«L’Eternel» und der «Vater der 2. Säule»

So tickten die bisherigen Zuger Bundesräte

Die zwei einzigen bisherigen Bundesräte aus Zug: Philipp Etter (l.) zusammen mit Hans Hürlimann. (Bild: Staatsarchiv Zug, P 412.)

Bekommt Zug bald seinen dritten Bundesrat? Erfahren werden wir es erst am 12. März. Zwischenzeitlich wendet sich zentralplus der Vergangenheit zu. Zuger Historiker finden Antworten auf die Frage, was für Menschen die bisherigen Bundesräte waren.

Am 12. März wählt die vereinigte Bundesversammlung einen neuen Bundesrat. Die Chancen, dass ein Zuger dieses Amt künftig bekleiden wird, waren schon lang nicht mehr so gut wie heute. Der Zuger Gesundheitsdirektor Martin Pfister (Mitte) gilt als zugänglich, geerdet und gemässigter als sein Kontrahent, der Mitte-Nationalrat Markus Ritter. Kurz: Pfister hat durchaus eine Chance, gewählt zu werden.

Der letzte offizielle Zuger Bundesratskandiat, Thomas Aeschi, unterlag 2015 gegen Guy Parmelin klar im dritten Wahlgang. Auch der Zuger Mitte-Ständerat Peter Hegglin hegte 2018 Bundesratsambitionen, die nationale Mitte-Fraktion setzte jedoch neben der letztlich gewählten Viola Amherd einzig die Urner Ständerätin Heidi Z'graggen auf's Ticket.

Die Liste der bisherigen gewählten Zuger Bundesräte ist wahrlich kurz. Dafür blieb zumindest einer von ihnen eine gefühlte Ewigkeit im Amt. Philipp Etter sass ganze 25 Jahre im Bundesrat, er amtierte zwischen 1934 und 1959 als Innenminister. Diese schier endlose Amtszeit brachte ihm seinen Spitznamen «L'Eternel» oder auch «L’Étternell» ein.

Nur 14 Jahre nach Etters Rücktritt sass mit Hans Hürlimann ein weiterer Zuger im Bundesrat. Auch er stand dem Eidgenössischen Departement des Innern vor. Dies während 9 Jahren. Beide Zuger Bundesräte waren Mitglieder der CVP (heute Mitte) oder deren Vorgänger-Partei SKVP.

Etter, der Mann mit vielen Hüten

Doch wer waren die beiden Zuger Bundesräte? Insbesondere Philipp Etter ist bis heute eine umstrittene Figur. Der Zuger Staatsarchivar Ernst Guggisberg bezeichnete ihn einst als jemanden, der «am Ende seiner Karriere von links bis rechts geschätzt» wurde. Viele Urteile über Etter sind dagegen deutlich weniger schmeichelhaft. So wurde er etwa als «Pseudo-Mussolini» bezeichnet, als «Sozialistenfresser» und als «patriotischer Unschweizer».

Der Historiker Thomas Zaugg hat sich intensiv mit Philipp Etter befasst. 2020 erschien seine kontrovers diskutierte Biografie über «Eternel», den Langzeitbundesrat von 1934 bis 1959. Auf die Frage, wer der erste Zuger Bundesrat war, sagt Zaugg: «Es gab mehrere ‹Philipp Etters› in den verschiedenen Lebensphasen, und er ist bis heute eine Projektionsfläche geblieben. Etter sah sich als Teil des katholischen Milieus, als Teil einer Minderheit. In den 1930er-Jahren hat er sich im Sinne einer autoritären Staatserneuerung geäussert. Dann gibt es aber auch den späteren, den sogar auf linker Seite als gemässigt empfundenen Etter.»

Der junge Etter war umtriebig, sowohl in Vereinen, in der Politik und im Journalismus aktiv. «Der Menzinger Küfersohn schaffte es, in Zug zu einem eingesessenen Politiker zu werden, der viele Hüte trug und viel Macht auf sich versammelte», sagt Zaugg. Tatsächlich war Etter eine Zeitlang sogar Kantonsrat, Regierungsrat und Ständerat zugleich. Daneben war er bis zu seiner Wahl in den Bundesrat Chefredaktor der «Zuger Nachrichten». Heute wäre so etwas im Sinne der Gewaltentrennung, zumindest in der Schweiz, schlicht undenkbar.

«Wiederum galt Etter als bodenständiger Familienmensch mit seinen zehn sehr lebhaften Kindern», erzählt Zaugg. «Doch es gab auch den Etter im Kontext des Frontenfrühlings.» Also während des Aufschwungs rechtsextremer Gruppierungen in der Schweiz 1933/34, die mit Adolf Hitlers Machtergreifung in Deutschland sympathisierten. «Etter hatte damals einen Zugang zu den Jungen, von denen einige politisch sehr rechts standen.»

War Etter denn nun ein Antisemit?

Zaugg weiter: «Er vertrat die Haltung, dass man die Jugend abholen müsse, wo sie stand, um ihr die christliche Politik wieder beliebt zu machen, ohne in den Rechtsextremismus abzudriften.» Der Historiker relativiert: «Dennoch begrüsste man in der SKVP einige Ansätze der autoritären Erneuerung. Die Partei war etwa der Ansicht, dass eine neue Demokratie der Ordnung vonnöten sei. Man bewegte sich hier in vagem Gefilde, lavierte zwischen Autoritarismus und Föderalismus, wenn man auch die Diktatur ablehnte.»

«Man findet bei Etter antisemitische Stereotype, vor und nach 1945.»

Thomas Zaugg, Zuger Historiker

Eine Frage, welche die Gemüter noch heute umtreibt: War der Zuger Bundesrat ein Antisemit? Dazu sagt Thomas Zaugg, der dieser Frage ein ganzes Kapitel seiner Studie widmete: «Man findet bei Etter antisemitische Stereotype, vor und nach 1945. Im Milieu unterschied man zwischen einem ‹Antisemitismus unseligen Andenkens›, wie Etter es nach dem Zweiten Weltkrieg einmal schrieb, und einem scheinbar vertretbaren, sogenannt milderen Antisemitismus. Etter äusserte sich in den 1930er-Jahren etwa insofern, dass eine ‹Art der Invasion› von Juden in der Schweiz unerwünscht sei.»

Gleichzeitig habe er sich gegen «Judenhetze» ausgesprochen und die Haltung vertreten, dass Minderheiten, sei es aufgrund ihres religiösen Bekenntnisses oder ihrer Herkunft, nicht verfolgt werden dürfen. Zaugg betont: «Diese grundsätzlich antijüdische Haltung war in jener Zeit sehr verbreitet.» Er gibt zu bedenken: «Etter als Hauptvertreter der Judenfeindlichkeit darzustellen, wäre verfehlt. Doch dass der Antisemitismus in so vielerlei Formen verbreitet war, ist eine der Ermöglichungsbedingungen des Holocaust.»

Auch den unsicheren Etter gab es

Gemäss Zaugg zeigte sich Philipp Etter im Hinblick auf seine Bundesratskandidatur von einer sehr unsicheren Seite. «Im Briefwechsel mit seiner Frau äusserte Etter grosse Zweifel, ob er dem Amt gewachsen sein werde. Und auch seine Mutter war skeptisch und fürchtete, dass es ihm in Bern nicht gutgehen werde.»

Der Historiker erklärt: «Tatsächlich war Etters Unsicherheit nachvollziehbar. Für die grossen wirtschaftlichen Fragen jener Zeit hatte er keine Rezepte. Das Finanzdepartement, das der zurückgetretene Fribourger Katholik Jean-Marie Musy innegehabt hatte, konnte er beispielsweise nicht übernehmen. Zudem war Etter mit seinen 42 Jahren noch durchaus jung und erst seit wenigen Jahren Ständerat.»

Zaugg weiter: «Auf linker und teilweise auch auf liberaler Seite befürchtete man, Etter werde als Jungkonservativer die Schweiz autoritär umbauen. Man fürchtete sich vor möglichen Erneuerungsideen, zeichnete ihn als dominante Persönlichkeit im Mantel der Toleranz. Das widerspricht jedoch sehr den ausgeprägten Zweifelsmomenten, die er zu jener Zeit mit seinen politischen Mitstreitern teilte und die auch in den Briefen an seine Frau überliefert sind.»

Die Etter-Büste steht nun in Martin Pfisters Büro

Dass Philipp Etter trotz seines jungen Alters von seiner Partei portiert wurde, dürfte kein Zufall gewesen sein. «Er galt gegen aussen als Integrationsfigur, die auch die jungen Rechten abholen konnte, um sie im Zaum zu halten. Gleichzeitig war er für die alte Garde seiner Partei noch formbar.» Etter konnte sich im Bundesrat behaupten. Er blieb zwischen 1934 und 1959 und damit über die schwierige Zeit des Zweiten Weltkriegs hinweg im Amt und machte sich unter anderem als Vater der «geistigen Landesverteidigung» einen Namen. Viermal wurde er zum Bundespräsidenten gewählt. Etter starb 1977 in Bern.

Thomas Zaugg ist nicht der erste Historiker, der sich intensiv mit Philipp Etter auseinandersetzte. 1991 beispielsweise schrieb kein Geringerer als der aktuelle Bundesratskandidat Martin Pfister über Etter seine Lizenziatsarbeit. Seit einiger Zeit steht auch eine Büste von Philipp Etter – sie stand dereinst im Kantonsratssaal – in Martin Pfisters Büro. Ein Omen? Wer weiss.

Zwei Zuger Bundesräte kurz nacheinander

Nach Etters Rücktritt vergingen nur wenige Jahre, da sass mit Hans Hürlimann schon ein weiterer Zuger als Innenminister im Bundesrat. Der Zuger Historiker Christian Raschle erzählt: «Ich erinnere mich, dass kurz nach dieser Wahl 1973 an der Basler Fasnacht ein Schnitzelbank vorgetragen wurde, der sich darauf bezog. Wenn Hürlimann gleich agiere wie der Etter, dann würde der Kanton Zug bis zum Millennium im Bundesrat vertreten sein, hiess es dort.» So weit kam es nicht. 1982 nahm Hürlimann den Hut.

Dass der Anwalt überhaupt ins Amt gewählt wurde, sei sehr besonderen Umständen zu verdanken gewesen, so Raschle. «Damals gab es bei Bundesratswahlen noch die Kantonsklausel. Zwei Vertreter desselben Kantons durften also nicht gleichzeitig im Bundesrat sein.»

Der Historiker erläutert: «Bei der Wahl 1973 mussten gleich drei Räte der grossen Parteien SP, CVP und FDP neu gewählt werden.» Und weiter: «Im ersten Wahlgang wurde der SP-Kandidat Willi Ritschard wider Erwarten gewählt. Da dieser aus Solothurn stammte, konnte der CVP-Spitzenkandidat Leo Schürmann – ein Alphatier, ebenfalls aus Solothurn – nicht mehr gewählt werden», führt Raschle aus. «Die CVP hätte stattdessen gerne den Tessiner Enrico Franzoni in den Bundesrat gebracht. Die vereinigte Bundesversammlung wählte jedoch Hans Hürlimann gleich im ersten Wahlgang.»

Wie schon bei Etters Amtsantritt waren die politischen Zeiten auch zur Zeit Hürlimanns nicht einfach. «Die Welt befand sich mitten im Kalten Krieg. Man wusste nie, ob einem plötzlich alles um die Ohren fliegen würde, die weltpolitische Lage war sehr fragil», erzählt der Historiker.

Hans Hürlimann: Korrekt, gradlinig, kirchentreu

Raschle, einst Stadtarchivar, kannte Hürlimann persönlich. Er schätzt den gebürtigen Walchwiler wie folgt ein: «Er wirkte auf mich immer sehr korrekt und gradliniger. Weiter waren er und seine Frau regelmässige Kirchgänger. In der Stadt Zug hat man ihn geschätzt.» Doch nicht nur dort. «Wann immer er nach Walchwil zurückkehrte, etwa für ein Klassentreffen, wurde er als bodenständig und interessiert wahrgenommen.»

Hürlimann wuchs in einem konservativen Elternhaus auf. «Somit war es ausgeschlossen, dass er als Jugendlicher nach Zug an die Kantonsschule gehen würde, denn diese galt als zu liberal. Entsprechend besuchte Hürlimann das Internat in Einsiedeln, wie es auch Etter zu seiner Zeit tat.»

Als Bundesrat leistete Hans Hürlimann, der davor Kantons-, Regierungs- und ab 1967 Ständerat war, doch Einiges. Er schaffte es, Mehrheiten für die 9. AHV-Revision sowie das Gesetz über die berufliche Vorsorge zu finden und galt dadurch als «Vater der 2. Säule». Ebenfalls schuf er das heutige Bundesamt für Kultur.

Einen Omnibus als bundesrätlichen Schlummertrunk

Nach den langen Tagen, die Hürlimann als Bundesrat hatte, setzte er sich gern mit seinem Amtskollegen und Freund Fritz Honegger ins Berner Hotel, in dem die beiden unter der Woche wohnten, um einen Omnibus zu trinken. Dabei handelt es sich um einen Zuger Kirsch mit Sirupwasser verdünnt.

Das Jahr 1980 bildete eine Zäsur in Hürlimanns Leben. In jenem Jahr starb Matthias, sein Sohn, an Krebs. «Man kann durchaus sagen, dass dieses tragische Ereignis Hans Hürlimann gebrochen hat», sagt Raschle. Wenig später trat er aus dem Bundesrat aus. Er wurde sehr krank und verstarb 1994.

Ob die Geschichte der Zuger Bundesräte mit Martin Pfister bald ein weiteres Kapitel schreibt, entscheidet sich am 12. März bei den Bundesratswahlen.

Verwendete Quellen
  • Mündlicher Austausch mit Thomas Zaugg
  • Informationen von NZZ Libro zur Etter-Biografie
  • Persönlicher Austausch mit Christian Raschle
  • Nachruf auf Hans Hürlimann, 2. März 1994, «Zuger Nachrichten»
  • Informationen auf Wikipedia zu den verschiedenen Bundesratswahlen
  • Lizenziatsarbeit von Martin Pfister über Philipp Etter
0 Kommentare
Aktuelle Artikel
Apple Store IconGoogle Play Store Icon