Analyse zur Causa Eurochem

Zuger Regierung verträgt keine Kritik und kommuniziert schlecht

Der Zuger Regierungsrat (v.l.): Florian Weber, Stephan Schleiss, Andreas Hostettler, Silvia Thalmann-Gut, Heinz Tännler, Martin Pfister, Laura Dittli. (Bild: zvg)

Wegen einer aus seiner Sicht unfairen Berichterstattung nimmt sich der Zuger Finanzdirektor Heinz Tännler (SVP) einen Anwalt, dessen Honorar zahlt der Kanton. Damit macht die Regierung ein privates Mandat zur Staatsaufgabe. Zugleich offenbart sie, dass sie mindestens so schlecht kommuniziert, wie sie mit Kritik umgeht – und verspielt um einiges mehr als eine Summe, die niemanden interessiert hätte.

Der Betrag verschwindet im Milliardenbudget wie ein Tropfen im Zugersee: 1'242 Franken und 45 Rappen verdient der Anwalt, den sich Finanzdirektor Heinz Tännler im Kampf gegen die Berichterstattung über die Causa Eurochem genommen hat (zentralplus berichtete). Das Honorar übernimmt die Zuger Regierung und schreibt damit das bislang letzte Kapitel einer Geschichte, die drei Dinge zutage förderte:

  1. Der Regierungsrat des Kantons Zug will keine starke Presse.
  2. Im Kampf gegen Transparenz sind der Exekutive viele Mittel recht – auch die Verstrickung in Widersprüche.
  3. Heinz Tännler kann nicht mit Kritik umgehen.

Tännler und die Kritik

Indem Tännler über seinen Anwalt rechtliche Konsequenzen androhte, übersprang er ohne Not mindestens eine Eskalationsstufe.

Selbstverständlich muss sich auch ein Regierungsrat nicht alles gefallen lassen, insbesondere keine strafrechtlich relevanten Ehrverletzungen. Aber laut Felix Uhlmann, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Zürich, hat der Staat mehr Kritik auszuhalten als eine Privatperson: «Das gilt erst recht für ein Mitglied des Regierungsrates, das auf politische Angriffe in erster Linie politisch reagieren soll», so Uhlmann gegenüber zentralplus.

Damit sagt Uhlmann im Kern das gleiche wie Susan Boos, die Präsidentin des Schweizer Presserats. Aus ihrer Sicht sollte ein Prozess das letzte Mittel sein, um sich gegen eine Berichterstattung zu wehren. Zuvor stehe Betroffenen eine Palette milderer Möglichkeiten zur Auswahl: Sie könnten eine Gegendarstellung verlangen, sich beim Presserat beschweren oder – vor allem im Fall von Firmen und Behörden – mit einer eigenen Medienmitteilung kontern.

Tännler hat stattdessen mit rechtlichen Schritten gedroht: «Klagen bergen immer das Risiko, dass sie einschüchternd auf Redaktionen wirken, weil sie meist teuer und aufwendig sind», so Boos auf Anfrage von zentralplus. Vor allem für kleine Medien seien solche Prozesse kaum zu stemmen. Dadurch bestehe die Gefahr, dass sie im Zweifel lieber von einer kritischen Berichterstattung absähen. Die Präsidentin des Presserats warnt: «Demokratie ist auf kritische Berichterstattung existenziell angewiesen. Es kann also nicht im Interesse der Öffentlichkeit sein, wenn Medien verstummen, weil sie durch Gerichtsverfahren eingeschüchtert werden.»

Heinz Tännler (SVP), Finanzdirektor des Kantons Zug (Bild: zvg)

Das wiederum würde auch in Tännlers Argumentation passen, der erstens der Meinung ist, seine Intervention habe keinen Eingriff in die Pressefreiheit dargestellt, und der zweitens sagt: «Die objektive, seriös recherchierte Berichterstattung ist ein hohes und schützenswertes Gut.» Nur kommt der Eindruck auf, dass für Tännler objektiv und seriös dasselbe bedeutet wie unkritisch. Und um das zu gewährleisten, geht der Zuger Regierungsrat auch das Risiko ein, sich zu widersprechen.

Die Regierung und der Widerspruch

Seit diesem Jahr macht die Regierung einen Teil ihrer Beschlüsse öffentlich zugänglich. Sie will ihre Entscheide «transparenter als bis anhin kommunizieren», wie Landschreiber Tobias Moser gegenüber zentralplus sagte (zentralplus berichtete). Nur: Wenn es konkret wird, gibt sich die Verwaltung weit zurückhaltender, als sie sich nach aussen präsentiert.

Nachdem sich die Regierung bereits geweigert hatte, zentralplus unter Berufung auf das Öffentlichkeitsgesetz Einsicht in den E-Mailverkehr mit Eurochem zu geben (zentralplus berichtete), hält sie jetzt die E-Mails zwischen Tännler und seinem Anwalt zurück. Diese E-Mails könnten darüber Aufschluss gegeben, wie der Auftrag an den Rechtsvertreter zustande gekommen ist.

Die Regierung stellt zwar die Abrechnung des Anwalts und den Beschluss zur Kostenübernahme in Aussicht, argumentiert aber, die E-Mails mit dem Anwalt unterstünden nicht dem Öffentlichkeitsgesetz. In der Verfügung zum Gesuch von zentralplus heisst es: «Der Regierungsrat hat erst nachträglich entschieden, dass zwecks Wahrung des Kollegialitätsprinzips die Kosten zulasten der Staatskasse gehen. Es handelt sich damit um private und nicht um amtliche Dokumente. Auch deshalb kann zu diesen Unterlagen kein Zugang gewährt werden.»

Anders gesagt: Um die Zahlung an den Anwalt zu rechtfertigen, sagt der Kanton, Privatperson Tännler habe diesen als Regierungsrat Tännler mandatiert; sprich: sein Amt ausgeübt (zentralplus berichtete). Und um den Mail-Verlauf nicht herausgeben zu müssen, sagt der Kanton, Regierungsrat Tännler habe als Privatperson Tännler gehandelt, sprich: sein Amt nicht ausgeübt.

Der Widerspruch verdeutlicht, was Tännler und die Regierung zwischen den Zeilen sagen, seit die Eurochem-Affäre aufs Tapet gekommen ist: Wir wollen nicht, dass darüber berichtetet wird.

Der Kanton und die Presse

Als ob diese Grundhaltung noch nicht offensichtlich genug wäre, lieferte Frau Landammann Silvia Thalmann-Gut vergangenen Freitag den letzten Beweis dafür, was sich die Zuger Exekutive unter einer funktionierenden Presse vorstellt. Wenige Tage nach zentralplus berichtete auch die «Zuger Zeitung» über den regierungsrätlichen Griff ins Portemonnaie. Sie machte den Fragenkatalog transparent, den sie den Zuger Kantonsratsparteien geschickt hatte und der Tännler offenbar erst dazu bewogen hatte, sich einen Anwalt zu nehmen.

Unter anderem fragte die Zeitung: «Würden Sie die Einberufung einer Parlamentarischen Untersuchungskommission im Kanton Zug zu dieser Angelegenheit begrüssen? Werden Sie sich im Kantonsrat dafür starkmachen oder das bekämpfen?»

Silvia Thalmann-Gut, Volkswirtschaftsdirektorin und Frau Landammann des Kantons Zug (Bild: zvg)

Für den Regierungsrat überspannte das den Bogen. Der «Zuger Zeitung» sagte Silvia Thalmann-Gut, welche die Frage nach einer PUK übrigens mit der Forderung danach gleichsetzte, man hätte sich besser auf drei der sechs Fragen beschränkt: «Die angefragten Politiker hätten dann unvoreingenommen ihre Meinung ausdrücken können.» Ohnehin hätten die Parteiexponenten die Sache als unproblematisch eingestuft. Daher habe sich das «Interesse an einer Berichterstattung» gelegt.

Die Zuger Volkswirtschaftsdirektorin sagte auf eine Medienanfrage also etwas, über das man in jeder Redaktion ungläubig den Kopf schütteln wird: Die Regierung weiss besser, worüber die Presse zu schreiben hat, als die Presse selbst.

Die Regierung wollte Ruhe und bekam das Gegenteil

Heinz Tännler und die Zuger Regierung haben in der Causa Eurochem ein Paradebeispiel für den sogenannten Streisand-Effekt abgeliefert. Denn statt sich Ruhe zu verschaffen, haben sie mit ihrer Kommunikation das exakte Gegenteil bewirkt. Und sie scheiterten auf den letzten Metern, denn als die «Zuger Zeitung» die Eurochem-Geschichte aufnahm, war diese am Ende ihres Lebenszyklus angelangt.

Fast jeder, der darüber berichten musste, hatte es bereits getan. Hätte Tännler die Fragen der «Zuger Zeitung» beantwortet, wie er es mit den Fragen von zentralplus getan hatte, wäre in absehbarer Zeit Ruhe gewesen. So aber stiess die Regierung immer weitere Aktualitäten an. Das Nachrichtenkarrussell drehte seine Runden gnadenlos weiter und kommt erst jetzt, nach den letzten Berichten über eine Antwort auf einen ALG-Vorstoss, langsam zum Stillstand.

Die grossen Gewinner dieser kommunikativen Nahtoderfahrung sind die Zuger Stimmbürgerinnen. Sie haben mehr oder weniger live mitbekommen, was ihre Regierung tut, wenn sie öffentlich unter Druck gerät. Die Schlüsse daraus wird jeder für sich selber ziehen. Was der Erkenntnisgewinn das Volk gekostet hat? 1'242 Franken und 45 Rappen.

Verwendete Quellen
  • Antwort der Zuger Regierung auf eine Kleine Anfrage der ALG
  • Schriftlicher Austausch mit Felix Uhlmann vom 19. Januar 2023
  • Schriftlicher Austausch mit Susan Boos vom 19. Januar 2023
  • Schriftlicher Austausch mit Heinz Tännler vom 17. Januar 2023
  • Verfügung der Zuger Regierung zu einem Einsichtsgesuch nach Öffentlichkeitsgesetz von zentralplus, gestellt am 17. Januar 2023
  • Artikel in der «Zuger Zeitung» vom 1. Dezember 2022
  • Artikel in der «Zuger Zeitung» vom 20. Januar 2023
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5 Kommentare
  • Profilfoto von Armando
    Armando, 25.01.2023, 20:09 Uhr

    Russenfreund Tännler hat offensichtlich so viel zu verstecken, dass er einen vom Steuerzahler bezahlten Anwalt damit beauftragt, die Wahrheit unter der Decke zu halten. Sehr fragwürdiges Vorgehen, das kein gutes Licht auf Tännler wirft.

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  • Profilfoto von Mirjam
    Mirjam, 24.01.2023, 18:58 Uhr

    Das ist es ja gerade: Allen fehlt das Fingerspitzengefühl. Irgendwann sickert diese Arroganz in alle Bereiche nach unten. Durch das Kollegialitätsprinzip sind sie derart zusammengeschweisst, dass jeder jeden deckt. Niemand konnte Tännler stoppen und Rüttimann lässt gerne andere ihren Dreck erledigen. Pfister plant die Spitalversorgung über Zugs Köpfe hinweg und Hostettler reagiert in seiner Direktion nur, wenn das Dach brennt und die Presse Rauch gerochen hat, Schleiss wiederum schweigt sich zur tragischen Kanti-Atmosphäre in Menzingen mit der dortigen Rektorin aus. Die Kommunikation ist äusserst problematisch und reizt den mündigen Bürger, an der Oberfläche zu kratzen. Die Sieben scheinen sich im Hamsterrad zu drehen; dafür sind sie ja eigentlich nicht bezahlt!

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    • Profilfoto von Max Unbill
      Max Unbill, 25.01.2023, 07:06 Uhr

      Ihr sog. «mündige Bürger» soll konsumieren, sich bespassen und maximal hoheitsgläubig, servil und lückenlos subordinativ sein. Und sich bestenfalls NICHT für Politik und damit seine Lebenswirklichkeit interessieren. Geschweige denn Einfluss entfalten wollen. Der Staat feilt seit Jahrzehnten an eben dieser Agenda – grösstmögliche politischen Apathie beim Bürger zu erreichen.

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  • Profilfoto von Gruesse vom Einhorn Schlachthaus
    Gruesse vom Einhorn Schlachthaus, 24.01.2023, 12:22 Uhr

    «Schlecht» kommunizieren – man bemerke diesen euphemistischen Anstrich, als wäre es quasi beiläufig und unbeabsichtigt aus Unvermögen, aus nachsichtiger Behäbigkeit heraus passiert – ist knallhartes politisches Kalkül. Das passiert mit System. Und wird je länger, je aggressiver, dominanter angewandt. Wäre interessant zu erfahren, welche PR-Agenturen (ich verweise auf das Öffentlichkeitsprinzip) im Hintergrund die Regierung beraten und welche Strategiepapiere im Hintergrund zur Anwendung gelangen.

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    • Profilfoto von Kasimir Pfyffer
      Kasimir Pfyffer, 24.01.2023, 15:25 Uhr

      Ach, mit einem kleinen, hübschen Adjektiv wird das doch sofort klarer! Meinten Sie vielleicht «Zuger Regierung kommuniziert vorsätzlich schlecht» ?
      Die PR-Agenturen und sonstigen Heissluftgebläse im Hintergrund, die es zweifellos gibt, wird man aber mit dem ÖP nicht herausfinden. Da bräuchte es wohl eher eine parlamentarische Anfrage. Ob sich die ALG dafür opfert?

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