Politik
Zum Bundesgerichtsurteil im Fall Bodum/zentralplus

Was es in Luzern kostet, Recht zu erhalten

Das Betreten der früheren Bodum-Villa hatte Prozesskosten von über 40'000 Franken zur Folge. (Bild: hch)

100 Franken. So viel hätte es die frühere zentralplus-Journalistin Jana Avanzini im Jahr 2016 im Fall Bodum gekostet, eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs durch Begleichen der Busse aus der Welt zu schaffen. Fünf Jahre später hätte sie stattdessen auf Kosten von über 40’000 Franken sitzenbleiben können. Warum es sich finanziell nicht lohnt, in Luzern Recht haben zu wollen, auch wenn man letztinstanzlich Recht bekommt.

Ende gut, alles gut? Nur teilweise. Das Bundesgericht hat vor Wochenfrist das Verfahren gegen die frühere zentralplus-Redaktorin Jana Avanzini eingestellt (wir berichteten). Es ist das Ende eines fünfjährigen Kampfes um die Rolle der Medien, gefochten mit ungleichen finanziellen Spiessen und ausgetragen vor einem Schiedsrichter, dessen eigene Haltung nicht über jeden Zweifel erhaben ist. Lange Auseinandersetzungen tragen in aller Regel mannigfaltige Verletzungen nach sich, so auch hier.

Die Player und ihre finanzielle Lage

Auf der einen Seite steht Jørgen Bodum, laut «Bilanz» 150 Millionen Franken schwer. Er residiert auf einem Seegrundstück in Meggen, nur wenig kleiner als der nahe Segelhafen. Von hier aus lenkt er nicht nur seine verschiedenen Firmen, sondern auch seinen Anwalt. Von Beginn an ist es sein erklärtes Ziel, mit aller Härte gegen die Gruppe «Gundula» vorzugehen, die im April 2016 eine seit zwei Jahren leerstehende Villa an der Obergrundstrasse besetzte. Und ebenso gegen die Medien, die über den Fall berichten. Reihenweise werden sie von der Staatsanwaltschaft zur Einvernahme vorgeladen.

So auch Jana Avanzini, die als Redaktorin für zentralplus tätig war und eine Reportage über die Besetzer schrieb. Ihr Gesuch, als Journalistin vom Strafantrag ausgenommen zu werden, wird vom dänischen Küchengerätehersteller abschlägig beantwortet. Später bezeichnet es Bodum «als Effekthascherei, wenn sich die beschuldigte Journalistin nun mit einer selektiven beziehungsweise subjektiven Darstellung über die Medien als Opfer darstellen will».

Druck auf Gegenpartei durch hohe Kosten

Anwaltskosten, so viel ist klar, sind für Bodum Mittel zum Zweck. So tritt er bei diesem Verfahren, das von der Staatsanwaltschaft gegen Avanzini geführt wird, als Nebenkläger auf und lässt bis zuletzt immer wieder neue Eingaben und Parteistellungen verfassen. Darunter auch fragwürdige Indizien wie seitenlange Ausdrucke von Leserkommentaren.

Die Kosten dafür haben sich auf mehrere Zehntausend Franken summiert und stellen ein veritables Druckmittel dar. Zwar haben die Gerichte die Kostenforderungen seines Rechtsvertreters jeweils gekürzt, teilweise massiv. Das Signal, das damit vermittelt wird, ist aber deutlich: Wir unternehmen alles, damit es in der Endabrechnung für die unterlegene Partei richtig teuer wird.

Auf der anderen Seite steht eine Journalistin und junge Mutter. Nur durch die Unterstützung von zentralplus, einer grossartigen Community und einer Spende von Reporter ohne Grenzen war es ihr überhaupt möglich, den Fall durch alle Instanzen zu ziehen.

Gut 35'000 Franken betragen die in Rechnung gestellten Kosten bis zum heutigen Tag. Im Falle einer Niederlage vor Bundesgericht wäre eine weitere Entschädigung für Bodums Anwalt dazu gekommen. Ausserdem hätten die Busse von 500 Franken und Gerichtskosten für Vorinstanzen bezahlt werden müssen. Alles in allem deutlich über 40'000 Franken.

Nun wird der Steuerzahler für Bodum zur Kasse gebeten

Mit ihrem Urteil haben die Lausanner Richter die durch das Luzerner Kantonsgericht verfügten Kosten an die Vorinstanz zurückgewiesen. Sollten die Luzerner Kantonsrichter dabei analog dem Bundesgericht vorgehen, werden die Aufwände zwischen Bodum und dem Staat aufgeteilt. Avanzini dürften Gerichtskosten, Bodums Anwaltskosten sowie die eigenen Anwaltskosten erlassen werden, letztere wohl nicht vollumfänglich. Für diese muss teilweise der Luzerner Steuerzahler aufkommen.

Die Bürger müssen somit nicht nur die Fehlurteile der Luzerner Richter finanzieren, sondern auch Bodums Wunsch nach rechtlicher Härte. Denn immerhin hatte die Staatsanwaltschaft das Verfahren zu Beginn im Jahr 2016 eingestellt. Die Kosten betrugen zu diesem Zeitpunkt knapp 5'000 Franken. Erst ein Einspruch von Bodum als Nebenkläger führte zu den folgenden Gerichtsverfahren.

Peter Studer, zu diesem Zeitpunkt Abteilungspräsident am Bezirksgericht Luzern, ahnte schon damals, dass sein nun kassierter Schuldspruch aus dem Jahr 2019 gegen Avanzini nicht von Bestand sein könnte. «Es kann durchaus sein, dass eine höhere Instanz das anders sieht», sagte er später gegenüber zentralplus.

Es klingt wie eine spätere Rechtfertigung für ein Urteil, in dem er als Medienexperte auftrat und den Wert einer Reportage zu beurteilen versuchte – angestiftet von einem Rechtsanwalt, der vor Gericht in bester Trump-Manier fast eine Stunde über Journalisten herzog.

Eigener Aufwand nicht entschädigt

Und die inzwischen freigesprochene Avanzini? Ihr bleibt die Genugtuung, nicht vorbestraft zu sein und Recht erhalten zu haben. Ausserdem werden ein Teil der Kosten übernommen. Sollte am Ende dank den Spenden gar ein Überschuss resultieren, wird dieser von zentralplus – wie während des Fundraisings angekündigt – für weitere Rechtsfälle zurückgestellt.

Eine Entschädigung für ihre Aufwände und Spesen während der letzten fünf Jahre steht Jana Avanzini hingegen nicht zu. Wie mehrere Leserinnen und Leser bei unserer Berichterstattung zum Bundesgerichtsurteil anmerkten, muss man es sich in der Schweiz leisten können, Recht zu erhalten. Vor allem, wenn man es mit einem Widersacher zu tun hat, der seine finanziellen Ressourcen als Druckmittel einsetzt.

Da mag noch mancher der Versuchung erliegen, die einstige Busse von 100 Franken zu bezahlen – selbst wenn man sich im Recht weiss.

Das Urteil und seine Bedeutung für die Medien

Das Urteil im Fall Avanzini/zentralplus wurde vom Bundesgericht in Fünferbesetzung gefällt und ist für die Publikation vorgesehen. Damit messen die Lausanner Richter dem Fall eine grundsätzliche Bedeutung bei.

Die Staatsanwaltschaft hatte ihre Verfahrenseinstellung 2016 noch mit einer Güterabwägung begründet: «Das Informationsbedürfnis der Leserschaft war aufgrund der konkreten Umstände zur Tatzeit gegeben. […] Die Berichterstattung lag zweifelsohne im öffentlichen Interesse und war durch die Medien- und Pressefreiheit grundrechtlich geschützt, womit diese letztlich auch unter dem Aspekt der Wahrung berechtigter Interessen nicht als unrechtmässige Handlung klassifiziert werden sollte.» Die beiden nachfolgenden Instanzen gewichteten die Interessen des Eigentümers allerdings höher als das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit.

Diese Begründung kritisierten denn auch zwei Basler Anwälte letzten Dezember in ihrer Urteilsbesprechung im Fachmagazin «Medialex». Zwar liege das Urteil des Kantonsgerichts auf der Linie der Rechtssprechung. Doch es sei falsch, dass die Luzerner Richter in der Hauptsache auf die Berichterstattung der beschuldigten Journalistin abstelle und nicht nach der Interessenslage zum Zeitpunkt der Recherche. «Diese Auffassung überzeugt nicht und ist überdies Beleg dafür, dass die Richterinnen und Richter mit der Arbeitsweise von Journalistinnen und Journalisten offenbar wenig vertraut sind».

Das Bundesgericht nahm dazu, ob unsere Berichterstattung durch die Pressefreiheit grundrechtlich geschützt ist, in seinem abschliessenden Urteil keine Stellung mehr (zentralplus berichtete). Wir hätten uns natürlich gewünscht, dass das Bundesgericht in dieser Frage, die uns während der gesamten Verfahrensdauer beschäftigte, Klarheit schafft. Damit wäre die Rolle der Medien gestärkt und etwas Rechtssicherheit für Journalisten erreicht worden.

Da das höchste Schweizer Gericht erkannt hat, dass sich Bodums Strafantrag nur gegen die Hausbesetzer, nicht aber gegen eine Journalistin richtet, bleibt diese Einordnung leider aus. Neue Regeln schafft das Urteil hingegen für all jene, die einen Hausfriedensbruch einklagen wollen. Diese werden zukünftig präzise definieren müssen, gegen welchen Personenkreis sie gerichtlich vorgehen wollen.

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