Siemens-Areal

Zuger Stadtplaner sieht nach wie vor grosses Potenzial

Das Siemens-Areal in Zug wird auf der örtlichen Übersichtstafel «Landis & Gyr»-Areal genannt. (Bild: any)

An attraktivster Lage in der Stadt Zug, gleich beim Bahnhof, liegt das Siemens-Areal. Einst hiess es, aus dem ehemaligen Fabrikgelände werde ein lebendiges Stadtquartier. Davon ist bis heute aber kaum etwas zu spüren. Der Frust darüber sitzt bei einigen Zugern tief. Stadtplaner Harald Klein mahnt zu Geduld.

In Cham soll durch die Umnutzung eines elf Hektar grossen Industriegeländes mitten im Dorf ein neues attraktives Quartier entstehen. Auch in Zug gibt es – ebenfalls mitten in der Stadt, direkt beim Bahnhof – ein grosses Industriegebiet: Das Siemens-Areal, benannt nach dem Technologiekonzern, dem immer noch der grösste Teil der Liegenschaften gehört.

Das rund 161‘000 Quadratmeter grosse Areal zwischen Gubel- und Feldstrasse in Zug ist vor allem tagsüber belebt. Nachts sind nur wenige der unzähligen Büroräumlichkeiten bleuchtet, die Strassen menschenleer. Einst bestand in Zug die Hoffnung, das Siemens-Areal durch Umnutzungen lebendiger gestalten zu können. Doch bislang ist dies der Stadt nicht gelungen, urteilen viele Zuger. Warum nicht?

Ab 1995 verhandelt

Ein kurzer Rückblick: Mitte der 1990er Jahren entwickelte sich der damalige Industriekonzern «Landis & Gyr» in Richtung eines Dienstleistungsunternehmens mit nur noch beschränkter Produktion. Damit entstand die Möglichkeit, grosse Teile des Areals umzunutzen. Zuvor galt das Gebiet als «verbotene Stadt». Ab 1995 haben die Stadt und der Kanton zusammen mit den Eigentümern, dem heutigen Siemens-Konzern und den SBB, über die Entwicklung des Gebietes verhandelt. Aus diesen Verhandlungen resultierte schliesslich der Entwicklungsplan Landis & Gyr/SBB West.

Der Grosse Gemeinderat der Stadt Zug (GGR) hat das Papier im November 2002 mit 22 zu 8 Stimmen gutgeheissen. Im Mai des folgenden Jahres kam es zur Volksabstimmung, 61 Prozent der Stadtzuger Stimmberechtigten sagten Ja. In der Abstimmungsbroschüre schrieb der Stadtrat, das Ziel der Stadtentwicklung sei es, «das frühere Industrieareal in ein neues lebendiges Stadtquartier mit Raum für Wohnungen, Büros, Läden, Restaurants und attraktiven Plätzen umzuwandeln».

«Eine verpasste Chance»

Heute, mehr als 10 Jahre später, ist das Siemens-Areal weit davon entfernt, als lebendig bezeichnet zu werden. «Entstanden ist ein Geschäftsviertel, das am Abend dunkel und leblos ist. Von all den schönen Versprechungen eines durchmischten, lebendigen und neuen Quartiers, welche der Stadtrat geäussert hat, ist nichts übrig geblieben», sagt Martin Spillmann. Der FDP-Politiker sass 2002 im Stadtparlament und hat die Bau- und Planungskommission präsidiert. Er spricht von einer «verpassten Chance».

Eine Aussage, die Martin Stuber, heutiger Zuger Kantonsrat (Alternative-die Grünen) und damaliger Grosser Gemeinderat, nur unterstützen kann. «Das Gebiet betritt nur, wer dorthin muss.» Auch Zugs Stadtpräsident Dolfi Müller (SP) würde vieles anders machen, könnte er die Zeit zurückdrehen. «Wenn ich ganz alleine hätte bestimmen können, wäre das Zuger Siemens-Areal eine Art Mix zwischen dem Winterthurer Sulzer- und dem Badner ABB-Areal geworden», sagt er, der im Jahr 2003 den Entwicklungsplan während der Abstimmung als städtischer Bauchef vertreten hat.

Fehlende Planungsgrundlagen

Was hätte denn anders laufen müssen? «Die Rahmenbedingungen müssten in der Anfangsphase viel genauer definiert werden», sagt Martin Spillmann. «Alle hatten ihre Vorstellungen, haben aber bewusst oder unbewusst aneinander vorbeigedacht, -geredet und -geplant.» Als dieser Missstand den Stadtzugern langsam bewusst geworden sei, hätten die Grundlagen gefehlt, um einschreiten zu können.

Martin Stuber bemängelt die Durchsetzungskraft der damaligen Stadtregierung. «Zug hat eine Aufwertung des Siemens-Areals nicht stattfinden können, weil es keine Kultur von selbstbewusstem Auftreten der Stadt gegenüber privaten Land- und Immobilienbesitzern gibt. Diese Unkultur trägt vor allem die Handschrift der Freisinnigen, welche diese Kreise vertreten – auf Kosten der Allgemeinheit.»

Eine solche Schuldzuweisung macht Dolfi Müller nicht. Aber auch für ihn ist klar, dass die Politik ihre Forderungen gegenüber den Privaten durchzusetzen hat. «Dafür muss sich die Öffentlichkeit zuerst klar werden, welche öffentlichen Interessen auf einem so wichtigen Areal mit Nachdruck einzufordern sind.» Dabei seien die Weichen für die heutige Nutzung des Siemens-Areals bereits in den 1990er Jahren gestellt worden. «Wie man das Projekt aufgleist, so kommt es am Schluss heraus.» Und damals habe der Tenor im Stadtparlament gelautet: «Was für Siemens gut ist, ist für die Stadt Zug gut.» Müller: «Damit hat man quasi das öffentliche Interesse geopfert und den Privaten die Carte Blanche gegeben.»

Öffentlichkeit hat ein Recht

Hat sich das Stadtparlament also sowohl während der Planung als auch danach zu wenig um die Gestaltung des Areals gekümmert? Martin Stuber ist selbstkritisch und sagt Ja. Aber, entgegnet Martin Spillmann, «das Parlament hat weder die Kompetenz noch die Macht, entscheidend einzugreifen, die Materie ist hoch komplex». Zudem weist Spillmann darauf hin, dass einem Eigentümer nicht alles vorgeschrieben werden könne. «Bei derart grossen Gebieten und bei all der staatlichen Unterstützung und dem Goodwill hat die Öffentlichkeit hingegen ein Recht, dass die Anliegen der Stadt berücksichtigt werden.»

Auch für Stuber wäre es mehr als legitim gewesen, gegenüber der heutigen Siemens deutlicher die eigenen Forderungen zu formulieren. «Aufgrund der Grösse, der Lage und dem öffentlichen Interesse hätte die Stadt ein gewichtigeres Wort mitreden müssen.»

Stadtplaner sieht noch viel Potenzial

Zugs Stadtplaner Harald Klein, der seit Beginn der Verhandlungen mit Siemens und SBB dabei war, nimmt die Kritik der beiden Politiker Stuber und Spillmann zur Kenntnis. Sagt aber: «Es ist verfrüht, eine Gesamtbilanz zu ziehen, denn die Umnutzung des Siemens-Areals ist längst nicht abgeschlossen.» So würde ein Grossteil des Areals noch gleich genutzt wie vor 15 Jahren. «Es liegt also noch viel Potenzial in der Entwicklung dieses Stadtgebietes.»

Und Klein weist darauf hin, dass es gerade bei einem solch grossen Areal einen langen Atem brauche. «Manchmal sind 30 Jahre nötig, um ein Projekt dieser Dimension zu Ende zu führen.»

Selbstkritisch

Also ist alles bislang wie geplant verlaufen? Sind die Zuger einfach zu ungeduldig? Nein, der Stadtplaner übt Selbstkritik. «Angesichts der heutigen Durchmischung ist bei den bisher bewilligten Projekten sicherlich nicht alles ideal verlaufen», sagt Klein. Er erwähnt die riesige Überbauung mit dem Namen Opus – ein aus acht fünfgeschossigen Geschäftsgebäuden bestehendes Ensemble, das mitten auf dem Siemens-Areal realisiert wurde und für die Öffentlichkeit kaum etwas bietet. Für Stadtpräsident Dolfi Müller hat just dieses Projekt das gesamte Gebiet «stark präjudiziert, man konnte und kann nur noch um das Opus herumplanen.»

Die Lehren ziehen

So dramatisch drückt es Stadtplaner Harald Klein nicht aus. Aber auch er sagt: «In der Vergangenheit hat die Stadt Zug den Eigentümern zu viel Flexibilität in der Nutzung gewährt.» Ob aus Mangel an Selbstvertrauen oder aus Hörigkeit gegenüber Investoren und Eigentümer, wie dies die Politiker Spillmann und Stuber proklamieren, kann Klein nicht beantworten. Klein zieht deshalb folgende Lehren daraus: «Die Nutzung muss künftig baurechtlich präziser definiert und besser festgelegt werden.»

Der Stadtplaner liefert ein Beispiel: So war mal im Parktower, dem einst höchsten Hochhaus der Stadt, das derzeit auf dem Siemens-Areal entsteht, ein Hotel geplant. Diese Pläne hat der Investor gekippt, realisiert werden nun Wohnungen. «Künftig heisst es also für die Stadt: Ist das Bedürfnis nach einem Hotel ausgewiesen und will sich Zug für eine Realisierung einsetzen, so ist eine Hotelnutzung auch explizit vorzuschreiben.»

Deutlich die eigenen Wünsche festzuschreiben – diese Chance bietet sich der Stadt nicht zuletzt mit den Ausbauplänen von Siemens auf dem Areal. Das Unternehmen will den bestehenden Hauptsitz der Division Building Technologies ausbauen. «Mit der Vorgabe von publikumsorientierten Nutzungen wie Gastronomiebetriebe und dergleichen in den Erdgeschossen soll der Theilerplatz auf dem Siemens-Areal insbesondere auch am Abend belebt werden», verspricht denn auch der Stadtrat.

Einschränkungen sind mit Risiko verbunden

Klein ist sich bewusst, dass eine rigorose Nutzungsumschreibung bei vielen Eigentümern und Investoren nicht gut ankommen wird. «Im Gegenteil, sie streben eine höchst mögliche Flexibilität an, um je nach Marktlage anders planen zu können.» Deshalb bestehe die Gefahr, dass ein Projekt schliesslich nicht realisiert wird, weil sich der Investor zu stark eingeschränkt fühlt. Dieses Risiko gelte es einzugehen, wolle die Stadt ihre Forderungen durchsetzen, sagt Klein.

Gute Zusammenarbeit

Aus dem Siemens-Areal könnte also doch noch ein lebendiges Stadtquartier werden? Gemäss Harald Klein bestehen die Chancen dazu durchaus. Derzeit ist die Stadt zusammen mit Siemens und SBB daran, das Gebiet entlang der Geleise zwischen Gubel- und Feldstrasse zu entwickeln. «Gesamthaft sind es zirka 90’000 Quadratmeter, die auf dem Siemens-Areal noch neu zu planen sind», sagt Klein.

Auch Stadtpräsident Dolfi Müller blickt bezüglich Siemens-Areal zuversichtlicher in die Zukunft als auch schon. «Mittlerweilen ist die Bedeutung des öffentlichen Interesses politisch unbestritten», sagt er. Und die Zusammenarbeit mit Siemens habe sich in den vergangenen Jahren gewandelt. «Dies hat sich nicht zuletzt beim Kauf des alten Landis & Gyr-Gebäudes durch die Stadt gezeigt», sagt Müller und spricht vom «Ausdruck eines neuen Zeitgeistes der Kooperation zwischen Privaten und der Stadt auf gleicher Augenhöhe.»

Vielleicht aber ist die Stadt auch einfach selbstbewusster geworden – dank der Unterstützung der Bevölkerung, die ein lebendiges Siemens-Areal seit Jahren fordert.

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