Zuger Kantonsrat signalisiert Ja zur Überwachung

Sozialhilfe in Zug: Die Detektive kommen

Im Kanton Zug dürften bald Sozialdetektive zum Einsatz kommen. (Bild: Adobe Stock)

Bei Verdacht auf Missbrauch sollen in Zug bald Privatdetektive Sozialhilfebezüger überwachen. Dafür hat sich heute der Zuger Kantonsrat ausgesprochen – und war sich weitgehend einig. Nur die Linken wehrten sich.

Die Uhr zeigt Punkt 9 Uhr am Donnerstagmorgen, als Luzian Franzini – dunkles Sakko, oberster Hemdknopf zu – die Mikrofone richtet. Und die Diskussion in die Bahnen lenkt, die man vor der Sitzung des Zuger Kantonsrates erwarten durfte: «Wir sehen in dieser Gesetzesänderung einige schwerwiegende, rechtsstaatliche Probleme. Armutsbetroffene sollen unterstützt und kontrolliert, aber nicht schikaniert werden.»

Was war passiert? Das Zuger Kantonsparlament beriet am Donnerstagmorgen in erster Lesung, ob der Staat in Zukunft Menschen observieren darf, wenn er den Verdacht hat, dass sich diese Sozialleistungen erschleichen – etwa, indem sie Sozialhilfe kassieren, daneben aber schwarz arbeiten.

Kantone müssen selber gesetzliche Grundlage schaffen

Auslöser für die Diskussion war ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Das Gericht in Strassburg hatte bereits 2016 gerügt, dass der Schweiz die gesetzliche Grundlage für Observationen im Bereich der Sozialversicherungen fehlt. Der Bund hat reagiert, das Volk hat abgestimmt und 2019 eine Änderung des Sozialversicherungsrechts angenommen.

Seither sind Observationen per Gesetz erlaubt – nur gilt dieses für die Sozialversicherungen, also insbesondere für die IV, und nicht für die Sozialhilfe. Diese ist Sache der Kantone und Gemeinden, weshalb die Kantone eigene Gesetze zu machen haben. Aargau, Thurgau oder Zürich haben das bereits getan – und der Kanton Zug ist auf dem besten Weg dazu: Das Parlament sprach sich am Donnerstagmorgen für die Änderung des Sozialhilfegesetzes aus. Damit darf der Kanton neu Sozialhilfebezügerinnen im öffentlichen Raum observieren und sie ohne Ankündigung bei sich zu Hause besuchen – sofern das Geschäft in der Schlussabstimmung nach der zweiten Lesung durchkommt, was Formsache sein dürfte.

In der Debatte setzte sich die bürgerliche Mehrheit im Rat durch – und versenkte mit 56 zu 18 einen Antrag der ALG, die gefordert hatte, die Observationen aus dem Gesetz zu streichen.

In seiner Vote hatte der Zuger Kantonsrat und ALG-Präsident Luzian Franzini argumentiert, das neue Gesetz stelle sämtliche rund 2'000 Sozialhilfebezügerinnen und -bezüger im Kanton unter Generalverdacht. Und das, obwohl nur eine Handvoll Leute das System missbrauchten: «Die Androhung einer permanenten Überwachung stellt für betroffene Personen eine enorme Belastung dar und kann es ihnen zusätzlich erschweren, die Hilfe in Anspruch zu nehmen, die sie brauchen.» Zudem hatten die Alternativen rechtsstaatliche Bedenken. Mit dem neuen Gesetz könnten die Behörden die Überwachung entweder selber übernehmen oder sie an «entsprechend spezialisierte Dienstleisterinnen und Dienstleister aus dem Privatsektor» auslagern. Das schreibt die Regierung in ihrem Bericht zum Geschäft und meint damit ein einziges Wort: Privatdetektive.

Franzini fürchtete «separate Ermittlungsbehörde»

Laut Franzini schafft der Staat so eine «separate Ermittlungsbehörde ausserhalb der Grenzen des Rechtsstaats», in dem es Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden sei, Verdachtsmomente abzuklären: «Privatdetektive sind von wirtschaftlichen Interessen und den Wünschen ihrer Auftraggeber getrieben. Wir haben keine Garantie, dass sich diese auch an die gesetzlichen Vorgaben halten, da sie nicht von einer unabhängigen Stelle kontrolliert werden.»

Zwar erhielten die Alternativen Schützenhilfe von der SP, rannten bei den Bürgerlichen aber gegen eine Wand. Exemplarisch für diese stand Anna Bieri (Hünenberg). Mit einem Druck in der Stimme, mit dem man Glas schneiden kann, argumentierte die Mitte-Kantonsrätin gegen Franzini und für den Vorschlag der Regierung, der auf eine Motion der damaligen CVP aus dem Jahr 2017 zurückging: «Ein System kann nur funktionieren, solange die Gesellschaft Vertrauen darin hat. Missbräuche schaden diesem System – und damit auch denen, die davon getragen werden sollen.» Genau für diese Menschen sei es wichtig, dass man gegen Missbräuche vorgehe. Und wenn die ALG Sozialhilfemissbrauch mit Steuerhinterziehung oder dem Strassenverkehr vergleiche, in dem die Strafverfolgungsbehörden ermittelten und nicht die Verwaltung, dann sei das «absurd»: «Missbräuche sind konsequent zu ahnden, überall, im Strassenverkehr, im Steuerrecht und bei der Sozialhilfe.»

Alles in allem brauchte Bieri gut vier Minuten, bis gesagt war, was gesagt werden musste – jedenfalls aus Sicht der Bürgerlichen, deren Voten sich im Wesentlichen an Bieris anlehnten. Einzig etwa Kurt Balmer (Die Mitte/Risch) verlieh der Debatte einen neuen Drive. Dieser wollte einen Satz aus dem Gesetz gestrichen haben, der explizit aussagte, dass Betroffene ihre Einwilligung geben müssen, damit die Behörden bei einem unangemeldeten Besuch deren Wohnung betreten dürfen: «Ich sehe nicht ein, weshalb man so eine Bestimmung ins Gesetz schreiben will. Das liefert ja geradezu eine Anleitung, wie man sich einer Kontrolle entziehen kann.»

Das Parlament lehnte Balmers Antrag ab – gleich wie einen ähnlichen von SVP-Präsident Thomas Werner (Unterägeri), der einen Passus aus dem Gesetz entfernen wollte, wonach unerlaubte Besuche am Arbeitsort nicht zulässig seien. Und nach einer Stunde, drei Anträgen und drei Niederlagen für Balmer, Werner und die ALG, war die Sache gegessen.

Verwendete Quellen
  • Teilnahme an Kantonsratssitzung
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2 Kommentare
  • Profilfoto von Armando
    Armando, 02.03.2023, 18:58 Uhr

    Typisch für den Kanton Zug. Den russischen Oligarchen wird vom Regierungsrat ZG hofiert, siehe Tännler. Geheimniskrämerei ist dabei Programm, weil man Vieles verstecken will. Geht es aber um die ärmsten Einwohner des Kantons, muss plötzlich Transparenz herrschen, auch mit fragwürdigen Mitteln wie der Observation von Sozialhilfebezügern. Wie wäre es mit der Observation von Leuten, die beste Beziehungen zu russischen Oligarchen und allgemein zu Russland haben?

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  • Profilfoto von Roger Levy
    Roger Levy, 02.03.2023, 12:15 Uhr

    China grüsst immer mehr die Schweiz.
    Ich frage mich, wie lange es noch wohl in diesem Land gehen wird, bis ich Sozialpunkte erhalte oder mir solche weggenommen werden, wenn ich nicht rechtskonform über die Strasse laufe. Konsequenz z.B Kürzung der AHV.

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