Stille Wahlen in Walchwil ohne Tobias Hürlimann

Politisches Schwergewicht an der Zuger Riviera dankt ab

Nach 18 Jahren als Gemeinderat und zehn Jahren als Gemeindepräsident tritt Tobias Hürlimann bei den Wahlen in Walchwil nicht mehr an.

(Bild: woz)

Walchwil ist die einzige Gemeinde im Kanton Zug, bei der das Wahlergebnis bereits feststeht. Grund: Gemeindepräsident Tobias Hürlimann (CVP) und René Loosli (FDP) kandidieren nicht mehr – zwei Ersatzkandidaten aus den jeweiligen Parteien übernehmen ihre Ämter. Und da keine weiteren Kandidaten antreten, gibt’s nur stille Wahlen.

Wer ins Millionärsdorf an der Zuger Riviera fährt, dem sticht sofort ins Auge: Die vielen Wahlplakate zieren lauter Köpfe, die mit den Gemeinderatswahlen in Walchwil nichts, aber rein gar nichts zu tun haben. Kein Wunder: Die Gemeinde entzieht sich dem demokratischen Ritual des Volkes. Mangels Kandidaten.

Hürlimann zu den Nichtwahlen

«Wahrscheinlich kann man da schon von einem Sonderfall sprechen – sind wir im Kanton Zug doch die einzige Gemeinde, in der stille Wahlen stattfinden», räumt Gemeindepräsident Tobias Hürlimann ein. Erstmals seit 1994 wird die Gemeinderatswahl in Walchwil als einzige im Kanton Zug ausfallen, weil es für die fünf Sitze ebenso viele Kandidaten gibt.

Dabei beteuert der 55-jährige CVP-Politiker, der nun seit 18 Jahren Gemeinderat und seit zehn Jahren Gemeindepräsident ist, es wäre ihm persönlich auch lieber, wenn es am 7. Oktober Wahlen geben würde. Als Gemeinderat sei er aber auch nicht unglücklich darüber, wenn keine Wahlen stattfinden. «Das erspart der Gemeinde einigen Aufwand.»

«Ich kann mit dem Begriff Dorfkönig nicht viel anfangen.»

Tobias Hürlimann, Gemeindepräsident Walchwil

Es sei aber auch schwierig, so Hürlimann, überhaupt Kandidaten zu finden. In der CVP Walchwil habe man seinen Namensvetter Matthias Hürlimann – «er ist kein Verwandter von mir» – mobilisieren können. Bei der FDP werde der langjährige René Loosli durch René Peyer ersetzt.

Die Hürlimänner: Unternehmer Tobias Hürlimann vor der Ahnengalerie in seiner Firma.

Die Hürlimänner: Unternehmer Tobias Hürlimann vor der Ahnengalerie in seiner Firma.

(Bild: woz)

Matthias Hürlimann (40) ist dreifacher Familienvater und von Beruf Zimmermann. Stefan Hermann, amtierender Gemeinderat (CVP), übernimmt das Gemeindepräsidium. Der Freisinnige Peyer hat Jahrgang 1977 und ist Rechtsanwalt. Des Weiteren kandidieren die amtierenden Gemeinderätinnen Eveline Bräm (FDP) und Caroline Schmid (SVP) erneut.

Mangels weiterer Kandidaten sind alle fünf – wie gesagt – bereits automatisch gewählt. Sie müssen nicht mehr vom Stimmvolk an der Urne legitimiert werden. Nicht zuletzt, weil Ex-SP-Gemeinderat Guido Suter keinen Bewerber auftreiben konnte und dieser selbst lieber für den Kantonsrat kandidiert, fallen die Wahlen in Walchwil also buchstäblich ins Wasser.

Aber warum hört «Dorfkönig» Tobias Hürlimann eigentlich auf? «Ich kann mit dem Begriff Dorfkönig nicht viel anfangen – er ist von aussen aufgesetzt», stellt er klar. Sein Herz und seine politische Leidenschaft würden weiter für Walchwil schlagen – aber seine Vernunft sage ihm, er solle nun aufhören. «Zumal die grösseren Projekte wie der Ausbau der Oberdorfstrasse und das neue Gemeindezentrum neben der katholischen Kirche fertiggestellt sind.» Und auch die Tennisplätze auf dem Lienisberg könnten jetzt gebaut werden.

Hürlimann zum umstrittenen Doppelspurausbau

Befällt Hürlimann womöglich der Fluchtreflex, weil er mit dem umstrittenen Zug-Doppelspurausbau der SBB nichts mehr zu tun haben will? (zentralplus berichtete)

«Im Gegenteil. Ich bin nach fünf Jahren froh, dass nun gesichert ist, dass der Ausbau kommt und Walchwil durch die 2,2 Kilometer lange Gleisspange mehr Personenzüge, bessere S- und öV-Bahnverbindungen sowie neue, auch steuerkräftige Zuzüger erhält.»

In Walchwil soll künftig eine Doppelspur entstehen. Nach fünf Jahren juristischem Streit geht es nächstes Jahr los mit dem Bau der 2,2 Kilometer langen Spange.

In Walchwil soll künftig eine Doppelspur entstehen. Nach fünf Jahren juristischem Streit geht es nächstes Jahr los mit dem Bau der 2,2 Kilometer langen Spange.

(Bild: zentral+)

Er hegt keinen Zweifel an den Zusicherungen der SBB, dass die Strecke Walchwil am Ende nicht zum lauten Güterzugtrassee verkommt – sondern eben nur in Notfällen als solches genutzt werde. Deshalb stösst ihm «das neue Misstrauen, welches die beiden Ständeräte Eder und Hegglin jüngst geäussert haben», sauer auf. So etwas verursache nur neuen Schaden (zentralplus berichtete).

Hürlimann zur mangelnden Infrastruktur im Dorf

Von besseren öV-Verbindungen kann Walchwil, das im Augenblick ja nur im Stundentakt per S-Bahn erreichbar ist, nur profitieren. Aber wie steht’s eigentlich um die Infrastruktur im Dorf selbst? Seit Jahren gibt’s keinen Bäcker und keinen Metzger mehr. Walchwil ist zum gediegenen Schlafdorf degeneriert. Nur ein Spar-Markt versorgt die 3’700-Einwohner mit dem Nötigsten.

Walchwil hat neben der katholischen Kirche nun ein modernes Dorfzentrum.

Walchwil hat neben der katholischen Kirche nun ein modernes Dorfzentrum.

(Bild: zvg)

«Man muss klar sehen: Es liegt an uns Walchwilern selbst, dass es nicht mehr Läden gibt», sagt Hürlimann. Seine Frau würde auch zum Bäcker und Metzger ins nahe Arth oder nach Zug fahren. Die Brotverkaufsstelle im Café Riviera im neuen Gemeindezentrum entspreche nicht den Einkaufsbedürfnissen. Er habe schon entsprechende Erfahrungen gemacht. «Und das Café hat seine Öffnungszeiten und eben am Sonntag geschlossen.»

Hürlimann zur verwaisten Nobel-Gastronomie

Zumindest die Gastronomie im Dorf blüht laut Hürlimann wieder auf. «Der ‹Engel› läuft wieder gut.» Die «Aesch» hat soeben neu eröffnet (zentralplus berichtete) und auch im «Sternen» regt sich was.

Im Walchwiler Gourmettempel wird zwar seit anderthalb Jahren nicht mehr gekocht, weil die vorigen Pächter aus gesundheitlichen Gründen aufhören mussten. Nun hat der Gemeindepräsident gute Nachrichten. «Am 3. Oktober eröffnet die Familie Bernard das Restaurant neu», so Hürlimann – der ein Mitbesitzer des Lokals ist (zentralplus berichtete).

Hürlimann zu Walchwiler Traditionen

Gemäss dem Walchwiler Gemeindepräsidenten ist und bleibt Walchwil eine spezielle Gemeinde im Kanton Zug – die nicht immer an erster Stelle im Bewusstsein der Zuger stehe.

«Das hat historisch vielleicht damit zu tun, dass wir lange warten mussten, bis wir von den Zugerland Verkehrsbetrieben mit einer Buslinie bedacht wurden», sagt Hürlimann. Andererseits habe man in Zug die Walchwiler Zahlungen in den kantonalen Finanzausgleich immer gerne gesehen. Aktuell seien es 3,5 Millionen Franken.

«Wir haben in Walchwil mit Speisen wie Härdöpfelkuchen und Chässuppe auch spezielle Menüs.»

Tobias Hürlimann

Dass Walchwil oftmals als «schwyzerische» Gemeinde wahrgenommen werde, liege auch am lebendigen Brauchtum wie dem Chlausjagen oder den Trychlern. «Wir haben in Walchwil mit Speisen wie Härdöpfelkuchen und Chässuppe auch spezielle Menüs.»

In Walchwil herrsche in den über 35 Vereinen ein reges Vereinsleben. Und auch die Korporation, der die Hälfte des Gemeindelands in Walchwil gehöre, übe einen grossen Einfluss aus. Zur Koporation Walchwil zählt bekanntlich auch die Hürlimann-Dynastie. «Rund 400 bis 450 Hürlimanns leben übrigens noch in Walchwil», sagt Hürlimann.

Hürlimann zu den vielen Ausländern im Dorf

Trotz urchiger Traditionen klappt laut Hürlimann das Zusammenleben zwischen Einheimischen und dem Drittel an in Walchwil beheimateten Ausländern sehr gut.

Formel-1-Fahrer Sebastian Vettel kam mit 19 nach Walchwil, wo er vier Jahre wohnte.

Formel-1-Fahrer Sebastian Vettel kam mit 19 nach Walchwil, wo er vier Jahre wohnte.

(Bild: zvg)

«Es gibt keine Reibereien, es herrschen Ruhe und Anonymität für all diejenigen, die dies wollen.» Viele Expats würden sich jedoch aktiv in Vereinen integrieren – insbesondere im Walchwiler Kirchenchor und im Fussballclub. «Die Frauengemeinschaft wird mittlerweile von Ausländerinnen mitgeführt und funktioniert hervorragend», so Hürlimann.

Die Expats und Ausländer in Walchwil kommen überwiegend aus Deutschland, skandinavischen Ländern und Russland. «Englisch ist unter den Expats die Hauptsprache.»

Hürlimann zu den weniger gewordenen Promis

Keine Frage: Walchwil ist nach der Stadt Zug die internationalste Gemeinde im Kanton. Das hat auch mit so manchen Promis zu tun, die an der «Zuger Riviera» leben – oder hier eine Dependance hatten. Beispielsweise der Fiat-Manager Sergio Marchionne – der vor Kurzem tragisch an Krebs verstarb. Nicht zu vergessen auch Formel-1-Rennfahrer Sebastian Vettel.

«Der kam mit 19 Jahren nach Walchwil und feierte hier seinen ersten Formel-1-Sieg in Monza», erinnert sich Hürlimann. Vettel habe es in Walchwil gut gefallen. «Er trainierte mit dem Fussballclub, joggte durchs Dorf, ging Kanu fahren auf dem See.» Allerdings habe man Vettel, der jetzt im Thurgau wohnt, in Walchwil nicht die passende Immobilie vermitteln können. «Vettel hat sich seit seinem Wegzug bei uns nicht mehr gemeldet.»

«Vor vier Jahren ist Thomas Hürlimann heimgekehrt.»

Tobias Hürlimann

Doch ein Promi lebt wieder in Walchwil – Hürlimanns Cousin und Schriftsteller Thomas Hürlimann (zentralplus berichtete). «Vor vier Jahren ist er heimgekehrt. Es gefällt ihm gut hier – er geht in Restaurants zum Essen und zum Kaffeetrinken. Er schreibt hier sogar wieder.»

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