischen Abstimmungen über die Verrechnungssteuer und die AHV-Vorlage. Bei der schweizweit abgelehnten Steuervorlage, stimmten nur Nidwalden und Appenzell Innerrhoden rechter als Zug. Und bei der knapp angenommenen AHV-Vorlage waren nur Schwyz sowie Ob- und Nidwalden unsozialer. Ausgerechnet zum Zeitpunkt, an dem die Zugerinnen ihre Wahlzettel auszufüllen hatten, schärfte der Kanton sein wirtschaftsbürgerliches Profil. Das schweisste den Bürgerblock noch mehr zusammen.

Die Linke stieg von 7 auf 19 Sitze

Ist es da nicht erstaunlich, dass die Bürgerlichen bei den Proporzwahlen mit einem gesamthaften Rückgang von 1,4 Prozent mehr Stimmen verloren haben als die Linken? Während die SP 1,5 Prozent verlor, gewannen die Alternativen 0,6 Prozent. Die 13,9 Prozent der Alternativen sind umso beachtlicher als die Grünliberalen auf 7,5 Prozent gewachsen sind. In der Geschichte des Zuger Kantonsrates hat es erst zwei Wahlen (2006 und 2018) gegeben, in denen die Linke mit 20 Sitzen stärker war als heute. 1974 eroberte die SP 7 Kantonsratsmandate (und einen Regierungssitz). Heute hat die SP 8 Sitze und haben die Alternativ-Grünen zusätzlich deren 11.

Die wirkliche Proporz-Frage lautet: Wie erklärt sich die Fähigkeit der Alternative-die Grünen selbst unter schwierigen Umständen wie dem letzten Sonntag zuzulegen? Eine starke Minderheit der Zuger Bevölkerung wünscht sich eine ökologischere, sozialere und ethischere Politik, als der Bürgerblock sie vertritt.

Das zeigten auch der Unmut und die Verunsicherung über das Putin-Verhängnis, in das die Tiefststeuerpolitik und die «Willkommenskultur» den Kanton gestürzt haben. Vor den russischen Firmen und Oligarchen haben die Zuger Alternativen während zwei Jahrzehnten gewarnt.

Das wurde von einer Minderheit (Proporz) honoriert. Dass die Mehrheit (Majorz) das anders sieht, das hat nicht zuletzt die Konzernverantwortungsinitiative gezeigt, die nur von Schwyz, Nidwalden und Innerrhoden deutlicher abgelehnt wurde.

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6 Kommentare
  • Profilfoto von Josef Marty, alt Kantonsrat Freie Wähler Menzingen
    Josef Marty, alt Kantonsrat Freie Wähler Menzingen, 08.10.2022, 17:53 Uhr

    Als Realist möchte ich das eigentliche Grundproblem ansprechen: Ohne Namen der damaligen Protagonisten zu nennen, wurde mit der Teilung in „Grün“ und „Grün-Liberal“ die Gewichtung grüner Anliegen geschwächt.
    Wieder vereint, könnten die beiden Parteien (im Konsens der zwei Flügel) unsere grüne Umwelt wieder schweizweit wirksam vertreten und auch weltweit unsern Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz beitragen.
    GRÜN ist eine Grundidee und nicht Beigemüse, das sich jede Partei alibimässig, ohne konkret danach zu handeln, auch noch ins Parteiprogramm schreiben kann.
    „Divide et impera.“ Unsere sogenannt „Bürgerlichen“ müssen sich nicht mal bemühen die „Grünen“ zu „teilen“, um in unserer Schweiz zu „herrschen“.
    Rechne: wenn sich „Grünliberale“ und „Grüne“ wieder zusammentäten, wer die grösste Partei wäre. Und welches Gewicht folglich die Umweltpolitik in der Schweiz bekäme.

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    • Profilfoto von Toni Kleimann
      Toni Kleimann, 08.10.2022, 20:32 Uhr

      Zwischen Grün-Alternativen und Grünliberalen liegen in der Finanz- und Wirtschaftspolitik Welten.

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  • Profilfoto von Hans Peter Roth
    Hans Peter Roth, 07.10.2022, 14:57 Uhr

    Vielen Dank für diese hervorragende Wahlanalyse mit historischem Tiefgang!

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  • Profilfoto von mebinger
    mebinger, 07.10.2022, 10:04 Uhr

    Seien wir ehrlich, es schadet nicht, wen der Einfluss der linken Ideologie einschränkt wird. Wir sehen in den linken Städten, wo links hinführt

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    • Profilfoto von Franz Lustenberger
      Franz Lustenberger, 07.10.2022, 14:07 Uhr

      Ach die bösen linken Städte – auf dem weltweiten Ranking der lebenswertesten Städte von Geo liegt Zürich auf Platz 2, Genf auf Platz 8 und Basel auf Platz 10.

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    • Profilfoto von fakoch
      fakoch, 07.10.2022, 14:11 Uhr

      @mebinger: es geht um das Demokratieverständnis und weniger um links oder rechts.
      Die „linken Städte“ sind vorbildlich. Rotkreuz wird auch urbaner.

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