Der Zuger Bundesratskandidat im Portrait

Heinz Tännler, der Ehrgeizige: Macher oder Karrierist?

Der Zuger Finanzdirektor Heinz Tännler will in den Bundesrat. (Bild: Kilian Küttel)

Tiefe Steuern, wenig Fragen – niemand steht so für Zug wie Heinz Tännler. Jetzt kandidiert er in einer Bundesratswahl, die praktisch gelaufen ist. Wieso? Und was ist das für ein Mann, den die einen in Zug einen Macher, die anderen einen arroganten Karrieristen nennen?

Donnerstag vor einer Woche, nachmittags um 20 nach 2. Martin Pfister ist ein grosser Mann mit breiten Schultern und unbequemer Aufgabe. Der Zuger Gesundheitsdirektor muss dem Kantonsrat Red und Antwort stehen, die SP verlangt Auskunft zu den schlechten Arbeitsbedingungen in der Pflege.

Ein Problem, das es wohl in der Schweiz, nicht aber in Zug zu geben scheint, wie das oft der Fall ist: «Ich sehe nicht, wo die Bedingungen so schlecht sein sollen. Da müssen Sie mir Beispiele nennen», sagt Pfister nach links und unter den Augen der Politikerinnen und Journalisten, die die Debatte im 1873 eingeweihten Kantonsratssaal verfolgen.

Sie tun das wie die Granden vergangener Jahrhunderte, die an den Wänden unter der Decke verewigt sind und die mit ihren Namen für die Geschichte des Standes Zug stehen: Franz Xaver Dominik Brandenberg, Stadtschulpräfekt und Erziehungsrat (1774 bis 1824). Franz Karl Stadlin, Arzt und Polizeidirektor (1777 bis 1829). Franz Fidel Landtwing, Präsident des Zuger Kriegsrats (1714 bis 1782). Unter dessen Porträt lehnt, als gehörte er zu ihnen, mit verschränkten Armen und herunterhängenden Mundwinkeln, der Mann am Türrahmen, der wie niemand sonst für Zugs Gegenwart steht: Heinz Tännler, geboren am 10. Mai 1960, Regierungsrat seit 2007, Finanzdirektor seit 2016 – und ab 1. Januar 2023 möglicherweise Bundesrat. 

Albert Rösti gilt als Favorit

Seit Mitte Oktober, und der Ankündigung in den Zeitungen von CH Media, kennt das Land Tännlers Ambitionen auf die Nachfolge von Bundesrat Ueli Maurer. Tännler machte zum Dreikampf, was ein Duell war und heute ein Rennen von fünf Kandidierenden ist. Wobei für viele feststeht, dass der Sieger Albert Rösti heissen wird. Die Partei solle eine Auswahl haben, sagte Tännler zu seinen Beweggründen (zentralplus berichtete).

Politanalyst Mark Balsiger: «Tännler könnte es aufs Ticket schaffen»

Am 18. November entscheidet die SVP-Fraktion, wen sie ins Rennen für die Bundesratswahl vom 7. Dezember schickt. Falls es ein Dreierticket geben sollte, stehen Heinz Tännlers Chancen auf eine Nominierung gut, sagt Polit-Analyst Mark Balsiger: «Mit ihrer Falschaussage zu ihrer doppelten Staatsbürgerschaft hat Michèle Blöchliger ihre Glaubwürdigkeit weitgehend verspielt. Da die SVP zudem kaum zwei Berner nominieren wird, wäre Tännler ziemlich sicher auf einem Dreierticket vertreten, falls es ein solches gibt.»

Selber sagt der Zuger Finanzdirektor, er sei sich bewusst, dass er «überschaubare Chancen» habe. Auch Balsiger zufolge wäre es unwahrscheinlich, dass sich Tännler durchsetzt: «In den allermeisten Fällen entscheiden sich die Mitglieder des nationalen Parlaments für Kandidierende, die sie gut kennen. Tännler ist zwar schon seit bald 16 Jahren Regierungsrat, aber deutlich weniger gut vernetzt im Bundeshaus als die Konkurrenten aus Bern und Zürich.» Hinzu komme seine Verbindung zur Fifa und die liberale Haltung zum Thema Briefkastenfirmen, die ihm seit Jahren Kritik von links einbringe. «Aus dem linksgrünen Lager würde Tännler deshalb keine Stimmen holen», so Balsiger.

Antreten der Form halber; geht das zusammen mit dem Ehrgeiz, den man dem 62-Jährigen nachsagt? Was ist das für ein Mensch, den die «NZZ» General nannte und von dem es weit herum heisst, er sei nicht nur die Spitze der siebenköpfigen Regierung, sondern leite die Geschicke des Kantons Zug quasi in Eigenregie?

«Solche Aussagen kann ich nicht ernst nehmen. Wir sind ein Gremium. Und ich wüsste auch nicht, dass ich irgendwelche Generalallüren hätte.» Vier Tage nach der Kantonsratssitzung lehnt sich Heinz Tännler in seinem Stuhl zurück und schaut durch die breite Fensterfront seines Büros. Blick auf Bahngleise und Betreibungsamt; fünfter Stock an der Baarerstrasse, Rohstoffhändler und Immobilienfirma, Anwaltsbüro und Beteiligungsgesellschaft im gleichen Haus. Viel mehr Zug bringt man nicht unter ein Dach.

Wer zahlt, soll mitbestimmen

Eine knappe Stunde dauert das Gespräch, in dem Tännler viel Bekanntes sagen wird: Dass sich die Zürcher SVP bis zur Kandidatur von Hans-Ueli Vogt lange nicht geregt habe, dass der Wirtschaftsraum Anspruch auf einen Bundesrat habe, dass er sich seiner überschaubaren Chancen bewusst und dass Albert Rösti medial schon fast «heilig gesprochen» sei. Dass es aber auch eine Auswahl brauche und es «ja wohl nicht sein kann, dass wir am Ende des Tages nur Nehmerkantone im Bundesrat haben.»

Lange galt: Spricht die Schweiz von Tännler, spricht sie vom Nationalen Finanzausgleich. Jedes Jahr zahlt Zug mehr nach Bern, 366 Millionen Franken werden es 2023 sein, 2864 Franken pro Kopf. Kein Kanton überweist mehr (zentralplus berichtete). Und wer zahlt, soll mitbestimmen, sagt Tännler: «Es ist an der Zeit, den Kanton Zug zu positionieren. Wir sind ein toller Kanton, der sich wie alle anderen auch an die Gesetze hält, aber sehr erfolgreich unterwegs ist. Und für diesen Erfolg haben wir gearbeitet.»

«Er ist ein Macher, ein Schaffer, einer, der die Sachen anpackt und nicht liegen lässt.»

Laura Dittli, Präsidentin Die Mitte Zug

Ein Zuger im Bundesrat - für Tännler der logische Schritt. Dass er sich in dieser Rolle sieht - für viele keine Überraschung. Nicht nur, weil er 2011 und 2015 Ambitionen hegte, sondern weil es Tännlers Wesen entspricht, gross zu denken. Und weil ihn ein Arbeitsethos auszeichnet, wie es viele noch nicht gesehen haben. «Dem kannst Du am Sonntagmorgen ein E-Mail schreiben, hast am Mittag eine Antwort und dann ruft er Dich an und fragt, ob Du das Mail bekommen hast», sagt Zari Dzaferi, langjähriger Kantonsrat und Vizepräsident der Zuger SP.

Aus der Finanzdirektion hört man, Tännler sei am Morgen schon und am Abend noch da. «Er hat immer ein offenes Ohr», sagt Michael Arnold, Chef der FDP-Fraktion im Zuger Kantonsparlament. Parteikollege und SVP-Fraktionschef Philip C. Brunner gibt an: «Er führt sehr systematisch, ist zielstrebig, unglaublich engagiert. Er wäre ein sehr guter Bundesrat, auch wenn Zug bei seiner Wahl einen sehr guten Regierungsrat verlieren würde.» Und von Mitte-Präsidentin und Bald-Regierungsrätin Laura Dittli heisst es: «Er ist ein Schaffer, ein Macher, der die Sachen angeht und nicht liegen lässt.»

Tännler: «Mir ist nicht einfach alles Wurst»

«Er hat einen unglaublichen Ehrgeiz», meint auch Reto Steinmann, Anwalt und Notar in Zug, bekannt geworden als Einzelrichter der Schweizer Eishockeyliga und Anfang der 2000er-Jahre Partner in Tännlers Kanzlei in der Zuger Vorstadt. Heute hat Steinmann sein Büro an der Bahnhofstrasse in Zug, wo er an einem runden Tisch erzählt, wie er Tännler zum ersten Mal in seine Velo-Gruppe mitgenommen hat: «Wir sind Mehrtagestouren gefahren, privat, im Freundeskreis, aber auf ambitioniertem Niveau.» Tännler sei neu und untrainiert dazugestossen. Innert kürzester Zeit habe er zum vordersten Drittel gehört: «Der wollte nicht einfach auf die Alpe d’Huez kommen. Der wollte zu den ersten fünf von fünzehn gehören, mindestens.»

«Bundesrat, das ist ein pickelharter Job.»

Heinz Tännler, Zuger Finanzdirektor und Bundesratskandidat

Als das Gespräch im fünften Stock an der Baarerstrasse auf den Ehrgeiz kommt, schüttelt Heinz Tännler den Kopf: «Die Leute haben ein falsches Bild. Mir ist einfach nicht alles Wurst.» Klar, brauche es Ziele, man müsse wissen, wohin man wolle. Dann sei der Ehrgeiz gesund: «Schlecht wird es, wenn der Ehrgeiz zum Nachteil eines Anderen geht», sagt Tännler und fügt an, er gönne jedem seinen Erfolg. Wenn Albert Rösti gewinne, sei er «wahrscheinlich der Erste», der ihm auf die Schultern klopft und gratuliert.

«Und ihm einen gesunden Ehrgeiz wünscht.» Weil, das dürfe man auch mal sagen, Bundesrat, das sei ein pickelharter Job: «Die Leute haben immer das Gefühl, das sei 'cheibe' glatt, so ein bisschen Bundesrat. Nein, da brauchen Sie dicke Haut, klare Zielvorstellungen, einen ordnungspolitischen Kompass. Da braucht es einen gesunden Ehrgeiz, um die Ziele zu erreichen. Das ist Verantwortung tragen.»

Und davor würde er sich nicht drücken. «Wir haben heute viele, die erzählen den ganzen Tag. Aber die Verantwortung müssten sie dann auch noch übernehmen», sagt Tännler und lacht auf, als er hört, für gewisse Leute sei er ein Karrierist. Einer, der nur Bundesrat werden wolle, weil das die nächste Stufe auf der Leiter sei.

Hein Tännler während seiner Kampagne im Ständeratswahlkampf 2019. Bild: zvg (Bild: zvg)

Lebensziel Bundesrat?

Es wäre der Höhepunkt in Tännlers Vita: Wurzeln im Haslital, aufgewachsen in Zug und Steinhausen, Kantonsschule Zug, Universität Zürich, im Militär Soldat; Gerichtsschreiber; Divisonsgericht 9a. Dann Anwaltspatent, eigene Kanzlei, FDP-Kantonsrat, Fifa, für die SVP in der Kantons- und vielleicht bald in der Landesregierung. Ein Karrierist? «Dann wäre ich in der Privatwirtschaft geblieben», sagt Tännler: «Ein Karrierist führt nicht 16 Jahre erst die Bau- dann die Finanzdirektion. Ich war immer da, nehme meinen Auftrag wahr. Das ist auch ein Leistungsausweis.»

«Bei Gerhard Pfister hat mit dem Ukraine-Krieg ein Umdenken stattgefunden, einem Tännler dagegen geht diese geistige Beweglichkeit vollkommen ab.»

Jo Lang, ehemaliger Zuger Nationalrat

Die Führungserfahrung in der Exekutive ist Tännlers grosses, vielleicht sein einziges Argument im Wahlkampf. «Er ist ein ausgewiesener Exekutivpolitiker», sagt Matthias Michel, Zuger FDP-Ständerat und zuvor 12 Jahre lang mit Tännler im Regierungsrat: «Er ist führungsstark, schreitet voran.» Ein Typ wie Tännler fordere einen Rat, auch einen Bundesrat. «Man muss sich jetzt fragen, was für ein Profil man will», sagt Michel: «Wir kommen aus einer Krise, ringen mit einer möglichen Energiemangellage und finanziell stehen uns auf Bundesebene harte Zeiten bevor. Also wäre eine Person im Bundesrat geeignet, die weiss, wie man ein Sparpaket schnürt und umsetzt. Das trifft auf Heinz sicher zu.»

Jo Lang kritisiert «idelogischen Starrsinn»

Was bei den einen Führungsstärke und Selbstbewusstsein heisst, bezeichnen andere als Arroganz. Und was für manche tiefes Vertrauen in die eigene Überzeugung ist, nennt Jo Lang «ideologischen Starrsinn». Lang, Ex-Nationalrat der Zuger Grünen, gehört seit je her zu den schärfsten Kritikern von Tännlers Fifa-Verbindung. 2011 weibelte er mit einem Rundschreiben in Bern gegen Tännlers damaligen Bundesratspläne. Heute sagt Lang: «Zusammen mit Gerhard Pfister war Tännler der innigste Verfechter des Zuger Modells, die hätten nie eine Firma oder einen Oligarchen kritisiert. Bei Pfister hat mit dem Ukraine-Krieg ein Umdenken stattgefunden, einem Tännler dagegen geht diese geistige Beweglichkeit vollkommen ab.»

Einen Eindruck davon konnte sich Anfang Jahr das ganze Land verschaffen. In einem SRF-Beitrag zu den Russland-Sanktionen sagte Tännler, Aussenpolitik sei Sache des Bundes, nicht des Kantons – und vermittelte so das Bild eines Zugs, das sich zwischen Recht und Moral immer für Variante drei entscheiden wird: das Geld.

Bei allem Ehrgeiz: Tännler plädiert für Gelassenheit

Heute sagt Tännler, die Aussage sei zu Beginn des Treffens gefallen. Dass er gefilmt wurde, sei ihm nicht bewusst gewesen. Dazu heisst es von der SRF-Medienstelle, Tännler sei tatsächlich überrascht gewesen: «Obwohl offensichtlich war, dass er bereits gefilmt wurde. Er wurde mit einem Mikrofon verkabelt und der SRF-Kameramann filmte das Gespräch», so eine Mediensprecherin. Darüber hinaus habe Tännler einige Tage später «explizit» seine Erlaubnis gegeben, das Material zu veröffentlichen. Auch gegenüber zentralplus sagt Tännler, er habe sich nicht gegen eine Berichterstattung gewehrt.

«Inhaltlich stehe ich noch immer hinter jedem Wort», sagt Tännler und hebt an, von der vorbildlichen Arbeit und den akribischen Abklärungen Zugs zu erzählen. Die habe man schliesslich erst machen können, als der Bund endlich verständlich gemacht hat, was er von den Kantonen will.

Während Tännler redet, einem wie schon das ganze Gespräch über nicht richtig in die Augen schaut und man sich beim Gedanken ertappt, Tännlers Charakter könnte wie seine nach hinten gekämmte Frisur sein – glatt geleckt, aber nicht schmierig – kommt der Eindruck auf, dass vielleicht wahr ist, was andere sagen: Dass er für Zug nur das Beste will. Auch wenn sich nicht alle einig sind, was das Beste ist. «Wissen Sie», sagt Tännler und kommt auf den SRF-Beitrag zurück, «ich glaube nicht, dass mir der Auftritt auf die Füsse fallen wird. Und wenn, dann soll es so sein.»

Man könne nicht nur vom Ehrgeiz sprechen, sondern müsse gewisse Sachen auch mit der nötigen Gelassenheit anschauen: «Ich bin ich. Ich habe mich noch nie verstellt, das mache ich nicht. Punkt.»

Verwendete Quellen
  • Gespräche mit: Heinz Tännler, Zari Dzaferi, Michael Arnold, Philip C. Brunner, Laura Dittli, Reto Steinmann, Matthias Michel, Jo Lang und Mark Balsiger
  • Gespräche mit weiteren Quellen, die nicht zitiert oder namentlich nicht genannt werden
  • Besuch der Kantonsratsdebatte vom 27. Oktober 2022
  • Angaben aus dem Historischen Lexikon der Schweiz zu Franz Xaver Dominik Brandenberg, Franz Karl Stadlin und Franz Fidel Landtwing
  • Artikel von CH Media, unter anderem erschienen in der «Zuger Zeitung»
  • Artikel in der «NZZ»
  • Medienmitteilung des Kantons Zug zum Nationalen Finanzausgleich
  • Beitrag von SRF
8 Kommentare
Aktuelle Artikel
Apple Store IconGoogle Play Store Icon