Luzerner Wahlsystem: Regierung wehrt sich gegen Reformen
Wie und wer wählt künftig? Während die Politiker Änderungswünsche haben, bleibt die Regierung lieber beim Alten. (Bild: Archivbild: mik)
«Doppelter Pukelsheim», Strafen für versäumte Abstimmungen, weniger Listen und Stimmrechtsalter 16: Die Luzerner Politik will das Wahlsystem umkrempeln. Die Regierung will davon aber nichts wissen.
Die Politik rüttelt mit verschiedenen Vorstössen und Initiativen am Luzerner Wahlsystem: Mal ist ihnen die Stimmbeteiligung zu tief, mal die Altersgrenze oder das absolute Mehr zu hoch, mal das Wahlverfahren mit den Listenverbindungen zu unfair. Am Dienstag hat die Luzerner Regierung ihre Stellungnahmen zu sieben verschiedenen Reformideen geäussert. Für alle hat sie nur eine Antwort übrig: Nein. Und verweist in der Begründung meist auf den Bund.
Listenflut eindämmen? Kümmert sich der Bund drum
Dem Thema Listenflut hat GLP-Fraktionschef Mario Cozzio gleich vier Motionen gewidmet. Mit einer wollen er und seine Mitunterzeichner die Anzahl «Unterlisten» auf zwei beschränken. Sprich: Die Hauptliste dürfte künftig nur noch von zwei Listen unterstützt werden, beispielsweise der Jungpartei und einer weiteren. Mit einer weiteren Motion soll sich der Kanton mit einer Kantonsinitiative für dieselbe Änderung beim Bund einsetzen.
In zwei weiteren Vorstössen fordert Cozzio die Einführung des «doppelten Pukelsheim», einmal auf kantonaler, einmal auf nationaler Ebene via Kantonsinitiative. Dieses Wahlverfahren nutzen beispielsweise der Kanton Zug und der Kanton Schwyz. Gleichzeitig sammeln die Grünliberalen auch Unterschriften für eine Initiative zum Thema (zentralplus berichtete).
Bezüglich Beschränkungen von Listen spielt die Regierung die Verantwortung dem Bund zu. Das Luzerner Stimmrechtsgesetz verweist bei Proporzwahlen – also Kantonsrats- und Nationalratswahlen – auf die Regeln des Bundes. Auf nationaler Ebene sind ebenfalls mehrere Vorstösse hängig, die Unterlisten und Listenverbindungen thematisieren. Aktuell befassen sich die Staatspolitischen Kommissionen beider Räte mit dem Wahlsystem und den Wahlrechtsregeln. Der Bundesrat wie auch der Luzerner Regierungsrat will deren Arbeit nicht vorgreifen.
In Bezug auf den «doppelten Pukelsheim» will Luzern nichts ändern, damit weiterhin alle Parlamentswahlen auf allen Ebenen nach demselben Schema funktionieren. Sollte sich jedoch auf nationaler Ebene der «Doppel-Proporz» durchsetzen, würde Luzern durch den Verweis im Gesetz automatisch dieses System übernehmen.
Strafe fürs Nichtwählen? Führt zu Politikverdrossenheit
SVP-Kantonsrat Mario Bucher ist wiederum die tiefe Stimmbeteiligung ein Dorn im Auge. Er fordert deshalb einen «Stimmzwang» wie in Schaffhausen: Dort ist Abstimmen und Wählen bis zum Alter von 65 Jahren obligatorisch. Wer das Abstimmen ohne Entschuldigung versäumt, zahlt eine Busse von sechs Franken. «Die Vertreter im Parlament sind bei einer noch niedrigeren Beteiligung kaum mehr als repräsentativ zu bezeichnen, ebenso wenig unsere ‹Volksentscheide» an der Urne›», begründet Bucher den drastischen Schritt.
Die Luzerner Regierung hat für den Vorschlag jedoch wenig Gehör. Zwar würden durch den Stimmzwang wohl tatsächlich mehr Luzerner abstimmen. «Eine rein zahlenmässige Erhöhung der Stimmbeteiligung verbessert die demokratische Mitwirkung und Qualität eines Abstimmungs- oder Wahlergebnisses jedoch nicht für sich allein.» Sie befürchtet, dass dadurch mehr Luzerner ihren Stimmzettel einfach «unreflektiert» ausfüllen würden – oder gar ganz leer liessen und so zurückschickten. Dies könnte die Politikverdrossenheit noch mehr befeuern. Die Regierung lehnt die Motion daher ab.
Absolutes Mehr senken? Legitimation für Gewählte sinkt
Kantonsrat Fabian Stadelmann (SVP) will wiederum das absolute Mehr herunterschrauben. Im ersten Wahlgang müssen Kandidatinnen in Majorzwahlen – sprich Regierungs-, Gemeinderats- oder Ständeratswahlen – auf mehr als der Hälfte der abgegebenen Wahlzettel stehen. Entsprechend hoch ist im Kanton die Hürde. Bei den Wahlen der vergangenen Jahre (2015, 2019, 2023) kam es nur bei den Ständeratswahlen 2023 nicht zu einem zweiten Wahlgang oder einer stillen Nachwahl.
Stadelmann und Mitunterzeichner fordern, dass statt des Wahlzettels künftig die Kandidierendenstimmen ausschlaggebend für das absolute Mehr wären. So würden leere Linien auf den Zetteln nicht länger berücksichtigt und das absolute Mehr entsprechend tiefer sein.
Dass mit einem tiefen absoluten Mehr weitere Wahlgänge verhindert werden könnten, gibt auch die Regierung zu. Mit der von Stadelmann gewünschten Methode hätten die Luzernerinnen beispielsweise 2019 Korintha Bärtsch (Grüne) im ersten Wahlgang als Regierungsrätin gewählt statt später Marcel Schwerzmann (parteilos) (zentralplus berichtete). Gleichzeitig sinke so aber die demokratische Legitimität einer gewählten Person, da sie nicht von der Mehrheit der Luzerner gewählt worden sei. Zudem war das Thema bereits mehrfach Gesprächsstoff im Parlament – obwohl die Regierung damals dafür war, hat der Kantonsrat eine Änderung abgelehnt. Der Regierungsrat sieht deshalb keinen Bedarf, etwas am heutigen System zu ändern.
Stimmrechtsalter auf 16 senken? Wenn, dann schweizweit
Die Regierung äussert sich am Dienstag auch zur Initiative für ein Stimmrechtsalter 16. Mit dieser fordern die Jungparteien mit Ausnahme der Jungfreisinnigen und Jungen SVP, dass das aktive Stimm- und Wahlrecht auch 16- und 17-Jährigen zustünde. Sprich: Die Jugendlichen dürften auch wählen und abstimmen, jedoch nicht selbst in ein Amt gewählt werden (zentralplus berichtete).
Wenig überraschend ist der Regierungsrat dagegen und präsentiert auch keinen Gegenvorschlag. Er hat sich bereits negativ zu einer entsprechenden Einzelinitiative von Samuel Zbinden (Grüne) geäussert. Der Kantonsrat hat diese mit nur drei Stimmen Unterschied Ende 2021 abgelehnt (zentralplus berichtete).
Die Regierung möchte das Stimm- und Wahlrecht auch weiterhin an die Volljährigkeit und Mündigkeit koppeln. Weiter will sie keine kantonalen Sonderregeln, da die Jugendlichen national ebenfalls kein Stimmrecht hätten. Auf nationaler Ebene kam eine entsprechende Initiative nach mehrjährigem Hickhack zwischen Staatspolitischer Kommission und Nationalrat Ende Februar 2024 zum Erliegen.
Die Luzerner Initiative bringt das Thema nun erneut ins Kantonsparlament und anschliessend vors Volk. Im Parlament dürfte sie inzwischen jedoch einen schwereren Stand haben, da der Kantonsrat mit den Wahlen 2023 deutlich nach rechts gerückt ist (zentralplus berichtete). Die Initianten lassen sich davon jedoch nicht einschüchtern: Bereits hat die SP in einer Medienmitteilung ein «generationenübergreifendes linkes Ja» für die Initiative angekündigt.
Schreibt über alles, was Luzern und Zug aktuell beschäftigt. Im ländlichen Luzern aufgewachsen, hat sie beim «Entlebucher Anzeiger» ihre Begeisterung für Lokaljournalismus entdeckt. Nach einem Studium in Medienwissenschaften und Englisch ist sie seit September 2021 bei zentralplus. Nebenbei absolviert sie derzeit die Diplomausbildung Journalismus am MAZ.