Zuger Ex-Pirat mit neuer Idee

Wie Stefan Thöni das Schweizer Wahlrecht umkrempeln will

In Zeiten hoher Mobilität ist es laut Stefan Thöni nicht angebracht, dass Zuger nur Zuger wählen dürfen. (Bild: Barbara Inglin)

Vor vier Jahren ging Stefan Thöni bis vor Bundesgericht, um für ein anderes Wahlsystem bei den Nationalratswahlen zu kämpfen. Ohne Erfolg. Thöni findet das heutige System nach wie vor ungerecht. Jetzt macht er einen neuen Vorschlag.

2015 wars, als der damalige Zuger Pirat Stefan Thöni vor Bundesgericht für ein anderes Wahlsystem bei den Nationalratswahlen kämpfte. Noch nie zuvor hatte dies jemand getan. Thönis Beschwerde hatte es in sich: Hätte er gewonnen, so müssten die Nationalratswahlen heute schweizweit in einem ganz anderen Verfahren, nämlich im Doppelproporz, durchgeführt werden.

«Der Doppelproporz bildet den Wählerwillen schlichtweg besser ab, das lässt sich mathematisch aufzeigen», sagt Salim Brüggemann, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Demokratie Aarau. Brüggemann hat zum Thema geforscht und erklärt: «Man könnte auch sagen: Der Doppelproporz ist gerechter. Konkret spricht viel für die These, dass mit diesem Verfahren unter anderem die jüngere Generation im Nationalrat besser vertreten wäre.»

Kleine Parteien bleiben in Zug auf der Strecke

Stefan Thöni führte 2015 vor dem Bundesgericht aus, dass es für kleinere Parteien im Kanton Zug praktisch aussichtslos sei, einen Vertreter ins nationale Parlament zu wählen. In Zug braucht eine Partei mindestens 25 Prozent der Wählerstimmen, um einen der drei Nationalratssitze zu erobern. Für kleinere Parteien ein Ding der Unmöglichkeit, jedenfalls dann, wenn sie nicht mit anderen Parteien eine Listenverbindung eingehen. Thöni führte aus, dass der entsprechende Schwellenwert zum Beispiel im Kanton Zürich bei 2,86 Prozent, also rund zehnmal tiefer, liege. Das sei ungerecht.

«Mit welchem Recht will man mir vorschreiben, dass ich mich nicht durch einen Basler, Genfer oder Bündner im Nationalrat vertreten lassen darf?»

Stefan Thöni, Zuger Politiker

Thöni forderte deshalb, dass der Nationalrat im Verfahren des Doppelproporzes zu wählen sei, also so, wie dies bei Wahlen für das Kantonsparlament zum Beispiel im Kanton Zug bereits der Fall ist (siehe Box). Der Zuger Ständeratskandidat argumentierte, das heutige Wahlsystem verstosse unter anderem gegen den Uno-Pakt II. Vergebens: Die Lausanner Richter lehnten die Beschwerde von Thöni ab.

Luzern erreicht Schwellenwert gerade noch

Das grundsätzliche Problem aber bleibt. In vielen Kantonen liegt die Hürde, die es braucht, um sicher einen Nationalratssitz zu ergattern, sehr hoch. Für die kantonalen Wahlen legte das Bundesgericht fest, dass dieser Schwellenwert die Limite von zehn Prozent nicht überschreiten darf. Würde man dieses Kriterium auf die Nationalratswahlen übertragen, so würde die Mehrheit der Kantone diese Limite überschreiten, erklärt Andreas Glaser, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Zürich.

Die Idee des Doppelproporzes

Kantone wie Zug, Zürich, Schwyz, Nidwalden wählen ihre kantonalen Parlamente schon heute im Verfahren des Doppelproporzes, auch Doppelter Pukelsheim genannt. Gäbe es dieses Verfahren auf Bundesebene, so würde bei den Nationalratswahlen in einem ersten Schritt berechnet, wie viele Prozente der Wählerstimmen schweizweit auf die einzelnen Parteien entfallen. Aufgrund des errechneten Prozentanteils würde dann festgelegt, wie viele Nationalratssitze den verschiedenen Parteien schweizweit zustehen (zum Beispiel: 20 Sitze für die Partei X).

Im zweiten Schritt würde dann festgelegt, wie diese 20 Sitze der Partei X auf die einzelnen Kantone zu verteilen wären. Dieses System hilft grundsätzlich den kleinen Parteien, die so auf einen Sitz hoffen können, obwohl sie in keinem Kanton den im aktuellen Wahlverfahren nötigen Schwellenwert zu erreichen vermögen.

Es betrifft dies nämlich all jene Kantone, welche weniger als neun Sitze haben. Der Kanton Zug mit seinen drei Sitzen kommt – wie bereits erwähnt – auf einen hohen Schwellenwert von 25 Prozent. Der Kanton Luzern liegt mit seinen neun Sitzen und einem Schwellenwert von zehn Prozent exakt bei dem vom Bundesgericht als noch zulässig erklärten Wert.

Statt Gmür wäre Fischer Nationalrat geworden

Wenn ein Kanton einen hohen Schwellenwert aufweist, so bedeutet dies, dass hier besonders viele Stimmen faktisch wirkungslos bleiben. Dies darum, weil es im aktuellen Wahlsystem bei den Nationalratswahlen keine «nationale» Auswertung der Stimmen gibt, sondern in jedem Kanton separat abgerechnet wird.

Listenverbindungen vermögen heute das Problem zwar ein Stück weit zu mindern. «Es wäre aber schöner, das Wahlsystem würde das auch ohne solche Umwege erlauben», sagt dazu Daniel Bochsler, Professor für Politikwissenschaften in Wien und Belgrad und Privatdozent am Zentrum für Demokratie Aarau.

Eine schweizweite Umstellung auf das von Stefan Thöni geforderte Doppelproporz-Verfahren hätte ganz konkrete Auswirkungen. Salim Brüggemann hat berechnet, dass bei den letzten Wahlen das Ergebnis im Kanton Luzern ein anderes gewesen wäre: Anstelle von Andrea Gmür (CVP) wäre Roland Fischer (GLP) als Nationalrat gewählt worden.

Wenn man auch Bündner oder Basler wählen könnte

Stefan Thöni bezeichnet heute den Bundesgerichtsentscheid von 2015 als «zwar vertretbar, aber leider ziemlich mutlos». Politisch sei die Frage der Wahlrechtsgleichheit für ihn «immer noch ein grosses Thema». Es gehe nicht an, dass etwa ein Viertel der Zuger in Bern überhaupt nicht vertreten sei.

«Die angeführten Argumente zielen in erster Linie auf eine Reform oder Abschaffung der Kantone.»

Daniel Bochsler, Politikwissenschaftler

Und Stefan Thöni geht heute noch einen Schritt weiter: «Grundsätzlich bin ich sogar der Meinung, dass Wahlkreise überhaupt eine ungerechtfertigte Einschränkung der Wahlfreiheit sind. Denn mit welchem Recht will man mir vorschreiben, dass ich mich nicht durch einen Basler, Genfer oder Bündner im Nationalrat vertreten lassen darf?»

Experte sieht kritische Punkte

In Zeiten hoher Mobilität sei es für viele Menschen nicht mehr wesentlich, im Nationalrat mit einem lokalen Politiker vertreten zu sein, sondern vielmehr durch einen Parlamentarier, der ihre Ansichten vertritt. «Würde man auf die Kantone als Wahlkreise verzichten, könnten ja diejenigen Zuger, für die dies wichtig ist, nach wie vor nur Zuger Kandidaten wählen, aber die andern wären frei, aus der ganzen Schweiz auszuwählen.» 

Das beurteilt der Politikwissenschaftler Daniel Bochsler anders: «Das läuft dem Föderalismus zuwider; die angeführten Argumente zielen in erster Linie auf eine Reform oder Abschaffung der Kantone.» Das Argument, dass die Zuger dann weiterhin Zuger wählen könnten, ist für Bochsler wenig zielführend: «Damit die Zuger als geografische Minderheit auf schweizweiten Listen auch gewählt würden, müssten sie entweder erst nationale Bekanntheit erreichen oder es bräuchte wiederum einen geografischen Minderheitenschutz durch die Hintertür.»

Auch Thema an der Universität Luzern

Die Idee von Stefan Thöni ist in der Wissenschaft nicht neu. Am Seminar für Politikwissenschaften der Universität Luzern haben Alexander Trechsel und Diego Garcia in ihren Veröffentlichungen solche Vorschläge mit Bezug zum Europäischen Parlament gemacht. Joachim Blatter entwickelte Vorschläge zum «grenzüberschreitenden» Wählen für die nationalen Parlamente. Bei den Modellen von Blatter würden die bestehenden Wahlkreise jeweils beibehalten.

Die Idee von Stefan Thöni wäre deshalb näher bei den Vorschlägen von Trechsel und Garcia, meint Joachim Blatter auf Anfrage. «Eigentlich geht es dabei darum, dass man in einem übergeordneten Parlament einen gemeinsamen Wahlbezirk einrichtet, für den alle Wählerinnen und Wähler alle Kandidatinnen und Kandidaten wählen können – unabhängig vom Wohnort der Wähler und der Kandidaten.»

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Brokkoli
    Brokkoli, 19.10.2019, 13:38 Uhr

    Und da wäre noch die winzigkleine Minderheit der inländischen Ausländer, die weder im Kantonsparlament noch im Nationalrat vertreten ist…….

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