Ukraine-Flüchtlinge

Mehr Geld vom Bund: Guido Graf gegen Damian Müller

Aus Sicht von Guido Graf sollen Geflüchtete aus der Ukraine in den Arbeitsmarkt integriert werden – mit Geld vom Bund. (Bild: zvg (Philipp Schmidli))

Die Unterbringung von Geflüchteten aus der Ukraine ist nicht die grösste Sorge des Luzerner Sozialdirektors Guido Graf (Mitte): Er will mehr Geld vom Bund, um die Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Auf die Unterstützung von Ständerat Damian Müller (FDP) kann er dabei nicht zählen.

Der Krieg in der Ukraine dauert weiter an. Am Montag haben russische Raketen gezielt Versorgungsanlagen angegriffen, damit die Bevölkerung von Strom und Wasser abgeschnitten wird. Ein Ende der Angriffe ist nicht absehbar.

Der andauerende Krieg bringt auch den Kanton Luzern zunehmend in Schwierigkeiten: Er hat die Notlage für den gesamten Asylbereich erklärt (zentralplus berichtete).

Eine der grössten Sorgen des Luzerner Sozialdirektors Guido Graf ist die Tatsache, dass etliche betroffene Jugendliche demnächst die Schule abschliessen. Der Status S ist rückkehrorientiert. Das heisst: Es ist nicht vorgesehen, dass diese Geflüchtete aus der Ukraine eine Lehre machen. Und im Kanton Luzern ist es aktuell auch nicht möglich.

«Wir fordern den Bund auf, die Kantone finanziell zu unterstützen bei der Integration.»

Guido Graf

«Was machen wir mit ihnen?», fragte Graf in der Kantonsratdebatte letzte Woche. Es gäbe durchaus interessierte Unternehmen, die eine Lehre anbieten würden. Aber: Der Schutzstatus S wird nach aktuellem Stand im März 2024 auslaufen. Die Ukrainer sollen dann in ihre Heimat zurückkehren.

Für Lehrbetriebe bestünde die Gefahr, dass die Lehrlinge ihre Ausbildung abbrechen müssten. Das ist für beide Seiten unbefriedigend. Deshalb bewilligt der Kanton Luzern – im Gegensatz beispielsweise zu Zürich – keine Lehrverträge.

Wirtschaft will diese zusätzlichen Arbeitskräfte integrieren

Guido Graf ist überzeugt: «Wir müssen diese Leute integrieren, auch die Wirtschaft will das», wie er auf Anfrage von zentralplus schreibt. Kinder im Vorschulalter wie auch junge Erwachsene würden momentan wegen fehlender Integration wertvolle Zeit verlieren.

Da der Schutzstatus S rückkehrorientiert ist, zahlt der Bund kaum etwas an die Finanzierung von Integrationsmassnahmen (zentralplus berichtete). «Die Kantone erhalten bezüglich Integration lediglich Unterstützung seitens Bund bei der Bereitstellung von Deutschkursen. Und wir erhalten pro Person 3000 Franken für die Sprachförderung», so Graf. Diese 3000 Franken pro Person und Jahr seien nur schon für die sprachliche Integration knapp bemessen. «Wir fordern den Bund auf, die Kantone finanziell zu unterstützen bei der Integration.»

Geflüchtete aus der Ukraine: Vor-Lehre geht, Lehre nicht

Aktuell besuchen ukrainische Kinder die obligatorische Volksschule. Jugendliche bis 18 Jahre können die Schulangebote Asyl nutzen. Letztere können im Anschluss eine Integrationsvorlehre (Invol) machen, an der sich der Bund finanziell beteiligt. Auch Praktika sind in diesem Zusammenhang möglich. Aber eben: Danach eine Lehre zu machen – wie es das Programm vorsieht – ist den ukrainischen Jugendlichen im Kanton Luzern verwehrt.

«Wir müssen diese Leute integrieren, auch die Wirtschaft will das.»

Guido Graf

Spätestens 2024 werden sie eine Anschlusslösung brauchen, sollte der Krieg bis dahin andauern. Der Bundesrat lehnt es bislang aber ab, Jugendlichen den Zugang zu einer Berufslehre zu erleichtern, in dem er ihnen ein Aufenthaltsrecht bis zum Abschluss der Ausbildungen garantiert. Er hat eine ensprechende Motion im Nationalrat Mitte November abgelehnt.

Das Bildungspotenzial von geflüchteten jungen Erwachsenen – die bereits gut Deutsch können – nicht zu nutzen, ist aus Sicht von Guido Graf im Hinblick auf den inländischen Fachkräftemangel allerdings unsinnig. Die Luzerner Regierung plant deshalb, von ihrer Seite her zunächst mal die Brückenangebote auszubauen und den ukrainischen Jugendlichen zugänglich zu machen.

Anerkannte Flüchtlinge können eine Lehre machen – Geflüchtete auf der Ukraine nicht

Eine Möglichkeit, die Anliegen der Luzerner Regierung ins nationale Parlament einzubringen, haben die Luzerner Ständeräte Damian Müller und Andrea Gmür. Ersterer hat eine andere Haltung als Guido Graf zu zusätzlichen Bundesgeldern zur Integration von Geflüchteten aus der Ukraine.

«Wie die EJPD-Vorsteherin Karin Keller-Sutter mehrmals erwähnt hat, möchte eigentlich die grosse Mehrheit der Ukrainerinnen und Ukrainer in ihr Heimatland zurückkehren», schreibt er auf Anfrage. Somit sei die Finanzierung von Integrationsmassnahmen für Ausländer, die in ihr Land zurückkehren wollen, nicht die bestmögliche Investition.

«Wer in der Schweiz erfolgreich eine Berufslehre abgeschlossen hat, steigert seine Vermittlungsfähigkeit in der Schweiz und wird wahrscheinlich in der Schweiz bleiben.»

Ständerat Damian Müller

Ausserdem seien Integrationsmassnahmen derzeit schon möglich. Damian Müller weist damit auf die Option hin, dass Ukrainerinnen mit vorübergehendem Schutzstatus S ein Asylgesuch stellen könnten. «Wenn das Staatssekretariat für Migration (SEM) sie als Flüchtlinge anerkennt, erhalten sie eine Daueraufenthaltsbewilligung und die Kantone erhalten die entsprechenden Bundesintegrationspauschalen», so der Luzerner Ständerat.

Richtig ist: Sobald sie als Flüchtlinge anerkannt sind, profitieren Ukrainer von denselben Regelungen wie alle anderen von der Schweiz anerkannten Flüchtlinge. Zu bedenken ist allerdings, dass diese Verfahren aufwendig sind – und mitunter mehrere Monate bis Jahre dauern können.

Steigert oder senkt eine Lehre die Rückkehrbereitschaft?

SP-Nationalrat Mustafa Atici argumentiert in seiner Motion, dass eine solide Bildung die internationale Mobilität erhöhe. Den Jugendlichen eine Lehre zu ermöglichen, trage zur Rückkehrfähigkeit bei «und bildet insofern als eine vorgezogene Rückkehrhilfe und Investition in die Zukunft des Herkunftslandes», schreibt er.

Damian Müller sieht das anders. «Wer in der Schweiz erfolgreich eine Berufslehre abgeschlossen hat, steigert seine Vermittlungsfähigkeit in der Schweiz und wird wahrscheinlich in der Schweiz bleiben», ist er überzeugt. Je länger die Ukrainerinnen in der Schweiz bleiben würden, desto geringer werde die Bereitschaft, in die Ukraine zurückzukehren. «Deshalb ist es unter anderem das Wichtigste, diesen Krieg so schnell wie möglich zu beenden», so Müller.

Neues Brückenangebot für Jugendliche mit schulischem Potenzial

Wie das Bildungsdepartement auf Anfrage von zentralplus bekannt gibt, hat die Regierung im November entschieden, dass neu ab Schuljahr 23/24 auch Personen mit Schutzstatus S an den Brückenangeboten teilnehmen können. Der Entscheid fiel, nachdem der Bundesrat Verlängerung des Schutzstatus S bis im Frühjahr 2024 beschlossen hatte.

Weiter schafft der Kanton Luzern ein zusätzliches Angebot spezifisch für leistungsstarke Jugendliche. Es soll beispielsweise dazu dienen, dass diese später das Gymnasium besuchen können. Das Bildungsdepartement rechnet nächstes Jahr mit rund rund 40 Teilnehmerinnen aus der Ukraine. Das Angebot wird neben Personen mit Schutzstatus S allen Jugendlichen mit hohem schulischen Potenzial zur Verfügung stehen. Finanziert wird es ausschliesslich vom Kanton – der Bund zahlt nichts daran.

Verwendete Quellen
  • Schriftlicher Austauch mit der Kommunikationsverantwortlichen von Guido Graf
  • Schriftlicher Austausch mit Ständerat Damian Müller
  • Schriftliche Anfrage an Ständerätin Andrea Gmür (unbeantwortet)
  • Merkblatt Berufslehren Kanton Zürich
  • Videoaufnahmen Kantonsratssessionen
  • Vorstoss im Nationalrat zur beruflichen Ausbildung von ukrainischen Geflüchteten
  • Medienmitteilung Integrationslehre
  • Artikel im «Blick»: «Karin Keller-Sutter über den Rückkehrwillen der ukrainischen Geflüchteten»
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