Vorfälle an Zuger Demonstrationen

Rechtsexperte geht von Amtsmissbrauch aus

Hat die Zuger Polizei am Klimastreik im November 2021 rechtswidrige Personenkontrollen durchgeführt? Rechtsexperte Markus Mohler (im Bild) geht in einigen Fällen von Amtsmissbrauch aus. (Bild: zvg)

Rechtsexperte Markus Mohler analysiert die von den Zuger Demo-Organisatoren erhobenen Vorwürfe gegenüber den Behörden. Seine Schlussfolgerungen sind brisant.

Fünf Zuger Organisationen werfen den Behörden und der Polizei vor, im Umfeld von Demonstrationen ihre Rechte eingeschränkt zu haben (zentralplus berichtete). Die zuständigen Behörden seien Veranstaltungen mit den Themen Ökologie oder Gerechtigkeit im Bewilligungsverfahren mit Repression begegnet.

Rechtsexperte Markus Mohler hat die Liste mit den Vorfällen rund um die Demonstrationen in Zug genau studiert. Mohler war Dozent für öffentliches Recht – speziell Sicherheits- und Polizeirecht – an den Universitäten Basel und St. Gallen. Er hat zum Polizeirecht der Schweiz zwei Standardwerke verfasst und war früher Staatsanwalt und Polizeikommandant in Basel-Stadt.

Auf Anfrage äussert sich Mohler detailliert zu jedem einzelnen der Vorwürfe, welche die Demo-Organisatoren gegen die Stadt und gegen die Zuger Polizei erheben. Mohler spricht von einem «interessanten Einblick in die Verwaltungspraxis».

Im Folgenden hat Mohler fünf der neun Vorwürfe im Detail untersucht.

Verbaler Ausfall bei Bewilligung: «Unzulässig»

Vorfall/Vorwurf: Verbaler Ausfall bei der Strike-for-Future-Veranstaltung vom Mai 2021.

Gemäss Strike for Future Zug machte sich ein Verwaltungsangestellter der Stadt Zug über eine Forderung von Strike for Future lustig. Es ging dabei um die Forderung nach einer kürzeren Arbeitszeit. Konkret fragte der Verwaltungsangestellte die Person von Strike for Future, ob sie denn schon jemals gearbeitet habe.

Stadtrat Urs Raschle schreibt dazu, es sei damals tatsächlich zu einer «schwierigen Diskussion» mit einem Sachbearbeiter der Stadt gekommen. Der betreffende Mitarbeiter habe sich dafür mündlich und schriftlich entschuldigt.

Der Kommentar von Rechtsexperte Markus Mohler zu diesem Vorfall lautet kurz und bündig: «Unzulässig».

Personenkontrollen: Nie ohne plausiblen Grund

Vorfall/Vorwurf: Polizeiliche Willkür beim Klimastreik in Zug vom November 2021.

Klimastreik Zug schreibt, zwei Personen mit Megafon seien auf dem Weg vom Bahnhof zum Demo-Treff von der Polizei kontrolliert worden.

Judith Aklin, Sprecherin der Zuger Polizei, schreibt: «Es wurde eine Personenkontrolle durchgeführt, wie sie im Polizeigesetz verankert ist und jederzeit durchgeführt werden kann.» Wie sich herausgestellt habe, sei bei den kontrollierten Personen alles in Ordnung gewesen.

Rechtsexperte Markus Mohler hält dazu fest: «Falls sich dies genau so abgespielt hat, handelt es sich um eine rechtswidrige Personenkontrolle.»

«Die Kontrolle der Stände ist nicht zulässig, ausser es besteht der plausible Verdacht, es würde mit Plakaten oder Ähnlichem zu Verbrechen oder Gewalt aufgerufen.»

Rechtsexperte Markus Mohler

Die Darstellung der Zuger Polizei legt den Schluss nahe, dass es sich in der Tat so abgespielt hatte, wie es der Zuger Klimastreik in seiner Auflistung beschreibt. Die Zuger Polizei widerspricht der Darstellung des Klimastreiks inhaltlich nicht.

Mohler kontert denn auch das Argument der Zuger Polizei: Natürlich könnten Personenkontrollen «jederzeit» durchgeführt werden, dies aber nicht grundlos oder mit nicht haltbaren Gründen. «Es muss ein plausibler, hinreichender Grund hinsichtlich einer begangenen oder unmittelbar beabsichtigten Rechtswidrigkeit vorhanden sein, um eine Personenkontrolle durchzuführen.» Dies ergebe sich aus dem Prinzip der Verhältnismässigkeit.

Zivilpolizist kontrollierte Informationsstände

Vorfall/Vorwurf: Verbaler Ausfall bei der 1.-Mai-Feier 2022.

Der Zuger Gewerkschaftsbund berichtet, dass damals ein Zivilpolizist die Informationsstände kontrolliert habe. Der Polizist habe die inhaltliche Positionierung eines Teils des 1.-Mai-Komitees beanstandet. Diese Personen seien gar nicht Teil der gewerkschaftlichen Bewegung.

Der Gewerkschaftsbund schildert das Ganze so: «Der Polizist hatte einen Knopf im Ohr, was darauf hindeutet, dass er nicht alleine unterwegs war. Er wollte mit einer Person aus dem OK sprechen und sagte dieser Person, er habe gesehen, dass auch linksextreme Bewegungen und andere Bewegungen dabei seien, die gar nichts mit den Gewerkschaften zu tun hätten. Er meinte dann, dass er Meldung mache, da die Bewilligung nur für den Gewerkschaftsbund sei.»

Judith Aklin von der der Zuger Polizei schreibt, der Mitarbeiter, der für diese Kontrolle in Frage komme, sei noch ferienabwesend. Deshalb könne sie nicht abklären, was er beanstandet habe.

«Die Busse war zweifelsohne rechtswidrig respektive willkürlich.»

Rechtsexperte Markus Mohler

Rechtsexperte Markus Mohler hält fest: «Die Kontrolle der Stände ist nicht zulässig, ausser es besteht der plausible Verdacht, es würde mit Plakaten oder Ähnlichem zu Verbrechen oder Gewalt aufgerufen.»

Es kann davon ausgegangen werden, dass die Polizei keine derartigen Aufrufe festgestellt hatte, sonst müsste dies in den Akten zu finden sein. Luzian Franzini vom Zuger Gewerkschaftsbund hält auf Anfrage fest, an diesen Ständen sei sicher nicht zu Gewalt aufgerufen worden.

Das Fazit von Markus Mohler: «Die Kritik am Inhalt der Informationsstände ist rechtswidrig, weil sie die Meinungsäusserungsfreiheit verletzt.»

Busse von 650 Franken, weil Demo auf die Strasse «drückte»

Vorfall/Vorwurf: Illegale Busse am Frauenstreik vom Juni 2019.

Das Frauenstreikkollektiv beschreibt den Vorfall so: Die Demo habe nur eine Bewilligung für den Gehsteig erhalten. «Da sehr viele Personen kamen, drückte die Demo im Bereich Vorstadt auf die Strasse.» Dafür habe es eine Busse von 650 Franken gegeben. Man habe die Busse damals «zähneknirschend» akzeptiert, erklärt eine Sprecherin des Frauenstreiks. Im Nachhinein sei aber klar geworden, dass diese Busse nicht rechtmässig war.

Die Zuger Polizei schreibt, der Demonstrationszug habe damals die von der Stadt Zug bewilligte Route verlassen und die Kantonsstrasse betreten, wodurch der Verkehr zum Erliegen gekommen sei. Der am 29. Oktober 2019 ausgestellte Strafbefehl sei in Rechtskraft erwachsen. Die gebüsste Person habe damals die Einsprachefrist von zehn Tagen ungenutzt verstreichen lassen.

Rechtsexperte Markus Mohler bezeichnet die Einschränkung des Ortes bei einer Demo als rechtswidrig. Die Versammlungs- respektive Demonstrationsfreiheit enthalte nämlich auch einen Leistungsanspruch gegenüber dem Staat. Dafür rede man vor der Bewilligung (Verfügung) miteinander, das entspreche dem rechtlichen Gehör.

Der Staat habe die Pflicht, einen geeigneten Raum zur Verfügung zu stellen. Diesbezüglich gebe es mehrere Bundesgerichtsentscheide.

Das Fazit von Markus Mohler: «Die Busse war zweifelsohne rechtswidrig respektive willkürlich.»

Fünf Konzepte? «Unzulässig», sagt der Experte

Vorfall/Vorwurf: Restriktionen beim Frauenstreik vom März 2022.

Das Frauenstreikkollektiv schreibt, die vorgesehene Route durch die Innenstadt sei abgelehnt worden mit dem Argument, Verkehr und Busverkehr würden zu stark beeinträchtigt.

Zudem seien zur Bewilligungsverhandlung fünf Beamte erschienen (gegenüber ein bis zwei Frauen vom Kollektiv): «Das empfinden wir als Machtdemonstration und Ressourcenverschwendung.»

Vom Komitee sei weiter die Erarbeitung von fünf Konzepten gefordert worden (Sicherheitskonzept, Verkehrskonzept etc.).

Die Zuger Polizei schreibt, die betreffende Route sei anlässlich der Besprechung mit den Organisatorinnen «in gegenseitigem Einvernehmen» festgelegt worden. Eine Route durch die Bahnhofstrasse sei aus Sicherheitsgründen und wegen des ÖV nicht möglich gewesen.

Die Zuger Polizei bestätigt, dass insgesamt fünf Mitarbeiter der Stadt und der Polizei bei der Besprechung anwesend gewesen seien. Eine solche «persönliche Besprechung» sei «ein Service für den Bürger».

«An sich ist das nicht zu beanstanden, auch wenn dem Missverhältnis ein gewisser ‹chilling effect› nicht abgesprochen werden kann.»

Rechtsexperte Markus Mohler

Gemäss der Zuger Polizei handelt es sich bei den genannten Konzepten um eine bis zwei A4-Seiten. Der Aufwand halte sich in Grenzen.

Der Rechtsexperte Markus Mohler schreibt, Routenbeschränkungen, z. B. zugunsten des ÖV, seien zulässig, soweit diese verhältnismässig seien: «Ob dies vorliegend verhältnismässig war, kann ich nicht beurteilen.»

Zum Auftritt von fünf Mitarbeitenden meint Mohler: «An sich ist das nicht zu beanstanden, auch wenn dem Missverhältnis ein gewisser ‹chilling effect› nicht abgesprochen werden kann.»

Die Forderung nach fünf Konzepten bezeichnet Rechtsexperte Mohler als «unzulässig, da völlig unverhältnismässig.» Zulässig wäre es, ein kurzes Konzept zu verlangen, allenfalls mit einer Variante.

Verdacht auf Amtsmissbrauch in zwei Fällen

Für Rechtsexperte Markus Mohler besteht der Verdacht, dass verschiedene dieser Restriktionen amtsmissbräuchlich erfolgten. «Bei zweien scheint dies eindeutig der Fall zu sein», hält Mohler auf Anfrage fest.

Klar ist: Rechtsexperte Mohler denkt bei diesen zwei Fällen an die oben beschriebene Personenkontrolle (zwei Personen mit Megafon) und an die Kontrolle der Stände am 1. Mai 2022.

Anzufügen bleibt: Amtsmissbrauch ist ein Offizialdelikt. Die Tatbestände sind nicht verjährt. Wie geht es nun weiter mit den Zuger Demonstrationen? Was sagen die Stadt, der Kanton und die Organisatoren dazu? Das lest ihr im Teil 3 unserer Serie.

Serie zu den Vorwürfen der Zuger Demo-Organisatoren

Im Juni erhoben Zuger Demo-Organisatoren in einem offenen Brief Vorwürfe an die Stadt Zug und die Zuger Polizei. zentralplus hat sich die Vorwürfe genauer angeschaut und einem Rechtsexperten vorgelegt. Seine Schlüsse und die Konsequenzen daraus veröffentlicht zentralplus als Serie:

Verwendete Quellen
  • Detaillierte Liste der Vorwürfe, zugesandt vom Klimastreik Zug
  • Schriftlicher Austausch mit Markus Mohler, Stadtrat Urs Raschle und der Zuger Polizei
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3 Kommentare
  • Profilfoto von Roli Greter
    Roli Greter, 24.08.2022, 21:45 Uhr

    Eigentlich ein guter Bericht, aber Demonstration ist nicht gleich Demonstration…

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  • Profilfoto von Hans Peter Roth
    Hans Peter Roth, 23.08.2022, 18:54 Uhr

    Ich bin froh und dankbar, dass Z+ die zahlreichen Vorwürfe wegen polizeilicher Willkür und Amtsmissbrauch im Kanton Zug einem Rechtsexperten zur Beurteilung vorgelegt hat. Rückblickend hat sich bestätigt, dass 2006 mit der Machtübernahme von Beat Villiger als Justiz- und Polizeidirektor das politische Klima im Kanton Zug merklich repressiver wurde. Zum Glück zieht er sich nun in den finanziell gut gepolsterten Rentnerfauteuil zurück, und dem monolithisch neoliberal ausgerichteten Regierungsrat möchte ich eine dringende Blutauffrischung durch visionär denkendes Personal gönnen.

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  • Profilfoto von K. Iten
    K. Iten, 23.08.2022, 18:24 Uhr

    Spannender Bericht und wohl eine weitere Bestätigung, wie in Zug „hantiert“ wird. Die Zuger Polizei schützt nicht die Menschen, sondern nur das System. Irgendwann muss auch diese Behörde kapieren, dass solche Verfehlungen nicht goutiert werden und Grundrechte verletzt wurden. Bleibt dran und klärt auf!

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