Partei stellt das System infrage

Diese grosse Zuger Gemeinde ringt um ein Parlament

Entscheid an einer Gemeindeversammlung: Gehören solche Bilder bald zur Vergangenheit? (Bild: Symbolbild: wahlkampfblog.ch)

Auf ein Neues: Die Baarer GLP bringt das Thema eines Gemeindeparlaments nach mehreren Versuchen wieder ins Spiel. Der Gemeinderat ist wenig begeistert davon. Aus mehreren Gründen.

Ein Gedankenspiel: Der FC Hinterbümplitzen braucht neue Garderoben. An der Gemeindeversammlung der fiktiven 5000-Seelen-Gemeinde, an der normalerweise 45 ältere Herrschaften teilnehmen, sind an dem Abend, an dem über neue Kästchen, Gemeinschaftsduschen sowie einen Clubraum abgestimmt wird, plötzlich dreimal so viele Menschen anwesend. Darunter auffällig viele o-beinige 18- bis 25-Jährige. Das Resultat: Der FC Hinterbümplitzen erhält neue Garderoben und einen Clubraum.

Die Mobilisierung für gewisse Anliegen ist ein altbewährtes und probates Mittel bei Gemeindeversammlungen, wenn auch ein eher willkürliches. Denn die o-beinigen jungen Damen und Herren tauchen womöglich erst Jahrzehnte später wieder an einer Gemeindeversammlung auf. Oder dann, wenn über dein neues Fussballfeld entschieden wird.

Baar ist nicht Hinterbümplitzen

Nun ist die Gemeinde Baar nicht Hinterbümplitzen. Die Zuger Gemeinde zählt rund 25’000 Einwohnerinnen. Ist eine Gemeindeversammlung da noch zeitgemäss? Die Baarer GLP-Sektion bezweifelt es. «In einer immer komplexer werdenden Welt, in der Entscheidungen oft rasch und fachkundig getroffen werden müssen, stellt sich die Frage, ob dieses Gremium noch das effizienteste Instrument ist», gibt die Partei in einem Vorstoss zu bedenken, den sie im Dezember bei der Gemeinde Baar eingereicht hat. Das Ziel der Motion: dass der Gemeinderat einen Vorschlag zur Einführung eines Gemeindeparlaments erarbeitet.

Das kommt dir bekannt vor? Genau. Es ist nicht der erste Versuch, die politischen Mechanismen zu verändern. Seit dem Jahr 2002 wurden sechs Motionen und eine Interpellation eingereicht, die entweder die Stärkung der Kommissionen oder die Einführung eines Parlaments forderten. So etwa die IG Baarlament, bestehend aus einer Handvoll junger Menschen, die sich für ein Parlament einsetzte, oder aber die GLP, die bereits in früheren Jahren für das Anliegen einstand.

Die zweitgrösste Gemeinde der Schweiz ohne Parlament

In ihrem neuesten Vorstoss gibt die GLP zu bedenken, dass Baar die zweitgrösste Gemeinde in der Schweiz ist, die kein Gemeindeparlament hat. Die grösste bildet Rapperswil-Jona. Die Gemeinde hatte eine Einführung eines Parlaments im Jahr 2023 knapp abgelehnt.

«Das Hauptanliegen unserer Motion ist, dass die Bevölkerung als oberstes Organ der Gemeinde über ein Parlament entscheiden können soll.»

Daniel Rotzetter, Baarer GLP-Präsident

Weil eine Abstimmung über ein Gemeindeparlament an der Gemeindeversammlung wohl naturgemäss scheitern wird, fordern die Grünliberalen mit ihrer Motion, dass die Baarer Bevölkerung mittels Urnenabstimmung über das Thema abstimmen wird. Der Baarer GLP-Präsident Daniel Rotzetter dazu: «Das ist uns wichtig zu betonen: Das Hauptanliegen unserer Motion ist nicht die Einführung des Parlaments, sondern dass die Bevölkerung als oberstes Organ der Gemeinde darüber entscheiden können soll.» Klingt nach einer simplen Forderung.

Die Länge der Gemeinderatsantwort – sie nimmt in der Broschüre zur Gemeindeversammlung 13 Seiten ein – verrät jedoch, dass es so einfach nicht ist. Darin wird unter anderem ausführlich darauf eingegangen, wo die Vor- und Nachteile von Parlament und Versammlung aus Sicht des Gemeinderats liegen. Nämlich in folgenden Punkten:

Weiter erklärt der Gemeinderat detailliert, wie das politische System in der Gemeinde Baar funktioniert, wie die Kommissionen aufgestellt sind, inwiefern die Gemeindeordnung in den vergangenen Jahren bereits angepasst wurde und was die Einführung eines Parlaments aus personeller und finanzieller Sicht bedeuten würde. Letztlich gibt der Rat preis, dass er selbst gegen die Einführung eines Parlaments sei und für die Beibehaltung des «Baarer Modells» mit Gemeindeversammlung und Kommissionsarbeit.

In seiner Antwort auf die Motion geht der Gemeinderat auch auf den Blick der Wissenschaft auf das Thema ein und darauf, dass es «keine empirisch erhärtete Evidenz» gebe, die eindeutig für das eine oder das andere System spreche. Rotzetter dazu: «Ich glaube, gerade weil jeder für sich auslegen muss, was ihm wichtig ist, und die Sache nicht wissenschaftlich belegbar ist, ist es umso wichtiger, möglichst viele Menschen dazu zu befragen.»

Motionäre dürfen Gemeinderat nicht «übersteuern»

Das klingt nach einer relativ einfachen Forderung. Der Baarer Gemeindepräsident Walter Lipp widerspricht: «Das politische Instrument Motion ist nicht darauf ausgelegt, eine Urnenabstimmung zu initiieren. Sie ist vielmehr ein Werkzeug, um Vor- und Nachteile eines Themas zu diskutieren, bei dem sich die Stimmberechtigten und alle Parteien äussern können.»

Ob der Vorschlag anlässlich einer Gemeindeversammlung oder einer Urnenabstimmung unterbreitet werde, liege in der Kompetenz des Gemeinderats und könne von der Motionärin nicht vorgegeben beziehungsweise gefordert werden. Bei dieser Aussage bezieht sich der Gemeindepräsident auf das Gemeindegesetz.

Doch was passiert, wenn die Mehrheit der Stimmbürgerinnen an der Gemeindeversammlung vom 11. Juni für eine Erheblicherklärung der GLP-Motion ist? «Dann müssen wir eine Vorlage ausschaffen, damit die Stimmbevölkerung an der Urne Ja oder Nein sagen kann zur Ausschaffung eines Parlaments beziehungsweise zu einer neuen Gemeindeordnung», so Lipp.

Eine neue Gemeindeordnung, nur für den Schredder?

Und weil der Gemeinderat nicht wolle, dass die Stimmbürger die Katze im Sack kaufen würden, müsse diese Gemeindeordnung im Hinblick auf eine Urnenabstimmung bereits im Detail ausgearbeitet werden. «Die heutige Gemeindeordnung müsste einer Totalrevision unterzogen werden», sagt Lipp.

«Sagt das Stimmvolk dann bei der Urnenabstimmung Nein zum Parlament, können wir die ausgearbeitete Gemeindeordnung schreddern.»

Walter Lipp, Baarer Gemeindepräsident

Er führt aus: «Eine Totalrevision benötigt aufgrund der Komplexität, der Vernehmlassungsfristen et cetera rund zwei Jahre Zeit. Eine Abstimmung könnte deshalb frühestens im Jahr 2027 und damit nach Abschluss der aktuellen Legislatur erfolgen.» Die Entscheidung obliege deshalb voraussichtlich dem im Herbst 2026 neu gewählten Gemeinderat. «Sagt das Stimmvolk dann bei der Urnenabstimmung Nein zum Parlament, können wir die ausgearbeitete Gemeindeordnung schreddern.»

GLP hofft auf Diskussion um die eigentliche Sache

Dazu sagt Rotzetter: «Uns ist bewusst, dass die Aufsetzung eines Vorschlags einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Eine sorgfältige Ausarbeitung erhöht die Chance, dass das Modell langfristig funktioniert und breite Unterstützung findet.»

Was erhofft sich die GLP realistischerweise von der kommenden Gemeindeversammlung? Rotzetter dazu: «Für mich gibt es zwei mögliche Szenarien. Es ist denkbar, dass der Fokus der Diskussion beim Thema Parlament, Ja oder Nein, bleibt. Dann dürfte die Haltung der Versammlung naturgemäss abwehrend sein. Vielmehr hoffe ich jedoch, dass der Fokus darauf gelegt wird, ob die Bevölkerung dazu befragt werden soll.»

Verwendete Quellen
  • Vorlage für die Gemeindeversammlung
  • Telefonischer Austausch mit Daniel Rotzetter, Baarer GLP-Präsident
  • Schriftlicher Austausch mit der Gemeinde Baar
  • Telefonischer Austausch mit Walter Lipp, Gemeindepräsident Baar
  • Frühere Berichterstattungen
0 Kommentare
Aktuelle Artikel
Apple Store IconGoogle Play Store Icon