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Der Bund warnt, dass der Strom in der Schweiz bald knapp werden könnte. Ein Ausbau der Windkraft könnte dabei Abhilfe schaffen. Doch ein Luzerner Fallbeispiel zeigt, dass die Politik dazu nachbessern muss.
Es werde Licht. Dazu braucht es in der Schweiz nicht mehr, als auf den Lichtschalter zu drücken. Diese Tatsache ist so sicher wie das Amen in der Kirche – vermeintlich. Denn der Bundesrat warnt seit Monaten davor, dass der Schweiz ab 2025 eine Strommangellage droht. Nebst der Pandemie sei das die grösste Gefahr für die Versorgung der Schweiz, wie Bundesrat Guy Parmelin im vergangenen Herbst sagte.
Schweizweit erhielten im Herbst 30’000 Unternehmen mit einem hohen Stromverbrauch Post aus Bern, in der sie darüber informiert wurden, dass sie womöglich bald den Strom rationieren müssen. Das Bundesamt für Energie hat zudem in einer Studie aufgezeigt, dass die Schweiz ab 2025 jeweils Ende Winter für knapp zwei Tage keinen Strom mehr haben könnte. Sitzen wir also plötzlich im Dunkeln? Ein fast unvorstellbares Szenario für die wohlhabende Schweiz.
Luzerner Fallbeispiel zeigt das Problem auf
Das Hauptproblem: Die Schweiz ist im Winter von Stromimporten abhängig. Um diese Abhängigkeit zu verringern, braucht es mehr Strom, der hierzulande produziert wird. Die FDP denkt darum laut über den Bau neuer Atomkraftwerke nach (zentralplus berichtete). Und der Chef der Papierfabrik Perlen hat grosses Interesse daran, auf seinem Industrieareal ein neues Gaskraftwerk zu bauen (zentralplus berichtete).
Doch es gäbe auch nachhaltige Alternativen zu Atom- und Gaskraftwerken. Beispielsweise die Windkraft. Doch deren Ausbau stockt. Das Bewilligungsverfahren für neue Windräder ist kompliziert und langwierig und der lokale Widerstand gegen solche Projekte jeweils gross. Bestes Beispiel dafür ist der geplante Windpark auf dem Luzerner Stierenberg.
Hier plant Mitte-Nationalrätin Priska Wismer-Felder drei neue, circa 120 Meter hohe Windräder. Der Windpark soll rund 20 Gigawattstunden Strom liefern. Damit wären rund 4’600 Haushalte für ein Jahr mit Strom versorgt. Das Projekt würde die Stromproduktion durch Windkraft im Kanton Luzern circa um den Faktor fünf vervielfachen.
Doch die Realisierung des Projekts harzt. «Seit sieben Jahren sind wir dran. Und es kommen mindestens drei bis vier weitere Jahre hinzu, falls wir das Projekt überhaupt je realisieren dürfen», erklärt Priska Wismer-Felder auf Anfrage. Bewilligungen, Abklärungen, Kompensationsmassnahmen, lokale Widerstände – all das verzögert eine rasche Umsetzung (zentralplus berichtete).
Konzerne investieren lieber im Ausland
Erst im vergangenen November hat die Gemeinde Rickenbach einer neuen Schutzzone am Stierenberg zugestimmt. Für das Windkraftprojekt bedeutet dies einen Rückschlag sowie eine weitere Verzögerung. «In der Schweiz ist es derzeit nicht möglich, ein Windkraftprojekt in weniger als zehn Jahren zu realisieren. Das schreckt mögliche Investoren ab», gibt Wismer-Felder zu bedenken.
«Wenn wir es wirklich ernst meinen mit der Energiewende, muss die Politik aktiv werden und die Verfahren verkürzen.»
Priska Wismer-Felder, Initiantin «Windkraft vom Stierenberg» und Mitte-Nationalrätin
Diese würden angesichts dieser komplizierten Rahmenbedingungen lieber im Ausland investieren, wo Projekte normalerweise innerhalb von fünf Jahren realisiert werden. Dort seien die Einsprachemöglichkeiten weniger ausgeprägt als hier in der Schweiz. «Aber es bringt uns nichts, wenn Schweizer Energiekonzerne in Windparks im Ausland investieren. Wir brauchen den Strom hier», zeigt Wismer-Felder die Konsequenzen der langwierigen Verfahren in der Schweiz auf.
Für die Mitte-Nationalrätin ist deshalb klar: «Wenn wir es wirklich ernst meinen mit der Energiewende, muss die Politik aktiv werden und die Verfahren verkürzen.»
Politik greift den Ball auf
Ihr Ruf blieb nicht ungehört. So hat der Bundesrat eine Gesetzesanpassung in die Vernehmlassung gegeben, um das Bewilligungsverfahren von neuen Wind- und Wasserkraftanlagen zu vereinfachen, wie «SRF» berichtete.
Und auch im Kanton Luzern tut sich was. Die grüne Kantonsrätin Korintha Bärtsch wird im März einen Vorstoss bei der Regierung platzieren, der die von Wismer-Felder geschilderte Thematik aufgreift. Rund 30 Parlamentarier aller Parteien haben die Anfrage von Bärtsch mitunterzeichnet.
- Ja, nur so schaffen wir die Energiewende.
- Nein, Windräder produzieren in der Schweiz zu wenig Strom.
- Ja, aber nicht in meiner Gemeinde.
«Die Regierung soll aufzeigen, wie wir das Potenzial der Windkraft im Kanton Luzern ausschöpfen können», beschreibt Bärtsch das Ziel ihres Vorstosses. Dies sollte auch im Interesse des Regierungsrats sein, zumal sich der Kanton zum Ziel gesetzt hat, bis 2030 rund 100 Gigawattstunden Energie durch Windkraft zu produzieren.
Einen ersten Schritt in diese Richtung hat die Regierung 2020 gemacht und das Konzept Windenergie erarbeitet. Das Konzept zeichnet 22 Gebiete im Kanton Luzern aus, die sich für die Produktion von Windenergie eignen würden.
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Mister Windkraft gesucht
Realisiert ist damit aber noch kein einziges zusätzliches Windrad. Heute produzieren die drei bestehenden Windräder im Kanton magere fünf Gigawattstunden. In den nächsten acht Jahren will die Regierung diese Zahl also um den Faktor 20 vergrössern. Ist das nicht völlig illusorisch? «Nein», findet Korintha Bärtsch, «nicht wenn es die Regierung richtig anpackt. Die Verfahren für den Bau eines Windrads dauern aktuell viel zu lange. Der Bau selbst braucht nicht so viel Zeit.»
Und um eben jene Verfahren zu verkürzen, sieht Bärtsch den Kanton in der Verantwortung. Es müsse ihm gelingen, die Bevölkerung mitzuziehen und von den Vorzügen der lokal produzierten Windenergie zu überzeugen. Zu diesem Zweck stellt die Fraktionschefin der Grünen im Kantonsrat die Idee einer «Miss Windkraft» in den Raum.
Diese Person soll die Förderung der Windkraft im Kanton vorantreiben: «Ich stelle mir keine Person mit einer technischen Ausbildung vor. Sondern eine Person, die andere Leute beteiligt, involviert und auch die Bedenken der Betroffenen ernst nimmt.» Damit spricht Bärtsch eines der Hauptprobleme beim Ausbau der Windkraft an: Zwar begrüssen viele Menschen ökologisch produzierten Strom – solange sie dadurch nicht persönlich betroffen sind.
Mitspracherecht der Gemeinden steht zur Diskussion
«Der NIMBY-Effekt ist bei der Windkraft relativ gross», räumt Korintha Bärtsch ein. Diese Bezeichnung ist eine Abkürzung des englischen Ausdrucks «Not In My Backyard», also «Nicht in meinem Garten». Oder anders formuliert: Windkraft ja, aber nur solange mir das Windrad nicht die Aussicht auf die Berge und den See versperrt.
«Wir müssen eine Diskussion darüber führen, ob es stufengerecht ist, dass auf Gemeindestufe über ein so grosses öffentliches Interesse wie die Energiewende entschieden wird.»
Korintha Bärtsch, Kantonsrätin Grüne
Um dieses Problem zu überwinden, stellt Bärtsch zudem eine weitere Idee in den Raum: Eine Einschränkung des Mitspracherechts der betroffenen Gemeinden. Stand heute müssen die Gemeinden erst einer Anpassung des kommunalen Zonenplans zustimmen, bevor ein Windkraftwerk gebaut werden kann. Der lokale Widerstand bei dieser Abstimmung ist jeweils gross, wie sich auch am Beispiel des Projekts am Stierenberg zeigt.
«Ich weiss nicht, welcher Weg in dieser Frage wirklich der richtige ist», zweifelt Bärtsch selbst an der Idee. «Aber wir müssen eine Diskussion darüber führen, ob es stufengerecht ist, dass auf Gemeindestufe über ein so grosses öffentliches Interesse wie die Energiewende entschieden wird.» Damit wir auch in Zukunft nur auf den Lichtschalter drücken müssen, um nicht im Dunkeln zu tappen.
- Telefonat mit Priska Wismer-Felder
- Telefonat mit Korintha Bärtsch
- Vorstoss von Korintha Bärtsch
- Konzept Windenergie Kanton Luzern
- Artikel von «SRF»
- Studie des Bundes zur Stommangellage
- Projekt-Website «Windenergie vom Stierenberg»