Veloverkehr in Luzern

Luzerner Velofahrer strampeln auf verlorenem Terrain

Enge Verhältnisse und Hektik: Velofahrer auf der Seebrücke in Luzern (Bild: Robert Müller)

Auf Luzerns Strassen wimmelt es von Velorowdys, die sich an keine Regeln halten und auf den Trottoirs Fussgänger gefährden. Diesen Eindruck gewinnt, wer die jüngste Polemik um Velofahrer in der Stadt Luzern mitverfolgt. Doch das eigentliche Problem ist: Velofahren in Luzern ist kein Vergnügen. Jetzt sind aber Verbesserungen in Sicht.

Nach dem Boulevardblatt «Blick» hat nun auch die «Neue Luzerner Zeitung» (NLZ) die Velorowdys entdeckt. Sie trommelt für eine schärfere Gangart gegen Velofahrer, die sich nicht an die Regeln halten; Velofahrer, die auf dem Trottoir Fussgängern den Weg abschneiden oder ein Fahrverbot ignorieren.

Vorläufiger Höhepunkt ist ein Kommentar in der NLZ vom 10. August. Da steht, die Stadt Luzern nehme das Problem mit den Velorowdys nicht ernst, denn «in keiner Schweizer Stadt passieren pro 50’000 Einwohner und Jahr mehr Unfälle mit Personenschaden, an denen Velofahrer beteiligt sind.»

Tatsächlich schneidet Luzern in einem 2012 publizierten Städtevergleich des Bundesamtes für Strassen (Astra) zur Verkehrssicherheit schlecht ab. Zwischen 2004 und 2010 gab es in der Stadt Luzern durchschnittlich 55 Unfälle pro Jahr mit Fahrradbeteiligung und Personenschaden.

Kein Nachweis für Fussgängergefährdung

Was die NLZ nicht sieht oder nicht sehen will: Diese Zahlen taugen nicht für populistische Kampagnen. Das zeigt eine Anfrage bei Thomas Rohrbach, Sprecher des Astra in Bern.

«Aus den Zahlen kann man nicht herauslesen, dass in der Stadt Luzern überdurchschnittlich viele Fussgänger die Opfer von Velofahrern sind», sagt Thomas Rohrbach. Die Statistik halte bloss fest, dass es in Luzern 55 Unfälle gab, bei denen in irgendeiner Form ein Velofahrer beteiligt war. «Aber man kann in diesen Zahlen nicht erkennen, ob die Velofahrer Unfallverursacher oder Opfer waren.»

«Natürlich gibt es rücksichtslose Velofahrer, die sich nicht an die Regeln halten», sagt Adrian Borgula, Umwelt-, Verkehrs- und Sicherheitsdirektor der Stadt Luzern, «aber die Erfahrung zeigt, dass sie sich dabei vor allem selber gefährden und weniger andere Verkehrsteilnehmer.» Die NLZ, so Borgula weiter, «ist den Beweis schuldig geblieben, dass es einen Zusammenhang zwischen Rowdytum auf dem Velo und Fussgängerunfällen gibt. Das Unsicherheitsgefühl vor allem älterer Fussgängerinnen und Fussgänger nehmen wir aber ernst.»

Mit Klassenkampf aufhören

Vorsichtiger gibt sich Bernhard Staiger, Projektleiter Strassen in der Dienststelle Verkehr und Infrastruktur (vif) des Kantons Luzern. «Wir kommentieren keine Zeitungsartikel», hält Staiger fest, um dann doch noch – indirekt – zu antworten:

«Man sollte mit diesem Klassenkampf unter Verkehrsteilnehmern aufhören und nicht dauernd mit dem Finger auf andere zeigen», sagt Bernhard Staiger. «Es gibt fehlbare Velofahrer, gewiss, es gibt aber auch unter den Fussgängern schwarze Schafe und es gibt Autofahrer, die mit dem Handy am Ohr aus einem Parkfeld heraus preschen.»

Dabei trifft die Unterstellung der NLZ, man sei gegenüber Velorowdys viel zu tolerant, rasch ins Leere. Denn selbst die Lobby der Velofahrerinnen und –fahrer, Pro Velo, stellt sich nicht hinter sie: «Wer gegen die Regeln verstösst und rücksichtslos fährt, soll gebüsst werden», erklärt Laura Kopp, Co-Präsidentin von Pro Velo und grünliberale Grossstadträtin. «Irgendwann hört die Toleranz auf.»

Korrektes Velofahren erleichtern

Schon viel schwieriger wird es, wenn Velofahrerinnen und –fahrer auf Trottoirs fahren, dabei aber durchaus umsichtig unterwegs sind und auf Fussgänger Rücksicht nehmen. Fahren Sie auf dem Trottoir, weil sie Angst haben, auf der Strasse über den Haufen gekarrt zu werden? Diese Frage kann niemand schlüssig beantworten. Doch für Laura Kopp ist klar: «Das Ziel müsste sein, dass sich die Leute getrauen, in der Stadt auf korrekte Weise mit dem Velo unterwegs zu sein.»

Doch da gibt es grosse Schwierigkeiten, wie ein Blick auf ein paar Brennpunkte in der Stadt Luzern zeigt. Zum Beispiel stadtauswärts an der Haldenstrasse. Dort ist der Radstreifen häufig von Fahrzeugen überstellt, die wild parkieren oder, noch häufiger, bei den grossen Hotels Waren anliefern oder Hotelgäste ausladen.

Bernhard Staiger vom vif sagt dazu: «Ideal wäre, wenn wir die Velos über einen getrennten Weg führen könnten, aber das ist hier nicht möglich. Eine weitere Lösung wäre ein um 50 bis 70 Zentimeter breiterer Radstreifen, damit ein Velofahrer nicht «abgeschossen» wird, wenn eine Autotüre aufgeht. Doch dazu müsste man Häuser abreissen, und das geht nicht. Es gibt hier keine Lösung.»

Hektik auf der Seebrücke

Nico van der Heiden, Co-Präsident von Pro Velo und SP-Grossstadrat, ist überzeugt, dass viele Velofahrerinnen und –fahrer, die sich an der Haldenstrasse nicht sicher fühlen, auf den Quai am Seeufer ausweichen. Doch dort dürfen Velofahrer nicht durchfahren. «Wir müssen überlegen, wie wir die Konflikte in der Haldenstrasse reduzieren können», meint Adrian Borgula dazu.

Als noch schlechter beurteilt Nico van der Heiden die Situation auf der Seebrücke, wo es in beide Richtungen zwei Radstreifen gibt. «Geübte Alltagsfahrer kommen auf der Seebrücke gut zurecht», räumt van der Heiden ein.  «Man muss mutig sein. Unsichere oder ängstliche Velofahrer hingegen oder Schülerinnen und Schüler, Eltern mit Kindern oder ältere Leute fühlen sich nicht wohl. Das wissen wir aus vielen Rückmeldungen von Mitgliedern», erklärt van der Heiden.

Hohe Belastung reduzieren

Ursachen für die Unsicherheit auf der Seebrücke sind das hohe Verkehrsaufkommen und die zahlreichen schnellen Spurwechsel von Autofahrenden. Das führt zu Hektik und brenzligen Situationen. «Man hat auf der Seebrücke nicht die beste Lösung gesucht. Man hätte da besser baulich abgetrennte Velospuren gebaut», ist van der Heiden überzeugt. Auf der Seebrücke selbst habe man das Maximum herausgeholt, meint dagegen Adrian Borgula, nicht aber an den Brückenköpfen. «Noch mehr Sicherheit für Velofahrer erreichen wir nur, wenn wir den Autoverkehr beruhigen und reduzieren können.»

Das ist Borgulas wichtigstes Ziel. «Das Kernproblem sind die engen Verhältnisse in der Kessellage der Stadt und die hohe Belastung durch den motorisierten Individualverkehr und die Hektik. Dass dabei der Langsamverkehr durch Autos mit ihrer Masse am meisten gefährdet ist, ist eine Realität, die man nicht einfach ausklammern kann.» Darum sei die Stadt pausenlos damit beschäftigt, die Sicherheitsprobleme, wie sie in der Statistik des Astra aufscheinen, zu entschärfen. Erkenntnisse aus dem laufenden Projekt «Überprüfung Verkehrssicherheit» würden nach Möglichkeit zügig umgesetzt.

Dabei erhält Borgula von der Velolobby gute Noten. Seit er das städtische Umwelt- und Sicherheitsdepartement übernommen habe, gehe es vorwärts mit der velofreundlichen Stadt Luzern. «Man spürt die Dynamik», lobt Laura Kopp von Pro Velo. Co-Präsident Nico van der Heiden pflichtet bei, meint aber, «es könnte durchaus noch schneller vorwärtsgehen.»

Lösungen für den Bahnhofplatz

Zurück zum Brennpunkt Seebrücke. Am Ende der Seebrücke Richtung Bahnhof enden die Velospuren «im Nichts», wie Nico van der Heiden von Pro Velo sagt. «Da hören die Spuren plötzlich auf, da fühle ich mich sehr unwohl auf dem Velo.» Adrian Borgula von der Stadt räumt ein, dass sich die Velospuren auf dem Bahnhofplatz in Luft auflösen, und skizziert mögliche Verbesserungen: «Wenn die autofreie Bahnhofstrasse durchkommt, können wir dort die Verkehrsbeziehungen vereinfachen. Das wird für Entspannung sorgen. Auch die geplante Bevorzugung des ÖV in der Pilatusstrasse ab 2014 schafft neue Möglichkeiten beim Bahnhofplatz.»

Verbesserungen sind auch am Bundesplatz und an der Moosstrasse, einem bekannten Unfallschwerpunkt, in Vorbereitung. Ende August werden Stadt und Kanton ein neues Verkehrsregime vorstellen, das für Velofahrer unter anderem eine direkte Verbindung von der Neustadtstrasse in die Winkelriedstrasse vorsieht. Und im Rahmen der geplanten Sanierung der Werkleitungen soll im Hirschmattquartier das Netz der Veloverbindungen mit Gegenverkehr in Einbahnstrassen vervollständigt werden.

Und noch eine  wichtige Verbesserung gibt es für Velofahrer: Zwischen der Geissmattbrücke und der Pfistergasse entsteht stadteinwärts eine neue Veloverbindung. Sie ermöglicht es Velofahrenden, vom Seetalplatz in Emmen entlang der Reuss zum Bahnhof Luzern zu fahren, ohne dass die Kantonsstrasse benutzt werden muss.

Wenig Elan auf dem Land

Noch deutlich mehr Baustellen als in der Stadt gibt es laut Pro Velo in den ländlichen Gebieten des Kantons Luzern. «Da gibt es noch sehr viele gefährliche Strecken auf Strassenabschnitten, die von Schülern auf dem Schulweg benutzt werden», erklärt Nico van der Heiden.

Zwar gibt es ein Radroutenkonzept, das auch Veloweg-Vernetzungen auf dem Land vorsieht. Doch die Umsetzung harzt, obwohl die politischen Vorgaben klar sind. Ein Blick zurück zeigt es auf.

Ende der 90er Jahre lancierte die damalige Interessengemeinschaft Velo eine kantonale Initiative, wonach das Radroutenkonzept rasch realisiert werden sollte. Doch das Kantonsparlament präsentierte einen Gegenvorschlag und versprach, bis 2014 würden 90 Prozent des Radroutenkonzeptes umgesetzt.

Davon ist der Kanton weit entfernt. Ende 2012 sind rund 39 Prozent des Radroutenkonzeptes nicht umgesetzt. «Der Kanton trödelt und verschleppt die fristgerechte Umsetzung», kritisiert Nico van der Heiden von Pro Velo.

Oft fehlt der Wille

Bernhard Staiger vom vif sagt dazu, der Kantonsrat gebe das Tempo vor. «Er entscheidet, was im Strassenbauprogramm des Kantons umgesetzt wird.» Die Verwaltung sei durchaus aktiv, doch die Tempovorstellungen gingen auseinander. «Die Politik macht die Vorgaben, und wir führen gehorsam aus.»

Doch Nico van der Heiden fällt auf, dass Verbesserungen für die Velofahrer in der Regel bloss im Schlepptau von grossen Strassenbauvorhaben umgesetzt werden. «Man hat kaum je Geld in die Hand genommen, um ein Projekt einzig für Velofahrer zu realisieren.»

Ist es der Kantonsrat, der klemmt, oder ist es die Verwaltung? Die Wahrheit dürfte in der Mitte liegen, sagt ein Insider, der nicht zitiert werden möchte. Die Verwaltung habe es in der Hand, Projekte vorzuschlagen und damit die Marschrichtung vorzugeben. Doch der Wille dazu fehle oft. Aber auch der bürgerlich dominierte Kantonsrat sei nicht bereit, mehr in die Sicherheit von Velofahrenden zu investieren.

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3 Kommentare
  • Profilfoto von E. v.Deschwanden
    E. v.Deschwanden, 20.08.2013, 20:58 Uhr

    Ich ärgere mich über alle Fahrradstreifen die plötzlich unterbrochen werden weil für das Nebeneinander von Autos und Fahrrad zuwenig Platz ist. Die Leitlinien für Autos werden fein säuberlich weitergeführt. Die Velofahrer sollen sich da wohl kurzfristig in Luft auflösen. Ein typisches Beispiel ist die Verengung der Fahrspur beim 2. Fussgängerstreifen Schwanenplatz. (Quai- Gübelin) Es würde die Sicherheit wesentlich erhöhen, wenn der Velostreifen ohne Unterbrechung über den Fussgängerstreifen geführt würde. Das würde den Autofahrer signalisieren, dass es noch Velofahrer gibt die auch Platz benötigen.

    Das Selbe gilt für den Velostreifen ganz rechts auf der Seebrücke Richtung Schweizerhof bei der Bushaltstelle. Es gibt eigentlich keinen Grund die Markierung des Velostreifens auch im Bereich der Bushaltstelle weiterzuführen.

    Die Markierung der Velostreifen vom Schweizerhof Richtung Dreilindenstrasse ist nicht vorhanden. Wo soll man da fahren? Eine Markierung von durchgehenden Velostreifen würde die Aufmerksamkeit der Autofahrer für die Velofahrer vereinfachen. etc. etc. ……………

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  • Profilfoto von Dani Galliker
    Dani Galliker, 20.08.2013, 12:00 Uhr

    der Unterbruch des Radstreifens beim Schweizerhof beträgt ca. 10 m und nicht 50 , sorry für den Tippfehler.

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  • Profilfoto von Dani Galliker
    Dani Galliker, 20.08.2013, 10:43 Uhr

    Ich fahre jeden Tag mit dem Fahrrad mehrmals über die Seebrücke. Es kommt selten vor, dass ich nicht zugunsten eines spurwechselnden Auto oder Busses auf mein Vortrittsrecht verzichten muss. Oft werden auch gnadenlos vom motorisierten Verkehr die Kurven geschnitten (Bsp. Eintritt mittlere Spur auf die Seebrücke, wenn man von der Zentralstrasse herkommt, da die Strasse die Verkehrsinsel umfährt) oder dann wieder bei der neuen Ampel beim Schweizerhof, wo der Radstreifen einfach für 50 m aufhört und die Fahrspur schaler wird. Das ist fast jeden Tag gefährlich. Ich empfehle, dass jemand vom Tiefbauamt diese Strecke ein paar Mal mit dem Fahrrad abfährt. Hier muss sich baulich dringend etwas ändern.
    Gefragt sind auch innovative oder neue Ideen um eine Verbesserung der Lage für die Velofahrenden zu erreichen. So sollte an ungefährlichen Orten für Fahrräder das Rechtsabbiegen bei roter Ampel erlaubt sein (z.B. Kreuzung Tribschenstrasse, Bodenhofstrasse) . Das erhöht die Akzeptanz für die Einhaltung der Verkehrsregen, da nicht «sinnlos» gewartet werden muss. Ebenfalls konsequentes Erlauben von Fahrradgegenverkehr bei Einbahnstrassen. Da würden sich die Autofahrenden schnell daran gewöhnen. Auch könnten bauliche Massnahmen das Vortrittsrecht der Velofahrer, bei oft durch Autofahrer ignorierten Rechtsvortritte,n erleichtern.

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