10 Thesen zum Scheitern von Alternativen und SP

Wer ist schuld am Rauswurf der Linken aus der Zuger Regierung?

Nachdenklich im Kantonsrat: Manuela Weichelt-Picard.

(Bild: Killian Bannwart)

Nach 95 Jahren purzelt die Linke aus der Zuger Kantonsregierung. Doch warum? Haben sich SP-Kandidatin Barbara Gysel und der alternative Anwärter Andreas Hürlimann gegenseitig ausgebremst? Hat Gysels Frauenbonus Hürlimann entscheidende Stimmen gekostet? Oder ist der späte Verzicht von Regierungsrätin Manuela Weichelt (ALG) schuld? Hier gibt’s 10 Thesen dazu.

Eine Stellungnahme will Manuela Weichelt am Sonntag zu den Regierungsratswahlen nur als Frau Landammann des Kantons Zug abgeben. «Alles ist korrekt abgelaufen. Die Wahlbeteiligung war erfreulich hoch», sagt sie und denkt lange nach.

Für inhaltliche Analysen möge man sich doch an den Parteipräsidenten wenden, bittet die alternative Regierungsrätin, die sich im Frühjahr wider Erwarten entschloss, nicht für eine vierte Amtszeit zu kandidieren.

1. Weichelts Verzicht brachte die Linken durcheinander

Sie brachte damit politische Freunde in Bedrängnis. Kandidaten mussten kurzfristig umdisponieren oder mit einem Kaltstart in den Wahlkampf gehen. Das hat bei der Linken damals schon zu lauten Auseinandersetzungen geführt (zentralplus berichtete). Auch nach der Wahlniederlage hält die SP-Kandidatin Barbara Gysel fest: «Es ist unbestreitbar, dass der überraschende Entscheid eine seriöse Planung der Wahlen für beide linken Parteien erschwert hat.»

Worunter Andreas Hürlimann von der ALG wohl mehr gelitten hat als Barbara Gysel. Doch davon später mehr.

2. Die CVP ist unanfechtbar die grösste Macht im Kanton Zug

Hürlimann selbst sieht das grosse Ganze. Die erfolgreiche Dreierkandidatur der CVP ist für ihn der Grund für den Verlust des linken Sitzes, sagt er diplomatisch (zentralplus berichtete). Die Zahlen sprächen eine deutliche Sprache.

Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. (Eilige Leser springen deshalb geradewegs zu These acht.)

Die CVP hat schon bei der ersten Majorzwahl im Kanton Zug vor vier Jahren bewiesen, dass sie das Wählerpotential hat, um einen dritten Sitz in der siebenköpfigen Regierung zu erringen.

3. Der Bisherigenbonus fehlte den Linken diesmal

Damals war der Christdemokrat Martin Pfister gewählt worden, aber als Überzähliger ausgeschieden. Manuela Weichelt hatte als profilierte Magistratin vom Bisherigenbonus profitiert und den linken Sitz verteidigt.

Ein Blick zurück zeigt indes, dass die Dreierkandidatur der CVP ursprünglich nicht dazu gedacht war, den letzten linken Sitz in der Zuger Regierung zu erobern. Vielmehr machte sich die CVP Sorgen, dass die FDP, die mit zwei ziemlich unbekannten Kandidaten die beiden freisinnigen Langzeitregierungsräte Matthias Michel und Urs Hürlimann ersetzen wollte, einen Sitz verliert.

4. Die CVP hat die Gunst des Augenblicks geschickt genutzt

Bevor sich die Linken mit bekannten Kandidaten ein zweites Mandat schnappen, versuchen wir, es selbst zu kriegen, dachte man sich. Der damalige CVP-Kantonalparteipräsident Pirmin Frei hatte sich aber an der Parteiversammlung im Casino Zug kaum getraut, den Plan wirklich vorzuschlagen (zentralplus berichtete).

Die CVP-Basis fand ihn indes gut und als Manuela Weichelt ihren Verzicht auf eine erneute Kandidatur bekanntgab, profitierten die Christdemokraten geschickt vom Momentum und zauberten mit Silvia Thalmann-Gut jene Frau aus dem Hut, die nun Weichelts Sitz übernehmen kann.

5. Thalmann-Gut profitierte massiv vom Frauenbonus

Mit Weichelts Verzicht drohte im Kanton Zug eine reine Männerregierung. Thalmann-Gut präsentierte sich als Ausweg, ebenso wie Gysel, die vor dem Verzicht Weichelts eigentlich in die Zuger Stadtregierung gewählt werden wollte.

Nun ist die Geschlechterfrage für ein bürgerliches Elektorat kaum von Belang, erklärt der Luzerner Politologe Olivier Dolder (zentralplus berichtete). Ob Frauen in der Regierung vertreten sind, sei vor allem für Wähler links der Mitte wichtig.

Die Frage ist: Stimmt dies auf die Wahlen in Zug bezogen? Fakt ist, dass Thalmann-Gut als dritte CVP-Kandidatin rund 6000 Stimmen mehr machte, als vier Jahre zuvor der dritte CVP-Kandidat Martin Pfister. Und dies ohne erkennbar aufwändigen Wahlkampf. Die einzige mögliche Schlussfolgerung lautet: Auch Silvia Thalmann-Gut profitierte massiv vom Frauenbonus, weil offenbar viele bürgerliche Wähler keine reine Männerregierung wollten.

Barbara Gysel am Zuger Wahlsonntag.

Barbara Gysel am Zuger Wahlsonntag.

(Bild: Elias Wyrsch)

Zum Frauenbonus gibt es bei den Politikern widersprüchliche Ansichten. Barbara Gysel weist auf die Kampagne der Frauenzentrale und das Bemühen der FDP-Frauen um eine weibliche Regierungsratskandidatur hin. Es gäbe sehr wohl auch auf bürgerlicher Seite ein Bedürfnis nach einer angemessenen Frauenvertretung in der Politik, sagt sie.

Als Beweis dafür führt sie etwa den Wahlerfolg der Chamer SVP-Anwärterin Brigitte Wenzin Widmer an, welche die Wahl ins Kantonsparlament schaffte und zwei bisherige männliche SVP-Abgeordnete ausbootete.

Doch das weibliche Geschlecht kann auch ein Nachteil sein: Andreas Lustenberger, der Präsident der Alternativen – die Grünen sagt, er habe bei den Kantonsratswahlen beobachtet, wie Panaschierstimmen aus dem bürgerlichen Lager die Wahl von linken Kandidatinnen verhindert hätten.

Insofern kann man sich fragen, ob Andreas Hürlimann mit seiner Kandidatur Barbara Gysel ausgebremst hat, da er Stimmen aus dem bürgerlichen Lager auf sich zog, die sonst an sie gegangen wären. Denn Gysel hat ja eigentlich besser abgeschnitten als Hürlimann.

6. Für die linke Niederlage war die Geschlechterfrage nicht ausschlaggebend

Auf der anderen Seite bleibt offen, ob Barbara Gysel in der linken Wählerschaft vom Frauenbonus profitiert und Hürlimann Stimmen weggeschnappt hat, mit denen er den alternativen Regierungssitz hätte verteidigen können.

Denkbar wäre es. Aber gegen diese These sprechen die vielen Stimmen, die den beiden linken Kandidaten am Schluss fehlten, um gewählt zu werden. Zweitens hat Gysel in sieben von elf Zuger Gemeinden mehr Stimmen als Hürlimann geholt, nicht nur in den urbanen Zentren.

«Warum redet man davon, dass ich jemandem Stimmen weggeschnappt hätte?», fragt Gysel. Die meisten linken Wähler hätten sowohl Hürlimann wie auch sie auf die Wahlliste gesetzt. Zudem sei das Bestreben der SP nach einem eigenen Regierungsratssitz legitim – schliesslich sei man jahrzehntelang in der Regierung vertreten gewesen.

7. Das Wahlverhalten hat sich trotz Majorz nicht geändert

Die Regierungsratswahlen 2018 waren erst die zweiten Wahlen im Kanton Zug, die nach Mehrheitswahlrecht (Majorz) stattfanden. Im Majorz fördert man seine Lieblingskandidaten am besten, wenn man nur sie auf die Liste setzt und diese ansonsten leer lässt.

Viele Wähler verhalten sich aber immer noch so wie zu Proporzzeiten und reichen ein komplettes Siebnerticket für die Regierung ein. Oft mit Leuten aus allen politischen Lagern drauf. Doch auf einer solchen Siebnerliste haben natürlich nicht alle Kandidaten Platz. Das bedeutet, dass sich ähnlich positionierte Kandidaten gegenseitig die Stimmen abspenstig machen.

 

Will die Zuger Linke je wieder zurück in die Regierung, muss sie ihren Wählern diesen Zusammenhang deutlich machen. Es ist wenig hilfreich, wenn ihre Spitzenkandidaten dazu aufrufen, sieben Namen auf die Liste zu setzen, wie dies etwa Barbara Gysel gegenüber zentralplus getan hat (zentralplus berichtete). So stärken sie immer auch die politische Konkurrenz.

Indes ist die Aufforderung im Vereinsmagazin der Alternativen, dem «Bulletin», ausschliesslich Andreas Hürlimann auf den Wahlzettel zu schreiben, ebenso wenig dazu geeignet, die künftige Zusammenarbeit und das Vertrauensverhältnis zwischen SP und ALG zu befördern.

8. Die Linke hat die Erfordernisse des Wahlsystems zu wenig berücksichtigt

Nicht nur die Zuger Wähler sind immer noch in alten Mustern verhaftet, auch die beiden linken Parteien haben die Erfordernisse des neuen Wahlsystems zu wenig berücksichtigt. Bei einer Majorzwahl wird nur gewählt, wer ausserhalb der eigenen Wählerschaft punkten kann. Das heisst für die Linken, Wähler zu begeistern, die sonst GLP, CVP, FDP oder SVP wählen.

Doch kann das eine profilierte Legislativpolitikerin wie Barbara Gysel, die im Stadtparlament und im Kantonsrat sitzt und als SP-Kantonalparteipräsidentin klare Kante zeigen muss, in genügendem Ausmass?

 

 

Gysel kann diesbezüglich darauf verweisen, dass sowohl sie wie auch Hürlimann eigentlich mit absolutem Mehr gewählt wurden. Sie schieden lediglich als Überzählige aus. Ausserdem: «Wäre Manuela Weichelt nochmals angetreten und hätte gleich viele Stimmen wie vor vier Jahren gemacht, hätte es ihr diesmal wohl ebenfalls nicht gereicht», sagt sie.

«Vielleicht hat das Geld ja doch einen Einfluss auf den Ausgang der Wahlen?»

Andreas Lustenberger, Präsident ALG

Weichelt machte damals 14’703 Stimmen. Die CVP-Kampfkandidatin verbuchte diesmal hingegen über 16’000 Stimmen und auch die beiden FDP-Neulinge immer noch mehr als 15’000, wobei die Wahlbeteiligung höher war als 2014. Die ganze Exekutiverfahrung von drei Amtsperioden hätte also eventuell nicht für die Verteidigung des linken Sitzes gereicht.

9. Andreas Hürlimann hätte mehr Vorlaufzeit gebraucht

Wie auch immer: Andreas Hürlimann wirkt für Bürgerliche eigentlich wählbar. Er war vier Jahre Bauchef in Steinhausen und hat für den Job Anerkennung geerntet. Er kann auch mit seinem Berufshintergrund als Betriebsökonom punkten. Als Exekutivpolitiker hat er sich schon länger als Gysel ein magistrales Auftreten angewöhnt – im Kantonsrat sind bei den Alternativen in der Regel andere Abgeordnete für die schrillen Töne verantwortlich.

Die Frage ist jedoch, inwieweit sein Wirken über die Vorortsgemeinde Steinhausen hinaus bekannt geworden ist. «Mit mehr Vorlaufzeit wäre er noch bekannter geworden», sagt Parteipräsident Andreas Lustenberger.

Humor ist wenn man trotzdem lacht: Andreas Hürlimann.

Humor ist, wenn man trotzdem lacht: Andreas Hürlimann.

(Bild: Elias Wyrsch)

Als gemässigter Politiker ist Andreas Hürlimann darauf angewiesen, seine Kandidatur sorgsam und langfristig aufbauen zu können. Insofern hat ihm der Verzicht Weichelts und der späte Start in den Wahlkampf mehr geschadet als Barbara Gysel, die als Parteipräsidentin und Stapi-Kandidatin in Zug mehr Aufmerksamkeit bekommen hat als Hürlimann. Dem standen nur der Kantonsrat und die Dorfexekutive als Plattform zur Verfügung.

10. Die Werbemittel der Linken waren beschränkt

Ein weiterer Punkt ist dem grünalternativen Parteipräsidenten wichtig: Der ungleiche Einsatz von finanziellen Mitteln im Wahlkampf. Einzelne Regierungsratskandidaten hätten vier oder mehr Postversände gemacht und massiv mehr in die Plakatwerbung investiert. «Wir sind da schon etwas erschrocken», so Lustenberger. Tatsächlich war der massive Effort der FDP, die zwei neue Kandidaten in die Regierung hieven konnte, unübersehbar. «Vielleicht hat das Geld ja doch auch einen Einfluss auf den Ausgang der Wahlen?», fragt sich Lustenberger.

Die ALG versuchte, mit einer Transparenzinitiative Gegensteuer zu geben und im Frühsommer durch die Offenlegung der eigenen Wahlkampfmittel andere Parteien ebenfalls dazu zu bewegen, ihren Werbeetat bekanntzugeben. «Das hat nicht funktioniert», so Lustenberger.

Die Schlussfolgerung ist einfach, aber schwer umzusetzen

Bei These acht, dass linke Kandidaten bei Majorzwahlen eben noch mehr Stimmen ausserhalb der eigenen Wählerschaft machen müssten, ist man sich bei SP und ALG einig. Und: «Der Gewinn von wichtigen Wahlen wird künftig noch stärker von einer gemeinsamen Strategie abhängen», so Lustenberger. Bei Wahlen in den Nationalrat und Regierungsrat müsse man sich besser absprechen. «Auch bei den Wahlen in den Zuger Stadtrat, in dem weder ALG noch SP mehr vertreten sind, wäre dies gut», so Lustenberger.

Allerdings: Die Kräfteverhältnisse von SP und Alternativen haben sich angeglichen. Die SP – lange in der Krise – hat stetig Wähleranteile zurückgewonnen. 2018 bei den Kantonsratswahlen ist man nun praktisch ebenauf. Die Alternativen liegen bei den gewichteten Wählerzahlen immer noch etwas vorne und haben deshalb auch noch zwei Mandate mehr. Die SP haben indes leicht mehr Parteistimmen für sich verbuchen können. Es müssen sich also zwwi gleich starke Partner zusammenraufen.

«Es stimmt schon, beide Parteien haben einen legitimen Anspruch auf Mandate», sagt Andreas Lustenberger von der ALG. «Das macht die Ausgangslage schwierig – aber nicht unmöglich.» 

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Hans Peter Roth
    Hans Peter Roth, 09.10.2018, 17:34 Uhr

    Ich möchte noch folgende drei Thesen zur Wahlniederlage der Linken bei der Regierungsratswahl anfügen:
    1. Die Majorzwahl ist weniger demokratisch als die Proporzwahl, weil sie die wählerstarken Parteien bevorteilt zulasten der kleineren.
    2. Die Wählerschaft hat sich in den letzten 12 Jahren infolge der bürgerlichen Steuerpolitik stetig gewandelt: Tendenziell sind Angehörige der Unter- und Mittelschicht in Nachbarkantone abgewandert, weil sie die Zugerischen Lebenskosten nicht mehr aufbringen konnten oder wollten. Stattdessen wandern mehr und mehr Mammoniten (Menschen, die Geld zu ihrer Religion gemacht haben) zu. Sie wählen diejenigen Parteien, welche ihnen am nützlichsten erscheinen. Solange dieser Trend anhält, sind die politischen Erfolgschancen für die Linke im Kanton Zug limitiert.
    3. Der Wahlkampf war weitgehend flau und unpolitisch. Die Wähler konnten aus dem riesigen Angebot an Kopfsalat auf den Plakaten und Flyern das sympathischste Lächeln oder die hübscheste Krawatte aussuchen. Für welche Ziele diese Köpfe stehen, blieb weitgehend ein Geheimnis. Es fanden keine Podiumsgespräche statt, wo die Wählerinnen den Politikern hätten auf den Zahn fühlen können. Ein solch entpolitisierter Wahlkampf führt dazu, dass vorwiegend jene zur Urne schreiten, welche genau wissen, mit welchen Politikern ihre Privilegien und ihr Reichtum am besten gewahrt bleibt.

    Indem die Linke dieses Spiel mitspielte, legte sie den Grundstein für den Misserfolg bei der Regierungsratswahl. Anstatt die bürgerlichen Wähler von der eigenen Ungefährlichkeit überzeugen zu wollen, hätte man sich besser an die Mehrheit der Nichtwähler gewandt, welche – das ist kein Geheimnis – eher sozial benachteiligte, bildungsferne Schichten umfasst und Leute, die von der Politik schlichtweg enttäuscht sind. Wenn die linken Parteien versucht hätten, jeden zehnten Nichtwähler an die Urne zu bewegen, wäre das Resultat anders ausgefallen. Dabei gab es noch nie so viele Gründe, keine Politiker zu wählen, welche den lokalen und globalen Raubbau an Menschen und Natur unterstützen. Eine Mehrheit der Menschen sind Opfer der herrschenden Politik, aber sie wissen es nicht. Und hier liegt die Aufgabe der Linken, auch bei Wahlen.

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