SP-Kandidatin Judith Dörflinger im Porträt

Sie will Luzern für Familien attraktiver machen

Die Aufbruchstimmung am Frauenstreik hat Judith Dörflinger Eindruck gemacht. (Bild: jal)

Die SP peilt mit Judith Dörflinger einen zweiten Sitz im Luzerner Stadtrat an. Die 50-Jährige verlangt, dass die Stadt den Jungen und Familien mehr Aufmerksamkeit schenkt und auch mal etwas wagt. In der Verkehrspolitik fährt sie einen klaren Linkskurs.

In grellem Pink leuchtet das Tuch des Frauenstreiks auf ihrer Schulter. «Dieser 14. Juni war für mich ein Schlüsselmoment», sagt Judith Dörflinger bei einem Kaffee im Neubad. «Ich war schon immer sensibilisiert für Frauenanliegen, aber als ich diese Aufbruchstimmung, diese Energie spürte, hat das bei mir etwas bewegt.»

Die SP-Politikerin möchte am 29. März in den Luzerner Stadtrat gewählt werden. Die Gleichstellung ist dabei eines ihrer Kernanliegen. Klar, sagt sie, im Luzerner Regierungsrat, dem reinen Männergremium, wäre die Ausgangslage für eine SP-Frau «idealer». Im fünfköpfigen Luzerner Stadtrat sind mit Franziska Bitzi Staub (CVP) und Manuela Jost (GLP) bereits zwei Frauen vertreten.

Gleichwohl sagt Dörflinger: «Es sind bürgerliche Frauen, sie vertreten nicht dieselben Anliegen wie ich.» Sie würde zum Beispiel die Lohngleichheit in der Verwaltung stärker durchsetzen und auf allen Hierarchiestufen – auch im Kader – Teilzeit ermöglichen.

Aus dem CVP-Haus in die SP-Familie

Judith Dörflinger ist in Zug aufgewachsen, in einem sehr konservativen CVP-Haus, wie sie selber sagt. Dass ihr politisches Herz nicht orange, sondern rot schlägt, wusste sie schon früh. «Auch durch meinen beruflichen Hintergrund als Lehrerin und Sozialarbeiterin ist mir die Chancengerechtigkeit sehr wichtig – und das ist in der DNA der SP verortet.» 

Die SP will mit Beat Züsli und Judith Dörflinger ins Rennen um die Stadtratssitze steigen. (Bild: les)

Die SP stellt derzeit mit Beat Züsli den Stadtpräsidenten. Schon im Herbst blies die grösste Partei der Stadt Luzern mit Dörflingers Nomination zum Angriff auf einen zweiten Sitz. Damit überrumpelte die Partei viele. Dass die 50-Jährige den Sprung aufs Zweierticket schaffte, ist hingegen wenig erstaunlich. Dörflinger sass zwischen 2013 und 2017 im Stadtparlament und liebäugelte bereits 2016 mit einer Kandidatur, als Stefan Roth zurücktrat. Am Ende sagte sie dann aber doch ab.

Fokus auf die Jungen und Familien

Inzwischen passt der Zeitpunkt. Und Dörflinger ist gewillt, mitzuwirken. «Gewisse Bereiche kommen derzeit aus meiner Sicht zu kurz.» Schnell landet man im Gespräch mit der SP-Kandidatin bei ihrem Kernthema, der Sozialpolitik – und ihrer Kritik. «Der Fokus der Sozialpolitik liegt in der Stadt Luzern sehr stark auf der älteren Bevölkerung», sagt sie. Hier habe man viel erreicht, anerkennt sie. «Aber wir müssen dringend dafür sorgen, dass mehr Kinder, Jugendliche und Familien in Luzern wohnen.»  Die Durchmischung der Bevölkerung falle derzeit zu einseitig aus, die Stadt überaltert. Sie kenne persönlich mehrere Familien, die in den letzten Jahren in die Agglomeration gezogen seien.

Eine Trendwende ist für Dörflinger nicht nur wichtig, um als Gesellschaft ein Gleichgewicht zu bewahren. «Es ist wichtig für eine Stadt, sich eine gewisse Jugendlichkeit zu bewahren. Das hat auch eine belebende Wirkung.» 

Vieles dauert ihr zu lange

Dazu braucht es laut Dörflinger mehr günstigen Wohnraum, bessere Plätze, um sich aufzuhalten, und ein attraktiveres Angebot an schulergänzender Betreuung. Auch wenn die finanziellen Aussichten der Stadt schon besser aussahen, ist für Judith Dörflinger klar, dass sich die Stadt dies leisten muss. «Investitionen in Bildung und Betreuung lohnen sich, halt nicht im Wahlzyklus von drei bis vier Jahren, sondern langfristig.» 

«Ich vermisse manchmal den Mut in Luzern.»

Vieles davon ist ohnehin bereits im Gange, etwa im Wohnbereich, wo die Stadt bis 2037 einen Anteil von 16 Prozent für gemeinnützige Wohnungen erreichen muss. Und auch in Sachen Aufwertung sollte bald die Bahnhofstrasse und mittelfristig auch das Inseli vom Verkehr befreit und der Bevölkerung zugänglicher gemacht werden.

Doch Einsprachen und fehlende Alternativen für die Cars blockieren die Projekte. Judith Dörflinger schüttelt den Kopf, ihre Ungeduld ist grösser als ihr Verständnis. «Ich vermisse manchmal den Mut in Luzern. Man muss halt auch mal was ausprobieren statt sich immer zuerst auf alle Seiten abzusichern.»

Sie will nach den grünen die roten Themen stärken

Um Dinge vorwärtszutreiben, so ist Judith Dörflinger überzeugt, braucht es eine linksgrüne Mehrheit im Stadtrat. Zwar haben SP und Grüne in ökologischen und Verkehrsthemen gemeinsam mit der GLP in der letzten Legislatur einiges erreicht. «Aber bei sozialen Fragen fehlt uns die Durchschlagskraft», so Dörflinger. «Dabei ist es wichtig, dass nach den grünen nun auch die roten Themen stärker werden.»

«Ich würde meine Kinder nach wie vor nicht alleine über die Seebrücke fahren lassen.»

Einen bestimmten Sitz angreifen will sie aber bewusst nicht. Doch realistischerweise muss wohl Manuela Jost (GLP) am meisten vor Dörflinger zittern. Die Grünliberalen haben sich – wohl auch aufgrund des SP-Angriffs – für eine Zusammenarbeit mit den Bürgerlichen entschieden. Auch beim Stadtpräsidium empfiehlt die GLP den FDP-Kandidaten Martin Merki und nicht Beat Züsli.

Wahlen sollen spannend sein

Dass ihre Kandidatur der SP am Ende schaden könnte, glaubt Dörflinger nicht. Sie finde es wichtig, dass Wahlen spannend seien und die Bürger eine Auswahl hätten. «Das Amt als Stadtrat ist keine unbefristete Anstellung. Wer nicht damit umgehen kann, ist in der Politik am falschen Ort.»

Über ihre Wahlchancen mag Judith Dörflinger nicht spekulieren. Auch an einen zweiten Wahlgang denkt sie noch nicht. «Es gibt ganz viele Varianten und bis zum Wahlsonntag kann noch einiges passieren.»

Judith Dörflinger verlangt einen anderen Fokus in der Sozialpolitik. (Bild: jal)

Die Mutter von zwei Jugendlichen arbeitet zu 80 Prozent als Leiterin der Schulen Säli und Steinhof. Von ihrem Hintergrund her wäre es naheliegend, wenn sie mit der Bildungs- oder Sozialdirektion liebäugeln würde. «Klar, mein Know-how ist in diesen Bereichen am grössten. Aber ich traue mir zu, mich überall einzuarbeiten. Manchmal ist es sogar bereichernd, wenn eine aussenstehende Person eine neue Perspektive einnimmt.»

Zukunft der Verkehrspolitik sieht sie nicht hinter dem Steuerrad

Wenn sie nicht politisch oder beruflich beschäftigt ist, besucht Judith Dörflinger Konzerte, sie tanzt gerne und hat früher selber gesungen. Zudem verbringe sie gerne Zeit mit Freunden, in der Natur und mit ihrem Mann und den zwei Kindern.

Etwa letzten Sommer in Paris, wo die ganze Familie mit dem Velo durch die Grossstadt gekurvt sei. «In Luzern hingegen würde ich meine Kinder nach wie vor nicht alleine über die Seebrücke fahren lassen.»

In Sachen Verkehrspolitik fährt sie einen ebenso klaren Linkskurs. Denn die Zukunft sei bestimmt nicht hinter dem eigenen Steuer. «Früher sind Leute direkt an die Autobahn gezogen, weil vor dem Fenster etwas lief. Heute hat das Auto einen ganz anderen Stellenwert.» Am liebsten wäre ihr, Teile der Innenstadt ganz autofrei zu gestalten. Etwa entlang der Reuss, beim Inseli, am Schwanenplatz oder sogar vor dem Schweizerhof. «Das wäre Lebensqualität», sagt Judith Dörflinger und schmunzelt, sie weiss natürlich, dass sie sich damit bei der Autolobby keine Freunde macht. «Träumen darf man ja.»

Dass manche Akteure bei jedem gestrichenen Parkplatz laut ausrufen, alarmiert sie ohnehin nicht. Auch das Gewerbe müsse sich bewegen. «Nur weil man in den letzten 30 Jahren vor dem Geschäft parkieren konnte, besteht kein ewiges Recht darauf. Das Bewahrende hat keine Zukunft.»

«Nur weil man in den letzten 30 Jahren vor dem Geschäft parkieren konnte, besteht kein ewiges Recht darauf.»

Als Projekt aus der Vergangenheit bezeichnet die 50-Jährige auch die geplante Reussportbrücke. Zwar ist sie im Vergleich zur Spange Nord geschrumpft. Für Dörflinger ist aber auch das neue Projekt keine Lösung. «Wir müssen uns davon verabschieden, in der Stadt für das Auto bessere Angebote zu schaffen.» In ihren Augen braucht es statt neuen Strassen mehr Anreize, damit die Leute das Velo, den Bus oder die S-Bahn benutzen. «Bei allen Projekten muss der Fokus auf dem Langsamverkehr liegen – das ist für mich sonnenklar.»

Judith Dörflinger im Video: «Die Stadt Luzern würde mir besser gefallen, wenn …»

Hinweis: Dieser Artikel ist Teil einer zentralplus-Serie zu den Kandidatinnen und Kandidaten für den Luzerner Stadtrat. Mehr Infos zu den Wahlen vom 29. März gibt’s in unserem Dossier.

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