Wohnungsnot in aller Munde – trotzdem stagniert die Linke
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Die Luzerner SVP legt an den Wahlen in Luzern zu, die SP tritt auf der Stelle. Dies, obwohl die derzeit diskutierten Themen insbesondere die Sozialdemokraten beflügeln müssten. Politologe Tobias Arnold erklärt, wieso.
Wohnungsnot, steigende Mieten, sinkende Kaufkraft: Derzeit grassieren viele Themen, die den linken Parteien in die Karten spielen sollten. Trotzdem konnte die Luzerner SP am Wahlsonntag ihre Sitze nur halten, die Grünen mussten einige abgeben (zentralplus berichtete). Gleichzeitig rückt das Kantonsparlament etwas nach rechts.
Insgesamt ist das Parlament des bürgerlichen Kantons Luzern also noch bürgerlicher geworden. Die SVP hat auf Kosten von Mitte und Grünen fünf Sitze zugelegt. Doch weshalb hat die SVP an diesen Wahlen derart überzeugt?
Gemäss dem Luzerner Politologen Tobias Arnold vom Forschungsinstitut Interface hat das vor allem mit der aktuellen Themenlage zu tun. In den vergangenen Wochen und Monaten hätten die Energieversorgung und Flüchtlinge die Schlagzeilen dominiert. Gleichzeitig seien wichtige Themen der Wahlen 2019, wie etwa das Klima, in den Hintergrund gerückt.
«Derzeit sind vor allem Themen, welche die SVP intensiv bewirtschaftet, im Vordergrund. Daher konnte die SVP ihre Wähler eher mobilisieren.» Dies zeigt sich auch bei Wahlen in anderen Kantonen: etwa in Zürich, Baselland und Genf.
In der Stadt profitieren Parteien von Listenverbindungen
Auffällig dabei: Die SVP konnte auch in der sonst linksdominierten Stadt Luzern punkten. Trotz des Wechsels ihres bisherigen Kantonsrats Thomas Schärli in den Wahlkreis Luzern-Land konnte die SVP ihre drei Sitze in der Stadt halten. Grosse Gewinner in diesem Wahlkreis ist jedoch die FDP. Gemäss Tobias Arnold hat sie hier vor allem von der umstrittenen Listenverbindung mit der GLP profitiert (zentralplus berichtete). «Bei Listenverbindungen profitiert vor allem eine Partei. Beim Wahlkreis Luzern-Stadt hat es vor allem der FDP genützt.»
Dies bestätigen auch neueste Auswertungen von Lustat. Die Freisinnigen haben rund 4660 Panaschierstimmen erhalten – womit sie trotz eines Verlusts von 1,9 Prozentpunkten einen Sitz gewinnen konnten.
«In unsicheren Zeiten halten die Leute viel eher an älteren Werten und bürgerlicher Politik fest.»
Tobias Arnold, Politologe bei Interface
Die GLP musste in der Stadt einen Kantonsratssitz abgeben, der bisherige Kantonsrat András Özvegyi wurde nicht wiedergewählt. Arnold hält jedoch fest: «Dieser dritte SVP-Sitz ist weniger gesichert als die anderen zwei. Bei den nächsten Wahlen könnte dieser wieder wackeln.»
Politologe: Inflation und CS verunsichern die Bevölkerung
Am anderen politischen Pol sieht es weniger sonnig aus. Die Grünen büssen Sitze und Parteistärke ein, die SP kann ihre Sitze zumindest halten. Was verwundert, da auch SP-dominierte Themen derzeit stark diskutiert werden. So etwa die Wohnungsnot. Im Zuge dessen konnte die SP in der Stadt Luzern erst kürzlich entgegen aller Erwartungen die Abstimmung der Airbnb-Initiative gewinnen (zentralplus berichtete). Wieso konnte die SP trotzdem nicht zulegen?
«Zwar grassieren derzeit tatsächlich SP-Themen», bestätigt Arnold. «Doch gerade die SVP hat es geschafft, diese Probleme mit ihrem Kernthema in Verbindung zu setzen. Beispielsweise die Wohnungsnot mit Überbevölkerung und Migration.» Während die SP mehr Staat und mehr Regulierung fordere, verorte die SVP die Lösung des Problems an den Grenzen.
Zudem seien diese Wahlen auch von einer unsicheren Wirtschaftslage geprägt. Noch immer herrsche Inflation und auch die Übernahme der Credit Suisse verunsichere die Bevölkerung. Arnold: «Die Geschichte zeigt immer wieder: In unsicheren Zeiten halten die Leute viel eher an älteren Werten und bürgerlicher Politik fest.» Bei Rezessionen oder Inflation würden vermehrt wirtschaftsliberale Politiker gewählt.
Kantonale Wahlen als Seismograph
Am 14. Mai steht der zweite Wahlgang der Regierungsratswahlen an, im Oktober die Neuwahl der National- und Ständeräte. Was sagt der Luzerner Wahlsonntag über die kommenden Wahlen aus? «Kantonale Wahlen sind wie ein Seismograph. Vieles deutet auf einen Rechtsrutsch hin», sagt Politologe Arnold. Grosse Veränderungen erwartet er jedoch nicht. «Im Grossen und Ganzen werden wir eine Zementierung der bestehenden Verhältnisse haben, also klar bürgerlich.»
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Noch sei jedoch viel Zeit bis zu den Wahlen. Die Themen könnten bis dahin wieder zugunsten der Linken drehen. Beispielsweise durch einen extrem trockenen Sommer, der das Klimathema wieder in den Fokus rücke. Entscheidend sei jedoch, dass die SP und die Grünen ihre Wähler mobilisieren können. Denn gerade in der Stadt und der Agglomeration, wo die Linke viele Stimmen holt, ist die Stimmbeteiligung deutlich tiefer als auf dem Land.
«Wichtig ist für die Parteien, die eigenen Sympathisantinnen an die Urne zu bringen.» Ob der SP das gelingt, wird sich spätestens am 14. Mai zeigen, wenn ihre Kandidatin Ylfete Fanaj voraussichtlich um einen Regierungssitz kämpft.
Hinweis: Der Artikel ist mit Erkenntnissen von Lustat Statistiken ergänzt worden, die den Nutzen der bürgerlichen Listenverbindung in der Stadt besser einordnen. Zudem ist die Aussagen Arnolds korrigiert worden, der sich in dem betreffenden Zitat auf die FDP bezogen hat.
- Wahlresultate des Kantons Luzern
- Artikel «Tages-Anzeiger»
- Telefongespräch mit Tobias Arnold, Politologe beim Forschungsinstitut Interface
- Lustat Statistiken zum Stimmenaustausch während den Wahlen 2023
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