Abstimmung Gotthard-Tunnel

Schaut Luzern in die Röhre?

Die grosse Fragen lautet: Was bringt der zweite Gotthard-Strassentunnel? (Karte im Hintergrund: Durchschnittlicher Tagesverkehr, Astra)

Eine zweite Röhre am Gotthard hat Auswirkungen auf Luzern. Und zwar massive. Davon sind die Gegner des Strassentunnelausbaus am Gotthard überzeugt. Alles Mumpiz, sagen die Befürworter. Eine Auslegeordnung aus regionaler Sicht.

Der Luzerner Ständerat Konrad Graber (CVP) mache Stimmung gegen die zweite Röhre, kritisierte der frühere FDP-Ständerat Georges Theiler kürzlich seinen bürgerlichen Kollegen gegenüber in einem Leserbrief in der «Neuen Luzerner Zeitung» (NLZ). Und Theiler wiederholt das auch gegenüber zentral+: «Grabers Argumente sind falsch.» Am 28. Februar wird über die heiss diskutierte Gotthard-Vorlage abgestimmt. 

Beim Streit geht es um den Bypass, den neuen Autobahntunnel also, der in ein paar Jahrzehnten die Stadt Luzern umfahren soll. Das ist zwar in den nationalen Debatten um den Strassentunnelausbau am Gotthard nur ein Nebenschauplatz, doch für die Agglomeration Luzern ist er wichtig, und die beiden Kontrahenten haben Gewicht: Konrad Graber ist Co-Präsident des Komitees «Bürgerliche gegen zweite Röhre»,  der ehemalige FDP-Ständerat Georges Theiler ist Co-Präsident des Komitees «Gotthard Tunnel sicher JA».

«Man kann den gleichen Franken nicht zweimal ausgeben.»

Konrad Graber, CVP-Ständerat

Woher kommt das Geld?

Konrad Graber (CVP)

Konrad Graber (CVP)

Zankapfel ist die so genannte Mittelkonkurrenz zwischen der zweiten Röhre und dem Bypass. «Wenn die zweite Röhre gebaut wird, fehlt das Geld für den Bypass», sagt Konrad Graber. Das stimme nicht, hält Georges Theiler dagegen, «denn das Geld für die zweite Röhre kommt aus dem Unterhaltsfonds, das Geld für den Bypass hingegen aus dem Infrastrukturfonds. Das sind zwei verschiedene Töpfe.»

«Das ist ein Irrtum», kontert Konrad Graber, denn zwischen den beiden Töpfen gebe es eine Verbindung, sozusagen eine Röhre. «Was aus dem Unterhaltsfonds ausgegeben wird, kann nicht mehr in den Infrastrukturfonds fliessen. Beide Töpfe haben die gleiche Quelle.»

Hinzu komme, dass der Bundesrat alle Strassenkassen in einem Nationalstrassen- und Agglomerationsfonds (NAF) zusammenfassen wolle. Das sei alles reichlich kompliziert, räumt Graber ein, aber es gelte auch im Strassenbau der Grundsatz: «Man kann den gleichen Franken nicht zweimal ausgeben.»

Georges Theiler (FDP)

Georges Theiler (FDP)

Wer recht hat, ist offen, doch Graber sieht sich als Sieger nach Punkten, denn selbst der Bundesrat schreibt in seiner Botschaft, dass wegen der zweiten Röhre das Geld für Verkehrsprojekte in den Regionen fehlen könnte.

«Der Gotthard ist ein Ferien- und Freizeittunnel»

Pragmatischer sieht Monique Frey, VCS-Geschäftsleiterin und grüne Kantonsrätin, den Streit. «Sollen wir am Gotthard kleckern, oder sollen wir das Geld dort einsetzen, wo es die grösste Wirkung erzielt?» Ihre Antwort: «Der Gotthard ist ein Ferien- und Freizeittunnel, da gibt es nur an Ostern und in den Sommerferien Staus. Bei uns in der Region Luzern hingegen haben wir jeden Tag Stau. Am Gotthard verkehren durchschnittlich 17’500 Fahrzeuge pro Tag, beim Seetalplatz sind es 50’000.»

 

«Der Gotthard ist ein Ferien- und Freizeittunnel.»

Monique Frey, Kantonsrätin (Grüne)

Für Monique Frey steht dabei nicht der Bypass im Vordergrund, den sie, im Gegensatz zu Konrad Graber, ablehnt. Es gebe in der Agglomeration Luzern zahlreiche Projekte, die schon in den nächsten Jahren finanziert werden müssten.

Monique Frey (Grüne)

Monique Frey (Grüne)

Sie erwähnt den Seetalplatz, wo grosse Nachfolgeprojekte in Reussbühl und Emmen anstehen, sie erwähnt das Agglomerationsprogramm, Verbesserungen beim Velo- und Fussgängerverkehr und weitere Verkehrsprojekte in Sursee, Beromünster und Hochdorf. «Wenn hier der Bund weniger mitfinanzieren kann, werden diese Projekte nicht oder nur schleppend umgesetzt. Wir brauchen das Geld hier, wo sehr viele Menschen davon profitieren können, und nicht am Gotthard, wo es verhältnismässig wenig Nutzen bringt.»

«Das schadet unserem Tourismus»

Ganz andere Akzente setzt Gaudenz Zemp, Direktor des kantonalen Gewerbeverbandes und FDP-Kantonsrat. Er setzt die wirtschaftlichen Interessen in den Vordergrund. «Süddeutschland und Norditalien sind unsere grössten Handelspartner», sagt Zemp, «da ist es zentral, dass wir auf einen reibungslosen Verkehr zählen können. Darum brauchen wir eine zweite Röhre, damit wir jederzeit zuverlässige Verkehrsverbindungen haben. Darauf sind wir angewiesen, auch in Luzern.»

Gaudenz Zemp sagt, im Sommer werde der Gotthard-Strassentunnel täglich von rund hundert Reisecars durchfahren, die Luzern ansteuern. «Wenn die Verbindung in der Sanierungszeit nicht mehr zur Verfügung steht, schadet das unserem Tourismus.» Luzern könne dadurch einen grossen wirtschaftlichen Schaden nehmen.

«Eine Verladelösung ist eine ‹Bastellösung›».

Gadenz Zemp, Direktor kantonaler Gewerbeverband

«Natürlich können die Cars auf andere Routen ausweichen, aber wir wissen nicht, ob sie dabei Luzern immer noch besuchen werden oder ob sie nach der Sanierungszeit wieder nach Luzern zurückkehren.» Für eine zweite Röhre, so das Fazit von Gaudenz Zemp, gebe es keine Alternative.

Eine Verladelösung, wie sie von den Gegnern als Alternative für eine zweite Röhre favorisiert werde, sei «eine Bastellösung», niemand könne es sich leisten, am Gotthard mit dem Verladen von Cars oder Lastwagen viel Zeit zu verlieren.

«Keine langen Wartezeiten und kein Zeitverlust»

Gaudenz Zemp (Gewerbeverband)

Gaudenz Zemp (Gewerbeverband)

Verladelösungen als Bastelei? Auch das ist umstritten. Für den Verlad gibt es verschiedene Konzepte, die aber erst nach einem Nein zur zweiten Röhre in den Fokus rücken würden. Die Verladelösung der Alpeninitiative sieht vor, dass der zu sanierende Strassentunnel im Sommer offen wäre und die Sanierungsarbeiten bloss im Winter gemacht würden, wenn die  Frequenzen auf der Gotthardautobahn sinken: In den Wintermonaten könnte der Autoverlad durch den «alten» Eisenbahntunnel organisiert werden, für Lastwagen stünde der Verlad durch den Neat-Basistunnel zur Verfügung, der am 1. Juni dieses Jahres eröffnet werden wird.

«Das ist keine Bastellösung», wehrt sich Konrad Graber. «Denn wenn man den Verlad schnell und effizient ausgestaltet, gibt es keine langen Wartezeiten und sicher keinen bedeutenden Zeitverlust.» Zudem schwäche ein neuer Strassentunnel die Verlagerung auf die Schiene. Für die NEAT, die drei Monate nach der Abstimmung eröffnet werde, hätten die Steuerzahlerinnen und -zahler zwanzig Milliarden Franken ausgegeben.

«Das gibt in der Agglomeration noch mehr Stau und Chaos.»

Konrad Graber, CVP-Ständerat

Umstritten ist auch, ob die zweite Röhre mehr Verkehr in die Agglomeration Luzern bringen wird. Konrad Graber verweist auf die künftig immens wachsenden Güterverkehrsströme, angestachelt etwa durch den Ausbau der Verladeanlagen in Ligurien und in Rotterdam. «Wenn die Durchfahrt am Gotthard attraktiver wird», gibt er überzeugt zum Ausdruck, «werden wir diesen Verkehr auch in der Agglomeration Luzern sehen». Das Bundesamt für Strassen (Astra) rechne selbst bei einem einspurig befahrenen Tunnel mit einer Verkehrszunahme von einem bis zwei Prozent pro Jahr. «Das gibt in der Agglomeration noch mehr Stau und Chaos.»

Der Cityring (gelb in der Mitte) und der Bypass (gelb aussen) sollen Stadt und Agglomeration entlasten.

Der Cityring (gelb in der Mitte) und der Bypass (gelb aussen) sollen Stadt und Agglomeration entlasten.

(Bild: Grafik: Kanton Luzern)

Noch jede neue Strasse habe mehr Verkehr angezogen, meint auch Monique Frey. «Wir sollten uns nichts vormachen: Wir werden in der Agglomeration Luzern noch mehr Abgas und Lärm haben als heute schon. Im Reuss-Sporttunnel haben wir schon jetzt täglich über 94’000 Fahrzeuge.»

«Mir ist schleierhaft, wieso wir in der Agglomeration Luzern mehr Verkehr bekommen sollten.»

Georges Theiler, ehem. FDP Ständerat

Das sei Unsinn, meint Georges Theiler. «Es wird am Gotthard keinen Ausbau der Kapazitäten geben.» Das verbiete der Alpenschutzartikel in der Bundesverfassung. «Wir werden nur zwei von vier Spuren in Betrieb nehmen. Mir ist schleierhaft, wieso wir in der Agglomeration Luzern mehr Verkehr bekommen sollten.»

Doch es gibt eine grosse Unbekannte: Wird, wenn sich an Ostern oder in der Sommerferienzeit die Autos am Gotthard stauen, nicht schnell der Ruf nach einer Öffnung sämtlicher Spuren kommen? Die Zweifel sind weit verbreitet, ob die Schweiz längerfristig dem Druck aus dem In- und Ausland wird standhalten können. 

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1 Kommentar
  • Profilfoto von rodolphe weibel
    rodolphe weibel, 20.01.2016, 09:23 Uhr

    Der neue 57 km lange Basistunnel überschreitet an keiner Stelle eine Höhe von 550 m, und ist in einer Viertelstunde durchfahren. Die historische Linie gipfelt auf einer Höhe von 1’150 m, und Züge durchfahren sie in eineinviertel Stunde durch. Der Scheiteltunnel entspricht in keiner Weise den heutigen Sicherheitsnormen. Die SBB haben mitgeteilt, dass kein Güterzug mehr diese Strecke befahren werde, und dass die Linie nicht mehr vorsorglich unterhalten wäre, sondern nur von Fall zu Fall repariert würde. Man kann sich eine Verlängerung bis nach Flüelen der Meterspurbahn, die Andermatt mit Göschenen verbindet, vorstellen. Dies würde eine direkte Verbindung, ohne Zugwechsel, von Flüelen bis Poschiavo oder Zermatt erlauben. Nord- und Süd-Rampen bleiben für Dampfzüge erhalten.

    Also, diese zweite Röhre:

    Den historischen Bahntunnel außer Betrieb setzen, sein Profil erweitern, ihn mit einer Sicherheitsgalerie versehen und einer modernen Lüftung ausstatten, ihn in einen Straßentunnel umbauen: das Ganze für 800 Millionen. Anschliessend den heutigen Straßentunnel sanieren: 600 Millionen. Gesamtkosten 1,4 Milliarden, um zwei vollständige Autobahnröhren zu erhalten.

    In Airolo wurden die Plattformen der Autobahn und der Eisenbahn im Abstand von 200 Metern ausgeführt. Eine bescheidene Ausstattung ist folglich ausreichend, um den Verkehr der Fahrzeuge des heutigen Straßentunnels auf den umgebauten Eisenbahntunnel umzuleiten. In Göschenen kreuzen sich mit 20 m Höhenunterschied die beiden Tunnel etwa einigen Hunderten Metern von den Portalen weit, so dass die Umleitung von einem zum anderen einfach ist.

    Der Arbeitsaufwand ist in keiner Weise mit dem Bau eines neuen Tunnels vergleichbar. Ab der Inbetriebnahme des Basistunnels ist der Scheiteltunnel über seine gesamte Länge für Maschinen zugänglich, die für seinen Umbau erforderlich sind; die Aushubarbeiten sind gering (660’000 m3, 2’200’000 für eine neue Röhre) die Umwelteinflüsse ebenfalls, die Unternehmung ist nicht mit technischen Schwierigkeiten verbunden und wird kaum auf geologische Hindernisse stoßen, die Kosten sind beherrschbar, die Ausführungsfristen kurz (zwei bis drei Jahren), da die Ausführung nicht vom Fortschritt von nur zwei Angriffspunkten abhängt (8.5 bis 15 Jahren, laut ASTRA), also ohne teure Überbrückungsmassnahmen (200 Mio).

    Und dieser, der denkt, dass der Scheiteltunnel für den Bahnverkehr weiter nötig bleibt, kann vorschlagen, dass nach der Sanierung des Strassentunnels der 1880er Tunnel wieder der Bahn zurückgegeben wird, verbreitert, erhöht, mit einem Sicherheitsstollen versehen, kurz, den modernsten Sicherheitsnormen entsprechend. Dieser zweite Umbau würde 100 Millionen kosten, also die Gesamtrechnung auf 1,5 Milliarden erhöhen.

    Dazu noch: Wer will, dass der Strassentunnel ohne zweite Röhre saniert wird, muss sich der Tatsache bewusst sein, dass der lehre Bahnscheiteltunnel eine sehr starke Versuchung für die Befürworter der zweiten Autobahnröhre bleiben wird.
    https://sites.google.com/site/gothardscheiteltunnel/memoire

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