Luzerner Wissenschaftler sieht Parallelen

Was uns der Kampf gegen Corona über die Klimakrise lehrt

Sieht Parallelen zwischen Corona- und Klimakrise: der Luzerner Andreas Balthasar. (Bild: jal)

Die Coronakrise zeigt: Am Geld fehlt es der Schweiz nicht. Das braucht es auch im Kampf gegen die Klimaerwärmung, sagt Andreas Balthasar. Für den Luzerner Politikwissenschaftler hängt die Bewältigung vor allem davon ab, wie man die Menschen überzeugen kann. Das Rezept: Gespräche, «Klima-Influencer» – und vielleicht auch ein paar Verbote.

Er kennt sich mit den beiden grössten Krisen der Gesellschaft aus: Andreas Balthasar evaluiert im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) derzeit die Covid-19-Krisenbewältigung in der Schweiz. Ein erster Bericht zur Anfangsphase der Pandemie ist im Dezember 2020 veröffentlicht worden (siehe Box).

Der Professor für Politikwissenschaften an der Universität Luzern und Gründer des Beratungsinstituts «Interface» beschäftigt sich gleichzeitig mit dem Klimawandel. Beim nationalen Forschungsprogramm zum Energieverbrauch, das er präsidiert, kam er 2020 zum Schluss, dass die Energiewende machbar ist. Balthasar war als Vertreter der Wissenschaft auch Teil der Begleitgruppe für die Klimastrategie der Stadt Luzern.

Was haben Klima- und Coronakrise gemeinsam? Welche Lehren kann die Schweiz aus der Bewältigung der Pandemie für den Kampf gegen die Erderwärmung ziehen? Und wie schlagen sich Stadt und Kanton Luzern mit ihren Klimaplänen?

zentralplus: Herr Balthasar, Sie evaluieren das Krisen-Management des Bundes. Welche Note würden Sie dem Bundesrat geben?

Andreas Balthasar: Diese Frage wurde mir auch schon gestellt. Da aber die meisten unserer Untersuchungen noch unveröffentlicht sind, kann ich dazu nur sagen: Die Schweiz hat die Krise verhältnismässig gut gemeistert, aber wir hatten auch Glück. Und genügend Geld.

zentralplus: Trotzdem ist im Vorfeld der Abstimmung zum Covid-Gesetz diesen Sonntag viel Unzufriedenheit zu spüren.

Balthasar: Umfragen zeigen, dass die Bevölkerung mit dem Krisen-Management des Bundes mehrheitlich zufrieden ist. Und in keinem anderen Staat sind die gesetzlichen Grundlagen durch eine Volksabstimmung legitimiert. In der Schweiz wurde das Covid-19-Gesetz im Juni 2021 von den Stimmberechtigten angenommen. Dennoch ist es interessant, sich vertieft mit den Kritikerinnen und Kritikern der Änderungen am Gesetz auseinanderzusetzen, über die wir jetzt abstimmen.

«Die Schweiz hat innert Kürze rund 40 Milliarden Franken für die Bewältigung der Coronakrise aufwenden können. Geld ist also vorhanden!»

zentralplus: Inwiefern?

Balthasar: Was sind das für Leute, die auf die Strasse gehen, was treibt sie an, wie kann man sie erreichen – und wie relevant ist die Gruppe überhaupt? Darüber gibt es relativ wenig Informationen und das ist eines der Defizite in der Krisenbewältigung. Die Task-Force war lange zu stark medizinisch und epidemiologisch ausgerichtet. Aber diese Krise ist nicht allein eine gesundheitliche, sondern auch eine gesellschaftliche Herausforderung. 

zentralplus: Eine Gesellschaftskrise sagt uns manches auch angesichts des Klimawandels voraus. Sehen Sie auch Parallelen?

Balthasar: Auf jeden Fall. Ich fange mit dem Positiven an: Die Schweiz hat innert Kürze rund 40 Milliarden Franken für die Bewältigung der Coronakrise aufwenden können. Geld ist also vorhanden! Das braucht es auch, damit wir die Energiewende schaffen. Im Rahmen unseres nationalen Forschungsprogramms «Energie» haben wir nämlich zeigen können, dass die Energiewende technisch machbar ist. Sofern wir bereit sind, die nötigen Gelder zu investieren. 

zentralplus: Und das Negative?

Balthasar: Das Hauptproblem ist die gesellschaftliche Akzeptanz. In der Corona-Pandemie ist ein Teil der Bevölkerung nicht überzeugt, dass wir den Weg gehen müssen, den die Behörden vorschlagen. Beim Klima ist das ähnlich. Möglicherweise ist der Anteil jener, welche nicht von der Notwendigkeit der Energiewende überzeugt sind, sogar grösser als bei Corona. Denn bei Corona sind die Folgen sehr direkt spürbar –  beim Klima sind die Folgen viel diffuser.

zentralplus: Man erhält beim Klimawandel nicht täglich neue Zahlen, welche die Entwicklung dokumentieren.

Balthasar: Genau. Und wie bei Covid gibt es beim Klimawandel Stimmen – nicht nur Trump –, die ihn nicht als Problem anerkennen. Eine Studie des Forschungsprogramms «Energie» geht von rund 20 Prozent der Schweizer Bevölkerung aus.

zentralplus: Das heisst: Es gäbe eine Lösung, aber es fehlt der Wille zur Umsetzung.

Balthasar: Ja, und zwar nicht in erster Linie beim Finanziellen, sondern beim Verhalten. Deshalb ist es so wichtig, dass man Wege sucht, um den Wandel zusammen mit der Bevölkerung zu gestalten.

«Es braucht glaubwürdige Persönlichkeiten, die für eine Sache einstehen. Und natürlich viele Gespräche, Geld und einen langen Atem.»

zentralplus: Was heisst das an einem konkreten Beispiel?

Balthasar: Nehmen wir die Windenergie: Österreich hat ein Vielfaches mehr Windkraft als wir. Obwohl die Landschaft, das politische System und die Menschen vergleichbar sind. Wo ist der Unterschied? Bei uns wird Windkraft nicht als technische Errungenschaft betrachtet, auf die man stolz sein kann, sondern als Objekt des Widerstands. Dabei könnte man sagen: Das ist unsere Zukunft, wir müssen nicht mehr vom Ausland Öl importieren, sondern sind vom Ausland unabhängig.

zentralplus: Aber da sind die hohen Kosten und Veränderung macht vielen Angst.

Balthasar: Die Schweiz hat das Geld, das hat die Pandemie eindrücklich gezeigt. Damit eine Veränderung möglich ist, braucht es aber eine positive Stimmung. Das Biosphäre-Reservat im Entlebuch ist ein sehr gutes Beispiel; auch das KKL in Luzern konnte nur realisiert werden, weil regionale Führungspersönlichkeiten hinstanden und sagten: Dieser Weg ist eine gute Sache für uns alle.

zentralplus: Sie sprechen von Klima-Influencern.

Balthasar: Genau, so etwas in der Art. Es braucht glaubwürdige Persönlichkeiten, die für eine Sache einstehen. Und natürlich viele Gespräche, Geld und einen langen Atem.

zentralplus: In der Covid-Krise mussten die Menschen auch davon überzeugt werden, sich einzuschränken, um die Krise zu bewältigen. Wie gut ist das aus Ihrer Sicht gelungen?

Balthasar: Die Bevölkerung war in den letzten 18 Monaten relativ diszipliniert. Vor allem in der ersten Phase der Krise waren wir stolz auf die Solidarität, auf die Nachbarschaftshilfe, auf unser Pflegepersonal. Nur schon deshalb würde ich die oft gehörte These von der Spaltung der Gesellschaft nicht vorbehaltlos unterstützen. Beim Impfen ist es sicher komplexer. Aber dieses Thema war schon vor Corona sehr emotional geprägt.

zentralplus: Bei der Coronakrise war die Zeitspanne absehbar, beim Klima müssen wir unser Verhalten dauerhaft umstellen.

Balthasar: Darum ist es wichtig, dass neue Verhaltensmuster nicht als Belastung empfunden werden. Nehmen wir das Beispiel Pendeln. Für viele ist es anstrengend, täglich weit zu reisen und im Stau zu stehen. Es muss bequemer sein, mit dem Zug zur Arbeit zu fahren. Da kann der Umstieg gelingen, selbst wenn die Leute ihn nicht aus ökologischen Gründen machen, sondern aus Komfort – gerade deswegen kann es gelingen.

zentralplus: Corona hat das Leben heruntergefahren. Wird davon etwas bleiben, das dem Klima hilft?

Balthasar: Ich bin überzeugt, dass im Arbeitsleben einige Veränderungen Bestand haben. Es wird weniger Geschäftsflüge geben und mehr Homeoffice. Studien zeigen ja, dass die Leistung nicht darunter leidet. Der Freizeitverkehr wird dagegen vermutlich weiterwachsen.

«Gut begründete Verbote sind eine einfache und gerechte Massnahme. Anreize allein führen dazu, dass sich Reiche klimaschädliches Verhalten leisten können.»

zentralplus: Blicken wir noch auf die Luzerner Klimapolitik: Stadt und Kanton haben dieses Jahr ihre Klimapläne veröffentlicht. Die Strategie der Stadt Luzern setzt stärker auf Vorgaben und Verbote, der Bericht des Kantons eher auf Anreize und Informationen. Welches ist die bessere Strategie?

Balthasar: Aus politologischer Sicht gibt es vor allem drei Wege, um politische Ziele zu erreichen: Carrots, Stick und Sermons. Man kann Karotten anbieten, also Anreize: Das Pferd bewegt sich. Man kann es schlagen – Sticks stehen für Verbote – und es bewegt sich. Oder man kann es durch gutes Zureden – Sermons stehen für Informationen – zum Sichbewegen bringen. Die Literatur kommt zum Schluss, dass es eine Kombination braucht. Persönlich glaube ich, dass man in der Energiepolitik zwar mit Anreizen arbeiten soll, es – in der Hinterhand – aber auch den Knüppel im Sack braucht.

zentralplus: Also Verbote.

Balthasar: Ja, denn sie sind nicht einfach nur schlecht, wie manche behaupten. Gut begründete Verbote sind eine einfache und gerechte Massnahme. So ist es beispielweise wirksam und auch gerecht, wenn Energieschleudern verboten werden. Anreize allein führen dazu, dass sich Reiche klimaschädliches Verhalten leisten können.

zentralplus: Sind Informationen wirksam? Die Masken im Zug wurden im ersten Coronajahr ja erst angezogen, als der Bund das von einer Empfehlung in eine Pflicht umwandelte.

Balthasar: Informationen und Empfehlungen sind wichtig. Wir müssen wissen, warum wir unser Verhalten ändern sollen. Im Zug kamen sich aber viele merkwürdig vor, weil die Menschen ringsum keine Maske trugen. Daher hat die Empfehlung nicht ausreichend gewirkt. Oft erleichtern klare Vorgaben das Handeln der Menschen. Ein gutes Beispiel ist auch die 0-Promille-Grenze bei jungen Autofahrern: Es gibt keine Diskussion mehr, ob ein Glas drinliegt oder vielleicht zwei. Sondern ganz einfach: keines.

Wie hat der Bund die Covid-Krise gemeistert?

Das Covid-Krisenmanagement des Bundes hat im ersten Halbjahr 2020 grundsätzlich gut funktioniert. Zu diesem Schluss kam das Luzerner Unternehmen Interface im ersten Teil der Gesamtevaluation, der im Dezember 2020 veröffentlicht wurde. Die Analyse stützte sich auf die Befragung von über 120 Personen aus der Bundesverwaltung, aus Kantonen und Externen, wobei die Kantone sich kritischer äusserten als der Rest.

Der Bericht benannte auch elf Baustellen, um das Krisenmanagement zu verbessern. So empfahl er etwa, die Digitalisierung zu beschleunigen – die per Fax übermittelten Coronafallzahlen sorgten in der ersten Welle für Schlagzeilen. Ebenso sollten Bund, Kantone und Dritte die Bereitstellung kritischer Güter, etwa medizinisches Material, verbindlicher regeln. Auch da gab es am Anfang Probleme, weil viel zu wenig Schutzmasken verfügbar waren.

Der zweite Teil befasst sich auch damit, weshalb das Krisenmanagement in der zweiten Welle in viel grössere Schwierigkeiten geriet. Die Ergebnisse sind noch nicht publik.

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2 Kommentare
  • Profilfoto von Julien Binkert
    Julien Binkert, 27.11.2021, 13:14 Uhr

    Zur Windkraft: Gut gemeint ist das Gegenteil von gut. Einmal abgesehen davon, dass die Windturbinen – genau wie das Öl – aus dem Ausland (v.a. China) kommen, ist Windstromproduktion eben nicht nachhaltig. Weil enorme Mengen an Material und grauer Energie für Herstellung, Transport, Aufbau und Entsorgung benötigt werden. Es braucht neue Zufahrtsstrassen, damit die schweren Teile per LKW zum Standort transportiert und aufgebaut werden können (zu schwer für Helis). Oft müssen auch Waldstücke gerodet werden, um den vorgeschriebenen Abstand zu den Siedlungen einzuhalten. Für den Sockel sind Dutzende Tonnen Beton und Stahl erforderlich.

    Die riesigen Rotoren sind auch für das Artensterben von Insekten, Vögeln und Fledermäusen mitverantwortlich, also ökologisch bedenklich. Ihre Entsorgung nach dem Ende der Lebensdauer (max. 25 J.) ist völlig ungelöst. Sie bestehen aus glasfaserverstärktem Kunststoff und enthalten Gifte. Die Sockel bleiben für immer im Boden. Beim Ersatz der ausrangierten Anlagen beginnt das Ganze von vorne, mit neuen Sockeln an neuen Standorten etc. Dies alles für eine wetterabhängige Stromproduktion, wobei auch mehrtägige Flauten möglich sind. Stichwort: kalte Dunkelflaute, d.h. weder Sonnen- noch Windstrom bei grosser Kälte.

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  • Profilfoto von Fabrizio
    Fabrizio, 27.11.2021, 10:50 Uhr

    Ich kann nicht verstehen, wie ein so renommierter Wissenschaftler solche verfehlte politische Aussagen machen kann.

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