Unnötiger Eingriff in Persönlichkeitsrechte?

SBB finden Videokameras am Bahnhof Rotkreuz unwichtig

Ein Ort zum Fürchten? Die SVP will am Bahnhof Rotkreuz Kameras installieren lassen. (Bild: Andreas Busslinger)

Rotkreuz will nächstes Jahr rund um den Bahnhof Rotkreuz Videokameras installieren – aus Sicherheitsgründen. Die Datenschützerin des Kantons Zug konnte zur geplanten Videoüberwachung keine Stellung nehmen.

Die Gemeinde Risch will rund um den Bahnhof Rotkreuz sieben Videokameras installieren. Obwohl es im Bereich des Bahnhofplatzes nicht auffällig viele polizeilich registrierte Vorfälle gibt (zentralplus berichtete). Die Videoüberwachung – und der damit verbundere Eingriff ins Persönlichkeitsrecht – soll das subjektive Sicherheitsgefühl von Passantinnen verbessern.

Die Gemeinde installiert die Kameras bereits im nächsten Jahr, sofern die Stimmbürger an der Gemeindeversammlung Ende November grünes Licht geben. zentralplus wollte bei der Datenschützerin des Kantons Zug nachfragen, was sie von der geplanten Videoüberwachung rund um den Bahnhof Rotkreuz hält. Die überraschende Antwort: Sie konnte zu den geplanten Kameras keine Stellung nehmen.

In Rotkreuz geplante Videokameras befinden sich auf SBB-Gelände

Damit fehlen Antworten der kantonale Datenschutzstelle auf wichtige Grundrechtsfragen: Ist bei der geplanten Videoüberwachungsprojekt die Verhältnismässigkeit gewahrt? Ist eine Kameraüberwachung aus Sicht des Datenschutzes gerechtfertigt, wenn sie alleinig darauf abzielt, das subjektive Sicherheitsgefühl zu verbessern?

Grundsätzlich muss die Datenschutzstelle bei geplanten Videoüberwachungen im Rahmen des gesetzlich vorgesehen Bewilligungsverfahrens einbezogen werden. Es gibt jedoch Ausnahmen, in denen der Betreiber der Videoüberwachung nicht unter das kantonale Videoüberwachungsgesetz fällt. Eine solche Ausnahme kommt zum tragen, wenn die Videokameras in öffentlichen Verkehrsmitteln oder in Bauten eines Unternehmens des öffentlichen Verkehrs installiert werden.

«Videoüberwachungen im öffentlichen und öffentlich zugänglichen Raum sind grundsätzlich problematisch, da dadurch verschiedene Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger tangiert oder eingeschränkt werden.»

Yvonne Jöhri, Datenschutzbeauftragte des Kantons Zug

Auf den ersten Blick ist das in Risch nicht der Fall. Die Gemeinde schreibt in ihren Unterlagen, dass sich die geforderten Kamerastandorte «teilweise» auf Grundeigentum der SBB befinden. Das ist falsch, wie sich auf Nachfrage bei der Gemeinde Risch zeigt.

Alle sieben geplanten Standorte befinden auf dem Areal der SBB. Grund für die Verwirrung dürfte sein: In der Motion – auf welche die Überwachung zurückzuführen ist – forderte die SVP ursprünglich, dass auch ausserhalb des SBB-Geländes Kameras installiert werden.

Die SBB wurden auf Wunsch der Gemeinde aktiv

Da die geplanten Kamerastandorte nun auf dem Geländer der SBB sind, ist die Konsultierung der kantonalen Datenschutzstelle nicht zwingend. Bindend sind die Datenschutzhinweise im Eisenbahn- und Personenbeförderungsgesetz.

Wie die Gemeinde Risch auf Anfrage schreibt, werden die SBB für die Installation und den Betrieb verantwortlich sein. Diese teilen uns wiederum mit, dass sie auf Wunsch der Gemeinde Kamerastandorte bestimmen und «entsprechend offeriert» haben. Die SBB schreibt, dass sie «aufgrund der aktuellen Sicherheitslage im Bereich des Bahnhofs Rotkreuz-Risch grundsätzlich keine Dringlichkeit sah, Kameras zu installieren.»

Laut der Gemeinde Risch sei «das notwendige gesetzliche Verfahren» durchgeführt worden. «Die geplanten Standorte der Videoüberwachung befinden sich alle auf dem Gelände der SBB. Daher gelten für die Kamerastandorte die Datenschutzhinweise für die Videoüberwachung auf Bahnhöfen und SBB-Arealen», so die Gemeinde Risch auf Anfrage.

zentralplus hat Yvonne Jöhri, Datenschutzbeauftragte des Kantons Zug, dennoch um eine Einschätzung des geplanten Projektes gebeten. Gegenüber zentralplus sagt sie: «Aufgrund der Unterlagen zur Gemeindeversammlung lässt sich keine Beurteilung abgeben, da wesentliche Angaben zur Beurteilung der Rechts- und Datenschutzkonformität fehlen.»

Allgemein sagt sie aber: «Videoüberwachungen im öffentlichen und öffentlich zugänglichen Raum sind grundsätzlich problematisch, da dadurch verschiedene Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger tangiert oder eingeschränkt werden.»

Videoüberwachung hat keinen präventiven Effekt

Überwachungskameras sollen durch einen Abschreckungseffekt potenzielle Täter von rechtswidrigem oder unsittlichem Verhalten abhalten. Internationale Studien über die Wirksamkeit zeigen aber ein äussert gemischtes Bild.

Wie Michael Zehnder von der Uni Basel in einer Studie des Jahres 2014 für die Stadt Luzern zusammenfasst, sind die meisten Untersuchungen zur Wirksamkeit von Videoüberwachung in Grossbritannien durchgeführt worden und haben sich mit der Videoüberwachung von Parkhäusern befasst. «Praktisch alle Studien aus anderen geografischen Regionen zeigen keine mässigende Wirkung auf kriminelles Verhalten», so der Studienautor. Gerade im Bereich des öffentlichen Verkehrs seien die Resultate durchmischt, respektive nicht schlüssig.

Die Gemeinde Risch hat sich solche Studien wohl auch angeschaut, denn auch sie scheint sich nicht sicher zu sein, wie viel die Kameras bringen. Sie bestätigt, dass rund um den Bahnhof Rotkreuz nicht auffällig viele Delikte verübt wurden. Zudem schreibt auch sie, dass «die positive Wirkung auf körperliche Angriffe keinesfalls bewiesen ist.»

Einwohnerinnen der Gemeinde Risch haben das letzte Wort

Aber: Kommt es im überwachten Raum rund um den Bahnhof Rotkreuz ein Delikt, dann könnten die Videoaufnahmen für die Zuger Polizei hilfreich sein. Auch wenn die Aufnahmen lediglich fünf Tage gespeichert werden, bleibt gemäss Mediensprecher Frank Kleiner genug Zeit, das entsprechende Videomaterial zu beantragen.

Obschon Videoüberwachungen umstritten sind, findet es die Gemeinde Risch sinnvoll, zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls eine Videoüberwachung rund um den Bahnhof Rotkreuz zu installieren. Ob dies die Rischer auch so sehen, wird sich zeigen. Sie werden am 29. November an der Gemeindeversammlung über das Projekt entscheiden.

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Yvonne Jöhri, Datenschutzbeauftragte des Kantons Zug
  • Schriftlicher Austausch mit Luana Quinter, Mediensprecherin der SBB
  • Schriftlicher Austausch mit André Keusch, Bereichsleiter Umwelt/Sicherheit, Gemeinde Risch
  • Schriftlicher Austausch mit Frank Kleiner, Mediensprecher der Zuger Polizei
  • Gesetz über die Videoüberwachung im öffentlichen und im öffentlich zugänglichen Raum
  • Unterlagen zuhanden der Gemeindeversammlung der Gemeinde Risch
  • Studie der Uni Basel
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2 Kommentare
  • Profilfoto von PSCHT
    PSCHT, 26.11.2022, 11:14 Uhr

    Das ist in meinen Augen reine Geldverschwendung, denn da wo nötig hat es heute bereits genügend Kameras. Weitere werden die Sicherheit wohl kaum erhöhen und verursachen in der Regel nur ungenutzte Kosten. Den unbeholfenen Drang nach immer noch mehr Sicherheit kann ich nicht verstehen. Ich fühle mich zu jeder Zeit sicher in unserem Land. Es gibt effizientere Wege der Angstbewältigung.

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  • Profilfoto von Alex Haslimann
    Alex Haslimann, 25.11.2022, 16:44 Uhr

    Eine Videoüberwachung ist wie eine Versicherung: Die braucht auch keiner, solange nichts passiert!
    Am besagten Standort sind zwischen 2014 bis 2021 10 schwerwiegende Vorfälle passiert. Eine Videokamera hätte das zwar wohl nicht verhindern können aber zumindest bei der Aufklärung helfen können. Auch wenn die Presse ständig davon schwafelt, es sei nicht notwendig. Die Motionäre denken das schon.
    Nebenbei: Die Motionäre verlangen keine expliziten Standorte! Man verlangte lediglich eine Prüfung einer Installation einer Videoüberwachung.

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