Nachbarschaftshilfe in Hünenberg: Eigener Weg erweist sich als Holzweg
Die Hünenbergerinnen sagen es offen: Zur guten Nachbarschaft bedarf es keiner speziellen Förderung. Entsprechend hält sich das Interesse der Bevölkerung am Projekt «Hallo Nachbarn» in Grenzen. Trotzdem hält der Gemeinderat am 37’000 Franken teuren Projekt fest.
Die Einhorngemeinde geht ihren eigenen Weg. Zumindest, was die Nachbarschaftshilfe anbelangt. Während Cham und Zug auf das sogenannte Kiss-Modell setzen («Keep it small and simple»), welches auf Zeitgutschriften und einer genossenschaftlichen Organisation basiert, hat man sich in Hünenberg für ein eigenes Modell entschieden. Es heisst: «Hallo Nachbarn».
Ziel sei es, dass «der gegenseitige Kontakt im Zentrum steht», teilte der Hünenberger Gemeinderat mit, als das Projekt Anfang 2017 mit einem Budget von 37’000 Franken lanciert wurde. Angelegt war es auf drei Jahre – diese wären in rund einem halben Jahr um.
Gute Nachbarschaft gibt es auch so
So lange mochte das Grüne Forum Hünenberg rund um die Co-Präsidentinnen Rita Hofer und Karin Baumgartner jedoch nicht warten, um Antworten zu «Hallo Hachbarn» zu erhalten. Sie reichten am 20. Mai eine Interpellation zur Nachbarschaftshilfe in Hünenberg ein. Nun liegen die Antworten des Gemeinderats vor, bevor er an der Gemeindeversammlung am Montagabend auch noch mündlich Stellung dazu beziehen wird.
«Wir haben vor, das Projekt weiterzuführen.»
Claudia Benninger (FDP), Gemeinderätin Hünenberg
Besonders die Antwort auf die Frage, wie es um die Resonanz in der Bevölkerung steht, lässt aufhorchen. «Viele Hünenbergerinnen haben immer wieder erwähnt, dass eine spezielle Förderung der Nachbarschaft hier nicht notwendig sei. Gute Nachbarschaft werde auch so gelebt», lässt der Gemeinderat verlauten.
Bescheidenes Echo
Die Zahlen stützen dieses Bild: Die Facebook-Seite von «Hallo Nachbarn» zählt ganze neun Likes. Der letzte Beitrag ist über ein Jahr alt und stammt vom Tag der Nachbarn. Rund 70 Personen haben nach Angaben der Veranstalter dem Risottoessen auf dem Dorfplatz beigewohnt. Laut Gemeinderätin Claudia Benninger (FDP) hat ein Quartier eine gemeinsame Reise nach Berlin organisiert. Dabei haben rund zehn Personen teilgenommen.
Unter diesen Umständen stellt sich unweigerlich die Frage nach der Existenzberechtigung des Projekts über die veranschlagten drei Jahre hinaus. Benninger sagt: «Wir haben vor, das Projekt weiterzuführen.» Allerdings werde man unter die Lupe nehmen, worauf künftig der Fokus gelegt werden muss. Beispielsweise, ob man sich auf ältere Leute beschränken soll.
«Unser Grundgedanke ist, dass wir die Nachbarschaftshilfe wichtig finden. Wir möchten die Leute dazu motivieren, dranzubleiben», sagt Benninger. Der Gemeinderat stellte fest, dass die Zahl der Anlässe in den Quartieren zugenommen habe. Insgesamt habe «Hallo Nachbarn» in den drei Jahren bislang rund zehn Anlässe organisiert.
Kein Interesse an Babysitter-Vermittlung
Auf der anderen Seite seien Online-Strukturen zum Austausch weniger gefragt gewesen als erwartet. Benninger erklärt, was darunter zu verstehen ist: «Dazu gehören beispielsweise eine App oder eine Online-Plattform zur Vermittlung von Babysittern oder Fahrdiensten», so die 49-Jährige.
«An vielen Orten und für viele Personen konnte festgestellt werden: Nachbarschaft funktioniert.»
Gemeinderat Hünenberg
In grösseren Dimensionen wurde in Hünenberg offenbar nie gedacht. Denn es sei laut Gemeinderat nie die Absicht gewesen, dass sich «Hallo Nachbarn» im Sinne einer Vereinsstruktur verselbstständigt. «An vielen Orten und für viele Personen konnte festgestellt werden: Nachbarschaft funktioniert.» Auch sei es beim Hünenberger Projekt nie um organisierte, vermittelte, vergütete Nachbarschaftshilfe wie in Cham gegangen.
In Cham eine grössere Kiste
In der Nachbargemeinde scheint die Nachbarschaftshilfe einen ungleich höheren Stellenwert zu geniessen. Zu Beginn des Jahres zählte die Kiss-Genossenschaft 212 Mitglieder. Rund 10’000 Einsatzstunden wurden 2018 in Cham geleistet.
Warum wurde in Hünenberg trotzdem ein anderer Ansatz gewählt? «Uns geht es um die direkte Nachbarschaftshilfe. Wir haben innerhalb der Gemeinde bereits zahlreiche Angebote der reformierten und katholischen Kirche und Kontakt Hünenberg, welche in Cham durch Kiss abgedeckt werden», erklärt Benninger.
Keine Freunde des Kiss-Modells
Es gibt jedoch weitere Kiss-Aspekte, bei denen man in Hünenberg die Nase gerümpft hat, namentlich die Kosten für die Vermittlung und die Zeitgutschrift, auf welcher das Kiss-Modell aufbaut.
Um Letzteres hat man gleich aus zwei Gründen einen Bogen gemacht: Erstens sei eine Vergütung, und somit eine «Ökonomisierung des Sozialen», aus Sicht des Gemeinderats nicht sinnvoll. Zweitens stelle sich ihm die Frage des späteren Bezugs von angehäuften Zeitgutschriften. Diese sei nicht einfach gesichert. Zudem brauche die Kiss-Genossenschaft Cham jährlich 50’000 bis 60’000 Franken, wiederkehrende Einnahmen gebe es nicht. Deswegen sei sie auf Spenden, Einmalbeiträge und Stiftungsgelder angewiesen.
Von Cham zurück nach Hünenberg. Das «Hallo Nachbarn»-Projektteam um Christian Bollinger, bei der Gemeinde Hünenberg Leiter Soziales und Gesundheit, steckt Anfang Juli die Köpfe zusammen, um über die Zukunft der Nachbarschaftshilfe zu beraten.
Wieso wurde die kurzfristig eingereichte Interpellation also bereits im Vorfeld der Gemeindeversammlung vom kommenden Montag beantwortet? «Bei einer Interpellation ist die sofortige Beantwortung nötig, wenn die Fragen fristgerecht 20 Tage vor der Gemeindeversammlung eintreffen», erklärt Benninger.