Ethik-Experte der Uni Luzern im Corona-Interview

«Wer sich dem Impfen verweigert, steht bald schlecht da»

«Eine Impfpflicht halte ich für Quatsch», sagt Ethiker Ernst von Kimakowitz. (Bild: AURA/zvg)

Knapp die Hälfte der Schweizer Bevölkerung ist vollständig gegen Corona geimpft, doch die Kampagne hat an Tempo eingebüsst. Dürfen die Behörden mehr Druck aufsetzen oder gar eine Impfpflicht einführen? Ernst von Kimakowitz, Ethiker an der Universität Luzern, hält einen anderen Weg für zielführender.

«Bist du geimpft?» Das ist eine Frage mit Sprengkraft dieser Tage. Nachdem die Impfkampagne des Bundes ins Stocken geraten ist, überbieten sich Politiker mit gut gemeinten Vorschlägen, um die Quote zu erhöhen. Sei es eine Impfpflicht in der Pflege, wie es die Luzerner Mitte-Ständerätin Andrea Gmür forderte, oder Impfgoodies, die dem Luzerner Gesundheitsdirektor Guido Graf vorschweben.

Ebenso wird darüber diskutiert, die Covid-Zertifikatspflicht auf weitere Bereiche auszuweiten, um den Druck auf Ungeimpfte oder Unschlüssige zu erhöhen. Ist das legitim? Das haben wir Ernst von Kimakowitz gefragt, Forschungsmitarbeiter und Habilitand am Institut für Sozialethik der Universität Luzern.

zentralplus: Ernst von Kimakowitz, sind Geimpfte aus Ihrer Sicht die besseren Menschen?

Ernst von Kimakowitz: (schmunzelt.) Nein, sie sind natürlich nicht per se bessere Menschen. Es kommt auf die Gründe an. Wer sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen kann, dem kann man dies ja schlecht zum Vorwurf machen.

zentralplus: Im Ernst: Gibt es eine ethische Pflicht, sich impfen zu lassen?

Von Kimakowitz: Es gibt ethisch gute Gründe, sich impfen zu lassen. Es ist ein Akt der Solidarität mit all denen, mit denen wir in Kontakt stehen und im Besonderen mit denjenigen, die sich nicht impfen lassen können. Wer hingegen darauf baut, dass sich alle anderen impfen lassen, damit man selbst es nicht tun muss, verhält sich als Trittbrettfahrer.

«Aus ethischer Sicht ist es schwierig, gute Gründe dafür zu finden, wieso die Gesellschaft dauerhaft die Tests für jene zahlen muss, die sich nicht impfen lassen wollen.»

zentralplus: Wenn es ethisch gute Gründe für eine Impfung gibt, wären folgerichtig Privilegien für Geimpfte legitim, oder?

Von Kimakowitz: Mich stört der Begriff der Privilegien. Er suggeriert, dass es um etwas Besonderes geht. Das tut es nicht: Wir reden über die Wiederherstellung grundlegender Freiheitsrechte. In welcher Reihenfolge und unter welchen Kriterien das geschieht, das ist eine der Kernfragen in der aktuellen Debatte.

zentralplus: Das heisst, die Frage ist, wer zuerst wieder ohne Einschränkungen leben darf. Ist es richtig, Menschen zu benachteiligen, wenn sie sich gegen das Vakzin entscheiden?

Von Kimakowitz: Bislang gilt ja die 3-G-Regel (Genesen, Getestet, Geimpft): Wer sich nicht impfen lassen will oder genesen ist, macht einen Test und hat temporär die gleichen Rechte wie Geimpfte. Klar ist für mich: Wer ungeimpft ist und den Test verweigert, den sollte man nicht an ein grosses Konzert lassen. Von Menschen, die sich gegen das Vakzin entscheiden, zu fordern, dass sie durch einen Test aufzeigen, dass sie keine Gefahr darstellen, halte ich nicht nur für ethisch vertretbar, sondern sogar für ethisch geboten. Wesentlich schwieriger wäre es, eine Differenzierung zwischen Geimpften und Getesteten zu begründen, ohne zu wissen, dass Getestete eine wesentlich grössere Gefahr für andere darstellen als Geimpfte.

zentralplus: Sollten Ungeimpfte die Corona-Tests selber zahlen müssen?

Von Kimakowitz: Das ist eine spannende Frage und ich kann mir vorstellen, dass es in diese Richtung geht. Aus ethischer Sicht ist es schwierig, gute Gründe dafür zu finden, wieso die Gesellschaft dauerhaft die Tests für jene zahlen muss, die sich nicht impfen lassen wollen. Gleichzeitig wäre es diskriminierend, wenn sich nur noch vermögendere Menschen die Tests leisten können. Da müsste man für tiefere Einkommensgruppen Vergütungen über Krankenkassen oder Sozialsysteme erwägen.

«Warum nicht einen Impf-Bus am See installieren oder einen DJ für eine Party engagieren, an der man sich impfen lassen kann?»

zentralplus: Rund die Hälfte der Schweizer Bevölkerung ist geimpft, die Behörden möchten aber eine höhere Impfquote. Ist es in Ordnung, den Druck auf die Ungeimpften zu erhöhen?

Von Kimakowitz: Eine Impfpflicht halte ich für Quatsch, denn Zwang ist der falsche Weg. Genauso wie Impf-Goodies, bei denen man Geld oder Materielles für eine Impfung erhält. Das Impfen einfacher und attraktiver zu machen, halte ich hingegen für gut und legitim.

zentralplus: Wie könnte dieser Weg aussehen?

Von Kimakowitz: Warum nicht einen Impf-Bus am See installieren oder einen DJ für eine Party engagieren, an der man sich impfen lassen kann? Man muss auf die Menschen zugehen und ihnen erklären, was eine Impfung bedeutet und welche Freiheiten sie ermöglicht. Wir haben sicher noch Luft für positive Anreize, bevor wir über Sanktionen und eine Impfpflicht nachdenken müssen.

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Ist es okay, mehr Druck auf Ungeimpfte auszuüben?
  • Ja, denn es besteht ein öffentliches Interesse an einer hohen Impfquote.
  • Nein, jegliche Art von Beeinflussung ist fehl am Platz.
  • Nur, wenn die Spitäler wieder Gefahr laufen, überlastet zu werden.

zentralplus: Gilt das auch fürs Pflegepersonal?

Von Kimakowitz: Mir liegen die genauen Daten nicht vor. Ich würde mich aber wundern, wenn sich eine so grosse Gruppe von Pflegeangestellten nicht impfen liesse, so dass die Erbringung von Pflegeleistungen in Gefahr wäre. So lange das nicht der Fall ist, ist es schwierig, eine grundlegende Andersbehandlung von Pflegepersonal zu legitimieren.

zentralplus: Einige sagen: Jetzt, wo sich alle impfen lassen konnten, können wir die Massnahmen aufheben. In einer freiheitlichen Gesellschaft hat doch jeder das Recht, sich selbst zu gefährden.

Von Kimakowitz: Ja, aber man gefährdet in dieser Pandemie eben nicht nur sich. Eine ungeimpfte Person kann unwissentlich infektiös sein, anderen Leid zufügen und das Gesundheitssystem belasten. Wenn wir die Massnahmen zu früh lockern, läuft die ganze Gesellschaft Gefahr, hinter den Status quo zurückzufallen.

zentralplus: Wiederum andere verlangen, dass die Zertifikatspflicht auf Restaurants und Fitnesszentren ausgedehnt wird. Ist das zulässig?

Von Kimakowitz: Das kommt auf die Umstände an. Wichtig wären evidenzbasierte Lösungen. Wie hoch ist die Ansteckungsgefahr im Gym? Wie gross ist der Unterschied zwischen der Aussen- und Innengastronomie? Die Politik sollte aufgrund von Fakten entscheiden.

«Wir sind nicht ein Haufen von Egomanen, sondern ganz praktisch solidaritätsfähig.»

zentralplus: Im realpolitischen Alltag ist diese Evidenz aber nicht immer vorhanden.

Von Kimakowitz: Das ist leider so und ein Teil der Demokratie, in der wir leben. Wichtig scheint es mir, dass die Entscheide nie in Stein gemeisselt sind. Wir müssen flexibel bleiben und die Situation stets neu bewerten. Wenn das Virus zum Beispiel eine Variante entwickeln sollte, bei der die Impfung nicht wirkt, würde sich alles ändern.

zentralplus: Die Diskussion ist emotional und teils sogar gehässig. Viel ist von einer Spaltung der Gesellschaft die Rede. Wie nehmen Sie die aktuelle Corona-Debatte wahr?

Von Kimakowitz: Die Demokratie lebt vom Diskurs. Dass dieser auch mal emotional geführt wird, ist grundsätzlich begrüssenswert. Es ist nur schade, wenn dadurch die Sachlichkeit verloren geht. Und wenn versucht wird, politisch daraus Kapital zu schlagen, indem man populistische Gefühlswelten bedient. Das passiert in der Covid-Debatte teilweise.

zentralplus: Was sollte die Politik stattdessen tun?

Von Kimakowitz: Die Menschen aufklären, sodass sie besser eigenverantwortlich handeln können. Wir sind nicht ein Haufen von Egomanen, sondern ganz praktisch solidaritätsfähig. Das zu bestärken ist ein gangbarer Weg, bevor wir weiter über Zwänge reden.

zentralplus: Glauben Sie, dass die Impfquote durch eine bessere Aufklärung steigt?

Von Kimakowitz: Was wir derzeit wissen, spricht auf überwältigende Weise dafür, sich impfen zu lassen. Deshalb bin ich überzeugt: Wer sich verweigert, wird ziemlich bald schlecht dastehen.

zentralplus: Wie meinen Sie das?

Von Kimakowitz: Der englische Sender BBC berichtete kürzlich über einen Impfverweigerer, der schwer an Covid erkrankte und anschliessend seine vorherige Haltung bereute. Das ist ein Einzelfall, aber solche häufen sich und zeigen: rational ist es schwierig, gute Gründe gegen das Impfen zu finden. Das heisst nicht, dass Impfen risikolos ist. Aber die Argumente für die Impfung sind wesentlich stärker.

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