Politiker kassieren Geld für Mitarbeiter – ohne Nachweis
Parlamentarier in Bern erhalten einige Spesen – auch in allen Fällen gerechtfertigt? (Bild: VBS/Mike Niederhauser)
Mehr als die Hälfte der Schweizer National- und Ständeräte beschäftigen offiziell keine persönlichen Mitarbeiter, kassieren unter anderem dafür aber Spesen. Eine Umfrage für Luzern und Zug zeigt: Ganz so einfach ist das nicht.
Wer für die Arbeit irgendwo hinfahren muss, erhält vom Arbeitgeber dafür meist Fahrtspesen, auch ein allfälliges Hotel und das Znacht werden entschädigt. So auch die Bundesparlamentarier, wenn sie für ihre Sessionen nach Bern reisen. Zusätzlich erhalten sie pro Jahr 33'000 Franken steuerfrei, um eine persönliche Hilfskraft anzustellen und für weitere Sachauslagen. Bei 246 Nationalrätinnen und Ständeräte kostet das die Steuerzahlerinnen mehr als acht Millionen Franken jährlich.
Weil diese Mitarbeiterinnen so zum Teil heikle und vertrauliche Dokumente und Protokolle sehen, sind sie auf einem offiziellen Register aufgeführt. Dabei zeigt eine Auswertung des Recherchenetzwerks Correctiv.Schweiz in Kooperation mit zentralplus, dass mehr als die Hälfte der aktuellen Bundesparlamentarier gar keine persönlichen Mitarbeiter beschäftigt. Für Luzern und Zug liegt dieser Wert bei zwei Dritteln.
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Spesen, um Einkommen aufzubessern?
Dieser Umstand wurde gar in einem Bericht von 2022 des Büros des Nationalrats in Zusammenarbeit mit der Universität St. Gallen kritisiert. «Etliche würden die Beiträge für persönliche Mitarbeitende beanspruchen, um so ihr Einkommen steuerfrei ‹zu optimieren›, anstatt damit eine Unterstützungskraft anzustellen», heisst es darin. Illegal ist das nicht. Wer keine Hilfskraft anstellt, muss die Arbeit halt selbst erledigen, sagt etwa Sarah Bütikofer, Politologin von der Universität Zürich, gegenüber Correctiv.Schweiz. Aber im damaligen Bericht heisst es auch: «Solche ‹Spesenritter› seien schädlich für das Ansehen der Politik.»
Immerhin verdienen Parlamentarier nicht wenig. Durchschnittlich erhält ein Nationalrat 2023 rund 130'000 Franken im Jahr. Dieser setzt sich aus einem Jahreseinkommen von 26'000 Franken zusammen, einem Taggeld von 440 Franken pro Rats-, Kommissions- und Fraktionssitzung und Pauschalen für Reisen, Essen und eben den Spesen für Mitarbeiter. Bei Ständerätinnen liegt der Betrag gar bei rund 150'000 Franken, da sie meist in mehr Kommissionen sitzen und somit mehr Sitzungstage haben. Allerdings zahlen viele Parlamentarier ihren Parteien noch sogenannte «Mandatsabgaben» und ein Teil des Betrags wird noch versteuert.
Hilfe für Reden, politische Arbeit und Social Media
Strotzt das Bundesparlament also vor Spesenrittern? Die Nachfrage bei den Luzerner und Zuger Parlamentariern zeigt: So einfach ist das nicht. Diejenigen, die einen offiziellen Mitarbeiter haben, nutzen ihre Hilfe unterschiedlich. Der Mitarbeiter der Luzerner Ständerätin Andrea Gmür (Mitte) berate sie bei politischen Fragen, treffe Abklärungen, mache Social Media Posts und führe ihre Homepage, erklärt diese auf Anfrage.
Der Mitarbeiter des Zuger Ständerats Matthias Michel (FDP) helfe ihm bei der Recherche vor Reden und Podiumsdiskussionen. Zudem decke er mit den 33'000 Franken Kosten für die Miete und das Sekretariat seines Zuger Büros, das er für seine Parlamentsarbeit verwende. Die Luzerner Neo-Nationalrätin Vroni Thalmann (SVP) holt sich ebenfalls Hilfe beim Recherchieren – und nutzt sie als «Aussensicht». Und FDP-Nationalrat Peter Schilligers Mitarbeiter betreut seine Kommunikation und «Spezialprojekte».
Andere Zentralschweizer Parlamentarier schreiben auf Anfrage, dass sie zwar sehr wohl eine persönliche Mitarbeiterin hätten. Da diese aber keinen spezifischen Zugriff auf vertrauliche Unterlagen benötigen, tauchen sie entsprechend nicht auf dem Register auf. So geben Mitte-Nationalrat Leo Müller und Priska Wismer-Felder an, Mitarbeiter zu haben für administrative Arbeiten oder SVP-Nationalrat Franz Grüter habe mehrere Leute, die ihm bei Reden, Texten oder der Terminkoordination helfen. Die Zuger Nationalrätin Manuela Weichelt (ALG) holt sich ebenfalls Hilfe bei verschiedenen Personen, etwa für die Kommissionsarbeit, Medienarbeit oder bei Social Media.
Suche nach passendem Mitarbeiter sei schwer
Die beiden neuen Luzerner SP-Nationalräte David Roth und Hasan Candan hatten wiederum Mühe, einen für sie passenden Mitarbeiter zu finden. So schreibt etwa Roth: «Leider hat die sehr erfahrene Person, die ich für diesen Job vorgesehen hatte, von ihrem Arbeitgeber keine Freigabe erhalten für einen Nebenjob.» Eine wirksame Unterstützung in einem so kleinen Pensum zu finden, sei schwierig – weshalb er nun spezifische Hilfe für einzelne Tätigkeiten organisieren. Etwa für Informationsmaterial oder Anlässe in der Bevölkerung.
Auch Candan beschreibt die Suche nach einer geeigneten Person für die Aufgabe als «herausfordernd». «Ich bin im Austausch mit verschiedenen Personen, eine definitive Zusage habe ich bis dato noch nicht.» Stattdessen verwende er den Beitrag derzeit für die Finanzierung der Kinderbetreuung. «Die Arbeit verbunden mit dem politischen Mandat beansprucht mich zeitlich sehr, ich bin aber Milizpolitiker und finde dies wichtig, dass es weiterhin möglich ist, als Nationalrat einem Beruf nachzugehen.» Künftig wolle er den Beitrag aber vermehrt zur Unterstützung der Kommissionsarbeit oder der Entwicklung parlamentarischer Vorstösse ausarbeiten.
Grünen-Nationalrat Töngi hat sich hingegen dafür entschieden, keinen persönlichen Mitarbeiter anzustellen und die Arbeiten selbst zu erledigen. «In diesem Sinne brauche ich das Geld für meine Arbeit als Parlamentarier», sagt er dazu.
Mehrmals auf dem politischen Tapet, mehrmals gescheitert
Töngis Modell erwähnt auch die Politologin Bütikofer. Viele Parlamentarier müssten sich wegen des Mandats beruflich zurücknehmen und seien auf ein zusätzliches Einkommen angewiesen, wie sie gegenüber Correctiv.Schweiz sagt. So könnten die 33'000 Franken helfen, kein Verwaltungsratsmandat annehmen zu müssen oder abhängig von Lobbyisten zu sein.
Politische Vorstösse, dieses System zu kippen, sind bisher gescheitert. So versuchte etwa der SP-Nationalrat Matthias Aebischer 2015, die 33’000 Franken pro Jahr auf 10’000 zu senken und persönliche Mitarbeitende direkt auf Kosten des Bunds anzustellen – ohne Erfolg, die Bürgerlichen stemmten sich dagegen. 2013 wollte die SP-Nationalrätin Susanne Oberholzer diese Spesen ebenfalls steuerbar machen – der Ständerat schickte das Vorhaben bachab. Selbst der Zuger Nationalrat und Mitte-Chef Gerhard Pfister wollte 2008 das Spesensystem vereinfachen. Das System sei «überholt» oder führe zum Teil zu «absurden Praktiken» – doch auch er hatte keinen Erfolg.
Sollen Spesenausgaben deklariert werden?
Eine Änderung drängt sich auch nicht für alle Parlamentarier auf. So plädiert etwa FDP-Nationalrat Peter Schilliger auf Eigenverantwortung: «Jeder kann selber bestimmen, mit wem und wie er die umfangreiche Arbeit erledigt.» Dem schliesst sich SP-Nationalrat Candan an. Aufgaben, Ansprüche und Komplexität des Amts hätten zugenommen. «Eine zu starke Einschränkung der Verwendungszwecke würde wohl dazu führen, dass der Kreis der Personen, welche von der Politik ausgeschlossen würde, grösser wird, das Milizsystem weiter unter Druck stellen und wohl mehr Berufspolitiker hervorbringen.» Allerdings könnte diskutiert werden, dass genauer deklariert werde, wofür die Parlamentarierinnen die Mittel verwenden, so Candan.
Gemäss dem Zuger FDP-Ständerat Matthias Michel dürften die Mitarbeiterspesen zudem nicht isoliert betrachtet werden. Wenn, sollte die Entschädigungssituation als Ganzes betrachtet werden. So deckten beispielsweise die Übernachtungsspesen häufig die Hotelkosten nicht. Und viel der Arbeit als Parlamentarier – etwa Podiumsteilnahmen, Reden und weitere Publikationen sei nicht entschädigt.
Schreibt über alles, was Luzern und Zug aktuell beschäftigt. Im ländlichen Luzern aufgewachsen, hat sie beim «Entlebucher Anzeiger» ihre Begeisterung für Lokaljournalismus entdeckt. Nach einem Studium in Medienwissenschaften und Englisch ist sie seit September 2021 bei zentralplus. Nebenbei absolviert sie derzeit die Diplomausbildung Journalismus am MAZ.