Vor dem Urnengang im Kanton Luzern

So beeinflusst das Wahlsystem die Regierungsratswahlen

Am Sonntag wird in Luzern gewählt. Dabei spielt das Wahlsystem eine entscheidende Rolle. (Bild: cbu)

Ob die Linke wieder in die Luzerner Regierung einzieht, ist ungewiss. Anders im Tessin, wo am Sonntag ebenfalls gewählt wird. Dort gilt es als fast sicher, dass sie einen Sitz in der Regierung erlangen wird. Der Grund für die unterschiedliche Ausgangslage liegt im Wahlsystem.

Gleiche Anzahl Regierungssitze, fast gleicher Wähleranteil – und doch ganz anders: So könnte man die Ausgangslage im Vergleich zwischen der Luzerner und der Tessiner Linken auf einen Nenner bringen. Die linken Parteien im Tessin und jene in Luzern schauen den kommenden Wahlen jedenfalls mit unterschiedlicher Gemütslage entgegen. Und das hat seinen Grund.

Am nächsten Sonntag wählt nebst dem Kanton Luzern auch der Kanton Tessin seine Regierung neu. In beiden Kantonen ist die Linke mit rund 25 Prozent der Stimmen fast gleich stark. Und doch ist die Situation für die Tessiner Linke eine ganz andere. «Hier gehen alle davon aus, dass Marina Carobbio den SP-Sitz verteidigen wird», sagt Karoline Thürkauf, Tessinkorrespondentin von Radio SRF, auf Anfrage.

Ganz anders als im Tessin präsentiert sich die Situation im Kanton Luzern. Hier ist die Linke schon seit mittlerweile acht Jahren nicht mehr in der Regierung. Ein entscheidender Unterschied: Der Kanton Tessin wählt die Regierung im Proporz, Luzern – wie alle anderen Schweizer Kantone – hingegen im Majorz. Das Proporzsystem für die Wahl der Regierung wurde im Tessin im Jahre 1892 eingeführt.

«Die Mitte ist völlig übervertreten»

Rahel Estermann, Co-Fraktionschefin der Luzerner Grünen, erklärt auf Anfrage, die Mitte sei völlig übervertreten, sie hänge einem alten Machtanspruch in diesem Kanton nach. «Der parteilose Marcel Schwerzmann macht ebenfalls eine konsequent bürgerliche Politik. Die Rückkehr in den Regierungsrat ist aus Sicht der Luzerner Linken absolut gerechtfertigt und dringend nötig.»

Eigentlich müsste gerade eine Partei wie die Mitte oder auch die FDP den Anspruch auf linke Sitze endlich anerkennen, erklärt Estermann. Es entspreche dem Charakter der Konkordanz, dass alle wichtigen politischen Kräfte eingebunden würden. Weder 2019 noch 2023 habe es aber eine Empfehlung der bürgerlichen Seite gegeben, endlich die Konkordanz wiederherzustellen. «Es ist ein unwürdiges bürgerliches Powerplay, dass sie den Regierungsanspruch der Luzerner Linken nicht anerkennen.»

Wechsel zum Proporz für die Grünen eine Option

Rahel Estermann spricht damit den sogenannt «freiwilligen Proporz» an. Was aber hält die Co-Fraktionspräsidentin der Luzerner Grünen vom eigentlichen Proporz, so wie er im Kanton Tessin angewendet wird und wie ihn bis vor einigen Jahren auch der Kanton Zug kannte?

Dazu Rahel Estermann: «Der Wechsel auf ein Proporzsystem ist eine Option, die wir uns vorstellen könnten. Allerdings favorisieren wir andere Massnahmen, die genauso für eine bessere Abbildung der Kräfte in der Regierung sorgen würden: Eine Vergrösserung auf sieben Regierungsratsmitglieder würde eine bessere Repräsentation verschiedener Geschlechter und Regionen ermöglichen.»

Doch hätte ein Systemwechsel vom Majorz zum Proporz aktuell im Kanton Luzern überhaupt eine Chance? «Das ist schwierig abzuschätzen», sagt Estermann, «da diese Diskussion schon seit Längerem nicht mehr stattgefunden hat. Jedoch zeigt die Diskussion rund um die Erweiterung der Regierung auf sieben Mitglieder, dass die bürgerlichen Parteien nur sehr ungern institutionelle Veränderungen vornehmen, welche ihre vollumfängliche Machtposition in der Regierung infrage stellen.»

«Es muss uns auch im Majorz gelingen»

Konfrontiert mit den zentralen Vorwürfen seitens der Grünen, antwortet Karin Stadelmann, Co-Vizepräsidentin der Luzerner Mitte: «Die nächsten 48 Stunden stehen ganz im Zeichen der Mobilisierung unserer Basis für die Wahlen vom Sonntag. Wir möchten an dieser Stelle auf eine Stellungnahme verzichten.»

Was hält man bei der Luzerner SP von der Majorz-Proporz-Diskussion, welche speziell in Zug immer mal wieder ein Thema ist? Parteisekretär Sebastian Dissler antwortet: «Wir setzen momentan alles daran, wieder in die Regierung zu kommen. Spätestens am 14. Mai werden wir sehen, ob uns dies gelingt.» Die SP sei von 1959 bis 2015 in der Regierung vertreten gewesen, gewählt jeweils im Majorz. «In dieser Zeit war sie im Parlament schwächer als heute, von der Linken inklusive den Grünen ganz zu schweigen. Ich persönlich bin der Meinung, dass es uns auch im Majorz gelingen muss, wieder in die Regierung zu kommen. Die Einführung eines Proporzes für die Exekutive steht momentan nicht zur Debatte.»

Kein Zurück für die ALG

Vehemente Befürworter des Proporzes sind die Zuger Alternativen (ALG). Anfangs März versendeten sie einen Spendenaufruf, in welchem unter anderem zu lesen war: «Es hat sich einmal mehr gezeigt, dass es für uns kein Zurück in die Zuger Regierung gibt, solange wir im Majorz wählen und uns so auch 120'000 Franken pro Legislatur in der Parteikasse fehlen.» Auf Anfrage äussert sich Co-Präsident Luzian Franzini deutlich. Für ihn steht ausser Frage, dass der Proporz das gerechtere Wahlsystem für Regierungsratswahlen darstellt. «Das Versprechen des freiwilligen Proporzes entpuppt sich seit Beginn der Majorzwahlen als Schwindel.»

Für die Parteien links und rechts sei es im Majorz schwieriger, in die Exekutive gewählt zu werden. «Befürworter des Majorzes behaupteten bei der Einführung, dass die Parteizugehörigkeit in den Hintergrund rücke und dass Kandidierende von grossen und kleinen Parteien die gleichen Chancen hätten. Dies stellte sich als unwahr heraus.» Seit 1974 habe die Mitte – die frühere CVP – konstant Sitze im Kantonsrat verloren. Franzini: «Von ehemals 44 Sitzen sind heute noch 19 übrig. Trotz diesen konstanten Sitzverlusten gewann die Mitte/CVP seit der Einführung der Majorzwahl einen Regierungssitz hinzu.»

2014 in Zug zum ersten Mal angewandt

Zur Erinnerung: Im Jahre 2013 nahm der Kanton Zug in einer Volksabstimmung den Wechsel vom Proporz zum Majorz an. Im Jahre 2014 wurde bei den Regierungsratswahlen zum ersten Mal der Majorz angewandt. Im Vorfeld der Abstimmung hatte die Zuger Regierung der Bevölkerung versichert, dass sich die stärksten Parteien auch im Majorz «vielfach selber beschränken» würden.

Es kam anders. Die Zuger CVP war damals – zusammen mit der FDP - die treibende Kraft hinter dieser Umstellung. Heute profitiert die Mitte ganz klar vom damaligen Systemwechsel. Denn aktuell sitzt die Partei mit drei Personen in der siebenköpfigen Regierung – und ist somit zumindest gemäss dem Wähleranteil deutlich übervertreten (zentralplus berichtete).

«Überschreitbare Hürden für Luzerner und Zuger Linke»

Der Luzerner Politologe Tobias Arnold schreibt auf Anfrage, dass Proporzwahlsysteme zu ausgewogeneren Ergebnissen führen. «Minderheiteninteressen werden besser berücksichtigt.» Dieser Gedanke komme umso besser zum Tragen, je mehr Sitze zu verteilen seien. Aber grundsätzlich lasse sich festhalten, dass die Hürde bei sieben Sitzen bei 14 Prozent und bei fünf Sitzen bei 20 Prozent liege. «Das wären überschreitbare Hürden für die Linken in Luzern und Zug.»

Für das Majorzsystem werde in der Regel ins Feld geführt, dass man klare Mehrheiten wolle und dass die Regierungsräte eine gute Abstützung in der Bevölkerung brauchten. «Der politischen DNA der Schweiz folgend, ist aber der Proporz durchaus ein prüfenswerter Ansatz für Regierungsratswahlen, dies gerade in jüngster Zeit, wo der freiwillige Proporz in der Zentralschweiz bröckelte.»

Hans-Peter Schaub von Année Politique Suisse der Universität Bern erklärt: «Streng genommen passt der Proporz besser zum schweizerischen Politiksystem, welches in vielerlei Hinsicht die breite Abstützung sowie die vielfältige Teilung und Brechung der Macht maximiert.» Das Proporzwahlsystem sei auch ein zentraler Bestandteil des Modells der Konsensdemokratie, wobei sich die Diskussion zwar in der Regel nicht um Regierungs-, sondern um Parlamentswahlen drehe.

Er erinnert daran, dass mittlerweile nur noch der Kanton Tessin die Regierung im Proporz bestimmt. «Trotzdem sind in den meisten Kantonen auch Minderheitenparteien an der Regierung beteiligt. Sei es, weil die Mehrheitsparteien von sich aus nicht für alle Sitze kandidieren oder weil die Wähler und Wählerinnen für eine gewisse Verteilung sorgen.» In den ehemaligen Sonderbundskantonen – also auch in allen Zentralschweizer Kantonen – sei der freiwillige Proporz und spezifisch die Einbindung von SP und Grünen historisch aber weniger stark verankert als beispielsweise in den früher industrialisierten Kantonen.

Verwendete Quellen
  • Abstimmungserläuterung des Zuger Regierungsrates zur Volksabstimmung vom 9. Juni 2013
  • Spendenaufruf der ALG von Anfang März 2023
  • Zudem schriftlicher Austausch mit:
  • Rahel Estermann
  • Sebastian Dissler
  • Luzian Franzini
  • Karin Stadelmann
  • Tobias Arnold
  • Hans-Peter Schaub
  • Karoline Thürkauf
  • Manuele Bertoli
  • Arnoldo Coduri
  • Rebekka Wyler
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