Zuger Parteien stärken Staatsanwaltschaft den Rücken

Politiker begrüssen lockeren Umgang mit Maskenverweigerer

Andreas Hürlimann (ALG, links) und Thomas Werner (SVP, rechts) sind sich einig: Es ist richtig, wie die Staatsanwaltschaft Zug mit Maskenverweigerern umgeht. (Bild: zvg/ber)

Die Zuger Staatsanwaltschaft hat einen Maskenverweigerer freigesprochen, obwohl er erwiesenermassen gegen die Maskenpflicht verstossen hatte. Grund: Die Covid-Verordnung wurde inzwischen gelockert. In der Zuger Politik kommt dieser pragmatische Ansatz gut an.

Es dürfte nicht allzu oft vorkommen, dass sich SVP und die Alternative – die Grünen (ALG) in einer Sache einig sind. Bei der Frage, wie mit Verstössen gegen die Covid-Verordnung umgegangen werden soll, ist es aber so. Beide Parteien befürworten, dass die Zuger Strafverfolgungsbehörden bei der Bestrafung von Maskenverweigerern jeweils die gelockerte Version der Covid-Verordnung anwenden.

Hintergrund der Diskussion ist folgender Fall: Ein Handwerker spaziert Mitte Juni ohne Maske durch den Bahnhof Zug. Als er von der Bahnpolizei auf die Maskenpflicht angesprochen wird, rastet er aus. Er stösst einen der Polizisten gegen die Brust und würgt den anderen. Die beiden sind kurz überrumpelt – dann gelingt es ihnen, den Mann zu bändigen (zentralplus berichtete).

Die Staatsanwaltschaft Zug verurteilt den Mann wegen Gewalt und Drohung gegen Beamte zu einer Geldstrafe. Betreffend die Verletzung der Maskentragpflicht folgt jedoch ein Freispruch. Grund: Zwei Wochen nach der Tat wurde die Covid-Verordnung gelockert. Seither herrscht an Bahnhöfen keine Maskenpflicht mehr.

Lex Mitior: Das «günstigste» Recht wird angewendet

Die Staatsanwaltschaft Zug stützt sich auf den Grundsatz Lex Mitior. Das heisst, sie wendet das für den Täter «günstigere» Recht an.  Die Strafverfolgungsbehörde betont zwar, dass es sich um einen spezifischen Einzelfall handelt. Da aber viele Massnahmen inzwischen gelockert wurden, könnten mit der gleichen Begründung viele weitere Verstösse gegen die Covid-Verordnung nicht mehr geahndet werden. Und das, obwohl die betreffenden Personen erwiesenermassen zum Tatzeitpunkt gegen die geltenden Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie verstiessen. 

Thomas Werner, selbst Polizist und Präsident der SVP des Kantons Zug, findet das richtig. «Die Praxis der Zuger Staatsanwaltschaft, Lex Mitior anzuwenden, erscheint mir persönlich nachvollziehbar», sagt er auf Anfrage von zentralplus. Er unterstütze dieses Vorgehen, weil «alles andere nur unnötig die Staatsanwaltschaft mit bürokratischen Verfahren belasten würde», wie er sagt.

«Die ungleiche Handhabung zeigt auf, wie viel Unsicherheit und Interpretationsspielraum bei diesen vom Bund erlassenen, ständig wechselnden und zum Teil übertriebenen Covid-Massnahmen entstanden sind.»

SVP-Präsident Thomas Werner

Die Staatsanwaltschaft Luzern hat eine diametral andere Haltung als diejenige in Zug. Sie denkt gar nicht daran, das mildere Recht anzuwenden und will Verstösse gegen die Covid-Verordnung auch nach den Lockerungen strafrechtlich verfolgen (zentralplus berichtete).

Aus Sicht von Werner kann das «auf den ersten Blick verwirren». Er erkärt sich das mit dem «erfolgreich gelebten Föderalismus der Schweiz». «Die ungleiche Handhabung zeigt auf, wie viel Unsicherheit und Interpretationsspielraum bei diesen vom Bund erlassenen, ständig wechselnden und zum Teil übertriebenen Covid-Massnahmen entstanden sind», meint der SVP-Präsident. Aus seiner Sicht ist es «nun höchste Zeit, diese aufzuheben».

Fokus auf das Ziel der Massnahmen

Auch Andreas Hürlimann, Fraktionschef der ALG, unterstützt die Haltung der Zuger Strafverfolgungsbehörde: «Ich kann die Argumentation der Zuger Staatsanwaltschaft nachvollziehen und würde mir eine entsprechende Praxis auch in anderen Kantonen wünschen», sagt er auf Anfrage.

«Gerade in dieser Corona-Ausnahmesituation scheint es mir wichtig, das Ziel der Massnahmen nicht aus den Augen zu verlieren. Es geht um das Eindämmen von weiteren Krankheitsausbrüchen respektive um die Sicherstellung von Kapazitäten im Gesundheitswesen», ruft er in Erinnerung. Aktuell scheine man sich jedoch nur noch um «juristische Spitzfindigkeiten zu kümmern» und sich in seiner vorgefassten Meinung zu Corona zu bestärken.

«Ich würde mir eine entsprechende Praxis auch in anderen Kantonen wünschen.»

Fraktionschef ALG Andreas Hürlimann

«In diesem und weiteren ähnlich gelagerten Fällen läge es meines Erachtens im Ermessen der Staatsanwaltschaft zu beurteilen, ob eine effektive Gefährdung durch das Nichttragen einer Maske vorliegt oder nicht», findet Hürlimann. «Auch aus dieser Optik scheint mir das mildere Recht hier ebenfalls anwendbar. Im für mich relevanten Bereich – Gewalt und Drohungen gegen Beamte – wurde der Mann verurteilt.»

Staatsanwaltschaft wird schon wissen, was sie tut

Fabio Iten, Präsident der Mitte-Fraktion, vermutet wie Thomas Werner, dass die möglicherweise unterschiedliche Praxis der Staatsanwaltschaften in den verschiedenen Kantonen teilweise der föderalen Struktur zu verdanken ist. «Ich sehe kein Systemproblem im Kanton Zug, das es zu rügen gäbe», sagt er auf Anfrage. «Es handelt sich im vorliegenden Fall um Einzelfälle und die Staatsanwaltschaften haben einen gewissen Ermessensspielraum», hält er fest.

Damit hat er die gleiche Haltung wie Michael Arnold, Fraktionschef der FDP: «Ich persönlich habe aktuell keinen Grund zur Annahme, dass die Zuger Staatsanwaltschaft nicht gesetzeskonform handelt», schreibt er auf Anfrage.

Dass FDP und Mitte die Staatsanwaltschaft so verteidigen, mutet etwas seltsam an. Zumal es gar nicht nötig ist. Schliesslich hat der Zuger Strafverfolgungsbehörde nie jemand unterstellt, sie würde sich nicht ans Gesetz halten. Im Gegenteil. Der Luzerner Strafrechtsprofessor Andreas Eicker wertete ihre Argumentation als nachvollziehbar. Aus seiner Sicht ist auch bei Übertretungen nach dem Rückwirkungsgebot das für den Täter «günstigere» Recht anzuwenden (zentralplus berichtete).

Anmerkung: zentralplus hat auch die SP zu ihrer Meinung zur Praxis der Zuger Staatsanwaltschaft angefragt. Die Anfrage blieb innert Wochenfrist unbeantwortet.

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5 Kommentare
  • Profilfoto von David L
    David L, 24.08.2021, 20:44 Uhr

    «Unverhältnismässig» ist inzwischen offenbar die gängige Ausrede für die zur Gewohnheit gewordene Arbeitsverweigerung der Justiz.
    Eine einzelne Straftat zu ahnden ist «verhältnismässig», aber zehntausend Straftaten zu ahnden, ist «unverhältnismässig»?
    D.h. man muss nur stärker (oder mit mehr Komplizen) delinquieren, um vor Strafverfolgung geschützt zu sein?
    Ein fataleres Signal kann eine Behörde kaum aussenden.

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    Leo, 24.08.2021, 13:55 Uhr

    Gelebter Föderalismus hat bei Bundesgesetzen nichts zu suchen. Dieses Argument ist schlichtweg unreflektiert.

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    Sandra Klein, 24.08.2021, 13:03 Uhr

    Finde auch, dass man beim Maskentragen etwas tolerant sein sollte. Hier sollte man aber schweizweit geleiche Regeln anwenden, und nicht je nach Kanton. Sonst endet es noch wie bei der Leinenpflicht bei Hunden, wo man sich erst mit dem Gemeindereglement auseinandersetzen muss, wenn man in einem andern Ort ist.

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    Loris Fabrizio Mainardi, 24.08.2021, 09:59 Uhr

    Nicht nur eine «unheilige», sondern auch eine unbotmässige Allianz, um einen klaren juristischen FEHLENTSCHEID politisch legitimieren zu wollen: «Lex Mitior» gilt hier ebengerade nicht, da am 26. Juni nicht die Strafbarkeit des Nichttragens, sondern die Maskenpflicht als solche aufgehoben wurde – was gemäss Bundesgericht nicht die Strafwürdigkeit des Verhaltens betrifft bzw. nur einen Wandel der Umstände, nicht des Rechts reflektiert (BGE 123 IV 84). Zudem ist Bundesrecht schweizweit EINHEITLICH anzuwenden (Art. 49 BV), für Föderalismus besteht – zumindest bezüglich Strafbarkeit von COVID-Verstössen – kein Raum. Und schliesslich kann nicht angehen, dass im Parlament vertretene Parteien ihre Parteipolitik bis in die Amtsstuben der (in der Schweiz eigentlich unabhängigen) Strafuntersuchungsbehörden hineintreiben.

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    • Profilfoto von Roli Greter
      Roli Greter, 24.08.2021, 11:34 Uhr

      Der Begriff Verhältnismässigkeit scheint Ihnen noch immer ein Fremdwort zu sein.

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