Asyl-Vorstösse

Ständerat Damian Müller legt sich mit dem Bundesrat an

Damian Müller an der Veranstaltung «Luzern diskutiert». (Bild: zvg)

Er bezeichnet es als unhaltbaren Zustand: Der Luzerner Ständerat Damian Müller (FDP) fordert vom Staatssekretariat für Migration Antworten auf seine Vorstösse – und von der neuen Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider (SP) die Umsetzung beschlossener Massnahmen.

1'362 Algerier haben 2022 ein Asylgesuch gestellt. Meist vergebens: Nur knapp jeder hundertste erhielt Asyl. Die Asylgewährungsquote für Algerier liegt bei 0,9 Prozent. Trotzdem warten per Ende Januar 618 gescheiterte Gesuchsteller auf Rückschaffung und müssen in der Schweiz bleiben. Denn Algerien blockiert trotz bestehendem Rückübernahmeabkommen mit der Schweiz die zwangsweisen Rückführungen per Sonderflug. Und akzeptiert nur die freiwillige Rückkehr.

Aus Sicht des Luzerner Ständerates Damian Müller (FDP) ist das ein unhaltbarer Zustand. Er fordert daher in einem Vorstoss, dass der Bundesrat diese Rückkehren forciert und mit Rückgriff auf das Schengener Abkommen Massnahmen gegen Algerien ergreift. Die aus Sicht Müllers mehr als unbefriedigende Situation ist schon länger bekannt.

«Ich habe den Eindruck, dass das Staatssekretariat für Migration alles in seiner Macht Stehende tut, um die Umsetzung der Motion zu verhindern.» 

Damian Müller, Luzerner Ständerat FDP, zum Vorstoss, dass der Bund Algerier über den Seeweg rückschaffen soll

So hat Müller im Parlament bereits im September 2021 einen Vorstoss durchgesetzt, der den Bundesrat dazu verpflichtete, mit Algerien Rückführungen auf dem Seeweg auszuhandeln und zu organisieren. Im aktuellen Vorstoss vom 27. Januar schreibt er dazu eine Reminiszenz: «Bisher wurde der Motionär nie über den Erfolg einer solchen Rückführungsaktion nach Algerien informiert.»

Wille der Behörden zu Rückführungen auf Seeweg nicht spürbar

Auf die Frage, ob er denn je Anzeichen dafür erhalten habe, dass sich das Staatssekretariat für Migration (SEM) ernsthaft bemühe, das vom Parlament initiierte Vorgehen umzusetzen, verneint Müller: «Ich habe das Gefühl, dass ein gewisser Wille besteht, das Parlament trotz der angenommenen Motion nicht proaktiv darüber zu informieren.» Seiner Ansicht nach wäre es das Mindeste gewesen, mit einem der Transitländer Frankreich, Italien oder Spanien Kontakt aufzunehmen, um die Rückführung auf dem Seeweg vorzunehmen.

Damian Müller ist skeptisch, ob das SEM überhaupt willens ist, diesen Vorstoss umzusetzen; zumal der Bundesrat diesen zunächst abgelehnt hat und dann vom Parlament überstimmt wurde. So drückt sich Müller sehr dezidiert aus gegenüber der Schweizer Migrationsbehörde auf Bundesebene: «Ich habe den Eindruck, dass das SEM alles in seiner Macht Stehende tut, um die Umsetzung der Motion zu verhindern.» 

Er würde eine ehrlichere Kommunikation bevorzugen. So stellt er die Frage: «Wenn Algerien keine Rückführung auf dem Seeweg will, warum teilt das SEM diese Stellung nicht einfach mit, anstatt immer wieder zu betonen, dass sich die Zusammenarbeit mit Algerien verbessert?»

Italien weigert sich zu kooperieren und verzögert

Der zweite neue Vorstoss von Damian Müller zielt auf die mangelnde Kooperationsbereitschaft Italiens ab. Der völkerrechtliche Vertrag des Dublin-Abkommens stellt die Zuständigkeit eines Landes für ein Asylverfahren sicher. Respektive: Hat jemand bereits ein Asylgesuch gestellt, kann er nicht gleichzeitig in einem anderen Land ein Gesuch stellen. Die eindeutige Identifikation und Prüfung erfolgt via Eurodac mit Fingerabdruckregistrierung und Onlineabgleich.

Laut Lukas Rieder, Mediensprecher des SEM, stecken derzeit rund 170 Personen in der Schweiz fest. Dies, weil sie nicht in das für die Abwicklung ihres Asylgesuchs zuständige Italien rücküberstellt werden können. Italien hat laut eigener Mitteilung «plötzlich aufgetauchte technische Gründe, die mit fehlenden Aufnahmekapazitäten zusammenhängen», geltend gemacht.

«Da die Frist für die Überstellung von Dublin-Fällen erst nach sechs Monaten abläuft, ist ein kurzzeitiger Aufnahmestopp verkraftbar, denn die betreffenden Fälle können nachträglich überstellt werden.»

Lukas Rieder, Mediensprecher des Staatssekretariats für Migration (SEM)

Und Italien hat die hohe Zahl von Anlandungen an seinen Küsten, besonders von unbegleiteten Minderjährigen, erwähnt. Zwischenzeitlich hat Italien zudem die ungenügende Solidarität der EU-Staaten bei der Aufnahme von Personen aus Seenotrettungen moniert.

Müller: «Naivität des SEM ist besorgniserregend»

Lukas Rieder vom SEM hält den Ball flach bezüglich Rückübernahmestopp Richtung Italien: «Da die Frist für die Überstellung von Dublin-Fällen erst nach sechs Monaten abläuft, ist ein kurzzeitiger Aufnahmestopp verkraftbar, denn die betreffenden Fälle können nachträglich überstellt werden.» Und er versichert: «Italien hat lediglich die Überstellungen ausgesetzt, die Schweiz stellt weiterhin Dublin-Übernahmeversuche an Italien.»

Damian Müller kreidet dem SEM an, keinerlei Verständnis für die Schwierigkeiten zu haben, mit denen die Kantone infolge dieses Aussetzens von Italien bei der Unterbringung konfrontiert seien. «Die Naivität des SEM ist besorgniserregend», sagt er bezogen auf die Annahme, dass Italien die Dublin-Rücküberstellungen innert nützlicher Frist wieder zulassen würde. Das SEM hat in Aussicht gestellt, dass der Regelbetrieb nach der Weihnachtspause wieder einsetzt. Bis jetzt ist Italien nicht vom Stopp abgerückt.

Vier Forderungen für eine kooperativere italienische Asylpraxis

Müllers Vorstoss verlangt folgende vier Massnahmen: Erstens soll das Parlament darüber informiert werden, wie viele Personen nun aufgrund des Stopps nicht nach Italien zurückgeschickt werden können. Zweitens soll sich der Bundesrat in Brüssel dafür einsetzen, dass Italien seinen Verpflichtungen wieder nachkommt.

Drittens soll die Schweiz beim Rat der Justiz- und Innenminister der EU intervenieren, um eine entsprechende Diskussion einzufordern. Viertens soll die Schweiz die Kommission der EU dazu auffordern, die Einhaltung des Dublin-Abkommens einzufordern.

«Wenn die neue Vorsteherin des EJPD die Migrationsfrage mit Algerien wirklich voranbringen will, muss sie unverzüglich nach Algier reisen und Ergebnisse statt Versprechungen verlangen.»

Damian Müller

Damian Müller vertraut dem Bundesrat, dass er die Dringlichkeit der Situation erkennt und handelt. Laut «Samstagsrundschau» vom 25. Februar habe das SEM acht europäische Staaten erwähnt, die wie die Schweiz grosses Interesse an der Durchsetzung von Dublin gegenüber Italien hätten.

Skepsis gegenüber Asylpolitik von Bundesrätin Baume-Schneider (SP)

Skepsis meldet Ständerat Damian Müller auch an wegen der Departementswechsel im Bundesrat. Er denkt, dass der Migrationsbereich im Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement immer noch stark von den Personalentscheiden der langjährigen Justizministerin Simonetta Sommaruga geprägt ist. Und dieser Kurs sich nach einer vierjährigen Zuständigkeit der restriktiveren FDP-Bundesrätin Karin Keller-Sutter durch Elisabeth Baume-Schneider (SP) fortsetzt.

Deren Offenheit gegenüber Migranten steht er kritisch gegenüber und moniert unter anderem deren Vorschlag, das Resettlement-Programm mit Aufnahmen von Geflüchteten direkt im Krisengebiet wieder aufzunehmen. Dies während gleichzeitig die Kantone bei der Unterbringung von Geflüchteten überfordert seien.

Das Parlament werde Elisabeth Baume-Schneider daran erinnern müssen, dass auch die Rückführungen Teil ihrer Arbeit seien. «Wenn die neue Vorsteherin des EJPD die Migrationsfrage mit Algerien wirklich voranbringen will, muss sie unverzüglich nach Algier reisen und Ergebnisse statt Versprechungen verlangen.»

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5 Kommentare
  • Profilfoto von Karl
    Karl, 04.03.2023, 10:28 Uhr

    Herr Müller hat das Format zum Bundesrat

    Er wird es auch noch

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  • Profilfoto von Koni
    Koni, 02.03.2023, 12:21 Uhr

    Ein Machertyp

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  • Profilfoto von tore
    tore, 02.03.2023, 10:17 Uhr

    Definitiv Wahlkampfstrategie … Ist so ähnlich, wie momentan in Deutschland: Die CDU mcht die neue Regierung für den desolaten Zustand der Deutschen Bahn verantwortlich – dabei war ja die CDU eine gefühlte Ewigkeit an der Macht und hat den Ausbau verschlafen (oder nicht gewollt). Und in der Schweiz wird immer die Linke «gebasht», obwohl diese klar in der Minderheit ist. Im Bundesrat liegt die Macht klar bei SVP/FDP (4 von 7 Bundesratsitzen).

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    • Profilfoto von Kasimir Pfyffer
      Kasimir Pfyffer, 02.03.2023, 19:57 Uhr

      Pscht, nicht so laut, Sie verängstigen Millionen von StimmbürgerInnen! Wir leben doch schon heute im Kommunismus, weil die 60-Stunden-Woche und die Kinderarbeit verboten wurden, die Konzerne minimalste Umweltauflagen einhalten müssen und nicht einmal mehr die Leibeigenschaft anerkannt ist.

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  • Profilfoto von Kommentarschreiber
    Kommentarschreiber, 02.03.2023, 08:44 Uhr

    Warum hat die FDPlerin KKS nach vier Jahren das Departement gewechselt und die Geschichte wieder der SP übergeben, wenn sie ihren Job doch, im Gegensatz zu Frau Sommaruga, so gut gemacht hat? Die soliden, politischen Machtverhältnisse im BR hätte das ja locker verhindern können. Diese Departementsverteilung kommt Herrn Müller (und den Bürgerlichen) natürlich sehr entgegen, so kann er jetzt schon Wahlkampf für seinen Ständeratssitz betreiben und sich für eine spätere BR-Kandidatur profilieren.

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