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Der Kanton Zug gehört zu den Kandidaten für einen Feldversuch mit Mobility Pricing. Wenn tatsächlich ein Pilotprojekt durchgeführt wird, muss die Bevölkerung vom Nutzen überzeugt werden, sagen Experten. Das ist einfacher gesagt als getan.
Gewisse Dinge muss man beim Namen nennen. Beispielsweise, dass Mobility Pricing ein unattraktiver Begriff ist. Irgendetwas mit Mobilität und deren Preis halt. Sieht man darüber hinweg, ist es aber eines der spannendsten verkehrspolitischen Themen der Gegenwart.
Mit dem Ziel des Mobility Pricing kann sich wahrscheinlich jeder anfreunden: weniger Stau zu den Stosszeiten. «Brechen der Verkehrsspitzen» nennt sich das im Fachjargon. Mobility Pricing will dies dadurch erreichen, dass Mobilität, abhängig von Verkehrsmittel, Distanz und Zeit, unterschiedlich teuer wird. Wer also nicht zur Spitzenzeit unterwegs ist, soll günstiger reisen. Das gilt für alle, die Schiene oder Strasse nutzen, egal ob jemand mit dem ÖV oder dem Auto unterwegs ist.
Bund will endlich Pilotprojekte
Der Bund will schon seit einigen Jahren testen, ob mit diesem System die gewünschte Lenkungswirkung erreicht werden kann. Der Enthusiasmus bei den Kantonen hielt sich in der Vergangenheit jedoch stark zurück. 2017 war es dann der Kanton Zug, der dem Bund unter die Arme griff und sich für eine theoretische Wirkungsanalyse anhand von bestehenden Daten zur Verfügung stellte (zentralplus berichtete).
Die Resultate dieser «Trockenübung» lieferten dem Bund aber positive Erkenntnisse. Es scheint zu funktionieren. Mit diesem Befund ging der Bund im Februar 2020 auf mehrere Kantone und Städte zu – und stiess dieses Mal auf mehr Gegenliebe. Rund ein Dutzend Städte und Kantone bekundeten Interesse an einem Pilotversuch – darunter auch der Kanton Zug (zentralplus berichtete).
Zug hat sein Projekt skizziert
In der Folge wurden die interessierten Regionen vom Bund gebeten, Projektskizzen und Ideen im Hinblick auf eine allfällige weitere Vertiefung im Rahmen einer Machbarkeitsstudie zu erarbeiten. Zug gab eine Projektskizze ein, die auf einer freiwilligen Teilnahme basiert. Auch der Kanton Aargau hat ein solches Projekt eingegeben. «Der Bund sieht vor, die Projekte mit freiwilliger Teilnahme in einer gemeinsamen Machbarkeitsstudie voranzutreiben», erklärte Zugs Baudirektor Florian Weber vergangenen Februar (zentralplus berichtete).
Um die gesetzlichen Grundlagen für Pilotversuche mit Mobility Pricing zu schaffen, schickte der Bundesrat ein entsprechendes Gesetz in die Vernehmlassung. Diese ging diese Woche zu Ende. Die Resultate daraus sind noch nicht bekannt.
Bundesrätin informiert nach dem Sommer
An einem Webinar des VCS Luzern gab Jürg Röthlisberger, Direktor des Bundesamts für Strassen (Astra), nun Einblicke zum Stand der Dinge. Demnach werden Bundesrätin Simonetta Sommaruga und die für ein Pilotprojekt ausgewählten Städte und Kantone nach den Sommerferien gemeinsam das weitere Vorgehen kommunizieren. Wer die Partizipanten sind, werde erst dann öffentlich mitgeteilt, so Röthlisberger.
Dieser Umstand mag die zuletzt sehr zurückhaltenden Äusserungen von Stadt und Kanton Zug zum Thema Mobility Pricing erklären (zentralplus berichtete). Interessanter ist aber der Grund, weshalb man erst gemeinsam kommunizieren will: Der Bund will den Ball möglichst flach halten, um nicht schon im Vorfeld Gegenwind zu provozieren.
Kommunikation ist die Knacknuss
Diese Vorsicht kommt nicht von ungefähr. Der Bevölkerung die Mobility-Pricing-Idee schmackhaft zu machen ist nämlich die ganz harte Knacknuss an der Geschichte. Mobility Pricing kann man nämlich auch anders auslegen: Wer zu Spitzenzeiten Strasse oder Schiene nutzt, muss dafür mehr bezahlen als zu Randzeiten.
Geht man davon aus, dass kaum jemand freiwillig in den überfüllten Zug steigt oder freudig im Stau die Lebenszeit verrinnen sieht, wird man reflexartig ein grosses Fragezeichen hinter die Idee des Mobility Pricing setzen. Genau diese Problematik griff auch Verkehrswissenschaftler Ueli Haefeli vom Forschungsinstitut «Interface» auf. Anlässlich des genannten VCS-Webinars erläuterte er, dass Mobility Pricing nur gelingen könne, wenn man der Bevölkerung die Vorzüge einer solchen Lenkungsabgabe ersichtlich machen könne.
«Es muss klar sein, dass Mobility Pricing tatsächlich nützt. Pendlern muss der persönliche Nutzen ersichtlich sein – also, dass sie schneller ans Ziel kommen.»
Ueli Haefeli, Verkehrswissenschaftler
Das ist freilich um einiges leichter gesagt als getan. Für Haefeli spielt die Kommunikation von Bund, Kanton und Gemeinden die Schlüsselrolle: «Die Bevölkerung muss transparent informiert werden», so Haefeli. Er formulierte dazu vier Kernbotschaften, die vermittelt werden müssen: «Es muss klar sein, dass Mobility Pricing tatsächlich nützt. Pendlern muss der persönliche Nutzen ersichtlich sein – also dass sie schneller ans Ziel kommen.» Weiter müsse das System fair sein und Spielraum für Sonderfälle bieten. Letztlich müsse die dafür notwendige Technologie möglichst niederschwellig sein.
Die Frage nach der notwendigen Technologie ist zunehmend einfach zu beantworten. Man kann schon heute auf ÖV-Apps verweisen, die Zeit und Distanz registrieren und daraus Preise berechnen. Die Frage der Fairness ist die politisch heiklere. Die gängigste Kritik ist jene, dass Mobility Pricing zu einer Zweiklassengesellschaft führe.
Wer kann es sich leisten, später zur Arbeit zu kommen?
Flexible Arbeitsmodelle sind zwar durchaus im Aufwind, aber noch längst nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Sprich: Nicht jeder kann es sich leisten, nicht zur Stosszeit unterwegs zu sein. Hier könnte aber ein System ähnlich den einkommensabhängigen Betreuungsgutschriften greifen, erläuterte Verkehrswissenschaftler Haefeli.
Letztlich wären aber Pilotversuche notwendig, um eben auch diese potenziellen Probleme auszuloten und daraus mögliche Lösungsansätze zu gewinnen. Ob Zug in diesem Prozess weiterhin eine Vorreiterrolle einnimmt, wird sich nun also in Kürze zeigen.
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