Martin Pfister warnt vor Kosten in Milliardenhöhe

Lohn für pflegende Angehörige: Aus Zug kommt Gegenwind

Dass sich Angehörige liebevoll um pflegebedürftige Familienmitglieder kümmern ist eine Idealvorstellung – im Alltag ist es harte Arbeit. Dafür zu zahlen findet der Zuger Gesundheitsdirektor Martin Pfister aber nicht zielführend. (Bild: Adobe Stock/zvg)

Der zweite Platz des Zuger Jungunternehmer-Preises ging dieses Jahr an Solicare aus Baar. Die Firma stellt Menschen im Stundenlohn an, die ihre Angehörigen pflegen. Sie kassiert von den Krankenkassen aber doppelt so viel wie sie auszahlt. Dagegen regt sich Widerstand.

«Pflegende Angehörige leisten unbestrittenermassen einen unverzichtbaren Beitrag in der Pflege», sagt der Zuger Gesundheitsdirektor Martin Pfister auf Anfrage von zentralplus. Die Idee, Angehörige bewusst in die Pflege einzubinden und ihnen einen fairen Lohn zu zahlen, ist daher bestechend. Wertschätzung statt Gratisarbeit, bessere Bedingungen statt Klatschen – dieses Anliegen ist berechtigt.

Eine Lösung bietet die Baarer Firma Solicare. Sie stellt Menschen im Stundenlohn an, die einem pflegebedürftigen Familienmitglied helfen, den Alltag zu bewältigen. Sie unterstützen die Angehörigen beim Aufstehen und Anziehen, beim Toilettengang und beim Essen – und bekommen dafür einen Stundenlohn von rund 35 Franken.

Diese Art der Betreuung hat einige Vorteile: Die Betroffenen können zu Hause bleiben und die Angehörigen bekommen einen finanziellen Zustupf. Zudem wird transparent, was da eigentlich in den eigenen vier Wänden alles geleistet wird. Und weil Fachleute in die Betreuung eingebunden sind, ist es möglich, die Pflegequalität zu überprüfen.

Ehemann im Rollstuhl, vierjähriger Sohn und dann noch Arbeit

Die betroffenen Familien machen damit gute Erfahrungen. Die Krankenversicherung CSS hat kürzlich in ihrem Kundenmagazin eine Frau porträtiert, die ohne dieses Modell in schwere finanzielle Schwierigkeiten hätte kommen können. Ihr Mann ist nach einem Herzinfarkt und einem Schlaganfall auf den Rollstuhl angewiesen. «Er wird nie mehr gesund. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, dass es ihm wenigstens nicht schlechter geht», wird die 44-Jährige im Bericht zitiert.

Vor der Corona-Pandemie arbeitete sie Teilzeit und kümmerte sich daneben nicht nur um ihren pflegebedürftigen Mann, sondern auch um den vierjährigen gemeinsamen Sohn. Der Ausbruch der Pandemie markierte eine Zäsur. Die Therapien fielen coronabedingt aus, der Zustand des Ehemanns verschlechterte sich. Die Frau musste ihre Teilzeitarbeit als Modeberaterin aufgeben, um sich um ihn zu kümmern.

«In meinem Land ist es eine Schande, wenn du jemanden aus der Familie in ein Heim bringen musst.»

Angestellte bei Solicare

Seit Anfang dieses Jahres ist sie nun bei Solicare angestellt und bekommt daher einen Lohn für die Pflege ihres Mannes. «Die Arbeit unterscheidet sich nicht gross, ich bekomme jetzt aber Geld dafür», sagt sie im Bericht. Sie habe einen stabilen Tagesablauf und nun auch wieder mehr Zeit für ihren Sohn.

Die Unterbringung ihres Mannes in eine Institution wäre für die Ukrainerin nicht infrage gekommen. «In meinem Land ist es eine Schande, wenn du jemanden aus der Familie in ein Heim bringen musst», wird sie zitiert. Ihr Mann habe seine erste Frau auch bis zu ihrem Tod gepflegt – und er habe nun das Gleiche verdient.

Wer profitiert hier wirklich?

Die Idee, Angehörige auf diese Art finanziell zu unterstützen, ist gut. So gut, dass Solicare für den Zuger Jungunternehmer-Preis 2021 nominiert wurde. Trotzdem gibt es Kritik an dem Modell. So zum Beispiel aus dem Luzerner Stadthaus.

Der Stadtrat rechnete diese Woche in einer Vorstossantwort vor, dass die Firma für ihre Vermittlertätigkeit doppelt so viel in Rechnung stellt, als sie den pflegenden Angehörigen auszahlt (zentralplus berichtete). «Alle müssen genau hinschauen, wer effektiv profitiert», meinte Sozialdirektor Martin Merki zur Begründung, weshalb er dieses Betreuungsmodell nicht fördern will.

Die Firma hat ihren Sitz im Kanton Zug. Auch dort ist Gesundheitsdirektor Martin Pfister nicht begeistert davon, betreuende Angehörige auf diese Art zu unterstützen. «Eine finanzielle Entschädigung via Spitex, wie sie in diesem Fall praktiziert wird, ist aus unserer Sicht nicht zielführend», sagt er weiter. Er teilt die Einschätzung von Merki, dass Mehrkosten in Milliardenhöhe entstehen, wenn das Modell flächendeckend zum Einsatz käme.

«Unsere Daten zeigen bis anhin keine Kostenexplosion.»

CSS-Sprecherin Christina Wettstein

«Eine hohe Wertschätzung dieser Tätigkeiten ist angebracht und wichtig», betont auch Pfister. Er verweist hierzu auf die vielen bestehenden Unterstützungsmöglichkeiten für pflegende Angehörige, die hier einen wichtigen Beitrag für die Entlastung der pflegenden Angehörigen leisten würden. 

Modell verbessern statt verwerfen?

Vielleicht liesse sich das noch junge Modell verbessern, indem die Tarife neu ausgehandelt werden? Pfister schliesst das nicht aus, verweist aber auf die Zuständigkeit der Gemeinden. «Der Kanton Zug erteilt den Spitex-Betrieben lediglich eine gesundheitspolizeiliche Betriebsbewilligung», erklärt er. Auf diese Bewilligung habe auch Solicare einen Anspruch. «Die Abrechnung der Kosten ist nicht Teil dieser Bewilligung. Der Tarif wird zwischen den Spitex-Anbietern und den Gemeinden verhandelt», so Pfister.

Im Fall der Stadt Luzern wird dies nun offenbar gemacht. «Wir sind bereits im Gespräch mit den Vertretern der Stadt Luzern», schreibt Solicare in einer E-Mail, als zentralplus die Firma um eine Stellungnahme bittet. Aufgrund der laufenden Verhandlungen gibt sie keine weiteren Auskünfte. Sie verweist aber darauf, dass ihr Beitrag nicht nur aus der Anstellung der Angehörigen besteht. Mit dem Geld, was die Firma für ihre Dienste von den Krankenkassen bekomme, würden «zahlreiche Qualitätssicherungs- und Entlastungsangebote für die pflegenden Angehörigen» finanziert.

CSS bricht eine Lanze für Solicare

Überzeugt vom Solicare-Angebot ist die Krankenversicherung CSS. «Unsere Daten zeigen bis anhin keine Kostenexplosion», schreibt Sprecherin Christina Wettstein auf Anfrage. «Solicare ist eine Ergänzung zu bestehenden Strukturen und Akteuren im Gesundheitswesen und eine Antwort auf den zunehmenden Pflegebedarf sowie dem Fachkräftemangel.» Die CSS wolle den pflegenden Angehörigen Wertschätzung zeigen. Dies, indem sie für ihre Arbeit, die sie bisher ohne Entschädigung verrichteten, eine finanzielle Unterstützung erhalten.

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