Bürgerlicher Aufruf in Luzern irritiert

Flyer sorgt endlich für etwas Wahlkampfstimmung

Die Stadträtinnen Franziska Bitzi (links) und Manuela Jost können auf breite Unterstützung der Bürgerlichen zählen.

Ein Flugblatt, das für eine Wahl der beiden bisherigen Stadträtinnen am 28. Juni wirbt, scheint die Bewohner in «Bürger» und «Linksgrüne» einzuteilen. Während die Bürgerlichen beschwichtigen, verweist die SP auf die Herkunft der Unterstützer.

Obwohl die diesjährigen städtischen Regierungs- und Parlamentswahlen viel Spannung versprachen, gab es bislang kaum einen Wahlkampf. Denn fast unmittelbar nach der Fasnacht kam der Lockdown, der eine öffentliche Diskussion mehr oder weniger verunmöglichte. Wie es scheint, wird dies anlässlich des zweiten Wahlgangs für den Stadtrat nachgeholt.

Den Anfang macht ein bürgerliches Komitee mit einem Flyer, der in zahlreiche Haushalte in der Stadt geflattert ist. Ein Satz auf dem Flugblatt sorgt bereits für Irritationen. Stein des Anstosses ist folgender Satz: «Mit Ihrer Wahl tragen Sie die Entscheidung mit, wer in Luzern in den kommenden vier Jahren im Stadtrat die Leitplanken setzt: Sie, die Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt, ... oder Links-Grün.»

Um den umkreisten Satz dreht sich die Diskussion.

Bei der FDP sieht man kein Problem

An dieser Formulierung stört sich ein sichtlich enervierter Bürger, dem die Politwerbung in den Briefkasten gelegt wurde: «Das Komitee (...) scheint uns Linke und Grüne schon nicht mehr als Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt zu betrachten», schreibt er in einem Mail. Und weiter: Leider macht auch in Luzern die trump’sche Methode Schule, die Bevölkerung zu spalten, statt sich gemeinsam den Herausforderungen der Zukunft zu stellen. Schade!»

Ganz glücklich ist die Formulierung tatsächlich nicht, denn in den oft hitzigen Debatten werden insbesondere von den Bürgerlichen wiederholt die angeblich existierenden Grabenkämpfe beklagt. Ein Wahlkampf auf Basis des Slogans dürfte jedoch kaum zu deren Überwindung beitragen, teilt er die Wählerinnen der Stadt doch explizit in zwei unterschiedliche, fast unvereinbare Gruppen ein.

Dem Komitee gehört auch Fabian Reinhard, Grossstadtrat und Präsident der FDP Stadt Luzern an. Die Suppe möchte er nicht zu heiss kochen, es heisse ja nicht umsonst «Wahlkampf». «Wir wollen der Bevölkerung aufzeigen, dass ihr Entscheid grosse politische Auswirkungen haben wird.» Deshalb habe man die Botschaft bewusst pointiert formuliert. Ob links-grüne Wähler keine Bürger seien, sei natürlich eine überflüssige Frage. «Natürlich sind wir alle – unabhängig von der politischen Einstellung – Bürgerinnen und Bürger.»

«Einige Formulierungen auf dem Flyer zeugen von schlechtem Stil.»

Claudio Soldati, Präsident SP Stadt Luzern

Und Reinhard ergänzt: «Die Wähler haben Anspruch darauf, dass nun endlich über Inhalte diskutiert wird. Aufgrund der speziellen Situation war das leider kaum möglich.» Ausserdem habe man als Partei des Gewerbes wegen Corona in jüngster Zeit an ganz anderen Fronten kämpfen müssen. Kritik an den Formulierungen auf dem Flyer lässt er folglich nicht gelten. Und auch die Gefahr, dass den Wählerinnen damit suggeriert wird, dass in der Stadt eine Spaltung im Sinne von «Wir und die Anderen» herrscht, sieht er nicht.  

Viele Komiteemitglieder leben gar nicht in der Stadt

Anders Reinhards Grossstadtratskollege und SP-Präsident Claudio Soldati: «Einige Formulierungen im Flyer zeugen von schlechtem Stil.» Er stört sich insbesondere daran, dass damit die Hälfte der Luzerner Stimmbevölkerung verunglimpft werde. Als besonders stossend empfindet er, dass auf dem Flyer einerseits zwar die Konkordanz und somit die Wichtigkeit der Zusammenarbeit im Stadtrat betont, gleichzeitig aber ein Keil zwischen die politischen Lager getrieben wird. 

«Die SP will einen zweiten Sitz und ist dafür bereit, die CVP- oder die GLP-Vertretung abzuwählen.»

Franziska Bitzi, Stadträtin (CVP)

Ein Punkt stösst Soldati jedoch besonders sauer auf: «Dem Komitee gehören Personen an, die nicht in Luzern wohnen und somit gar nicht stimmberechtigt sind», ärgert er sich. Es würden also Wahlempfehlungen von ausserhalb an die Bewohner der Stadt abgegeben. Dazu gehören etwa FCL-Investor Bernhard Alpstaeg (Horw), Ueli Breitschmid, Inhaber des Krienser Zahnbürstenherstellers «Curaden», Unternehmer Guido Egli (beide Meggen) oder Sanitärunternehmer Markus Schmid (Malters). «Wenn man nicht will, dass diese Wirtschaftslobbyisten in der Stadt künftig das Sagen haben, kann man nur die soziale und ökologische Alternative Judith Dörflinger wählen», sagt Soldati. 

Leise Kritik an die Linke

Und was sagen die beiden Stadträtinnen, für die auf dem Flyer geworben wird, zur Formulierung des entsprechenden Satzes? Denn insbesondere für die Exekutive ist eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen den Lagern wichtig. «Der Stadtrat vertritt selbstverständlich die ganze Bevölkerung, unabhängig von der politischen Gesinnung. Das schliesst im Übrigen auch Einwohnerinnen und Einwohner ein, die kein (städtisches) Bürgerrecht haben», schreibt Finanzdirektorin Franziska Bitzi (CVP).

Sie persönlich habe sich stets für die Konkordanz eingesetzt. Zum Beispiel bei den Regierungsratswahlen 2015, anlässlich derer sie sich für eine SP-Vertretung ausgesprochen habe. «Aktuell ist es aber umgekehrt: die SP will einen zweiten Sitz und ist dafür bereit, die CVP- oder die GLP-Vertretung abzuwählen», so Bitzi.

«Stadtrat soll so weiter arbeiten»

Entsprechend froh ist sie über die breite Unterstützung für sie und Manuela Jost (GLP) aus dem bürgerlichen Lager: «Als amtierende Stadträtinnen sind wir für eine ausgewogene Zusammensetzung des Gremiums. Daher begrüssen wir das Bestreben dieses Komitees nach Kontinuität und Konkordanz», so Bitzi. Denn gerade in der aktuellen Krisensituation solle der Stadtrat in der aktuellen Besetzung weiterarbeiten können.

«Man soll diesen Flyer auch nicht auf eine einzelne Formulierung reduzieren, über die man mit gutem Recht geteilter Meinung sein kann».

Manuela Jost, Stadträtin (GLP)

Das sieht auch die amtierende Baudirektorin Manuela Jost so: «Nach meiner festen Überzeugung ist ein Weiterbestehen der bisherigen, politisch ausbalancierten Stadtregierung am erfolgversprechendsten, um die künftigen Herausforderungen anzugehen. Die Einbindung sämtlicher in der Gesellschaft relevanten Kräfte ist in der heutigen Zeit mehr denn je unerlässlich.»

«Es geht um die Hauptaussage»

Beim Flugblatt sieht auch Jost grundsätzlich kein Problem: «Man soll diesen Flyer auch nicht auf eine einzelne Formulierung reduzieren, über die man mit gutem Recht geteilter Meinung sein kann», schreibt die Baudirektorin. Denn die Hauptaussage bestehe ja gerade in einem klaren Bekenntnis zum Gleichgewicht der politischen Kräfte.

Wie das die Wählerinnen sehen, wird sich zeigen. Viele Bürger werden es jedenfalls begrüssen, wenn nun endlich eine öffentliche Debatte darüber geführt wird, in welche Richtung sich die Stadt Luzern bewegen wird.

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9 Kommentare
  • Profilfoto von David L
    David L, 13.06.2020, 20:57 Uhr

    Peinlich, die Hälfte des Stimmvolkes als Nicht-Bürger abqualifizieren zu wollen. Noch peinlicher, wenn diejenigen die es tun selber die einzigen Beteiligten sind, die tatsächlich Nicht-Bürger sind!
    Aber man passt sich wohl dem intellektuellen Niveau der Zielgruppe an.

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  • Profilfoto von Margrit Grünwald
    Margrit Grünwald, 12.06.2020, 00:02 Uhr

    Der CVP/ GLP Flyer ist grafisch und inhaltlich nicht zumutbar. Auch in einem Wahlkampf sollte ein guter politischer Stil möglich sein.
    Werbung auf eine solche Art disqualifiziert die Kandidierenden und ihre Partei. Im übrigen ist Judith Dörflinger eine Familienfrau, die sich moderat für Kinder, Bildung und Familien einsetzten wird. Nichts von extrem also!

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    Kaktus, 11.06.2020, 18:20 Uhr

    Ein farbloser Züsli reicht offenbar nicht. Jetzt kommt auch noch eine SP-Lehrerin. Beamte, Staatsangestellte und Gewerkschafter. Lang lebe der SP-Sozialstaat.

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    Silvan Studer, 11.06.2020, 12:38 Uhr

    «Für die Energiewende ohne «Wenn und Aber»» (Manuela Jost)
    Eine Politik ohne «Wenn und Aber» kann ich leider nicht wählen, das klingt mir zu «Alternativlos».

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    Kasimir Pfyffer, 11.06.2020, 11:09 Uhr

    Ja, der materielle Abstieg vom Stadträtinnen- auf den Yogalehrerinnen-Lohn wird hart werden. Aber dafür gibt es ja Den Markt und Die Eigenverantwortung!

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    Libero, 11.06.2020, 09:40 Uhr

    Schon erstaunlich, bis vor kurzen konnte Frau Stadträtin Manuela Jost es den rechtsbürgerlichen nie recht machen.
    Falsche Wohnraumpolitik kritisierte Jost Schumacher ….!
    Baugesuche die nicht in der gesetzten Frist erledigt werden, eine total unbefriedigende Situation kritisierte die FDP !
    Auch der Gebäudeunterhalt werde von der Baudirektion vernachlässigt moniert die FDP !
    Als VBL Verwaltungsrätin hat Frau Jost auch kein Glück, zur falschen Zeit am falschen Ort!
    Frau Jost habe den Laden nicht im Griff und jetzt ist sie wieder gut genug, was stimmt jetzt?

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    Elias Ronca, 11.06.2020, 09:18 Uhr

    Bei Ihnen ist der Name wohl Programm. Herrn Birnstiels Artikel sind gut. Auch dieser passt.

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    • Profilfoto von Marie-Françoise Arouet
      Marie-Françoise Arouet, 11.06.2020, 16:30 Uhr

      Es ist ein Pseudonym. Deswegen ist ja der Name auch Programm. In Wirklichkeit heisse ich Frau Gertel. Seit dem Kindergarten nutzen die intelligenteren unter den Mitmenschen die von mir mit Freuden angebotene Gelegenheit, lustige Kalauer darüber zu machen.

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    Johann M., 11.06.2020, 08:50 Uhr

    COVID-19 und die zu erwartende Wirtschaftskrise sind grosse, ernst zu nehmende Herausforderungen heute und in absehbarer Zukunft, besonders für die Tourismusstadt Luzern. Ich glaube nicht, dass eine Polarisierung des Stadtrates konstruktive Diskussionen und gute Lösungen fördert. Mit Judith Dörflinger und Silvio Bonzanigo werden uns zwei Extreme zur Wahl angeboten, die Linke will sogar mit zwei unerfahrenen jungen Männern die Konkordanz total aushebeln. Für mich gibt es nur eine vernünftige Wahl: Franziska Bitzi und Manuela Jost. Die beiden Bisherigen haben gute Arbeit geleistet und unser Vertrauen verdient.

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