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Neu gilt ein Öffentlichkeitsgesetz in Luzern. Martin Stoll, Geschäftsführer des Vereins Öffentlichkeitsgesetz.ch, freut sich über den überfälligen Schritt – hält das Gesetz aber für ambitionslos.
Sieben neue Paragrafen im Organisationsgesetz und eine Informationsverordnung ändern im Kanton Luzern einiges: Dokumente der Verwaltung sind im Prinzip nicht mehr geheim, sondern öffentlich. Für Bürger, aber auch für Journalistinnen. Das neue Gesetz tritt am 1. Juni in Kraft.
Die Einführung des Öffentlichkeitsprinzips in der Verwaltung markiert einen entscheidenden Wechsel in der medialen und politischen Kultur. Der Kanton Luzern ist der vorletzte Kanton des Landes, der dazu ein Gesetz erlässt (zentralplus berichtete).
Was kommt auf uns zu, und wie gut ist das neue Öffentlichkeitsgesetz von Luzern? Das haben wir Martin Stoll gefragt, Journalist und Geschäftsführer von «Öffentlichkeitsgesetz.ch», einem Verein, der sich mit der Ausweitung des Öffentlichkeitsprinzips in der Schweiz beschäftigt.
zentralplus: Herr Stoll, der Kanton Luzern hat jetzt ein Öffentlichkeitsgesetz. Wie bewerten Sie diesen Schritt?
Martin Stoll: Das ist sehr begrüssenswert. Luzern ist der zweitletzte Kanton, der das macht – nach Nidwalden. Aber am Ende wird sich zeigen, ob der Paradigmenwechsel gelingt. Ich glaube, für die Verwaltung wird es eine echte Herausforderung, das bisherige Geheimhaltungsprinzip über Bord zu werfen.
zentralplus: Können Sie erklären, was das Geheimhaltungsprinzip ist und was das Öffentlichkeitsprinzip verändert?
Stoll: Sehr lange galt im Kanton Luzern das Geheimhaltungsprinzip. Das heisst, die Verwaltung musste alles geheim halten und durfte nur in wenigen Ausnahmen Informationen herausgeben. Neu gilt das Öffentlichkeitsprinzip: Grundsätzlich ist alles öffentlich, es gibt aber einige Ausnahmen.
zentralplus: Was ist neu zugänglich?
Stoll: Grundsätzlich ist alles zugänglich, was an Dokumenten und Daten in der Verwaltung vorhanden sind. Es gibt aber – wie in anderen Kantonen – Ausschlussgründe zum Schutz des behördlichen Meinungsbildungsprozesses, von Geschäftsgeheimnissen oder Persönlichkeitsrechten Dritter.
zentralplus: Was sind das für Ausnahmen?
Stoll: Eine schmerzliche Ausnahme ist, dass hier auch die Protokolle von nicht öffentlichen Verhandlungen ausgeschlossen sind. Mit ihnen kann man erklären, wie ein Entscheid zustande gekommen ist. Weitere Ausnahmen sind die Landeskirchen sowie Prüfberichte der Finanzkontrolle – leider. Auch das wäre wichtig, um zu verstehen, wo es Defizite gibt. Es geht ja um öffentliche Gelder.
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zentralplus: Noch etwas?
Stoll: Es gibt eine Klausel, die besagt, dass ein Dokument zurückgehalten werden kann, wenn eine Medieninformation geplant ist. Das zeigt, dass die Verwaltung Mühe hat, die Informationshoheit abzugeben. Diese Klausel ist wirklich aussergewöhnlich und für Journalistinnen und Journalisten besonders schwierig.
zentralplus: Wie schneidet Luzerns Gesetz im Vergleich zu anderen Kantonen ab?
Stoll: Es ist kein mutiges Gesetz und spiegelt die jahrelangen Diskussionen um Verwaltungstransparenz im Kanton Luzern wider. Es gab viele Vorbehalte. Man hätte die Chance gehabt, als einer der letzten Kantone ein fortschrittliches Gesetz zu schaffen. Das ist definitiv nicht gelungen.
zentralplus: Welcher Kanton hat das fortschrittlichste Öffentlichkeitsgesetz?
Stoll: Fortschrittlich sind die Kantone, die eine Schlichtungsstelle haben, bei der man niederschwellig sein Recht geltend machen kann – etwa Solothurn, Freiburg oder auch der Kanton Uri.
zentralplus: Gegner befürchten Mehraufwand und zusätzliche Kosten. Wie berechtigt sind diese Bedenken?
Stoll: Dieses Argument ist etwas paradox. Das Luzerner Gesetz enthält viele unklare Formulierungen, die Tür und Tor öffnen für gerichtliche Auseinandersetzungen. Es gibt viele Kann-Formulierungen. Wenn ein Dokument die freie Meinungsbildung beeinflussen kann, darf es zurückgehalten werden. Mit klareren Regeln könnte man Konflikte und damit Mehrkosten vermeiden. Zum Beispiel, wenn ein Dokument nur zurückbehalten wird, weil der Meinungsbildungsprozess ernsthaft gefährdet wäre – so wird dies allgemein rechtlich ausgelegt.
zentralplus: Und die Kosten, um all die erfragten Dokumente herauszusuchen?
Stoll: Eine Stunde Arbeit der Verwaltung zuhanden der Öffentlichkeit ist kostenlos, danach muss im Kanton Luzern bezahlt werden. Wenn die Verwaltung ein Dokument nicht herausgibt und man eine anfechtbare Verfügung will, ist dies im Kanton Luzern auch kostenpflichtig. Beim Bund ist das gratis.
«Transparenz ist immer auch ein Seilziehen.»
zentralplus: Gilt das auch für Journalistinnen und Journalisten?
Stoll: Bei Medienschaffenden kann ganz oder teilweise auf Gebühren verzichtet werden, wenn ein Zugangsgesuch – so die Verordnung – im «Zusammenhang mit der politischen Wissens- und Willensbildung steht».
zentralplus: Bis 2030 lässt der Kanton Luzern seinen Gemeinden Zeit, ein eigenes Reglement zur Umsetzung des Öffentlichkeitsprinzips zu erlassen. Danach gilt das kantonale Recht für jene, die keines geschaffen haben. Ist das üblich?
Stoll: So eine Regelung kenne ich sonst nicht. Wenn die Gemeinden davon Gebrauch machen, entsteht ein Wildwuchs an Gesetzeslagen. Das führt eher zu Widerständen und Reibungsverlusten.
zentralplus: Sie haben sich beim Kanton Luzern bereits nach einem internen Leitfaden zur Umsetzung des Öffentlichkeitsprinzips erkundigt, wie wir mitbekommen haben. Warum?
Stoll: Es wird eine Herausforderung für die Verwaltung, das Öffentlichkeitsprinzip in den Arbeitsalltag zu integrieren. Es braucht Schulung und klare Instruktionen. Deshalb ist es wichtig, dass solche Leitfäden existieren. Gut ist, dass im Kanton Luzern ein internes Gremium die Umsetzung kontrollieren und messen soll.
zentralplus: Sie sind Geschäftsführer von «Öffentlichkeitsgesetz.ch». Was machen Sie dort?
Stoll: Unser Ziel ist es, die Öffentlichkeitsgesetze zu einem guten Instrument für Medienschaffende zu machen. Wir wollen so Diskussionen zu relevanten Themen ermöglichen. Wichtig ist uns eine gute Umsetzungspraxis auf beiden Seiten – mit möglichst niedrigen Hürden und möglichst ohne Gerichte.
zentralplus: Agieren Sie als Watchdog, wenn Kantone sich nicht an die Regeln halten?
Stoll: Ja. Wir sprechen mit Verwaltungen, bei denen wir das Gefühl haben, dass es nicht gut läuft. Wir intervenieren manchmal auch gerichtlich. Und wir versuchen, politisch Einfluss zu nehmen. Im Kanton Luzern haben wir uns an der Vernehmlassung beteiligt.
zentralplus: Der Kanton Bern war 1995 der erste mit einem Öffentlichkeitsgesetz. Was hat sich seitdem verändert?
Stoll: Diese Gesetze haben die Arbeit von Medienschaffenden beeinflusst. In den letzten Jahren nutzen sie das Instrument deutlich offensiver und realisieren viele relevante Beiträge. Gleichzeitig gibt es aber auch Gegenreaktionen seitens der Verwaltung. Transparenz ist immer auch ein Seilziehen.
zentralplus: Haben Sie ein Beispiel dafür?
Stoll: Ein Fall betraf den Zugang zur Agenda des Rüstungschefs des Bundes. Das Bundesgericht gewährte Einsicht, da Agenden Rückschlüsse auf die Geschäftstätigkeit erlauben. Im neuen Luzerner Gesetz sind solche Agenden nun ausdrücklich vom Zugang ausgenommen.
zentralplus: Ist Luzern mit seinem neuen Öffentlichkeitsgesetz Schlusslicht in der Schweiz – oder wäre das etwas überspitzt formuliert?
Stoll: Der Kanton Luzern hatte grosse Schwierigkeiten – und was herausgekommen ist, ist sicher nicht das beste Gesetz.
zentralplus: Könnten die Lücken noch gestopft werden?
Stoll: Die Praxis wird die Defizite des Luzerner Gesetzes aufzeigen. Es könnte gut sein, dass man nachbessert. In anderen Kantonen, wie Basel-Stadt oder Zürich, ist man bereits daran, die Gesetze zu verbessern. Das Öffentlichkeitsgesetz kann als Kontrollinstrument die Verwaltung schliesslich auch effizienter machen.
- zentralplus-Medienarchiv zum Öffentlichkeitsgesetz Luzern und zum Öffentlichkeitsprinzip in der Verwaltung
- Telefonat mit Martin Stoll, Journalist und Geschäftsführer des Vereins Öffentlichkeitsgesetz.ch
- Website von «Öffentlichkeitsgesetz.ch»